000 20131215 2045669473
Ein Bericht mit Fotostrecke von Christian Reder





Jazz zum Frühstück ...


Wenn man das "Café Antik" in Castrop-Rauxel betritt, umweht einen gleich der Hauch von Nostalgie. Es braucht nicht einmal die Zeit, um die Jacke auszuziehen und seinen Platz einzunehmen, denn schon vorher fühlt man sich wie zu Hause. Das Gebäude, in dem dieses Café eingezogen ist, hat schon reichlich Jahre auf dem Buckel.a 20131215 1970591200 Das sieht man schon an der wunderbaren Architektur des Hauses und dem in seiner Urform belassenen Inneren. Hohe Decken mit Stuck, holzvertäfelter Eingangs- und Thekenbereich und der Charme längst vergangener Tage sind es, die einem auf den ersten Blick auffallen. Harald Krawietz ist Inhaber dieses Lokals und gleichzeitig Konditormeister, der die wohl leckersten Torten im Umkreis macht. Er hat sein "Café Antik" liebevoll eingerichtet, und er hätte dafür kein besseres Haus in dieser Stadt finden können als das, in dem es jetzt ist. Hier passt einfach alles. An den Wänden alte Fotos, Gemälde und allerlei antike Dekorationsgegenstände, wie z.B. Wanduhren. In der Ecke steht ein gemütliches altes Sofa und auch die Tische und Stühle haben einen antiken Touch. Der Gastraum war schon gut gefüllt, als wir gegen 10:30 Uhr das "Café Antik" betraten. An allen Tischen saßen schon Gäste - gut, dass wir uns Plätze haben reservieren lassen. Dass der Laden so gut gefüllt war, hatte auch einen Grund. Für diesen dritten Adventssonntag, an dem man beim Blick nach draußen schon am Morgen nur ein Grau in verschiedenen Farbstufen zu sehen bekam und an dem es obendrein auch noch von oben her nass wurde, hatte das MIROWI ENSEMBLE seinen Auftritt bei einem Jazz-Brunch angekündigt.

Beim MIROWI ENSEMBLE handelt es sich um ein Jazz-Trio, das aus einem Pianisten, einem Kontrabassisten sowie einem Saxophonisten und Klarinettisten in Personalunion besteht. Der in Dresden geborene und heute in Castrop-Rauxel wohnhafte Michael Ledig spielt in diesem Trio den Kontrabass. Ein riesengroßes Ungetüm an Instrument trug der Musiker da in die kleine Gaststätte hinein. Ledig studierte klassische Musik und Jazz an der Dresdner Musikhochschule. Mit der Dresdner Staatskapelle war er auf Tourneen u.a. in Ungarn, Japan und Österreich, aber auch in verschiedenen Jazz- und Rockbands, u.a. bei der Gruppe LIFT, war er als Bassist tätig. Mit dem Comedy-Duo KOKO & LORES bewegte er sich später auf einem ganz anderen Gebiet, und auch das sehr erfolgreich. An den Tasten ist der Dortmunder Wilfried Schewik zu Hause.b 20131215 1370075405 Der gebürtige Goslarer studierte Klavier an der Musikhochschule Detmold, Schulmusik an der Uni Dortmund und Jazzklavier bei Peter Walter (Folkwang Universität Essen). Der dritte Mann im Bunde heißt Roloef Posthumus und ist für die Blasmusikabteilung beim MIROWI ENSEMBLE zuständig. Posthumus ist gebürtiger Niederländer (in Groningen geboren) und wie seine beiden Kollegen auch studierter Musiker. Er besuchte verschiedene Konservatorien in den Niederlanden und studierte klassische und Jazz-Musik. Für den Feinschliff und die "Masterclasses" zog es ihn sogar in die Ukraine und nach Belgien. Heute ist er in Emmerich am Rhein zu Hause und gründete im Jahre 2008 das R.P. Swing-Orchester. Alle drei MIROWI-Musiker sind Profis und sie verbindet die Mitgliedschaft in dem eben erwähnten Swing Orchester. Das MIROWI ENSEMBLE gibt es seit ca. drei Jahren und man kann wohl sagen, dass es ein Ableger dieser großen Orchester-Besetzung ist. Es tritt mit einem anderen Programm als das große Orchester auf, und es ist musikalisch durch die Dreierbesetzung von Natur aus schon anders ausgelegt.

Der Jazz-Brunch begann aber nicht mit Musik, sondern mit einem deftigen Frühstück. Dazu war im hinteren Bereich des Cafés ein Buffet aufgebaut, das keine Wünsche offen ließ. Für jeden Geschmack war etwas dabei, und sogar ein Nachtisch für den süßen Zahn war vorbereitet. Inzwischen war das Café so voll, dass die Bedienungen kaum durch die Reihen kamen, um Kaffee nachzuschenken oder Getränkebestellungen auszuliefern. Trotzdem schaffte das emsige Personal die Wege durch die engen Reihen und keiner musste lange auf seine Bestellung warten. Das war super und klasse organisiert; das habe ich an anderer Stelle schon ganz anders erlebt!
Um 11:00 Uhr begann das Konzert des MIROWI ENSEMBLES. Michael Ledig stellte seinen riesengroßen Kontrabass auf und nahm es in seinen Arm. Dabei war nicht zu übersehen, dass das Instrument größer als sein Spieler war.c 20131215 2005119377 Ledig hatte aber in den nächsten zwei Stunden reichlich Gelegenheit zu zeigen, wer von den Beiden denn das "Sagen" hatte. Wilfried Schewik setzte sich hinter sein Keyboard, das auf Piano- bzw. Klavier-Modus eingestellt war, und auch Roloef Posthumus war startklar, als er sein Saxophon am Gurt befestigt hatte. Mit dem Duke Ellington-Klassiker "In A Mellow Tone" legte das Trio los, und schon bei den ersten Tönen wurde deutlich, wer bei diesem Jazz-Brunch der Hauptakteur werden würde: Michael Ledig. Der Mann brauchte kein Warmspielen oder sonstige Anlaufphasen - scheinbar in Gedanken versunken schlug und zupfte er ein erstes Bass-Solo, bei dem selbst seine beiden Kollegen lächelnd und angetan daneben standen und ihn machen ließen. Ein erster Szeneapplaus war der Lohn dafür. Es würde nicht sein letzter bleiben. Bevor die Musiker mit "For You" den zweiten Titel zu spielen begannen, begrüßte Wilfried Schewik das Publikum und stellte seine Kollegen vor. Der erste Teil des Konzerts bestand aus insgesamt vier Liedern, die von den drei Musikern sehr intensiv vorgetragen wurden. Immer wieder wurden Soli eingestreut, wobei - wie schon erwähnt - Michael Ledig die meisten Blicke auf sich zog. Immer wieder versank er in seinem Spiel und ließ seiner Kreativität freien Lauf. Jeder Zentimeter des Halses seines Instruments wurde beackert. Dazu bewegte er sich wie ein Tänzer. Unglaublich, wie aktiv der Mann mit seinem Instrument war. Stehen Bassisten sonst eher regungslos und manchmal auch emotionslos im hinteren Bereich einer Bühne, hatte Ledig eine unheimlich umfangreiche "Choreographie" zu bieten. Es fehlte eigentlich nur noch der "Telemark" und Ledig hätte wohl die Bestnote allein für den Bewegungsablauf bekommen. Das amüsierte manchmal nicht nur das Publikum, sondern auch seine Kollegen.
Nach "Softly As In A Morning Sunrise", einem von Sigmund Romberg im Jahre 1928 eigentlich für die Operette "The New Moon" komponierten Stück, das sich mit den Jahren aber zu einem Jazzstandard entwickelt hat, wurden wir von den drei Musikern erstmals in Weihnachtsstimmung versetzt. Es wurde der Song "Let It Snow", eines meiner absoluten Lieblingslieder in Sachen Weihnachtsmusik, angestimmt und in feinste Jazz-Musik gekleidet. Eigentlich ist das Lied im Original nur knapp zwei Minuten lang, aber Ledig, Schewik und Posthumus machten daraus ein mehrminütiges Stück, in dem man kurzerhand auch noch ein Klarinetten- und ein Bass-Solo untergebracht hat. Und auch hier durfte natürlich Ledigs Extra-Einsatz nicht fehlen.d 20131215 1648501721 Es folgte eine erste Pause, in der die Raucher ihrem Verlangen nach einem Glimmstängel nachgehen und der eine oder andere Konzertbesucher sein Glas oder seine Tasse wieder auffüllen lassen konnte.

Der zweite Teil des Konzerts wurde mit dem Lied "Philalètes" eröffnet. Es stammt aus der Feder von Heinz Herrmannsdörfer, und die Originalnoten dazu hat Roloef Posthumus vor ein paar Jahren von einem Berliner Musiker geschenkt bekommen. Kurz bevor dieser starb, hatte er all seine Sachen verschenkt. Noten, Instrumente, Andenken ... alles. Auch Posthumus gehörte zu denen, die dankbar etwas aus dem Besitz des Musikers annahm. Zu den Noten gab es auch noch einen Anzug aus der Zeit dazu, bei dem sich Posthumus noch immer fragt, was er damit anstellen soll - so erzählte er mir in der Pause. Weiter ging es im Programm mit dem Stück "Caravan" und "Sweet Georgia Brown". Wer glaubt, Jazz-Konzerte seien stocksteif und es ist dort kein Platz für "Spaß", der hat noch keins vom MIROWI ENSEMBLE erlebt. Nicht nur, dass die Musiker immer wieder mit dem Publikum in Kontakt traten und auf der Bühne untereinander scherzten und kommunizierten, zum Abschluss des zweiten Konzertteils verpflichteten sie kurzerhand das Publikum als Chor für ihre Version des Weihnachtsklassikers "Jingle Bells". Dazu wurden Textblätter verteilt, damit sich auch keiner damit rausreden konnte, er könne wegen fehlender Textsicherheit nicht mitsingen. Der einzige, der sich vor der Aufgabe als Mitglied eines Chores drücken konnte, war Café-Inhaber Krawietz, der schnell wieder in seiner Küche verschwand als er vom Vorhaben der Band Wind bekam. Das Ganze funktionierte aber auch ohne ihn, und (fast) jeder im Raum sang den Song mit. Danach wurden die Sänger und Sängerinnen in eine zweite Pause entlassen.e 20131215 1968444190 Diese war etwas länger als die erste. Wahrscheinlich wurde am Musikertisch noch schnell abgesprochen, mit welchen Liedern es weitergehen sollte. Eine Setlist hatte die Band nämlich nicht, denn sie entscheiden bei ihren Konzerten lieber spontan, was sie ihrem Publikum spielen möchten.

Um kurz nach halb Eins startete das Trio dann in seine dritte und letzte Runde. "Take The A-Train", eine Komposition von Billy Strayhorn aus dem Jahre 1939, die das Duke Ellington Orchestra in den 40ern des letzten Jahrhunderts als ihre Erkennungsmelodie verwendeten, eröffnete den dritten Teil. Ihm folgte das Stück "Hank's Holiday" mit einem starken Saxophon-Solo von Roloef Posthumus. Anschließend war es wieder Zeit für ein weiteres Weihnachtslied. Das Stück "Frosty the Snowman", arrangiert mit Klavier, Klarinette und Kontrabass, hatte ich bis dahin so noch nicht gehört. Und die Nummer ging richtig gut ab. An einer Stelle schien kurz der Faden gerissen zu sein (oder war es gar Absicht?), und in diese Lücke spritzte wieder Michael Ledig hinein und zauberte auf den vier dicken Saiten seines Kontrabasses ein weiteres Solo. Unglaublich gut! Wieder wurde der Mann - wie schon so oft in diesem Konzert - mit Szenenapplaus bedacht. Als nächstes stimmte die Band das Stück "Atlantik" an. Im Verlauf dieser Nummer zeigte einmal mehr Wilfried Schewik, was er aus seinen Tasten herausholen kann. Sein Solo brachte auch ihm einen Zwischenapplaus ein. Und weil die Klavier-Soli heute im Vergleich mit denen von Saxophon/Klarinette und Kontrabass ins Hintertreffen geraten waren, wurde kurzerhand ein ganz besonderes Solo eingebaut: Wilfried Schewik und Roloef Posthumus bedienten zusammen das Keyboard und verpassten dem Lied einen großartigen Schlussteil. Wow, was für ein Highlight. Mit solchen Highlights beendet man in der Regel ein Konzert, und damit wollten sich die drei dann auch schon von der kleinen Bühne verabschieden. Es war aber noch viel zu viel Feuer im Publikum, die natürlich noch einen weiteren Titel hören wollten. Die Band beriet sich kurz und legte mit "White Christmas" noch einen Weihnachts-Song oben drauf. Das Stück ist ziemlich ruhig arrangiert und mit eben diesen besinnlichen Tönen wollte die Band ihr Publikum dann endgültig entlassen. Doch das gelang nicht. Kräftiger Applaus und die Rufe nach einer weiteren Zugabe ließen die Musiker nicht weg.g 20131215 1752257018 "Bitte noch eins - noch nicht gehen!", hörte ich am Nebentisch eine Dame rufen. Dabei war gar keine weitere Zugabe eingeplant. Wilfried Schewik musste erst zum Bandtisch eilen, um im Notenordner noch einen zusätzlichen Titel herauszuholen. Das Notenblatt war schnell gefunden und bevor die Band losspielte, wünschte sie den Gästen ein schönes Weihnachtsfest und lud sie zu weiteren Veranstaltungen dieser Art im nächsten Jahr ins "Café Antik" ein. "In A Sentimental Mood" wurde angestimmt und dem Publikum als zweite Zugabe geschenkt.

Dieser Sonntagvormittag und die Idee, einen Jazz-Brunch zu besuchen, waren eine gute Wahl. Die Idee an sich, ein Konzert mit einem Brunch zu verbinden, ist schon klasse, aber sie muss auch mit einem ansprechenden Programm zum Leben erweckt werden. Jazz ist schließlich nicht gleich Jazz, das sollte man schon wissen, bevor man sich zu einem Konzert dieses Genres begibt. Beim MIROWI ENSEMBLE kann man aber eigentlich nichts falsch machen. Es ist diese fröhliche Art, wie die drei Musiker ihre Musik präsentieren, und die gelungene Auswahl, die das Trio so sympathisch macht. Sie machen Jazz lebendig und hauchen ihm Leben ein und zwar so, dass es ein breites Publikum anspricht. Immer wieder tritt einer der Drei in den Vordergrund, spielt eine Improvisation abseits des Notenblattes, und macht den gerade gespielten Titel somit zu etwas Einzigartigem, das es nur an diesem Tag zu hören gibt. Das Repertoire des Trio besteht ausschließlich aus internationalen und nationalen Jazz-Standards der 40er und 50er Jahre und die musikalische Umsetzung ist dabei - wie eben erwähnt - sehr abwechslungsreich. Besonders bemerkenswert ist, dass die Musiker ihr Publikum wirklich mit dem ersten Ton abholen und es durch ihr Programm begleiten. Die Verbindung der Band mit seinen Konzertgästen funktionierte, und so wurden gerade die Weihnachtslieder durch das Einbeziehen des Publikums zu einem von vielen Highlights des zweistündigen Programms. Mehr davon!



Über diesen Bericht könnt ihr in unserem Forum diskutieren.




Bitte beachtet auch:

- Off. Homepage vom MIROWI ENSEMBLE: www.mirowi.de
- Off. Homepage des R.P. Swing-Orchester: www.rpswingorchester.de




 
 

   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.