finkekaemm 20130406 1411894083 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Unkämmbar"
Tommy Finke
AREA Entertainment
28. März 2013

1. L<3L
2. Haldern
3. Unrasiert & fern der Heimat
4. Canossa
5. Heimathafen
6. Wer hat mich gemacht?
7. Sag ihnen, dass Du sie liebst
8. Skeptic
9. Weltkrieg
10. Mit 17 in Hamburg




Das Produkt eines "bunten Ruhrgebiets"
Das Ruhrgebiet wird auch viele Jahre nach Schließung fast aller Zechen den Ruf nicht los, ein grauer Schandfleck auf der Deutschlandkarte zu sein. Zumindest bei denen, die noch nicht hier gewesen sind. Dabei ist es schon längst nicht mehr so, dass man kleine Briketts ins blütenweiße Taschentuch schnäuzt, wenn man kurz vorher im Freien einmal tief Luft geholt hat. Auch kann ich dem interessierten Leser berichten, dass wir außer verschiedenen Schattierungen von Grau und Schwarz noch ganz viele andere Farben in der freien Natur haben. Und was wir auch haben, ist eine blühende Musiklandschaft mit tollen Künstlern mit noch tolleren Ideen. Einer davon ist Tommy Finke, geboren am 4. Februar 1981 in Bochum. Finke lebt, arbeitet und stammt aus eben der Stadt, die von meinem Haus nur ein Steinwurf weit weg ist und der Herbert Grönemeyer anno 1984 eine bis heute noch gültige und beliebte Hymne auf den verbauten Leib schrieb. Nun wird der eine oder andere sich sicher am Kopf kratzen und fragen: "Tommy wer???" Der Stammgast des alljährlichen Festivals "Bochum total" kennt Tommy Finke und seine Band schon seit Jahren, denn auch der Künstler selbst ist dort Stammgast - allerdings auf den Bühnen. Wir hier im "Ruhrpott" können mit dem Namen also sehr wohl etwas anfangen und ich wünsche es dem Künstler sehr, dass das auch bald anderenorts der Fall sein wird. Wer nähere Details aus des Künstlers Biographie erfahren möchte, dem sei der Wikipedia-Eintrag ans Herz gelegt, der offenbar vom Künstler selbst oder jemandem aus seinem Dunstkreis gepflegt wird. Dieser Tommy Finke hat jedenfalls jetzt sein drittes Album "Unkämmbar" veröffentlicht.

Die beiden ersten Alben von Tommy Finke sind mir nicht bekannt, interessieren mich nach dem Hören der neuen CD "Unkämmbar" aber umso mehr. Der Künstler hinterlässt schon nach den ersten Tönen den Eindruck, dass er nicht erst seit gestern Musik macht. Das Album bietet verschiedene Stilistiken und für viele Geschmäcker etwas, ohne dabei den berühmt-berüchtigten "roten Faden" zu verlieren. Es beginnt mit einer dieser typischen Klampfe-Nummern, wie man sie heute oft hören kann und vor denen man irgendwie auch nicht mehr flüchten kann. "L<3L" heißt das Stück (siehe Video unten), bei dem zusätzlich zur Akustikgitarre noch ein Cello rein geschraubt wurde. Zur spartanischen Instrumentierung kommt dann nur noch der Gesang von Tommy Finke. Zugegeben, mich haut die Nummer nicht vom Stuhl, aber es ist eines dieser Lieder, die man auf seinem Album heute schon fast zwingend dabei haben muss, damit sich der eine oder andere Radio DJ vielleicht doch dazu entschließt, einen Song von der Platte in sein Programm aufzunehmen. Zu meinem Glück stellt "L<3L" aber nur eine Ausnahme dar.
Denn schon beim nächsten Titel wird der Einsatz von Instrumenten erhöht: Akkordeon, verschiedene Gitarren, Schlagzeug, Bläser... Das Arrangement passt schon mal. "Haldern" heißt das Lied und es ist eine typische Hymne. In diesem Fall auf das Musikfestival "Haldern Pop", das alljährlich in Rees-Haldern, zwischen Isselburg und Hamminkeln, stattfindet. Nicht irgendwie schmierig oder verkleistert, sondern überzeugend und richtig gut. Der richtige Soundtrack für die Anreise nach Haldern, für die Pausen beim Festival und für die Heimreise. Aber auch außerhalb der "Saison" macht der Song Spaß. Nach so einer Songidee (und vor allem nach so einem Text) suchen sich manche Musiker ein Leben lang 'nen Wolf - Tommy Finke schüttelt es offenbar mit Leichtigkeit aus der Ideenkiste, so unverkrampft und lebendig wie er klingt.
"Unrasiert & fern der Heimat" lässt die Lust auf die CD weiter wachsen. Eine weitere flotte Nummer und gleichzeitig eine weitere Hymne für die, die an Fernweh leiden oder auf einer fernen Reise einfach nur schöne Gedanken an ihr Zuhause haben. Finke gelingt es spielend, dem Hörer die passenden Bilder ins Kopfkino zu projizieren. Eine wirklich großartige Nummer mit Garantie auf gute Laune.
"Canossa" heißt das nächste Stück (siehe Video unten), und weil man mit diesem Begriff natürlich auch den "Gang nach Canossa" assoziiert (der Satz fällt dann auch im Text), wird der Song kurzerhand mit sakralen Klängen eingeleitet. Finke hat über den Inhalt des Stücks folgendes gesagt: "Es geht darum, etwas einzufordern, was einem versprochen wurde, dafür aber sich selbst eine Schuld einzugestehen. Letzten Endes wird nichts durch Wunder gelöst, nur durch handeln. Aber handeln ist ohne Konsequenzen kaum möglich." Dieses Thema wurde in eine weitere mitreißende und zum Tanzen auffordernde Nummer verpackt, an der man wegen dem Text und der wirklich knackigen Arrangements einfach nicht vorbei kommen kann.
Und so geht es weiter auf der Scheibe. Kein Song ist wie der andere. Es gibt die eben schon erwähnten Hymnen, klassische Singer/Songwriter-Nummern (Weltkrieg), Anleihen beim Brit Pop ("Wer hat mich gemacht"), melancholische Momente ("Heimathafen", "Sag ihnen, dass Du sie liebst") und auch einfach schöne Popsongs ("Skeptic"). Den Abschluss der Scheibe bildet der Song "Mit 17 in Hamburg". Eine Liebeserklärung an die "guten alten Zeiten" in Hamburg und gleichzeitig auch ein Abschied nehmen vom eigenen Vater. Wirklich berührende Momente, die einem richtig tief unter die Haut gehen, konzentriert in 4:02 Minuten.

Es ist in Rezensionen inzwischen ja üblich, Vergleiche zu ziehen. So nach dem Motto "klingt wie..." oder "Macht Musik wie...". Ich verwende dieses Stilmittel selbst auch, obwohl es keinem Musiker gegenüber fair ist, seine Arbeit mit der anderer Künstler zu vergleichen. Trotzdem komme ich nicht daran vorbei, Tommy Finke und seine Songs mit Herwig Mitteregger und Rio Reiser in Verbindung zu bringen. Eben diese Musiker haben es bei mir geschafft, mich mit ihren Songs direkt beim ersten Hören abzuholen. Sie haben mich mit all ihren Liedern immer wieder aufs Neue überzeugt, und das schon beim ersten Hören. Es bedurfte kein "Warmwerden" mit den Alben, sondern sie zündeten sofort. Tommy Finke ist das mit "Unkämmbar" auch gelungen. Er hat ein wirklich starkes Album vorgelegt, obwohl es mit dem Opener "L<3L" für meinen Geschmack so schwach anfing. Dafür steigerte es sich von Song zu Song und ging mit dem letzten Stück nochmal richtig tief rein. Finkes Texte sind erwachsen, ausgereift... manchmal richtig poetisch! Es ist echt beeindruckend, wie der Musiker seine Botschaften in Worte fasst. Dabei stellt er Fragen, gibt Antworten und veranlasst den Hörer immer wieder dazu, seinen eigenen Kopf einzuschalten. Selbst bei den Nummern, die eigentlich als partytaugliche Hits durchgehen. Das macht Spaß und sorgt dafür, dass man bei jedem Hören dieser CD immer noch etwas Neues entdecken kann - sowohl bei den Arrangements als auch bei den Texten. Ebenso wenig wie ich Finke mit anderen Musikern vergleichen möchte, möchte ich ihn in eine Schublade stecken. Wie schon erwähnt, bietet die Scheibe für jeden Geschmack etwas. Es werden Genres so geschickt vermischt, dass man schon genau hinhören muss. Pop- harmoniert mit Folk-Musik, lässt aber auch die Möglichkeit offen, weitere Elemente aufzunehmen. Ein Anwärter auf einen der vordersten Plätze bei der Suche nach dem Album des Jahres.
(Christian Reder)




Beitrag kommentieren:
Dieses Album oder die Rezension kommentieren? Das kannst Du HIER





Videoclips:

"Canossa"


"Heimathafen"
  
"L<3L"