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Hier lief nichts wie geplant!

Ein Bericht von Christian Reder mit Fotos von Robert Widera


a 20220523 1476886572Ich glaube jeder, der Musik macht oder sich für das Thema interessiert, hat einen ganz besonderen Helden seiner Jugend, der ihn schon seit Jahren mit Musik begleitet und von dem man sich wünscht, mit ihm irgendwann mal eine gemeinsame Session spielen zu können. Vielleicht im Proberaum oder bei einem zufälligen Aufeinandertreffen einfach mal die Instrumente auspacken und ein Lied zusammen spielen … das wär's. Davon zu träumen, vielleicht sogar mal zusammen auf einer Bühne zu stehen und es dort krachen zu lassen, verbietet man sich aber selbst. Das wäre zwar das Optimum, von der Glücksgöttin Fortuna letztlich dann doch einfach zu viel verlangt. Auch der Harp-Virtuose und Blues-Missionar Chris Kramer hat so einen Helden. Der heißt Abi Wallenstein und Fortuna meinte es mit Chris so gut, dass sie ihm das eben beschriebene Optimum gönnte, nämlich eine gemeinsame Mugge. Dieser für viele andere unerfüllbare Traum ging für den Marler am Freitag, den 20. Mai 2022, in der "Erlöserkirche" seines Heimatortes tatsächlich in Erfüllung.

Chris Kramer erinnert sich noch sehr gut daran, wie er damals mit seinem Kumpel "Spargel" und dem Blues-Duo BLUEBIRDS anfing. Das war 1994 und Chris war 24 Jahre alt. Abi Wallenstein ist 21 Jahre älter als Chris und war damals schon da, wo man beruflich selbst gern hin wollte, nämlich ganz oben, in aller Munde und mit seinen Konzerten auf den Bühnen der Clubs unterwegs, in die "Spargel" und er auch gerne spielen wollten. Zu dieser Zeit hat Chris die Platten von Abi Wallenstein gekauft und gehört, und abends daheim beim Mineralwässerchen zur Musik des großen Abi einfach mal mitgespielt. Der eingangs beschriebene Traum geisterte dabei in seinem Kopf herum, das wahr werden lassen dieses Traums war aber in unerreichbarer Ferne. Und heute, fast 30 Jahre später, ist es für Chris Gänsehaut pur, wenn er diese Lieder wieder mit der Harp begleitet, Abi Wallenstein aber eine Armlänge weiter daneben sitzt und sie mit ihm zusammen spielt. Wir alle können wohl nur erahnen, was für ein Gefühl das sein muss … Das, was ich Euch hier jetzt gerade erzählt habe, hat Chris am Freitagabend dem Publikum mit anderen Worten auch in der Marler "Erlöserkirche" erzählt, bevor er mit dem Held seiner Jugend ein fast zweieinhalbstündiges Blues-Feuerwerk abfackelte und das gerade näher bezeichnete Gotteshaus in meiner Nachbarstadt zum Wackeln brachte.


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Es war 20:00 Uhr als für die vielen Menschen in der bis auf den letzten Platz voll besetzten Kirche ein ganz besonderes und in der Form wohl nicht vorhersehbares Spektakel seinen Lauf nahm. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Verbindung von Abi Wallenstein und Chris Kramer hat analog zum Wetter am Freitag eingeschlagen wie Blitz und Donner. Ein paar einleitende Worte des Gastgebers Chris Kramer und die wilde Fahrt begann mit dem "Good Morning Blues", das im Original von LEADBELLY, auch unter dem Namen Huddie Ledbetter bekannt, einem in Lousiana geborenen Bluesmusiker stammt, der seine Lieder mit Mundharmonika und einer zwölfsaitigen Gitarre zum Leben erweckte. Das passte ganz gut, denn auch das am Freitag in Marl spielende Duo nutzte lediglich Harp und Gitarre zum Erzeugen feinster Bluesmusik. Gelegentlich kam aber auch eine von Abi Wallenstein bediente Stomp-Box zum Einsatz, die der ganzen Angelegenheit - je nach Bedarf - noch etwas mehr Boost verlieh. Das Ding pumpte dann auch ordentlich. Gleich sofort die erste Nummer nahm die Leute in der Kirche gefangen, es war aber noch nicht zu erahnen, dass schon Minuten später alles aus dem Ruder laufen würde.

Es folgte mit "Sweet Home Chicago" ein Klassiker aus den 1930er Jahren, der bis heute von zahlreichen Künstlern interpretiert wurde. Die bekannteste Version dürfte wohl die aus dem "Blues Brothers"-Film sein. Und genau diese an Position zwei der Setlist platzierte Nummer war wie ein Brandbeschleuniger, dabei stand die geweihte Hütte zu diesem frühen Zeitpunkt schon komplett in Flammen. Die ersten Standing Ovations waren der Lohn für diese vom zweiköpfigen Ensemble verursachte geile Stimmung. Es ist ja oft in Berichten von Spaß zu lesen, den Musiker beim Spielen miteinander haben und wie sich dieser dann auf die Konzertbesucher überträgt, aber diese Worte reichen nicht einmal in Ansätzen, um die hier erzeugte Situation zu beschreiben. Chris und Abi holten ihr Publikum nicht nur ab, sie versetzten es in Hochstimmung und bekamen umgehend ein positives Feedback zurück. Ruhig sitzen bleiben konnte wohl niemand und so war es irgendwie auch kein Wunder, dass der angedachte Plan der beiden, ihre vorbereitete Setlist fahrplanmäßig abzuarbeiten, nach eben erwähnter zweiter Nummer über den Haufen geworfen und alles danach ganz nach Stimmung im Saal, eigener oder der Laune des Publikums und später sogar nach Zuruf gespielt wurde. Man könnte auch sagen, man hat die Auswahl der zu spielenden Stücke der Energie im Saal angepasst, denn danach lief alles komplett spontan, ungeplant und entstand aus voller Lust am Augenblick. Es war ein Kontrollverlust, der Musiker und Publikum immer weiter in einen Rausch versetzte, und man befand sich quasi nach wenigen Minuten schon im Zugabenmodus. Sowas habe ich bisher noch bei keinem anderen Konzert in dieser Form erlebt! Ich glaube, Kramer und Wallenstein sicher auch nicht oft …

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Dass im gesamten Set, das hier gespielt wurde, mit "True Love Of My Life" nur eine einzige Eigenkomposition von Abi Wallenstein zu finden war, und der Rest komplett aus Fremdkompositionen bestand, fiel einem den Abend über irgendwie gar nicht auf. Natürlich wusste man, dass "Sweet Home Chicago" oder "Messin' With The Kid" weder aus der Feder des einen noch des anderen hier aufspielenden Protagonisten selbst stammten, aber diese bekannten Klassiker erfuhren ebenso wie die anderen Lieder ein Einverleiben ins eigene Schriftbild der beiden Kreativlinge. Kramer und Wallenstein machten Stücke wie z.B. "Kiss" (von PRINCE!!!) oder das durch CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL bekannt gemachte "As Long As I Can See The Light" zu ihren eigenen Nummern. Die Stücke klangen schließlich so, als hätten sie sie geschrieben und nicht einfach nur hergenommen und nachgespielt. Deshalb kamen Bluesmusiken, wie das vom eben schon erwähnten LEADBELLY entliehene "Keep Your Hands Off Her" oder Lieder wie "Same old Blues", "Slippin' Thru My Hands", "Bring It On Home", "Shacke Your Boogie" und "Hipshake" in den Genuss, auf die Kramersche und Wallensteinsche Eigenart reproduziert und mit neuem Leben versehen zu werden. Insbesondere Abi Wallenstein verfügt über einen ganz eigenen und unverkennbaren Gitarrenstil, der es ihm möglich macht, all diese Lieder am Ende des Tages wie seine klingen zu lassen und er liefert den Leuten damit letztlich die Gelegenheit, solche Stücke ganz neu zu entdecken und darin auch andere Facetten zu finden. Kein Wunder, dass Chris Kramer das Handwerk dieses Abi Wallenstein so sehr verehrt und sein Können schätzt. Und nicht nur er … Das Auditorium war gleichermaßen gefesselt und elektrisiert von dem ihm gebotenen Programm. Eben schon erwähnte, früh am Abend aufkommende Standing Ovations waren folgerichtig für das, was seitens der beiden Musiker abgeliefert wurde, und es war ein ständiges Geben und Nehmen beider Seiten. Die Musik stachelte die Stimmung der Leute an, die Leute stachelten die Musiker zu weiteren Höchstleistungen an. Ein wahrer Musiktornado, von dem man automatisch mitgerissen wurde. Ob man wollte, oder nicht …

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Aus dem Publikum kam kurz vor Schluss der Wunsch, "Könnt Ihr nicht ‚Suzy Q' spielen", und das Duo reagierte prompt. Abi zählte bis vier, und schon ging's los - der Wunsch eines einzelnen Gastes wurde erfüllt. Spontan - ungeprobt. Als das Stück zu Ende war, klatschten die Leute im Takt einfach weiter. Kramer und Wallenstein nutzten dies, und stiegen mit der folgenden Nummer "Trouble In Mind" einfach in den Takt ein. Kramer begann die ersten Zeilen des Textes zu singen und das Publikum ging einfach mit - ließ sich führen. Eine unbeschreibliche Energie, die da im Raum schwebte, und eine mit Worten nicht so einfach zu erklärende Situation, die man erlebt haben muss um sie zu begreifen.

Dieser Rausch wurde durch eine Pause unterbrochen, dadurch aber nicht abgebrochen. Als ob die Leute auf Kommando wieder in Stimmung kommen konnten, war zu Beginn der zweiten Hälfte die gleiche geile Atmosphäre wieder da als die die vor dem Pausentee hinterlassen wurde. So als wenn nix gewesen wäre. Als am Ende dieser zweieinhalb Stunden der letzte Ton verklungen war, waren Publikum und Musiker gleichermaßen von dem beseelt, was sie hier gerade erlebt hatten. Ich weiß nicht, was genau die beiden für die Zukunft planen und ob diese Sache in Marl als einmalige Erfahrung vorgesehen war, aber beiden sei an dieser Stelle angeraten, daraus eine Serie zu machen. Das was dieses überglückliche Publikum am Freitag erlebt hat, sollten noch mehr Leute in vielen Ecken des Landes auch erleben dürfen. Dieses Spektakel MUSS eine Fortsetzung finden und beide Musiker sollten damit auch an anderen Orten als Brandstifter auffällig werden. Das wünsche ich dem hungrigen Publikum im Land ebenso, wie den beiden Herren, die zu später Stunde an diesem 20. Mai des Jahres 2022 ausgepowert aber aufgetankt mit guter Energie den Feierabend eingeläutet haben.



Termine:

Chris Kramer:
• 27.05.2022 - Paderborn - Deelenhaus
• 11.06.2022 - Dinslaken - Gaststätte Maaß
• 24.06.2022 - Bielefeld - Neue Schmiede
• 14.07.2022 - Fürstenfeldbruck - Veranstaltungsforum Fürstenfeld

Abi Wallenstein:
• 02.06.2022 - Kühlungsborn - Kunsthalle
• 03.06.2022 - Muggerkuhl - Rumpelscheune
• 04.06.2022 - Bülitz - Hofkonzert
• 05.06.2022 - Burgdorf - StadtHaus
• 15.07.2022 - Norderstedt - Kulturwerk am See

Alle Angaben ohne Gewähr!
Weitere Infos auf der jeweiligen Künstler-Homepage



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Chris Kramer: wwwchris-kramer.de
• Off. Homepage von Abi Wallenstein: www.abiwallenstein.de
• Homepage der Erlöserkirche: in Marl: HIER klicken

   
   
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