cb-tlaf 20130105 2016132902 Titel:
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Titel:

"The Lost Are Found"
Claudia Brücken
There(there) Music/AL!VE
11. Januar 2013

1. Mysteries Of Love
2. Memories Of A Color
3. The Day I See You Again
4. Everyone Says 'Hi'
5. One Summmer Dream
6. Crime
7. The Road To Happiness
8. Kings Cross
9. No One To Blame
10. And The Sun Will Shine
11. Whispering Pines

Wenn man als Musiker einen bereits von anderen Künstlern veröffentlichten Song für sein eigenes Album neu aufnimmt, hat das häufig einen besonderen Grund. Vielleicht war der Song mal Inspiration für eigene Werke. Vielleicht verbindet der Musiker mit dem Lied Erinnerungen an bestimmte Erlebnisse - möglicherweise an die eigene Jugend. Manche Musiker spielen einen Song nochmals neu ein, um dem Schöpfer der Vorlage Tribut zu zollen - ihn zu ehren. Egal, aus welchem Grund ein Musiker Songs eines Kollegen neu interpretiert, nicht immer ist die Neuauflage auch hörenswert. Ich selbst bin ein großer Fan von Peter Gabriel, trotzdem gefielen mir seine Interpretationen anderer Songs auf der CD "Scratch My Back" überhaupt nicht. Auch die CD "Undercover" der PUHDYS - um mal im eigenen Land zu bleiben - wird den Weg in meinen CD-Player wohl nicht mehr finden und stützt in meinem CD Regal nur andere CDs, damit diese nicht umfallen. Es ist also nicht so einfach, eine gute Vorlage neu zu bearbeiten und den Hörer damit zu überzeugen.

Auch Claudia Brücken hat nun so ein Album mit Neuinterpretationen anderer Songs fertig gestellt. "The Lost Are Found" heißt der Silberling, auf dem sie insgesamt 11 Stücke unterschiedlicher Machart und aus der Feder verschiedener anderer Künstler neu aufgenommen hat. Wer die Musik und insbesondere die Gesangsqualität einer Claudia Brücken kennt, weiß bereits im Vorfeld, dass diese Scheibe kein Flop werden kann. Frau Brücken ist eine der ganz wenigen Sängerinnen, die allein durch ihre Stimme überzeugen und beim Hörer ein ums andere Mal Gänsehaut erzeugen kann. Ihre Stimme hat nicht nur eine große Wiedererkennbarkeit, die Sängerin selbst braucht eigentlich auch keine instrumentale Begleitung, um ein Lied leben und aufblühen zu lassen. Ich vermute, dass selbst die Vertonung des Telefonbuchs der Stadt Wuppertal mit Claudia als Sängerin ein großes Werk werden würde. Wie dem auch sei: Claudia Brücken hat bei der Produktion ihrer neuen CD jedenfalls nicht auf eine instrumentale Begleitung verzichtet. Eine Besonderheit von "The Lost Are Found" ist die Wahl des Produzenten. Hier zeichnet kein Geringerer als Stephen Hague für den Sound verantwortlich. Wer in den 80ern groß geworden ist und Platten von OMD, New Order oder den Pet Shop Boys im Schrank stehen hat, kennt nicht nur den Namen, sondern weiß auch die Arbeit des Briten zu schätzen. Die gemeinsame Arbeit zwischen ihm und Claudia Brücken begann laut Pressetext mit den Aufnahmen des Stücks "One Summer Dream", das im Original auf der B-Seite der 1977 bei Jet Records erschienenen Electric Light Orchestra-Single "Mr. Blue Sky" zu finden ist. Claudia Brücken und Stephen Hague schälten die melancholisch schöne Melodie aus dem Song heraus und kleideten sie soundmäßig neu ein. Die mit Streichern, Gitarre, Bass und Schlagwerk leise vor sich hin tänzelnde Nummer bekommt durch Claudias einfühlsamen Gesang die nötige Würze. Augen schließen und sich von dieser wunderschön arrangierten und gesungenen Version einfach forttreiben lassen (siehe und höre auch im Clip am Ende dieser Seite). Dieser Aufnahme schlossen sich weitere an. Die Auswahl der Titel ist dabei höchst interessant. Während sich viele Musiker auf die Hits ihrer Kollegen stürzen, um diese auf ihre Art zu interpretieren, hat sich Claudia Brücken Titel ausgesucht, die - aus welchem Grund auch immer - im Schatten der wesentlich bekannteren Titel des jeweiligen Künstlers standen und auch heute noch stehen. So bekommen wir von der Gruppe THE BAND nicht etwa "The Weight" oder "The Night They Drove Old Dixie Down" zu hören, sondern das Stück "Whispering Pines", das lediglich ein Albumtrack der gleichnamigen, im Jahre 1969 veröffentlichten LP ist und bei der kein Radioredakteur auf die Idee käme, sie in seinem Programm zu spielen. Brücken und Hague haben einen elektronischen Schleicher daraus gemacht. Das ursprünglich verwendete Piano ist einem Keyboard gewichen und auch sonst klingt die neue Version frischer. Ebenso erging es dem Titel "And The Sun Will Shine", ursprünglich von den BEE GEES im Jahre 1968 als Single veröffentlicht und irgendwie im Nirgendwo der Pop/Rock-Geschichte untergegangen. Claudia Brücken hat den inzwischen 45 Jahre alten Song entstaubt und ihm eine Frischzellenkur verpasst. Kommt das Original nur mit Gitarre, Schlagwerk und Streichern recht bieder daher, ist die neue Fassung wesentlich interessanter arrangiert und umgesetzt. Für mich die wesentlich bessere Fassung, weil zeitloser angerichtet (Sorry, Ihr Bee Gees-Fans). Und so musiziert sich Frau Brücken durch die Musikgeschichte der 60er bis in die 2000er Jahre. Sie verhilft David Bowies wenig erfolgreicher Single "Everyone Says Hi" aus dem Jahre 2002 zu neuem Leben, einem Song, der zwar Klasse hat, aber bei seinem Erscheinen nicht sonderlich auffiel (lediglich Platz 20 der britischen Charts). Auch die Pet Shop Boys finden sich mit "Kings Cross", dem letzten Titel auf ihrem 1987er "Actually"-Album, auf Claudias neuer Scheibe wieder. Im Vergleich zum Original klingt die Brücken-Fassung deutlich synthetischer, was in diesem Fall aber keineswegs ein Nachteil ist (ebenfalls am Ende dieser Seite als Clip zu finden). Es gibt weitere Neueinspielungen von Titeln zu hören, die im Original von David Lynch, Stina Nordenstam oder The Lilac Time sind. Der Name dieses Albums ist absolut Programm, denn so gut wie alle Lieder auf der CD erkennt man erst beim zweiten oder dritten Blick (Hinhören) wieder - wenn überhaupt. Es sind die B-Tracks, die oft keine Beachtung finden und die nicht selten nur die echten Fans der Künstler kennen. Eben die "verlorenen Songs", die von Claudia Brücken "wiedergefunden" wurden.

Nun kann man geteilter Meinung beim Thema Coverversionen sein. Manche dieser Neuproduktionen braucht wirklich keine Sau, und trotzdem werden wir mit bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Beleidigungen für's Ohr genervt. Ich denke da z. B. an diesen unsäglichen Mist der Black Eyed Peas oder - noch schlimmer - der Hermes House Band. Man muss schon ein besonderes Gefühl für ein bereits veröffentlichtes Stück haben, um eine gute, eigene Version daraus zu machen - der Gedanke, damit nur Geld zu verdienen, reicht da nicht aus. Claudia Brücken hat dieses Gefühl, diese Sensibilität für die Seele der von ihr ausgewählten Stücke. Diese Seele hat sie bei jeder einzelnen Nummer beibehalten und sie lediglich in ein anderes musikalisches Gewand gekleidet. Ganz wunderbar, wie sie "Mysteries Of Love" interpretiert. Engelsgleich ist ihr Gesang zur sphärisch klingenden und nicht von dieser Welt zu sein scheinenden Musik, die zum Ende hin richtig düster wird. Schon beim nächsten Stück "Memories Of A Colour" lässt sie ihre Stimme federleicht über die Keyboard-Klänge tänzeln. Von lasziv bis kräftig ist die ganze Palette ihrer Gesangsvariationen zu hören. Unglaublich, wie Lieder nur durch ihre Stimme zum Leben erweckt werden und wie Musik nur noch zum schmückenden Beiwerk degradiert wird, sobald sie mit ihrem Gesang einsetzt. Dieses Album ist ein weiterer Beweis dafür, dass sie aus dem engen Korsett, das sie einst durch ihren Beitrag bei der Gruppe PROPAGANDA umgelegt bekam, herausgewachsen und zur großartigen Sängerin gereift ist. Wer noch immer ausschließlich im Gestern lebt und den guten alten 80ern nachjammert, der sollte von "The Lost Are Found" die Finger lassen. Er wird enttäuscht. Wer etwas für große Stimmen, den Ideenreichtum beim Neuinterpretieren fremder Titel und der Schönheit und Variabilität elektronischer Musik übrig hat, wird hier einen Schatz für sich entdecken.
(Christian Reder)


Clips:


"One Summer Dream"

 



"Kings Cross"