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Lange hatte es gedauert, bis die durch den Hit und die LP "Am Fenster" so erfolgreich gewesene Berliner Truppe City ihr drittes Album auf die Öffentlichkeit losließ (Für Puristen: "Dreamer" bzw. im Westen "Dreamland" zählt nicht!). Manch einer (uns eingeschlossen) wähnte die Band gar schon im Nirvana, da sich einige Protagonisten der zeitweilig auf Sextett-Größe angewachsenen Combo längst anderswo austobten: Rüdiger Barton war ins Silly-Lager übergelaufen, Pitti Piatkowski und Goro Gogow (die Geige) hatten mit NO55 erfolgreich eine neue Band etabliert und von City selbst hörte man lange nichts neues mehr. Und da der letzte Studio-Streich der Innenstädter ("Der Tätowierte", 1979) nicht wirklich an den Erfolg von "Am Fenster" hatte anknüpfen können und auch die Quasi-Best of "Dreamer" (acht mehr oder weniger bekannte City-Songs auf Englisch und neu produziert) über den guten Ansatz kaum hinauskam, während die "anderen Großen" (Puhdys & Karat) von einem Erfolg zum immer größeren nächsten rasten, war man nicht unberechtigt geneigt, City endgültig zu den Akten zu legen. Das war bekanntlich (und glücklicherweise) ein Irrtum, enbehrte aber dennoch nicht eines gewissen Grades an Wahrheit, denn als die Band schließlich DOCH wieder auftauchte, erkannte man sie kaum wieder.
Nicht wenige werden sich verwundert gefragt haben, wer denn diese neue Band sei, die eines Tages mit "Unter der Haut" durch die Radiostationen zog. Der Song glänzte mit übereinander getürmten Keyboard-Soundteppichen, die sich zwar elektronisch, jedoch nicht klinisch anhörten, spärliche Gitarreneinsprengsel, einen modernen Beat und einen mit dunkler, sonorer Stimme vorgetragenen, minimalistischen Text, der mit permanenten Satzwiederholungen das Spiel zweier Verliebter auf sein Wesentliches reduziert. Wer wäre da schon auf die robuste, kantige und oft auch sperrige City-Band gekommen?
Aber sie war es tatsächlich, hatte sich personell wieder auf vier Mitglieder gesundgeschrumpft und kam ohne Bassisten, dafür aber mit einem Keyboarder daher. Der rein äußerlich sehr gut mit Toni Krahl, Fritz Puppel und Klaus Selmke harmonierende Manfred Hennig war vom Elektonik-Projekt Pond gekommen (das just zu jener Zeit in neuer Besetzung ebenfalls erfolgreich durchgestartet war), was bewies, daß die Ausrichtung des neuen Songs weder Zufall noch Eintagsfliege sein konnte.
Und richtig: Die kurze Zeit später veröffentlichte gleichnamige LP hielt, was das Lied versprach. Der Sound war modern, catchy und sehr zugänglich, ohne jedoch wie Simpel-Pop zu wirken. Die einzelnen Tracks waren klug und nachvollziehbar aufgebaut, klangen in sich schlüssig und entwickelten sich schon nach einmaligem Hören zu Ohrwürmern. Die nicht weniger klugen und einfühlsamen Texte von Werner Karma und der Band selbst trugen ihr Scherflein dazu bei und brachten in Verbindung mit Krahls Interpretation das Kunststück fertig, daß man einer beinahe komplett kahlköpfigen Gruppe Lieder über Probleme in der Schule ohne zu fragen abnahm. Mit "Nur Rock'n Roll" wurde Seite 1 der LP standesgemäß abgeschlossen und wir erinnern uns noch genau, wie begierig man darauf war, die Platte zu drehen und den Rest zu hören. Mit dem Remake des Klassikers "Sag mir wo die Blumen sind" ließ sich das auch sehr gut an, aber leider wurde der Sinn des Originals durch das Weglassen einer kompletten Strophe nicht unerheblich entstellt, worüber die ausgezeichnete musikalische Umsetzung nur bedingt hinwegtrösten konnte. Das folgende "Kontra" zog das bisherige Niveau der Scheibe etwas nach unten, zu bemüht und spartanisch wirkte die Musik, zu plakativ der Text. Zum Glück fand die Gruppe mit "Was micht trägt" wieder sicher in die Spur zurück, bevor sich mit einem rhythmischen, perkussiven "Klicken" das absolute Highlight der Schallplatte ankündigte. "Glastraum" verursacht mit seiner Eindringlichkeit, seiner Rafinesse und dem alles andere als glücklichen Ende eines Alpdrucks bei uns noch heute Gänsehaut! Ein wahres Meisterwerk und krönender Abschluß der gelungenen Komplett-Neufindung einer eigentlich schon etablierten Rock-Gruppe, der man eine derartige Wandlung im Leben nicht zugetraut hätte. Insofern ist "Unter der Haut" trotz kleiner Schwächen ein echter Klassiker im Wortsinne, der nicht nur City neu definierte, sondern auch "Am Fenster" vergessen machte. Und das will etwas heißen... (kf)

VÖ: 1983; Label: AMIGA; Titel: Unter der Haut · Zuckersüß · Unser Schuldirektor · Sisyphus · Nur Rock'n Roll · Sag mir wo die Blumen sind · Kontra · Was mich trägt · Glastraum; Bemerkung: Auch auf CD erhältlich; Musiker: Toni Krahl (voc) · Fritz Puppel (g, ac-g) · Klaus Selmke (dr, perc) · Manfred Hennig (keyb)

   
   
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