000 20230514 2022565318
Ein Bericht mit Fotos von Dajana Prosser-Gehn
(zusätzliches Foto oben von Lutz Müller-Bohlen)




Mit 67 Jahren veröffentlichte André Herzberg erneut ein Album. Nicht, dass er es sich oder seinen Fans noch einmal beweisen müsste. Er ist noch so energiegeladen und setzt abermals aussagekräftige musikalische Statements. "Von woanders her" erschien am 14. April 2023 (Rezension HIER) und lässt Raum für Spekulationen. Meint André Herzberg damit vielleicht die Quelle seiner Ideen oder seiner Leidenschaft zur Musik? Mit seiner Kreativität, die er gemeinsam mit Hans Rohe sowie Karl Neukauf musikalisch umsetzt, spricht er die materiellen, existentiellen sowie seelischen Bedürfnisse (Kunst / Literatur / Musik) der Menschen an.

In der DDR-Musik ging es in den Texten um Inhalte, sie waren komplex und überwiegend anspruchsvoll. Die Songs hatten ein Anliegen. Bis heute kreieren genau die Künstler von "damals" auf diesem Niveau. Keine hohlen Phrasen. Texte mit Tiefgang, die den Zuhörer noch heute bewegen. Obwohl André Herzberg, egal ob solo oder mit seiner Gruppe PANKOW, schon so viel erschaffen hat, zeigt er mit seinem neuen Album, dass er nicht nur "Altes", sondern auch "Neues" zu bieten hat. Seine musikalische Quelle ist noch lange nicht versiegt.


001 20230514 2071926726



Am 12. Mai 2023 führte es André Herzberg mit seiner Band in die Kulturfabrik Fürstenwalde. Noch heute zieren Backsteine die Fassade und man sieht nicht gleich beim ersten Blick, dass es sich um ein soziokulturelles Zentrum handelt. Denn die Kulturfabrik befindet sich in einem Teil der ehemaligen Brauerei. Von außen immer noch ein prachtvolles Gebäude. Eine beeindruckende Location, die querbeet die unterschiedlichsten Veranstaltungen zum Leben erweckt.

Für einen Freitag eher zur untypischen Zeit begann das Konzert um 19.00 Uhr. Davon ließ sich aber keiner stören. Von überall strömten die begeisterten Sympathisanten herbei. Neugierig auf die Songs des neuen Albums und auch neugierig auf Franziska Günther. Sie begleitete das André Herzberg Trio. Nein, das wird ihr nicht gerecht. Sie bereicherte das André Herzberg Trio - das André Herzberg Quartett.

Franziska Günther war der Opener des Abends. Pünktlich um 19.00 Uhr betrat eine sympathische und gut gelaunte junge Frau die Bühne. Sie zog das Publikum mit ihrer natürlichen Art sofort in ihren Bann. Schwer zu beschreiben: Singer/Songwriter? Eine tolle Geschichtenerzählerin? Sie passt in keine Schublade. Franziska Günther ist Franziska Günther. Eine Frau mit einer kraftvollen Stimme, einem Talent die Songs mit einer Leichtigkeit vorzutragen, als würde sie uns eben Ereignisse aus ihrem Alltag vorsingen.


002 20230514 1947437079



In ihrem Song "Ein Sattelschlepper schwankt" erzählt Franziska vom unsteten Künstlerleben, welches man mehr hinter einem Steuer seines Autos verbringt. Ihre kleinen Anekdoten zu den Liedern sind interessant und zeigen einmal mehr, dass Franziska Günther mit offenen und beobachtenden Augen durchs Leben geht. So berichtet sie - absolut nachempfindbar - vom Urlaub, wo man sich immer wieder vornimmt, nichts zu machen. Einfach abschalten, alles auf sich wirken lassen und entspannt wieder nach Hause. Aber kaum wieder in der Großstadt angekommen, kommt mit ungeheurer Wucht der Stress um einen herum zurück. Diese Erfahrung verarbeitet sie im Song "Noch nicht so weit": Darin heißt es, "Ich bin noch nicht so weit für den Alltag, der einen umgibt, wenn man einkaufen geht oder einer Ratte zuschaut, die sich Reste eines Döners stibitzt, um seine Jungen zu füttern." Ihr aktuelles Album "Besser wenn der Kopf nicht hängt" bietet Geschichten aus dem Leben; manchmal mit einem kleinen Zwinkern versehen oder gefühlsbetont wie bei "Ich bin da", ein Lied über Freundschaft.

Begleitet wird sie von Karl Neukauf am Keyboard, der mit seinem feinfühligen Spiel den emotionalen Text unterstreicht. Karl Neukauf erweckt den Eindruck als sei er ein Ein-Mann-Orchester auf der Bühne. Alle Instrumente sind um ihn herum aufgebaut. Er spielt mehrere davon gleichzeitig und jedes Mal frage ich mich, "Wie geht das?" Mit einer Mühelosigkeit scheint er Arme und Beine getrennt voneinander etwas anderes machen/spielen zu lassen. Ach so, und nebenbei singt er auch noch. Heute hörten wir "Falscher Feind". Karl fasst es inhaltlich als Gesprächsangebot an einen ehemaligen Freund zusammen. Hans Rohe, ein phänomenaler Gitarrist, bereichert die musikalische Runde auf der Bühne. "Falscher Feind": Absolut faszinierend wie gut Text und Musik auf einander abgestimmt sind. Hier bestätigt sich, dass Musik ein Kommunikationsmittel mit und ohne Sprache sein kann.

Gegen 19.30 Uhr kam André Herzberg mit dazu, und aus dem bisherigen Trio wurde ein wunderbares Quartett. Es harmonierte sofort. Eine losgelöste Atmosphäre war von Anfang spürbar. Die Vier mögen sich nicht nur, sie lieben es gemeinsam auf der Bühne zu stehen und Musik in die Welt zu tragen. Das ganze Konzert über schien Andrés Herz voll Glück und Freude überzulaufen. Das schwappte unwillkürlich aufs Publikum über.


003 20230514 1251239452



Energie geladen und kraftvoll begann er mit "Von woanders her". Sechs seiner acht neuen Songs stellten er und seine neue Band vor. Ganz begeistert erzählt André von seinen Musikern. Jeder Abend ist anders trotz gleicher Setlist. Mal überrascht die Band ihn oder er die Band mit kleinen Veränderungen. Sie sind auf einander eingespielt und lächelten sich anerkennend an. Man wusste gar nicht wo man zuerst hinschauen sollte, weil man auf der Bühne so viel Vertrautheit und Wertschätzung füreinander spürte. Denn wie sagte schon einst William S. Burroughs: "Es geht um die ganze Performance. Nicht nur um jemanden, der am Klavier sitzt und etwas spielt."

"Du musst dumm sein" entstand, weil Karl Neukauf zu André Herzberg meinte, er könne ja mal einen Reggae schreiben. André fiel was ein und schon erklang das Stück, wo man auf seinem Sitz mitwippte. Reggae geht sofort in den Körper. Man hat gar keine andere Wahl als sich zu bewegen. "Schon mein ganzes Leben habe ich Unfreiheit gehasst, wollte immer leben, einfach so, wie es mir passt." (aus "Diktator") André Herzberg spricht seine Gedanken zum Weltgeschehen offen aus und steht dazu. Während er im Lied von einem Diktator singt, schließt sich mit "Orientierung" der Kreis, wo er feststellt, dass so viel berichtet wird, dass einem der Kopf schwirrt und man selber diesen erst einmal wieder frei machen muss, um einen klaren Gedanken diesbezüglich fassen zu können.

Aber auch ältere Lieder erklangen wie z.B. "Wetten du willst", "Langeweile" oder "Kiefernlied". Dazu muss ich eine kleine Beobachtung schildern. Karl nahm sich eine leere Waschmittelflasche, legte sie vor sich hin und bespielte sie mit Schlagzeugbesen - wie eine Trommel. Das klang richtig gut. Er benutzte sie in einer "neuen" Version des PANKOSW-Klassikers "Langeweile". Das war wirklich grandios. Auf solch eine Idee muss man erst einmal kommen. Unkonventionell, aber extrem effektiv.


004 20230514 1896791388



Als das André Herzberg Quartett meinte, die Veranstaltung sei vorbei - nee, da war Publikum komplett anderer Meinung. Standing Ovations und nicht endender Applaus holten die vier großartigen Musiker wieder auf die Bühne zurück. Von seinem ersten Album, welches 1991 erschien, spielten sie "Das Märchen von Mama und Papa". Eine schöne Wahl. Ich weiß gar nicht, wann ich das Lied zum letzten Mal live hörte. Der letzte Song des Abend "Dem Tod von der Schippe gesprungen" geht eine wahre Geschichte voraus. André erzählte von seinem Herzinfarkt und was er im Krankenhaus erlebte, vor allem als er es verlassen durfte - mit einem Gefühl neugeboren zu sein/ein neues Leben geschenkt bekommen zu haben. Man kann es sich geradezu bildlich vorstellen wie er vollkommen glücklich, vielleicht euphorisch das Krankenhaus verlässt, aber die Welt um ihn herum geht seinem alltäglichen Trott nach als sei nichts geschehen und er könnte schreien vor Glück, wahrscheinlich zwischen ihnen allen tanzen und die frohe Kunde verbreiten: Das Leben ist schön. Aber alles ist weiterhin grau in grau. "Dem Tod von der Schippe gesprungen" - "neues Leben, neue Chance" besingt er und all die anderen Gefühle, die ihn durch dieses Ereignis überkamen.

"Ich bin ruhig für alle Zeit" - nein, André bitte nicht. Wir wollen mehr von dir, mehr von euch. Ihr seid ein wunderbares, sich ergänzendes Quartett und wir sind uns sicher, da wird noch einiges von euch kommen.



Termine:
• 20.05.2023 - Treuenbrietzen - Kammerspiele
• 04.06.2023 - Oderaue - Theater am Rand
• 10.06.2023 - Halle/Saale - Burg Giebichenstein
• 24.06.2023 - Bansin - Seebrückenfes

Alle Angaben ohne Gewähr! Nähere Infos und weiter Termine auf Andrés Homepage.



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von André Herzberg: www.andreherzberg.net




Fotostrecke: