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Ein Bericht mit Fotos von Dajana Prosser-Gehn



60 Jahre Eisbrenner - 42 Jahre davon ist der gebürtige Rüdersdorfer mit Auftritten aller Art in der Musikwelt unterwegs und hat in dieser Zeit stolze 22 Alben veröffentlicht. Was für ein beeindruckendes Zwischenfazit einer Karriere, die gerade so richtig in Fahrt gekommen und bei der ein Ende - Gott sei Dank - noch lange nicht in Sicht ist.

Sein Geburtsjahr 1962 war ein sehr ereignisreiches, indem zum Einen die Kubakrise einen neuen Höhepunkt erreichte und die Welt ganz nah an einen Atomkrieg heran führte, sowie zum Anderen eines, in dem Marilyn Monroe, eine Ikone unter den Schauspielerinnen und ein Sexsymbol zugleich, unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Aber es gab natürlich auch tolle Ereignisse wie die Erfindung des Mini-Rocks, die erste Song-Produktion der BEATLES ("Love me do") und das Erscheinen der ersten Schallplatte eines gewissen Robert Zimmermann, den die Welt als Bob Dylan kennenlernen durfte. Ein besonderer Jahrgang also, dieses 1962, in dessen elftem Monat dann Tino Eisbrenner das Licht der Welt erblickte. Die Welt drehte sich seitdem weiter, viele schöne und weniger schöne Ereignisse mehr nahmen ihre Plätze in den Geschichtsbüchern ein, und auch Tino Eisbrenner hinterließ tiefe Spuren auf diesem Planeten. Die Musikgeschichte schrieb er mit eigenen Kapiteln aktiv mit.


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Am 12. Tag dieses Herbstmonats im Jahre 2022, also 60 Jahre nach all den eben beschriebenen Ereignissen und seiner Ankunft in Rüdersdorf bei Berlin, wurde sein runder Geburtstag gemeinsam mit Fans, Sympathisanten, Freunden und Familie im wunderbaren "Neu-Helgoland" am Müggelsee gefeiert. Nicht einfach so mit Kuchen, Sekt und Geschenken zum Auspacken, sondern laut und deutlich mit einem Geburtstagskonzert und Geschenken zum Anhören. Im Vorfeld erfuhr das interessierte Publikum nur, dass es dabei eine Auferstehung vom Projekt HAUSBOOT und einen rockigen Teil mit seiner Gruppe TATANKA YOTANKA geben sollte. Aber natürlich erwartete man auch die eine oder andere Überraschung, denn man wird schließlich nur einmal im Leben 60 Jahre alt. Der Reihe nach …

In einer ruhigen, wald- und wasserreichen Umgebung liegt das Ausflugslokal und Hotel "Neu-Helgoland". Von dieser Stille sollte sich der Besucher aber nicht täuschen lassen, denn im Inneren rockt es zuweilen gewaltig. Immer wieder dient die Bühne des Hauses als Tatort für Konzerte diverser Rock- und Pop-Gruppen. So auch am gestrigen Freitagabend, als der Friedensaktivist und Songpoet Tino Eisbrenner auf eben diesen Brettern auftrat. Eins sei vorweggenommen: es rockte tatsächlich gewaltig und es gab nach dem Startschuss keine Pause, so dass wir ohne jegliche Unterbrechung das Konzert in vollen Zügen genießen konnten.


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Wie es sich für einen solchen Tag gehört, wurde der Star des Abends mit einem lautstarken "Happy Birthday" auf der Bühne begrüßt. Tino bedankte sich und erwähnte gleich zu Beginn seinen langjährigen Bühnenpartner Heiner Frauendorf, der an diesem Abend leider nicht mit dabei sein konnte. Heiner verlor vor wenigen Wochen bei einem tragischen Verkehrsunfall viel zu früh sein Leben. Im Herzen feierte er mit uns und es war Tino offenbar ein großes Bedürfnis, dies gleich voran zu stellen. Auch in Gedenken an einen großartigen Bajanspieler wie Frauendorf startete dann der Abend.

Die ersten 90 Minuten heizten uns TATANKA YOTANKA, die aktuelle Band von Tino, richtig ein. Jan Schachmann, alias Chessman, untermalte die lyrischen sowie gefühlsbetonten Texte mit seinen träumerischen Gitarrenklängen und streichelte damit unsere Ohren. Chessman erzeugt Töne, die unter die Haut gehen, und gibt den Songs somit eine weitere emotionale Tiefe. Vor wenigen Jahren stieß nicht nur Jan Schachmann, sondern auch Alejandro Soto Lacoste zu Tinos Band dazu. Der Chilene ist nicht nur ein fabelhafter Multi-Instrumentalist, sondern zudem noch Komponist und Sänger. Außerdem produzierte er bereits Tinos Album "Barfuß in Kakteen" und arbeitete mit vielen unterschiedlichen Künstlern wie z.B. Aurora Lacasa oder Manuel Garcias zusammen. Mittlerweile brachte er selbst drei eigene Alben heraus: "Interiores" (2008), "Presente" (2013) sowie "Puente de Luz" (2020). Gemeinsam mit Matthias Fuhrmann und Olli Becker, die abwechselnd am Schlagzeug saßen, spielten noch Oliver Siegmann am Bass und natürlich das Geburtstagskind Tino Eisbrenner unter der Flagge von TATANKA YOTANKA. Sie musizierten und harmonierten so phantastisch zusammen, als würden sie dies schon Jahrzehnte lang so machen. Alles sitzt, alles groovt, aber nichts wirkt eingeschliffen, so dass keine Mugge dieser Gruppe wie die andere ist. Dies nahm natürlich auch das Publikum wahr, und quittierte die gebrachte Leistung des Ensembles immer wieder mit herzlichem Applaus und ausgelassener Stimmung im Saal.

Die Eisbrenner-Konzerte leben unter anderem auch von den Moderationen Tinos zwischen den Liedern. Immer wieder erzählt der Musikant kleine Anekdoten oder über Begebenheiten aus dem Leben, die uns entweder zum Lachen oder zum Nachdenken brachten. Sollte man hier oder dort mal nicht seiner Meinung sein, kann man es ihm aber nicht übel nehmen, denn er zwingt niemandem seine Weltanschauung auf und verpackt seine Sichtweisen nie oberlehrerhaft, sondern oft mit einem zwinkernden Auge. Das macht er so gut, dass er seinem Publikum immer den Raum für eine eigene Meinung lässt. Die Welt ist eben nicht nur schwarz und weiß … Tino erzählte in kurzen Zügen u.a. die Geschichte von Kaiser Barbarossa, der immer noch schläft und eigentlich zurückkommen müsste, um endlich - und diese Meinung dürfte wohl jeder teilen - Frieden und Einheit zu stiften. Das Lied "Keine Meile von hier" erklang passend dazu.


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Alejandro Soto Lacoste


Es folgte ein musikalischer Zeitsprung von Tinos aktueller Band TATANKA YOTANKA zu seiner musikalischen Heimat der 80er Jahre, JESSICA. Das konnte selbstverständlich nur eins bedeuten: "Ich beobachte dich". Das Publikum sang textsicher mit, was auch nicht weiter verwunderlich war. Immerhin ist dieser Song inzwischen ein Evergreen. Nach dem Vortrag dieser Nummer wurde Tino ein wenig melancholisch und sagte, dass er beim Singen alter JESSICA-Lieder auch an seine alten Freunde aus der Zeit - André Drechsler, Ralf Böhme und Janek Skirecki - denken müsse. Leider war es ihnen nicht möglich, an diesem Abend vor Ort zu sein. Dafür wurde aber mit "Mama" ein weiterer Song aus der JESSICA-Ära gespielt. Ein echtes Highlight an diesem Abend, obwohl das nächste schon in den Startlöchern stand. Alejandro Soto Lacoste und Tino Eisbrenner sangen ein Duett. Jeder in seiner Muttersprache. "El derecho de vivir en paz", im Original von Victor Jara. Mit einer wundervollen Message: "Für das Recht einfach zu leben in Frieden."

Nach anderthalb Stunden verließen einige Musiker die Bühne und Heiner Lürig kam nach vorn. 2008 beschlossen er und Tino Eisbrenner, ein eigenes Projekt auf die Beine und damit neue Lieder entstehen zu lassen. Das Projekt HAUSBOOT war geboren. Eigentlich wollte Heiner Lürig nach der Schule wohl Medizin studieren, entschied sich Ende der 70er Jahre Gott sei Dank anders und wurde Musiker. Mitte der 80er Jahre begann seine Zusammenarbeit mit und für Heinz Rudolf Kunze, über den sich Eisbrenner und Lürig auch kennenlernten. Bei einem Aufenthalt in Amsterdam beschlossen sie Jahre später als HAUSBOOT ein eigenes Album zu machen. Schnell stand fest, dass Tino textet und Heiner komponiert. Der Name HAUSBOOT für ihr gemeinsames Baby lag nahe, denn diese sah man in Amsterdam sehr häufig. Im Jahre 2009 erschien das Album "Strom ab", 2017 "Fluss der Zeit" und am 24. Januar 2020 ihre dritte CD namens "Die letzten heiligen Dinge". An Bord des HAUSBOOTs waren am Freitag in Berlin nicht nur Tino Eisbrenner und Heiner Lürig, sondern auch Alejandro Soto Lacoste sowie Oliver Siegmann. Letzteren kennt man natürlich noch von der Gruppe JESSICA. Seit 1987 ist er am Bass und tritt gemeinsam mit Tino auf. Ich persönlich kenne nicht ein einziges Lied von HAUSBOOT, das nicht gut ist. Die Kompositionen haben einen mega beruhigenden Einfluss auf Seele und Herz. Bei Alejandro Soto Lacoste sah man dies sehr deutlich: Durch jede Faser seines Körpers ließ er die Musik strömen und sich davon durchfluten. Sie brach sich bei ihm ihren Bann. Wir hörten fünf Songs des Projekts, wie z.B. "Fluss der Zeit", "Wanderer" und "Französisch lernen". Diese spielte man in der Originalbesetzung. Alsdann kamen nach und nach die anderen Musiker hinzu, z.B. Matthias Fuhrmann bei dem Lied "Wär´ nicht schwer". Auch wenn "Barfuß in Kakteen" kein Titel von HAUSBOOT ist, so wurde er doch vom Duo Eisbrenner/Lürig geschrieben und hier am Abend vorgetragen. Jan Schachmann kam beim Vortrag dieser Nummer noch hinzu und gemeinsam rockten sie jede einzelne Zeile, dabei fungierte das Publikum im Refrain als Chor. Zeitweilig versetzten uns die Lieder in einen verträumten Zustand. Man lauschte den unterschiedlichen Instrumenten, den poetischen Worten und "verlor" sich in eine Art Traum. Die Texte wirken ohne jegliche Melodie als wohlklingende Gedichte, in denen die Poesie Zuhause ist.


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Heiner Lürig


Zum Abschluss des Abends kamen alle Musiker des Abends auf die Bühne und spielten das "Lied vom Frieden". Heiner Lürig läutete es mit dem Glockenspiel ein. Auch im Jahr von Tinos Geburt gab es Konflikte auf der Welt. Eingangs nannte ich die Kubakrise, und auch 60 Jahre danach gibt es mehr als genug Anlässe, Friedenslieder zu singen. Sie sind leider immer aktuell, werden nie zeitlos und es kann gar nicht genug Lieder zum Thema Frieden geben. Leider eine traurige Gewissheit. Trotzdem sangen die Künstler und das Publikum mit viel Freude für den Frieden - gemeinsam für das Gute in der Welt. Wie sollte es anders sein, ohne Zugabe ging auch bei dieser Mugge gar nichts. Nach solch einem Konzert kann man nicht einfach die Bühne verlassen und nicht wiederkommen. Mit "Komm so leise wie der Schnee" wurde eine weitere HAUSBOOT-Nummer als Dessert gespielt, die wieder sofort ins Herz ging. Mit dem Titel "Bring mir die Sonne" ging es dann nochmal zurück in die Jugendzeit und es wurde getanzt und gesungen. Mit einem weiteren Geburtstagslied wurde Tino Eisbrenner schließlich unter tosendem Beifall von der Bühne verabschiedet. Ein Schlussakkord mit Ausrufezeichen.

Ich schaute mich an diesem Abend mehrmals um und sah im Publikum sowohl bei den jungen als auch bei den älteren Konzertbesuchern in durchweg begeisterte Gesichter. Sie alle hatten sich auf eine Reise ins Eisbrenner-Universum mitnehmen lassen, in das sie eintauchen und in dem sie sich treiben lassen konnten. Am Ende des Tages wurden sie bestens unterhalten und mit einem aufgetankten Energie-Speicher in die Berliner Nacht entlassen. Man verließ den Ort der Feierlichkeiten wieder leichten Fußes. Auf weitere 60 Jahre, möchte man dem Jubilar zurufen und ihm wünschen, dass er sie erleben und den Menschen weiter so positive Erlebnisse wie das gestern bescheren möge. Aber egal wie viele Jahre es auch werden, sie sollen von ihm auf jeden Fall gesund und immer mit kreativen Ideen im Kopf erlebt werden.






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