team4a 20121118 1857169834Eigentlich bin ich der Falsche, der über diese LP eine Plattenbesprechung schreiben kann. Die Songs wurden 1966 und 1967 produziert, die Platte selbst erschien 1968 - lange bevor ich das Licht der Welt erblickte. Trotzdem steht die Scheibe in meinem Plattenschrank und ist hier inzwischen schon oft gelaufen. "Die Straße" von THOMAS NATSCHINSKI & SEINER GRUPPE (vormals TEAM 4) ist das erste deutschsprachige Beat-Album überhaupt und gehört allein deshalb schon in jede gut sortierte (Rock)Plattensammlung.

Zwar gab's in der BRD einen Sänger namens Drafi Deutscher, der zwar oft dem Schlager zugeordnet wird, der aber in den 60ern ebenfalls in Sachen Beat unterwegs war, aber keine echte Beatband, die sich der deutschen Sprache bediente und diese mit der zeitgenössischen Musik verband. Deutschers "Marmor Stein und Eisen bricht" ist nur die Spitze des Eisbergs und längst nicht repräsentativ für das, was er damals für Songperlen aufgenommen hat. Er begeisterte die Jugend West, aber das ist ein anderes Thema. In der DDR machte sich zeitgleich die Gruppe TEAM 4 auf, um der Jugend im eigenen Land eine Musik zu bieten, die abseits der im DDR-Rundfunk und TV ausschließlich gespielten Schlagermusik, und mehr in Richtung der von der Insel herüber schwappenden Beatles-Musik gehen sollte. Um noch einmal kurz gen Westen zu schauen: In der BRD gab es die LORDS und andere Beatgruppen, die aber allesamt auf Englisch sagen. Ganz so wie ihre Vorbilder, die BEATLES. Das war allerdings oftmals wenig innovativ und für mich, der als Außenstehender drauf blickt, oft nur ein Nachspielen der Musik von vier erfolgreichen Pilzköpfen aus UK. Das machte das TEAM 4, das sich später aufgrund des zu englisch klingenden Bandnamens in THOMAS NATSCHINSKI & SEINE GRUPPE umbenannte, anders. Sie verbanden die Musik der Beatles mit der ihrer eigenen Herkunft. Es entstand eine eigene Mischung aus Beatmusik und Singebewegung, gepaart mit deutschen und für die jugendlichen Hörer verständlichen Texten. Diese wurden (bis auf einen, den Jens Gerlach beisteuerte) von Hartmut König geschrieben und ließen schon damals viel Platz für die eigene Phantasie. Ob es nun das Stück "Marlen" ist, ein Lied über fiese Gerüchte mit der Botschaft, nicht alles zu glauben, was einem zu Ohren kommt, oder das Lied "Student in einer fremden Stadt", über das Treffen eines Studenten - auf der Suche nach einer Bleibe - mit einem Mädchen, die am Ende zwar beide im gleichen Haus wohnen, aber nicht zusammen gefunden haben - Hartmut König ist hier wunderbare Poesie gelungen, die einem regelrecht Bilder vor das geistige Auge projiziert, und die den Nerv der Jugend getroffen hat. Auch das bereits 1966 auf Single veröffentlichte Stück "Lied von den Träumen" und das Lied "Als Du von mir gingst", das 1967 auf Single veröffentlicht wurde, sind auf der LP enthalten. Insbesondere letztgenanntes Stück beeindruckt ebenfalls durch seinen Text. Die Geschichte eines verliebten Mannes, der seine sich anders orientierende Freundin gehen lassen muss, sie später aber wieder mit offenen Armen empfängt. Auch als diese ihn abermals für einen anderen verlässt, hält er ihr die Tür und den Weg zurück zu ihm offen.

Auch der Text zum Lied "Zwischen Dimitroffstraße team4b 20121118 1697243085und Senefelderplatz" sollte im Zuge einer Plattenbesprechung dieser LP erwähnt werden. Hier trifft das Lied-Ich jeden Tag auf seinem Weg mit der Straßenbahn, nämlich der Bahn "Zwischen Dimitroffstraße und Senefelderplatz", ein Mädchen, in das er heimlich verliebt ist, sich aber weder traut sie anzusprechen, geschweige denn, ihr im "richtigen Augenblick" einen Kuss aufzudrücken. Diese und ähnliche Probleme hatte die Jugend also auch in den 60ern schon. Meine Generation, und sicher auch die davor und danach, kannte sie auch. Damit ist Hartmut König etwas gelungen, das man wohl "generationsübergreifend funktionierende Dichtung" nennen könnte. Er traf die Sprache der Jugend in den 60ern, seine angesprochenen Themen hätten aber auch gut in die 70er, 80er und/oder 90er gepasst, denn dieses Zwischenmenschliche, die Beobachtungen und das Lebensgefühl hat wohl jeder Jugendliche ab einem gewissen Alter. TEAM 4 bzw. THOMAS NATSCHINSKI & SEINE BAND haben zusammen mit ihrem Textdichter diese Gedanken und Gefühle in Lieder umgewandelt.
Gekonnt werden auf "Die Straße" die Gesangsteile und Lieder auf mehrere Schultern verteilt. Sogar eine weibliche Stimme ist zu hören, als Sanda Weigl das Stück "Der Abend ist gekommen" vorträgt. Diese bunte Mischung aus eigener Musik mit eigenen (!) Ideen, den Texten mit ihren lyrisch-poetischen Inhalten und der Leistung der Band, mit ihren Musikern und verschiedenen Vokalisten, macht aus "Die Straße" ein abwechslungsreiches und wunderschön produziertes Album. Einen lupenreinen Klassiker!

Ich erwähnte es bereits: "Die Straße" ist das erste deutschsprachige Beat-Album. Wenn man so will, ist es auch das erste Deutschrockalbum, noch vor denen der PUHDYS, geschweige denn denen von UDO LINDENBERG. Sorry liebe West-Journalisten, aber zur Deutschen Musikgeschichte zählt auch die der DDR dazu, und Udo Lindenberg fischte noch fleißig in anderen Gewässern, als auf der anderen Seite der Mauer schon fleißig mit der eigenen Sprache gearbeitet wurde... Dummerweise findet das heute auch aufgrund dieser Ignoranz in den Medien nur wenig bis gar keine Erwähnung, was dem Schaffen der Band und ihrer Textdichter einfach nicht gerecht wird. "Die Straße" ist ein Klassiker und jeder, der heute Rammstein, Oomph, Silbermond, Luxuslärm, CITY, SILLY, Tim Bendzko oder Xavier Naidoo hört, sollte zumindest einmal ein Ohr in diese Langrille reingehalten haben. Hier liegen nämlich die Wurzeln...
Ich kann nicht für die Jugend von heute sprechen, denn die ist mir stellenweise einfach nur suspekt. Aber ich kann für die Jugend der 80er sprechen, zu der ich gehörte. Und hier hätten die Songinhalte, die Botschaften und vor allem die Gefühle, die auf diesem Album transportiert werden, ganz wunderbar gepasst, womit ich offenbar dann doch der Richtige für eine Plattenbesprechung der TEAM 4-LP bin...
(Christian Reder)

VÖ: 1968 (Erstauflage), 1991 (Zweitauflage); Label: Erstauflage bei AMIGA (Best-Nr.: 855 138), Zweitauflage bei Gala Classics (Best-Nr.: 0785 034); Titel: Die Straße - Regen fällt - Student in einer fremden Stadt - Marlen - Hab ich dich angeseh'n - Der Abend ist gekommen - Ich zeig' den Weg - Morgens an der Tränke - Ich hab ihr ins Gesicht geseh'n - Lied von den Träumen - Als du von mir gingst - Eine Nacht - Ich bin in diese Stadt gekommen - Zwischen Dimitroffstraße und Senefelderplatz; Musiker: Thomas Natschinski (g, voc), Detlev Haak (g, voc), Martin Just (keyb, voc), Fred Krüger (bg, ac-g), Gerrit Gräfe (dr), Sanda Weigl (voc); Bemerkung: Die erste Deutschrock-Platte überhaupt!


   
   
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