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Ein Bericht mit Fotos von Bodo Kubatzki




Die Veranstaltungen "Rock für den Frieden", die seit 1982 jährlich im Ost-Berliner Palast der Republik stattfanden, hatten für mich immer eine zwiespältige Bedeutung. Zum einen wurden die Veranstaltungen vom Zentralrat der FDJ und dem Komitee für Unterhaltungskunst organisiert, also vom Staat. Zum anderen boten diese staatlich verordneten Friedensmanifestationen Gelegenheit, an zwei Abenden im Jahr sowohl einheimische als auch internationale Rockbands und Künstler live zu erleben. Bis 1989 befanden wir uns im sogenannten Kalten Krieg, in dem sich Ost und West hochgerüstet gegenüberstanden. Seit über einem Jahr tobt mitten in Europa ein heißer Krieg. Putins Streitkräfte sind völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschiert und verursachen dort unsägliches Leid. Die kleine Ukraine versucht sich gegen den übermächtigen Gegner, die Atommacht Russland, zu verteidigen. Westliche Staaten, darunter Deutschland, unterstützen die Ukraine mit Geld und mit Waffen. Wir hören davon täglich in den Medien und von den Menschen aus der Ukraine, die zu uns geflüchtet sind.


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Der Ruf nach Frieden wird zunehmend lauter. In vielen deutschen Städten gibt es regelmäßig Friedensdemonstrationen. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht starten eine Petition und schreiben ein Manifest für den Frieden, in dem sie fordern, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen und dass sich der Bundeskanzler an die Spitze einer starken Allianz für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen setzt. Trotz prominenter Erstunterzeichner der Petition und Stand heute über 738.000 weiterer Unterschriften, trotz einer Friedensdemonstration in Berlin, an der 13.000 Menschen teilgenommen haben, werden wir Unterzeichner dieses Manifests von einem Großteil der Medien als naive Friedensschwurbler oder gar Untertanen Putins diffamiert. Mir, der mit pazifistischem Gedankengut aufgewachsen ist, war es ein wichtiges Anliegen, über die Veranstaltung "Rock für den Frieden" zu berichten, die am 4. März 2023 in Teterow stattfand.

Vor dem Beginn der Konzerte hatte ich Gelegenheit, mit Katja Birkholz einige Worte zu wechseln. Katja hat die Veranstaltung gemeinsam mit Gerold Lehmann organisiert. Katja erzählte mir, dass sie mit dieser Veranstaltung vor allem deutlich machen wollen, dass mit Waffen kein Frieden zu erlangen ist, sondern dass Waffen Menschen töten. Bereits im September 2022 hatten sie eine Friedensfahrt organisiert, die auf den Marktplätzen von Malchin und Teterow begann, und in der Kunsthalle von Remplin schließlich 150 Menschen zu einer Abschlussveranstaltung zusammenführte. Jetzt wollten sie im kleinen Teterow ein Zeichen setzten, für eine friedliche Welt und gegen Waffen. Künstler aus den Regionen Malchin, Teterow und Rostock haben ihre Teilnahme an diesem Friedenskonzert zugesagt. Prominentester Gast wird DIRK ZÖLLNER sein.


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Die Bühne im Kulturhaus war geschmückt mit sieben Schirmen, die von der Berliner Künstlerin Ute Donner gestaltet wurden. Die Schirme sind bereits 2012 unter dem Titel "Menschenrettungsschirme" entstanden. Gestern sollten sie vor allem ein Symbol für den Frieden darstellen. Auf einem Schirm ist eine Friedenstaube abgebildet, auf einem anderen ist ein Bild von Käthe Kollwitz zu sehen sowie der Spruch ,Nie wieder Krieg' zu lesen. Die Schirme hat der Malchiner Künstler WOLFGANG "WOLLE" MEIER als Leihgabe erhalten. WOLLE war auch derjenige, der als erster Künstler am späten Nachmittag auf der Bühne stand. WOLLE meinte, er sei der Mann für die leisen Töne bei diesem Rockkonzert. Der Liedermacher interpretierte sehr eindringlich Friedenslieder von HANNES WADER, REINHARD MEY, KONSTANTIN WECKER und von der SEILSCHAFT. Ob "Nein, meine Söhne geb' ich nicht", "Es ist an der Zeit" oder "Die Gedanken sind frei", WOLLE brachte seine Botschaften sehr eindringlich rüber. Auch sein Statement, "dass man sich fast entschuldigen muss, wenn man sich für Frieden einsetzt", sprach mir aus der Seele. Es war ein gelungener Auftakt.

Frau Dr. Kerstin Mahnke, Bürgervorsteherin der Stadt Malchin und Mitglied des Vorstands der Malchiner Wohnungs-Genossenschaft e. G. richtete nach diesem musikalischen Beitrag einige Worte an die "Friedensfreunde und Anhänger des Rocks für den Frieden". Sie sagte "Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was ist solidarisch? Immer mehr Waffenlieferungen?" In ihrer Rede führte Frau Mahnke aus, dass sie von 1978 bis 1983 in Moskau und Charkow gelebt, studiert und gearbeitet habe. In Charkow habe sie mehrfach die Gedenkstätte für die Toten des Zweiten Weltkrieges besucht und war stets beeindruckt von der riesigen, steinernen Frauengestalt, die die Mutter Heimat darstellen soll. Das Denkmal steht am Stadtrand von Charkow, an einem Massengrab mit ungezählten Toten, die von der SS und der Wehrmacht ermordet wurden. Frau Mahnke kann es nicht begreifen, dass Völker, die damals so viele Opfer zu beklagen hatten, heute gegeneinander kämpfen. Zum Beginn ihrer Rede widersprach Frau Mahnke entschieden der Äußerung unserer Außenministerin "Waffen retten Leben". Frau Mahnke berichtete davon, dass sie als Vorstand der Malchiner Wohnungs-Genossenschaft mit dazu beiträgt, ukrainischen Flüchtlingen zumindest ein Dach über dem Kopf zu organisieren. Diese Flüchtlinge, die mühsam versuchen Deutsch zu lernen und sich zu integrieren, sprechen kaum über den Krieg. Bemerkenswert fand sie jedoch, dass einmal eine Ukrainerin zu ihr sagte "Es geht doch nur ums Geld". Zum Schluss ihrer Rede forderte Frau Mahnke von allen verantwortlichen Politikern, dass sie sich um Frieden am Verhandlungstisch sorgen sollen. "Schaffen Sie Frieden ohne Waffen!". Der Beifall zeigte, dass wohl alle Anwesenden gleicher Meinung waren.


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IRREMURXX



Die Band IRREMURXX sorgte mit ihrer vom Folk beeinflussten Musik für aufgelockerte Stimmung im gut gefüllten Kulturhaus. Schlagzeuger MARK ROSE aus Penzlin ist kurzfristig eingesprungen, so dass die Band spielen konnte. Geige, Flöten und Saxophon sorgten für ein interessantes Klangbild, und "Dat du min Leevste büst" in einer bluesigen Version hatte einen ganz besonderen Charme. Auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichte die Band folgendes Statement (Auszug) zu ihrem Auftritt in Teterow: "FRIEDEN und WAFFEN? Das ist für uns wie Feuer und Wasser. Das passt nicht zusammen."

Die aus Teterow stammende Künstlerin SUSI KOCH trat mit ihrer Band LILLY BRENNT auf. Sie begeisterte mit internationalen Hits und eigenen Songs. Zur Besetzung gehörten an diesem Abend MELLE MELLSEN (Gesang), CHRISTOPH KECK (Perkussion), LYDIA HARDER (Saxofon) und WOLFGANG SCHMIEDT (Gitarre). Es wurde geswingt und gerockt, aber "Imagine" von JOHN LENNON traf ins Mark.

Ins Mark traf auch der kurze, aber intensive Auftritt von DIRK ZÖLLNER, der sich von SUSI, CHRISTOPH und WOLFGANG begleiten ließ. Die Ballade von der "Idylle im Krieg", mit einem sehr schönen Gitarrensolo von WOLFGANG SCHMIEDT, war ein sanfter Einstieg in die Thematik von Krieg und Frieden. Weitaus deutlicher wurde es im Text von WERNER KARMA zu dem Song "Bleifrei". Während dieses Songs las DIRK sein bewegendes Statement zum Krieg in der Ukraine vor, das immer wieder mit Beifall bedacht wurde. Viele der Anwesenden, wie auch ich, sehen die Dinge genauso, wie sie DIRK geschildert hat. Freundlicherweise hat uns Dirk seinen Text zur Verfügung gestellt. Wir haben ihn am Ende meines Berichts eingefügt. "Neue Wege" und "Viel zu weit", wurden eindrucksvoll von DIRK gesungen. Bei "Viel zu weit" spielte WOLFGANG SCHMIEDT ein Solo auf dem Waldhorn. Mit dem textlich wohl immer aktuellen "Käfer auf'm Blatt" verabschiedete sich DIRK ZÖLLNER von dem begeisterten Publikum.


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Melle Mellsen



Den folgenden Künstler, Roland Mayer, kenne ich als ROLLO schon seit den 1980er Jahren, als er als Frontmann der Rostocker Band RIFF aktiv war. Seit vielen Jahren ist ROLLO als Solist unterwegs. Regional bekannt wurde er als Interpret der Hymne des FC Hansa Rostock, "Hansa forever". Doch auch bei den Störtebeker Festspielen kann man ROLLO singen hören. Mit dem Song "Die weißen Tauben sind müde" eröffnete ROLLO sein Programm aus überwiegend internationalen Songs und natürlich der Hansa Hymne, die er mit seiner Reibeisenstimme auf seine ganz eigene Art zum Besten gab. Sein Programm gefiel den Gästen so gut, dass er sich gern zu einigen Zugaben ermuntern ließ.

Dass es seit den 1990er Jahren in MV eine angesagte Punkband namens ZAUNPFAHL gab, davon hatte ich gehört. Doch ihre Musik kannte ich bisher nicht, im Gegensatz zu vielen anderen Gästen an diesem Abend. Ihr Sänger und Gitarrist ANDREAS "GOETHE" GREVESMÜHL hatte inzwischen mit seiner Akustikgitarre auf der Bühne Platz genommen. Neben Songs von ZAUNPFAHL spielte er auch neue Stücke. Ein Lied entstand kurz vor diesem Konzert. Im Refrain hieß es: "Mit Waffen Frieden schaffen, das wird uns suggeriert. Ein jeder weiß, dass das nicht funktioniert." Eine deutliche Aussage, die ich nur teilen kann. GOETHE schaffte es, das Publikum zum Mitsingen zu animieren, unter anderem mit dem ZAUNPFAHL Stück "Warum sind schöne Tage so schnell um".


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Zum Schluss des Abends, gegen 22:00 Uhr, wurde es dann noch so richtig rockig. Die Malchiner Cover-Rock-Band TAURUS 22 heizte mit Titeln von BLACK SABBATH, ALANIS MORISSETTE und anderen Hardrock-Bands noch mal so richtig ein und lockte sogar einige Fans auf die Tanzfläche. Wie lange noch gerockt wurde, kann ich nicht sagen, denn ich machte mich während des Auftritts von TAURUS 22 auf den Heimweg nach Rostock.

Auch diese Veranstaltung "Rock für den Frieden" in Teterow hat gezeigt, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich gegen die Eskalation des Krieges durch weitere Waffenlieferungen aussprechen. Künstler und Veranstalter waren mit der Resonanz zufrieden. "Es war ein wunderschöner, Mut machender und Kraft gebender Abend", meint Gerold Lehmann, der die Veranstaltung mit organisiert hat. Wie oben bereits angekündigt, könnt ihr an dieser Stelle DIRK ZÖLLNERS Statement lesen, das mir und vielen anderen aus dem Herzen spricht:

f 20230307 1620199192"Das Denken und Handeln der Menschen werden vom Krieg in der Ukraine bestimmt. Bei Facebook ist man rund um die Uhr damit beschäftigt, Pamphlete für oder gegen Waffenlieferungen zu verfassen und die Kritik an der Kritik zur Kritik zu kritisieren. Auch ich bin dem Thema verfallen und kann mich mit der Verkündung meiner Wahrheit schwer zurückhalten. Dabei weiß ich doch, dass uns das Ziel eint, dass das Kriegsgeheul der Sofapartisanen nur die eigene Angst übertönen soll, so wie die Friedenstauben natürlich als weiße Fahnen zu verstehen sind. Freiheit vor Frieden? Frieden vor Freiheit? Ganz schwierige Situation: Alles schlimm, aber es gilt das Schlimmste zu vermeiden!

Im Fernseher, im Radio und in den Zeitungen wird fast ausschließlich dasselbe Lied bemüht und die Haus- und Hofkapellen begleiten es artig. In Europa sterben Menschen, Gemäuer und Überzeugungen stürzen ein. Die Evolution ist nicht nur zum Stillstand gekommen, sondern die Menschheit bewegt sich gerade zwei Schritte zurück. Wir sind wieder mal sehr intensiv damit beschäftigt, uns abzuschaffen.

Ich habe Freunde aus Russland, der Ukraine und dem Baltikum und höre von dort sehr unterschiedliche Töne. Mit einem russisch-ukrainischen Musiker, mit dem ich über längere Zeit zusammenarbeitete, habe ich mehrere Stunden zusammengesessen. Es gelingt mir nicht, dem Freundes- oder Feindbild des westlichen Mainstreams zu folgen und ich kann mir auch kein stimmiges östliches mehr aufbauen. Sehe verzweifelten Schmerz bei meinen Freunden, die mit ihren Angehörigen telefonieren und die Welt logischerweise aus ihrer jeweiligen Perspektive betrachten. Und die mir jeweils sehr glaubhaft von Ungerechtigkeiten, Demütigungen und Misshandlungen berichten, die ihre Familien individuell erleiden müssen. Nach meiner Überzeugung gibt nur einen Weg: Verweigerung. Das ist nicht unser Krieg. Es ist wie immer ein Krieg der Macht- und Geldmonster.

Wir alle suchen einen Sinn und wollen irgendwo dazugehören. Ich persönlich zu denen, die nicht daran glauben, dass es pauschal das Gute und das Böse gibt. Ich möchte zu denen gehören, die nicht daran glauben, dass wir in einer schwarz/weißen Welt leben.

Wenn man über ein lebendiges Herz verfügt, kann man sich des Mitgefühls für die Kriegsopfer nicht erwehren und es ist die Aufgabe der Stunde, den in Not und Leid geratenen Menschen zu helfen. Doch ich möchte zu denen gehören, die sich von keiner der Propagandamaschinen zum Hass verleiten lassen und ich möchte keinesfalls zum Unterstützer irgendeiner imperialen Idee werden.

Die Aufrüstung des eigenen Landes zu unterstützen, halte ich für einen fatalen Fehler. Einer Phobie gegen "die Russen" oder gegen "die Amerikaner" zu unterliegen ebenso. Ich gebe aber zu, dass ich zu denen gehöre, die intuitiv eine immer größere Phobie gegen die Privatisierung der Welt entwickeln. Gegen die Macht- und Geldgelüste einiger weniger Figuren, die sich in einem abstrakten und blutigen Wettkampf gegeneinander befinden und für deren Krieg sich die Mehrheit der Menschen leider rekrutieren lässt.

"Sag mir wo du stehst und welchen Weg du gehst" wurde in der DDR vom Oktoberclub skandiert. Die Einforderung einer Haltung zu Gut und Böse im ideologischen Kampf der Mächte. Nach dem terroristischen Überfall auf das New Yorker World-Trade-Center, rief der Präsident der Vereinigten Staaten zum Krieg gegen die Achse des Bösen: "Wer nicht mit uns geht, ist gegen uns!"

Diejenigen, die an der schwarz-weißen Welt der großen Ideologien zweifeln, werden zum Feind erklärt, oder mindestens als "Gutmenschen" verlacht. Im Angesicht der Tragödie, die sich vor unserer Haustür abspielt, verschärfen sich die patriotischen Gesänge. Es wird zum Kampf gerüstet: 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr und die Lieferung schwerer Waffen ins Krisengebiet. Ich glaube, dass es sich hier um eine im Affekt getroffene Fehlentscheidung handelt. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass ich falsch liege. Aber meine Überzeugung gegen diesen Weg basiert auf der tiefsitzenden Angst vor einem atomaren Endszenario, die ich schon ein Leben lang mit mir herumschleppe. Meine lebendige Fantasie verbietet mir die Positionierung zu den Wahrheitsansprüchen einer Macht- und Geldelite. Nicht mal im Geiste kann ich mich da von einem der "Herren" rekrutieren lassen.

Der Mainstream verlacht den "Pazifisten" als naiv und der Begriff mutiert am Stammtisch mittlerweile zum Schimpfwort. "Wer nicht dafür ist, ist auf der Seite des Aggressors!" - in meinem Empfinden eine sehr einfache Rhetorik. Mein Herz schlägt für Deserteure. Für die russischen und für die ukrainischen Kriegsverweigerer. Die Rekrutierung des Soldaten beginnt im Geiste.

Es ist sehr schwer angemessene Worte zu finden und alte große Friedenslieder werden aus den Schubladen geholt, die "Kleine weiße Friedenstaube" oder "Wozu sind Kriege da". Ich singe an dieser Stelle ein eigenes, welches ich auf die Worte von Werner Karma geschrieben habe: Bleifrei."










   
   
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