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Ein Bericht von Torsten Meyer mit Fotos von Sandy Reichel





Das übliche Kopfschütteln
Ja, es war wie immer. Ich erzählte in meinem Umfeld auf die Frage nach meinem nächsten Konzertbesuch wahrheitsgemäß: ich gehe zu Thomas Godoj. Und schon erntete ich im besten Fall ein mitleidiges Lächeln, was sich bis zu abfälligen und richtig bösartigen Kommentaren hoch puschte. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Mehrzahl dieser Leute noch nie auch nur einen einzigen Song des Herrn Godoj gehört haben.a 20151018 1693466235 Nein, wozu auch? Thomas Godoj war schließlich mal bei DSDS, hat dort sogar gewonnen und sich somit automatisch und auf Lebenszeit den Stempel "Casting-Idiot" auf die Stirn tätowieren lassen müssen. Ich bin es mittlerweile leid, darauf zu reagieren, sondern ignoriere diese Fachleute einfach. Sollen sie ruhig weiter ihren Ramsch hören, während ich mir echte, ehrliche, handgemachte Musik reinziehe - zum Beispiel von Thomas Godoj.

Die Rocker werden weich
Immer wieder frage ich mich, warum muss seit Jahren eigentlich fast jede halbwegs erfolgreiche Rockband unbedingt den Stecker aus den Verstärkern ziehen, um irgendwann mal ein Unplugged-, Akustik- oder sonst wie benanntes Album unter die Leute zu bringen? NIRVANA, PAUL McCARTNEY oder auch ERIC CLAPTON waren seinerzeit dank MTV (als das noch ein Musiksender war) die Zugpferde für diesen Run, der bis heute ungebrochen ist und komischerweise auch funktioniert. Nun, ich kann damit leider überhaupt nichts anfangen. Ich warte nur noch darauf, dass eines schönen Tages die STONES, MOTÖRHEAD oder sogar meine einstigen Helden von AC/DC die Musikwelt mit der Nachricht erschrecken, dass sie sich nun altersmilde zeigen, die Akustikklampfen auspacken, dem Drummer die Sticks wegnehmen und gegen Jazzbesen tauschen und hoffen, damit die zerfurchten Gesichter glätten zu können. Gruseliger Gedanke. Natürlich stellt sich der Leser nun die berechtigte Frage, weshalb ich mich dann trotzdem auf ein solches Konzert begebe. Da ist doch das "Daumen runter"-Urteil quasi vorprogrammiert. Nein, ist es nicht! Wenn jemand tatsächlich in der Lage ist, seine Songs in ein abgespecktes, auf das Wesentliche reduziertes Klangbild runter zu brechen, ohne dass man sich beim Hören peinlich berührt fühlt und Ohrenbluten riskiert, dann ist es für mich dieser Thomas Godoj. Seine Nummern haben den nötigen Tiefgang, um sie auch mal anders zu interpretieren, und diese brillante Godoj'sche Stimme kann in den neuen Versionen alter Songs nur gewinnen. Ende September erschien nun das "V'stärker aus" heißende Werk, auf welchem sich immerhin 14 Titel seiner bisherigen fünf Studioalben wiederfinden - stellenweise total umgekrempelt und auf Anhieb kaum wiederzuerkennen. Aber die CD-Rezension überlasse ich anderen. Ich stehe auf Livemusik und deshalb begab ich mich am Donnerstag in die wunderbare Location namens WABE mitten im Prenzlauer Berg.

Geklaute Zeit
Man ist es als eifriger Konzertgänger ja gewohnt, immer wieder um einen Teil seiner kostbaren Zeit betrogen zu werden, weil der Beginn der Gigs ohne ersichtlichen Grund heraus gezögert wird. Diese Unsitte wird sich mir nie erschließen und ist für mich mehr als respektlos gegenüber den zahlenden Fans vor der Bühne. Deshalb war ich auch an diesem 15. Oktober restlos bedient, als sich die Türen der Wabe einfach nicht öffnen wollten.b 20151018 1089336676 Offizieller Beginn war 20:00 Uhr, doch um 20:10 Uhr stand das erwartungsfrohe Publikum noch immer draußen vor den verschlossenen Saaltüren. Keine Erklärung zum wieso und warum - so etwas geht nicht! Später sollte sich die Sache aufklären, doch zunächst staute sich in mir unnützer Ärger auf. Endlich ging ein erleichter Aufschrei durch die vorwiegend weiblichen Fans, denn was niemand mehr für möglich hielt, passierte jetzt: der Saal der WABE wurde zum Sturm auf die besten Plätze freigegeben.

Natürlich ...
zuckte ich erst einmal zusammen, als ich den Innenraum der WABE betrat: Bestuhlung rundherum. Gar nicht mein Ding, aber dem Wesen einer Akustikmugge durchaus angemessen. Also schnell ein Plätzchen gesucht und dann wurde es auch endlich dunkel. Aber nicht etwa das Objekt der Begierde erschien, sondern eine junge Frau in Begleitung eines ebenso jungen Herren. Oh je, eine Vorband ... Wenigstens erntete die Lady etliche Lacher, als sie uns mit verschmitztem Blick glaubhaft machen wollte: "Hallo, ich bin Thomas!", um dann so gleich aufzuklären, dass sie doch nicht Thomas Godoj sei, sondern die Geigerin aus der aktuellen Band von selbigem. Und sie plauderte herzerfrischend weiter, ohne dabei allerdings den Unwissenden wie mir zu verraten, dass ihr eigentlicher Name Bianca Preché ist und sie in der folgenden halben Stunde Songs ihrer Band TOM & SARA spielen wird. Das verriet mir erst die am Merchandise liegende EP "6 ways to find home".

Musikalisch entführten uns TOM & SARA in eine Welt aus liedhaftem Pop mit Anleihen bei Jazz und Folkmusik. Biancas ziemlich markante, warme Stimme hat durchaus Wiedererkennungswert und passte wie die Faust aufs Auge zu den stimmigen Kompositionen. Sie begleitete sich selber am E-Piano, wechselte auch mal an die Geige, während ihr Partner auf der Bühne in erster Linie die Gitarre zupfte, aber zu zwei Nummern auch mal die Trompete herausholte und diese sehr dezent und gefühlvoll spielte. Beim Großteil des Publikums kam der Auftritt sehr gut an, aber nun freute man sich dann doch darauf, den Headliner des Abends zu erleben.

Ein kleiner Kulturschock
21:10 Uhr - Jubel brandete auf, sieben Musiker nahmen ihre Plätze ein, und ein von Klavierklängen, Akustikgitarren, Geige und Cello getragener Song in arg gemäßigtem Tempo machte klar, was uns an diesem Abend erwarten sollte. "Ich zieh die Reißleine, weil sich's nicht mehr lohnt darüber nachzudenken, was mir nicht gut tut ..." - ein vertrauter Text, doch ups! Im Original ist dieser Titel namens "Beste Entscheidung" ein echtes Knallbonbon, aber davon blieb hier nicht mehr viel übrig.d 20151018 1755509356 Neu arrangiert und entschleunigt musste ich mich erst einmal an diese Art Sound gewöhnen, ebenso wie an das starre Bühnenbild. Sitzende Musiker, selbst Thomas Godoj thronte auf einem Schemel. Ja klar, das ist halt so bei diesen Akustikmuggen. Wenn man aber weiß, das ansonsten bei "normalen" Godoj-Konzerten auf der Bühne die Post abgeht, die Power und Energie der Band kaum zu bändigen ist, die Gitarren hämmern, dass man sich manchmal fast schon auf einem Metalkonzert wähnt, dann kommt einem anfangs dieses völlig neue Klangerlebnis wie ein Kulturschock vor. Es dauerte jedoch nur bis zum dritten Song, denn "Vermisst du nicht irgendwas" (ohnehin einer meiner Godoj-Favoriten) vom dritten Album "So gewollt" (2011), kam richtig gut bei mir an. Jetzt war ich warm und konnte mich auf das einlassen, was der Recklinghauser für seine Fans vorbereitet hatte.

Crowdfunding-Europarekord
Wer weiß, ob es dieses Akustik-Album inklusive der dazugehörigen Tour überhaupt gegeben hätte, wenn nicht diese irre Crowdfunding-Aktion zur Finanzierung des 2014er Werkes "Album V" für ein Ergebnis sorgte, wie es so in Europa noch nicht verzeichnet wurde. 55.000 Euronen waren das Ziel, um die CD produzieren zu können. Was keiner ahnen konnte: bereits einige Stunden später war die Summe zusammengetragen - absoluter Rekord für europäisches Crowdfunding. Am Ende freute Thomas sich über sagenhafte 158.331 Euro, die es ihm ermöglichten, neben dem erstmals in eigener Regie produzierten "Album V" gleich noch das Akustikalbum "V'stärker aus" hinterher zu schieben. Bei der immer größer werdenden Familie der Godoj-Fans kommt das Werk ausgesprochen gut an, und man konnte sich an diesem Abend in der gut gefüllten WABE davon überzeugen, warum das so ist.

Swing, Reggae und vieles mehr
Es war erstaunlich, was man aus manchem Song so machen kann. Da wird nicht einfach nur die E-Gitarre gegen eine Akustikklampfe getauscht, sondern es werden stellenweise völlig neue Songstrukturen geschaffen, der Charakter der Lieder verändert. "Niemandsland" beispielsweise, normalerweise in der Ursprungsfassung ein richtiger Rocker, kommt plötzlich als waschechter Swing mit klug eingebauten Jazzelementen daher. Das war schon Klasse. Oder man nehme "Liebe zur Sonne", was man auch kaum wiedererkannte. "Genau der Moment" rockt auf "Album V" in Heavy Metal-Manier, aber diese großartigen Kerle lassen daraus eine eher funkige Nummer werden und die Beine im Publikum wippen. Da sage noch einer, Akustikkonzerte seien langweilig. Und so könnte ich noch einige Songs aufzählen, die im neuen Gewand präsentiert und in ihrer Wucht deutlich reduziert wurden, aber dank der Qualität der einzelnen Musiker durchaus hörenswert waren.e 20151018 1327771443 Erwähnt sei auf jeden Fall noch "So gewollt". Nichts mehr mit klirrendem Gitarrensound - nein, jetzt ist es im Strophenteil ein wunderbarer Reggae geworden, während der Refrain im Ska-Rhythmus meinen Gehörgang erreichte. Bei den meisten Nummern des Abends tat der ausgeklügelte und variable Einsatz von Geige und Cello das Übrige, um auch die Feingeister unter den Zuschauern zufrieden nicken zu lassen.

Die A2 war schuld
Zwischen den Songs plaudert Thomas Godoj ja immer sehr gerne und intensiv mit seinem Publikum. So auch an diesem Abend. Allerdings war nicht zu übersehen, dass der "Chef" sehr erschöpft und müde wirkte. Wie er irgendwann raus ließ, gestaltete sich die Fahrt nach Berlin über die auch bei mir eher verhasste Autobahn A2 als Horrortrip. Was Godoj dabei aber nicht erwähnte war, dass sich in Nordrhein Westfalen am Donnerstag auf nur wenigen Kilometern und in kürzester Zeit gleich mehrere schwere Verkehrsunfälle mit insgesamt vier Toten ereigneten (darunter ein Elternpaar - bei dem Unfall überlebten nur die zwei kleinen Kinder). Die Autobahn war zeitweise sogar komplett gesperrt. Der hinter ihm liegende Stress war ihm deutlich anzumerken. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, sich im Laufe des Abends mehrfach auf eine junge Dame in der ersten Reihe einzuschießen, die partout ihr Handy nicht aus der Hand legen wollte, sondern permanent das Geschehen auf der Bühne mitfilmte. Während jeder von uns wahrscheinlich spätestens nach der zweiten öffentlichen Backpfeife des Sängers verschämt das Handy in die Tasche gesteckt und am liebsten unter einer Tarnkappe verschwunden wäre, filmte das Mädel munter weiter und blieb unbeeindruckt von den wiederholten verbalen Pfeilen des Herrn Godoj. Leider ist diese Unsitte mit den unzähligen leuchtenden und nach oben gereckten Handydisplays auf Konzerten nicht in den Griff zu kriegen. Mir geht das jedenfalls auch gehörig auf den Sack, so dass ich Thomas' Verärgerung verstehen konnte.

Fazit
Nach 80 Minuten durften die Fans bereits die Zugaben einfordern. Ein paar Minuten mehr hätten es im normalen Set schon sei dürfen, wie ich finde. Dafür hatten es die Zugaben dann nochmal in sich. "Dächer einer ganzen Stadt" war nämlich wieder ein Beispiel für exzellente Songverwandlung. Aus einer dieser Godoj-typischen Rocknummern wurde nämlich nun eine absolut "Kuschelrock"-taugliche Ballade gezimmert. Großartig. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kamen hier Erinnerungen an ROSENSTOLZ hoch, die so etwas ja auch beherrschten. "Magnetisch" wiederum ist einer der wenigen Songs des Thomas Godoj, die mir bislang überhaupt nicht gefallen wollten. Wäre die Nummer allerdings gleich in der hier präsentierten "leisen" Version aufgenommen worden, sähe das anders aus, das klang nämlich wirklich prima. Mit "Soweit so gut" waren dann nach knapp 100 Minuten alle Messen und Lieder gesungen, das zufriedene Publikum dankte es mit großen Applauswellen, doch die Band ließ sich zu keinen weiteren Zugaben überreden.

Meine Abneigung gegenüber Akustikkonzerten hat sich nach diesem Abend keineswegs gelegt. Ich brauche diese Art Shows wirklich nicht. Dennoch habe ich meine Entscheidung, für diesen einen Abend von meiner Einstellung abzuweichen, keineswegs bereut. Man kann eben einfach nur den Stecker ziehen und seine Lieder in Weichspüler packen. Man kann aber auch kreativ werden und das Songmaterial einer Radikalkur unterziehen, wie es Thomas Godoj mit seinen Musikern tat.f 20151018 1395819944 Was heraus kam, sind größtenteils hervorragende Neu-Arrangements, die Spaß machen, auch oder gerade live. Ja, diese überzeugenden Verwandlungen von ohnehin schon sehr gelungenen Titeln, dieses bewusste Herauskitzeln bestimmter Details, zeugen von viel Können und Professionalität. Dass bei dieser Art zu musizieren die glasklare, kräftige und tiefe Stimme des Protagonisten umso deutlicher zur Geltung kommt, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Dennoch muss ich sagen, dass ich nach gut einer Stunde unruhig wurde, denn bei allem Wohlgefühl vermisste ich auf Dauer dann doch mal eine ordentlich dazwischen grätschende Gitarre oder überhaupt etwas mehr Power auf der Bühne. Da kommen halt doch wieder der Rocker in mir und liebgewonnene Hörgewohnheiten durch. Aber das ist nur meine persönliche Meinung und soll keineswegs den insgesamt guten Eindruck schmälern, den das Konzert hinterließ. Zumal ich weiß, wenn ich das nächste Mal ein Godoj-Konzert besuche, wird wieder mit dem vollen Besteck gespielt und ich bin mir sicher, dann gibt es auch wieder ordentlich auf die Zwölf.

Setlist:
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Termine:
• 23.10.2015 - Hildesheim - Jim + Jimmy
• 25.10.2015 - Baden Baden - Rantastic
• 29.10.2015 - Remscheid - Klosterkirche
• 30.10.2015 - Glauchau - Stadttheater
• 27.12.2015 - Recklinghausen - Vest Arena
• 28.12.2015 - Mannheim - Alte Seilerei
• 29.12.2015 - Köln - Stadtgarten
• 30.12.2015 - Kaiserslautern - Kammgarn

Alle Angaben ohne Gewähr! Nähere Infos auf Thomas' Homepage.


Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Thomas Godoj: www.thomas-godoj.de
• Homepage der WABE in Berlin: www.wabe-berlin.de




Fotostrecke:

 
 
 
Vor der Show ...
 
 
 
 


TOM & SARA
 
 
 
 


THOMAS GODOJ & Band

 



   
   
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