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Ein Bericht von Jens Kurze mit Fotos von R. Sonntag
(Außer Foto oben: Pressematerial Gala Gogow)




Eigentlich wollte ich mich nicht mehr öffentlich zu Veranstaltungen äußern, zu groß war die Verärgerung über einige Reaktionen auf meine letzten Rezensionen. Aber was soll ich machen: seit 1973 bin ich aktiv vor, auf und hinter der Bühne tätig - und in diesen fünfzig Jahren sammeln sich Erfahrungen und Begegnungen und formen eine Wahrnehmung, die Fluch und Segen zugleich ist. Der Eine mag meine Blickwinkel, auf andere wirkt es ...naja ...ich möchte die Begriffe nicht wiederholen, weil ich es nie anmaßend oder gar bösartig meine.


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Nur durch einen Zufall in Form des Newsletters einer von mir geliebten Veranstaltungsstätte in Dresden wurde ich aufmerksam, dass Georgi "Joro" Gogow und Frank "Gala" Gahler wieder ein gemeinsames Projekt am Laufen haben. Die "handelnden Personen" muss man ja nicht groß erklären: mit Tränen in den Augen haben wir uns im Herbst 2022 in Cottbus von City - verstärkt von den Sinfonikern - verabschiedet. Ich mag die Band und habe sehr angenehme Erinnerungen an die persönlichen Gespräche mit den Musikern. Ex-Frontmann und Sänger Toni Krahl verstärkt jetzt Silly (da bin ich sehr gespannt und freue mich auf das Konzert im August), und dass Geiger und Bassist "Joro" Gogow sich in den musikalischen Ruhestand verabschiedet konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Sein Weltmusikprojekt DER WILDE GARTEN wird sicherlich fortgesetzt. Und spätestens seit diesem Projekt wissen wir, dass Joro auch hervorragend Akustikgitarre spielt. Frank "Gala" Gahler habe ich immer mal wieder bei Blues & Rockkonzerten erlebt und gefeiert. Aber GALA GOGOW, gemeinsam ?

Die Suchmaschine angeworfen und fündig geworden. Ich mache es mir mal einfach und zitiere von der Homepage: "Mit GALA und GOGOW treffen City, Monokel und NO55 aufeinander wie man es kaum erwarten konnte! Verstärkt von Olli Becker (Monokel, Jessica, Hansi Biebl) an den Perkussionsapparaten und René Decker (NO55, Elefant, Lift…) an Saxophon und Keyboards kommen eigene und internationale Songs, die man nicht vergessen sollte, in nie dagewesenen Arrangements um die Ecke, so dass kein Auge trocken bleibt. Gala erzählt Blödsinn und Gogow versucht seriös zu bleiben! Lassen wir uns überraschen!" - das macht neugierig, und seit gestern Abend weiß ich auch: besser kann man das nicht auf den Punkt bringen. Also habe ich Christian (deutsche-mugge.de) über das Projekt informiert als Anregung für ein Telefoninterview oder ähnliches, nach weiteren Terminen gesucht und siehe da: am 1. April spielen GALA GOGOW in meiner Region. "Schreibst du was darüber?", fragte Christian - und so negiere ich ausnahmsweise mein erstes "Eigentlich", die Bilder machte mein langjähriger Musikpartner "Sonny" Sonntag.


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Die "Kufa" (Kulturfabrik) in Hoyerswerda ist seit vielen Jahren einer der wichtigsten Aktivposten für Kultur in der Lausitz, hat zudem einen schönen Veranstaltungssaal, sehr kooperative Mitarbeiter und ein erfahrenes Team für Ton und Licht. Ich bin immer wieder gern dort. Vor der Mugge waren noch Zeit und die Möglichkeit, mit den Musikern ins Gespräch zu kommen - das vermisse ich zunehmend, die Security schirmt ja meist alles ab. Man merkte die Vorfreude auf das erste Konzert der Band nach längerer Zeit. Selbst die Defekthexe konnte die Musiker nicht stoppen. Danke Joro, René und Olli für eure Geduld, die Offenheit und die Setliste, die während der Mugge ziemlich vollgekritzelt wurde. Der Bühnenaufbau zeigte: das wird eine Akustik-, keine Rockmugge. Links Ollis kleines Drumset, Mitte links für Gala zwei Akustikgitarren, Mitte rechts für Joro Akustikgitarren, fünfsaitiger Akustikbass, Violinen, rechts für René zwei Keyboards und Saxophon. Und natürlich die Gesangsmikrofone.

Los ging's mit einer wundervollen Version von Frank Sinatras "Fly me to the moon" - herrlich angejazzt, Joro am Akustik-Bass. Gala moderierte das Programm, die Wortwechsel mit Joro wirkten nicht einstudiert. Natürlich nimmt Gala kein Blatt vor den Mund, das weiß man. Manches ist witzig, anderes muss man nicht hundertprozentig teilen. Aber das gehört eben dazu. Tagaktuell: "Aprilscherze kommen in diesem Jahr nicht so gut an, die Realität in diesem Land toppt leider jeden Aprilscherz." Optisch und akustisch fiel mir sofort eine der beiden Akustikgitarren von Gala auf, da muss ich mich mal um Details kümmern (O-Ton Gala: "Das war ein Zufall, und die war gar nicht mal teuer"). Für mich als bekennenden Fan von NO55 begann nun eine Wiederentdeckungsreise in die Vergangenheit. Diese Band entstand 1981 durch Joro Gogow und Gitarrist Gisbert "Pitti" Piatkowski nach der Absplittung von City (bei denen hieß es dann: "Ohne Bass und ohne Haare mit City durch die 80er Jahre"). Auch Gala gehörte dazu, und ab 1984 spielte René Decker mit. Ich habe sie öfter live erleben dürfen. Vor allem das zweite Album "Träume von gestern" höre ich heute noch gern, da gibt es wirklich zeitlos gute Songs. Einer davon ist "Vorüber", dem auch das neue musikalische Gewand sehr gut steht. Gala griff in seinen Koffer mit den Blues Harps - genau das wollten die Bluesfans ja auch hören und im Laufe des Abends bewies Gala mehrfach, dass er ein Meister seines Fachs ist. Erstmals wechselte der Akustikbass zu René. Die Moderations-Hoffnung zu Robert Habeck ("Meine Zeit mit dir ist vorüber...") sorgt für erste Heiterkeit.


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"You can leave your hat on" schrieb Randy Newmann bereits im Jahr 1972, im Ohr ist aber vor allem Joe Cockers Version aus dem Jahr 1986 - und ja, es funktioniert bei GALA GOGOW auch ohne die geschliffenen Bläsereinwürfe. Joro spielte raffinierte Fill-Ins auf der Akustikgitarre. Ein zweites Mikrofon (früher die "Fahrradlampe" genannt) unterstützte die typische Klangfarbe von Galas Blues-Harp. Mit "Schnulziges Gedicht" und "Ohne dich" folgten zwei eigene neu Stücke, bei denen das genaue Hinhören lohnt. Bei dem von Gala liebevoll mit "Lagerfeuermusik" charakterisierten "Ohne dich" grüßten zum einen Pink Floyds "Wish you were here" und zum anderen Renés Saxophon. Und auf ein Wortspiel wie "Den Waldameisen winken" muss man erst einmal kommen.

"Rettungsboot" schrieb Gala während seines mehrjährigen Aufenthalts auf Teneriffa (der spielt im zweiten Teil auch noch einmal eine Rolle) und fasziniert nicht nur mit mehrstimmigem Satzgesang und Joros Violine, sondern mit Eingeständnissen wie "Diese Tage sind am Abend schon zweimal gestorben" oder "Ich merke, wie auch ich älter werde", oh Mann - dem müssen wir uns wohl stellen, ob wir es wollen oder nicht. "Schlüsselkind" mit dem Text von Werner Karma stammt aus dem Jahr 1987 und ist für mich eines der wichtigsten Lieder aus dem NO55-Fundus. Die Geschichte um das zeitweilige, propaganda-begründete Sende-Aus war mir bekannt. Joros Bemerkungen um die Bedeutung eines eigenen Wohnungsschlüssels für ein Kind fügten noch eine weitere Sichtweise hinzu, die von vielen Besuchern mit Applaus geteilt wurde. Bei der musikalischen Umsetzung fehlte mir hier allerdings das gewohnte Saxophon-Motiv, das Keyboard setzt sich hier nicht so prägnant durch.


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Über den nächsten Programmpunkt kann man geteilter Meinung sein. Natürlich sind mir Begriffe wie "künstlerische Überhöhung" oder "bewusste dramaturgische Brüche" bekannt. Und das Anliegen verstehe ich auch - aber das war schon sehr krass, wie Gala den Liedtext von Georg Kreislers "Schlag sie tot" rezitierte. Der Übergang zu einem meiner NO55-Lieblingslieder "Wenn du nicht da bist" funktioniert für mich nicht. Ich hab eine ganze Weile gebraucht, um mich von der Knaller-Wirkung des Kreisler-Textes zu lösen und endlich in den Song einzutauchen - und dieser wurde wunderschön umgesetzt, Joro griff noch einmal zur Violine, René zum Sax. Der Song endete offen, kehrte nicht zur Tonika zurück - und entließ uns so zusätzlich spannungsgeladen in die (etwas zu lange) Pause. Die habe ich auch gebraucht. Mal drüber nachdenken, ob diese Kombination (zudem an dieser Stelle) wirklich so sein muss.

Mit der "Spannersau" begann der zweite, etwas blueslastiger Teil des Konzerts. Der folgende Song "Somewhere over the rainbow"stammt aus dem Jahr 1939, Judy Garland sang ihn im Film "Der Zauberer von Oz". Inzwischen gibt es davon etliche mehr oder weniger gut gemachten Versionen, manche wurden einfach totgedudelt. Aber was Gala hier gesanglich ablieferte war absolute Spitze - Respekt, Gala, und ein Extra-Dankeschön! Der Song begann mit einem sanften Keyboard-Intro und steigerte sich Stück für Stück - einfach klasse! Danach sofort für mich der nächste emotionale Höhepunkt: in "Stein im Flug" verarbeitete Gala bei NO55 den Tod seines Freundes. Auch diesmal hatte ich wieder weiche Knie...zudem wurde wirkungsvoll demonstriert, wie die Kunst der Langsamkeit einem Song eine noch größere Tiefe vermitteln kann. Boa, erst mal durchatmen.


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Erst Sologesang, dann drei Stimmen, eine Picking-Violine im Zwischenteil, und ganz viel Gefühl - fertig ist die neue Version von J.J. Cales "Crazy Mama". Gala danach lachend: " Joro, du alte Bluesnudel, das ist was anders, als Am Fenster zu sitzen, oder?" Dann wurde es etwas lateinamerikanisch-angehaucht, erst rhythmisch, dann auch textlich. Spätestens hier muss der "Links-Außen" Olli Becker am Schlagzeug erwähnt werden: ruhig, ohne Showmätzchen und ohne dröhnende Bassdrum lieferte er präzise die Rhythmusbasis, garniert mit kleinen Details, alles gut zu hören - so muss das sein. Die witzigen Wortspiele in "Mund an Monika" werden mit einer Rumba unterlegt (wenn ich das richtig deute), und dann grüßt Santana - besser gesagt: der spanische Musiker Raimundo Amador, den Gala auf Teneriffa getroffen und ins Herz geschlossen hat. Dessen Hit "Bolloré" zelebrierte Gala auf Spanisch, die Mineralwasserflasche dient als Percussion.

Mit "Help me" wurde noch einmal dem Blues gehuldigt, Gala spielte einen Blues-Harp-Part komplett ohne Mikrofon ganz nah am Publikum. "Schiffe versenken" - dieses nachdenkliche Lied stammt aus dem Repertoire des Mama Blues Projects. Fast 20 Musiker, unter ihnen Gala und Joro, hatten sich Ende der 80er in der ehemaligen DDR zusammengefunden (die Mitgliederliste liest sich wie das Who-is-Who der damaligen Musikerwelt) und spielten auch die LP "Stormy Spring" ein. Was für ein unerwarteter Schlusspunkt des Konzerts!


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Mit der Zugabe "Drifting" von Charles Bown verabschiedete sich die Band ohne eine künstliche Pause mit Verschwinden-und-Wieder-auf-die-Bühne-Klatschen von einem begeisterten Publikum. Eine tolle Songauswahl, Spielfreude pur, sympathische Moderation, glasklarer Sound - was will man mehr. Okay, nicht jedes Arrangement war für mich hundertprozentig perfekt, manchmal habe ich mir zusätzlich einen Bass oder einen anderen Keyboard-Sound gewünscht. Große Zustimmung meinerseits gäbe es für Neufassungen meiner NO55-Favoriten "Die Träume von gestern" und "Good bye, alte Zeit" mit diesem wunderschönen Gitarren-Intro. Ach ja, fast vergessen: was es mit der eingangs erwähnten "kostenlosen Vorsorgeuntersuchung" auf sich hat - das müsst ihr schon selbst beim Konzert lernen.

Anmerkung: gestern blieb der große Run auf die Tickets in der Kufa leider aus, anders als z.B. bei der "Seilschaft". Zu wenig Werbung oder ist das Projekt noch zu unbekannt oder beides? Das sollte sich schleunigst ändern! Schaut mal auf die YT-Känale von Frank Gahler und GALA GOGOW - und dann ab zum Konzert oder die Veranstalter löchern, GALA GOGOW in eure Stadt zu holen! Danke allen Beteiligten, danke an das Management von GALA GOGOW für die sofortige Beantwortung meiner Mailanfrage zur Fotoerlaubnis, danke an Sonny für die Bilder.



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Gala Gogow: www.gala-gogow.de
• Interview mit Georgi "Joro" Gogow (08/2022): HIER



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