caethe13 20130606 2077193600 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Verschollenes Tier"
Cäthe
DEAG / SONY
14. Juni 2013

1. Hoch oben nah dem Sturm
2. Geister
3. TabulaRasa
4. Gelbe Kartons
5. Kleingeld
6. Alien
7. Funken
8. Verschollenes Tier
9. Die Leute
10. Tu was Du willst...
11. Einer ist immer der Arsch
12. Auf die Dächer
13. Waffen niederlegen
14. Mein Herz mit Dir bin ich frei




Ich erinnere mich noch genau an den Urknall, der über mich hereinbrach, als ich zum ersten Mal CÄTHEs explosive Stimme hörte. Mehr zufällig und ungewollt, aber mit nachhaltiger Wirkung. Seitdem lässt mich diese so zierlich wirkende Powerfrau nicht mehr los, und ihr Debütalbum "Ich muss gar nichts" (2011) rotiert immer noch regelmäßig in meinem CD-Player. Diese Leidenschaft teile ich weiß Gott nicht alleine, denn CÄTHE schaffte es mit ihrer unvergleichlichen Art zu singen sofort und mühelos, die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen und sich in kürzester Zeit eine treue Fanbasis aufzubauen.

In ein paar Tagen, nämlich am 14. Juni, erscheint nun endlich CÄTHEs neues Album unter dem ungewöhnlichen Titel "Verschollenes Tier". Sie selbst begründet die Namensgebung für das Album so: "Das Tier steht für die Verbindung mit dem Ursprünglichen, dem Instinktiven in mir. Wenn ich Musik mache oder auf der Bühne stehe, kommt es raus und kann atmen. Auf diesem Album komme ich dem verschollenen Tier, also mir selbst, sehr nah". Dass sie tatsächlich eine Instinktmusikerin ist, die wenig bis gar nicht nach vorgefertigten Mustern agiert, durfte ich im Dezember 2012 bei ihrem Berlin-Konzert erleben. Das war Leidenschaft pur, die in Hamburg lebende CÄTHE schien völlig losgelöst von allem, sie hatte das Tier in sich also rausgelassen. Ich war sehr gespannt, inwieweit sich das nun auch auf ihrem neuen Album niederschlägt.

Irgendwie konnte ich es kaum erwarten, das Werk in den Händen zu halten. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, beim Hören des ersten Titels immer ganz in Ruhe durch das Booklet zu blättern. Hier machte das besonders viel Spaß, denn die Innenseiten waren nicht nur schlechthin mit den Songtexten bepflastert, sondern diese wurden zusätzlich auch noch von vielen hübschen Zeichnungen garniert. Diese kleinen Kunstwerke stammen alle aus CÄTHEs Hand und machen das Booklet zu einem sehr liebevoll gestalteten Kleinod, was man immer wieder gerne in die Hand nimmt. Aber was nutzt das hübscheste Begleitheft, wenn die Musik auf dem dazugehörigen Silberling nur Murks bereithält? Hat es ja alles schon gegeben. Also ran an die Buletten und ganz schnell prüfen, was CÄTHE uns diesmal abliefert!

"Als die Wellen kommen und wir uns auf heißen Steinen nah den Klippen sonnen, senkt sich mein Kopf in deinen Schoß, und ein Zauber liegt in der Luft..." - mit dieser Beschreibung eines sehr intimen Momentes startet die CD. Und schon ist sie wieder da, diese spontan kommende Gänsehaut, die mich beim Hören dieser so einzigartigen Stimme überzieht. Im Refrain schreit CÄTHE dann zu einem treibenden Beat heraus: "Ich will wissen, wer du bist, wenn du fällst und nichts mehr unmöglich ist..." Phantastisch, genau so will ich Catharina Sieland (so ihr bürgerlicher Name) hören! Diese Nummer gefiel mir schon beim vorhin erwähnten Konzert außerordentlich gut. Im zweiten Song, der mit "Geister" betitelt ist und erneut die Gefühlswelten zweier Menschen beschreibt, setzt sich der positive Eindruck fort. Eine flüssig gespielte Nummer, leicht rockig gehalten, zu der CÄTHE ihr raues, urwüchsiges Timbre richtig schön ausspielen kann. Die unvergessene JANIS JOPLIN hätte diesen Song vermutlich nicht besser schmettern können. Mittendrin hören meine Ohren dann sogar eine wunderbar bluesig klingende Mundharmonika - herrlich! Ich ertappe mich, wie meine Beine im Takt zu zappeln beginnen, was mir ansonsten eher selten passiert. Damit ist die rockige Phase des Albums allerdings auch schon fast abgehandelt. Zunächst stört das überhaupt nicht, denn mit "TabulaRasa" folgt ein echter Burner. Ein gleichmäßiger, eindringlicher Midtempo-Beat untermalt die Geschichte einer scheinbar kaputten Beziehung. Dezent, aber bestimmt übernimmt das Piano das Kommando, während die Drums energische Breaks setzen. CÄTHE erzeugt durch ihre unglaublich intensive und ausdrucksstarke Stimme bei mir nicht nur erneutes Wohlfühlfrösteln, sondern ich sehe regelrecht die Bilder der Story vor mir. Die gebürtige Staßfurterin spielt hier mühelos ihre ganze Klasse aus, ich bin begeistert. Für mich ist "TabulaRasa" eindeutig eines der Highlights auf der CD. Vor allem live dürfte das ein Knaller werden.

Es ist bis jetzt nicht zu überhören, dass CÄTHE eine deutliche Weiterentwicklung durchlaufen hat. Die Songs wirken strukturierter, vielseitiger, reifer. Das schließt auch die wunderbare Ballade "Gelbe Kartons" sowie das funkig daherkommende "Kleingeld" ein. Das soll jetzt keineswegs die Qualität des Album-Vorgängers "Ich muss gar nichts" schmälern. Aber da gab es doch - zumindest für mich - zwei oder gar drei Nummern, die nach mehrmaligem Hören ziemlich genervt hatten. Nun, auch hier beim aktuellen Longplayer ist nicht alles aus Gold gefertigt, und so muss ich an dieser Stelle dann doch mal die Daumenschrauben ansetzen, denn irgendwie scheint sich ab dem sechsten Titel ein Wandel anzukündigen. Ich bin fast geneigt, von einem Bruch zu reden, denn plötzlich zeigt CÄTHE, die alle Songs selbst geschrieben hat, ein anderes Gesicht. Konnte man in den ersten fünf Songs all das wiedererkennen, worauf CÄTHEs Erfolge beruhen, so lassen mich die nächsten beiden Nummern ("Alien" und "Funken") ratlos im Nirvana stehen. Was soll das sein? Es ist weder Fisch noch Fleisch, am ehesten kann man es wohl als belanglosen Pop bezeichnen. Der sich anschließende Titelsong "Verschollenes Tier" erobert dann glücklicherweise wieder einen Großteil der eben verlorenen Sympathien zurück. Einfühlsam erzählt CÄTHE von der Sehnsucht, sich mal wieder wie ein Kind zu fühlen, sich von allem zurückzuziehen, um einfach nur für eine gewisse Zeit zu sich selbst zu finden: "Losgelöst und mal allein, für Minuten ungestört sein, für Minuten ein verschollenes Tier, ich gehöre mir."

Auf die verbleibenden sechs Lieder des Albums möchte ich nun nicht im Detail eingehen, weil der Hörer der CD ja auch noch ein bisschen Überraschung vorfinden soll. Meine Hoffnung auf einen versöhnlichen Abschluss des Albums kann CÄTHE jedenfalls nur teilweise erfüllen. Am ehesten packt mich noch "Die Leute", wo mich der Strophenteil von der Machart her irgendwie an ein französisches Chanson erinnert. Der Chorus geht dann wieder richtig ab, was mir natürlich gut gefällt. Und auch "Waffen niederlegen" trifft nochmal ins Schwarze, weil der sehr emotionale Text hervorragend zu der balladesken Komposition passt und von CÄTHE traumhaft interpretiert wird.

Meine Vorfreude auf "Verschollenes Tier" war riesig. Nach dem mehrmaligen Hören muss ich erkennen, dass es eben doch nicht so einfach ist, ein ganzes Album lang ein bestimmtes Qualitätslevel zu halten. Vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, vielleicht hatte ich auch einfach nur andere Vorstellungen von dem, was ich zu hören gehofft hatte. Für mich liegen CÄTHEs Stärken einerseits in den melodiösen Softies wie "Verschollenes Tier", "Gelbe Kartons" oder "Waffen niederlegen". Ebenso punktet sie mächtig mit den rockigeren und funkig gehaltenen Nummern, weil sie da ihre raue, ungezügelte Röhre erst so richtig ins Feld werfen kann. Alles, was dazwischen liegt, überzeugt mich weniger, weil es zu schnell in 08/15-Popgefilde abgleitet. Und das ist schade, da rettet auch diese Wahnsinnsstimme nichts mehr. Und die Texte? Ja, die Texte sind eine Welt für sich. Ganz anders, als man es sonst von deutschen Vokalakrobaten gewohnt ist. Man merkt schnell, CÄTHE tickt anders als Otto Normalo, was ja nicht immer schlecht sein muss. Hier kommt dadurch sogar jede Menge Sympathie für die junge Frau auf. Sie kehrt oft ihr Innerstes nach außen, lässt uns an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. Allerdings sind mir manche der Lyrics hin und wieder etwas zu verwirrend und schwer zu deuten.

CÄTHE spielt gesanglich tatsächlich in einer eigenen Liga, da kommt derzeit aus der deutschen Musikszene niemand auch nur annähernd heran. Ich bin gefangen und fasziniert von dieser Stimme, von den Emotionen, die sie damit auszulösen vermag. Sie kann wirklich von ganz leise bis krachend laut alles abdecken, manchmal zeigt sie die ganze Breite ihres stimmlichen Volumens sogar innerhalb eines einzigen Liedes, das ist schon irre. Okay, aus kompositorischer Sicht ist auf dem neuen Album sicher nicht jeder Titel ein Volltreffer, aber das möge bitte jeder für sich selber beurteilen. So eine CD-Rezension ist halt immer eine undankbare Sache, weil das Urteil zwangsläufig rein subjektiv, also abhängig vom Geschmack des Rezensenten ausfällt. Trotz der geäußerten Kritikpunkte kann ich CÄTHEs neues Album "Verschollenes Tier" dennoch guten Gewissens empfehlen. Kein Mainstream, sondern gut gemachte, handwerklich hochklassige Musik, die von Balladen über Pop bis hin zu rockigen Klängen vieles bietet. Und jetzt freue ich mich einfach nur auf die Live-Präsentation des Albums, beispielsweise am 21. November in Berlin.
(Torsten Meyer)



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Videoclips

"TabulaRasa" (Live-Version)


"Alien"