10wjbig 20121118 2033660823Die sechste Puhdys-LP im 10. Jahr ihres Bestehens - keine schlechte Bilanz. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, welche Erfolge mit den vorangegangenen fünf Platten ("Die großen Erfolge" nicht eingerechnet) einhergegangen waren, die die Puhdys als DDR-Rockband Nr.1 etabliert hatten. Und nicht nur das: Die Berliner Gruppe war längst zum generationenumspannenden Musik-Phänomen geworden, dessen Hits von Oma, Opa und Enkel gleichermaßen geliebt und mitgeträllert wurden. Beste Voraussetzungen also, um zum 10. Geburtstag ein weiteres mal unangefochten den Thron zu besteigen? Nicht ganz..., denn 1978, dem ersten Jahr seit 1973 ohne neue Puhdys-LP, war dem Quintett mehr als nur starke Konkurrenz erwachsen. Nach dem unrühmlichen Ende von Renft (seinerzeit einziger ernstzunehmender Mitbewerber um die Pole-Position) hatte sich zunächst City dazu aufgeschwungen, den Puhdys ihre Führungsrolle streitig zu machen und mit "Am Fenster" einen massentauglichen Hit abgeliefert. Nun sang sich auch Holger Biege mit "Sagte mal ein Dichter" in die Herzen des Publikums, segelten die Roten Gitarren im "Weißen Boot" direkt in die Seelen der Menschen und löste Karat mit dem Gang "Über sieben Brücken" die Puhdys gar als beliebteste Band der DDR zeitweise ab.

VÖ:
Label:

Titel:

 

 

 

 

 

 

 

Line up:

1979
AMIGA

Ikarus II
Napoleon
Tausend Meilen von Zuhaus
So nah am Leben, nah am Tod
Falk und Nachtigall
Auf der Straße in die Nacht
Doch die Gitter schweigen
Flieg, Vogel, flieg
Hören und Sehen

Dieter Birr (g, voc)
Dieter Hertrampf (g, voc)
Peter Meyer (keyb)
Harry Jeske (bg)
Gunther Wosylus (dr, perc)

Bemerkung: Erschien NICHT in der BRD, lediglich "So nah am Leben, nah am Tod" kam als Anhängsel der LP "Heiß wie Schnee" (POOL/Rocktopus) zu West-Vinyl-Ehren. Auf CD mittlerweile nur noch im Doppelpack mit "Sturmvogel" erhältlich.

Diese neuen Umstände stellten Maschine & Co. vor neue Herausforderungen, denen sie auf die beste und auch "einfachste" Weise begegneten: Sie packten noch einmal ein paar Prozente drauf und hauten der Konkurrenz ein Album um die Ohren, das sich gewaschen hatte. Bei den Puhdys wurde geklotzt, nicht gekleckert - das hämmerte schon der Opener "Ikarus II" in die Köpfe der Hörer. Messerscharfe Gitarren-Riffs fräsen sich geradezu den Weg zu den Sternen frei, wo sie in doppelläufigen (!) Soli förmlich explodieren. Baß und Schlagzeug liefern ein schmiedeeisernes Fundament dazu, dezente aber prägnante Synth-Sounds bringen dem Ganzen Tiefe und Maschines Stimme knarzt kraftvoll alles in Grund und Boden. Der Song ist ein Monster im positivsten aller Sinne! Das frech-frivol-fröhliche "Napoleon" zeigt dann die andere Seite der Gruppe auf, bietet mit Marsch-Rhythmen, Akkordeon, Flöte und Glockengebimmel eine willkommene Abwechslung und rückt auf eindrucksvolle Weise die kreativen Möglichkeiten der fünf Musiker in den Vordergrund. Wer kann da schon widerstehen? "Tausend Meilen von Zuhaus" kommt wieder flotter daher, ein straighter Rocker, aufgepeppt mit akkustischen Gitarren. Ein Hit! "So nah am Leben, nah am Tod" steigert das Niveau weiter, das Grundthema wird in immer neuen Variationen gekonnt in Szene gesetzt bis es sich schließlich sogar in einem a-capella-Kanon (!!) auflöst. In "Falk und Nachtigall" wird wieder kräftig gerockt - wir sagen nur: Gitarren, Gitarren, Gitarren. "Auf der Straße in die Nacht", das einzige von Quaster gesungene Lied dieser LP, schlägt entspanntere Töne an, die zum Mitwippen einladen, bevor es mit dem "Polizeiruf"-Hit "Doch die Gitter schweigen", der noch heute zum unverzichtbaren Live-Inventar der Puhdys zählt, wieder mächtig zur Sache geht. "Flieg, Vogel, flieg", eine einschmeichelnde, akkustische Gitarren-Ballade mit passend eingestreuten "Flötentönen", wandelt die Stimmung melancholisch-romantisch und regt zum Nachdenken an. Doch die Wehmut findet mit dem fröhlichen Rausschmeißer "Hören und Sehen" ein jähes Ende und geht in pure Lebensfreude über, ausgedrückt durch nicht ganz ernstgemeinte, philosophische Verse, die mit einem hörbaren Augenzwinkern dargeboten werden.
Der musikalischen Qualität der Songs stehen die Texte in nichts nach: Wolfgang Tilgner, Burkhard Lasch und Gerd Kern thematisieren hauptsächlich das Leben an sich, inklusive Forscherdrang, Alltagsidyll, menschliche Abwege und Anekdoten. Bemerkenswert vor allem die Metaphern der beiden "Freiheitslieder": In einem fliegt die just befreite Nachtigall von Glück beseelt direkt in den Tod, der in Gestalt eines Falken lauert, im anderen wird der Vogel voller Wehmut und Abschiedsschmerz aus dem Käfig gelassen in der Hoffnung, er möge freiwillig zurückkehren. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt...
Mit dieser Platte haben die Puhdys ein großes Ausrufezeichen gesetzt. Jeder einzelne Song gleicht einem Statement, das da heißt: "Nur keine falschen Hoffnungen, die Nr.1 sind immer noch WIR!" Und mal ehrlich: Wer wollte angesichts der Güteklasse von "10 wilden Jahren" ernsthaft daran zweifeln!? Wir jedenfalls nicht... (kf)

P.S.: Übrigens, das Album "10 wilde Jahre" war seinerzeit unsere erste selbstgekaufte Schallplatte, die noch heute als "Nr.1" in unserem Plattenschrank steht.

 


   
   
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