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Bericht:
Fred Heiduk

Fotos:
Sandy Reichel






Die Sixtinische Madonna
Ich denke, jeder Musikfreund kennt das: Es gibt Stücke, um die einmal live zu erleben, man einige Mühen auf sich nähme. Gar nicht so selten handelt es sich dabei um große, konzeptionelle Werke, die in ihrer Gänze nur selten oder gar nicht mehr aufgeführt werden, aber ihrer musikalischen Qualität wegen Legenden und Ikonen der Musik sind. Ein solches Stück stand am 4. Mai 2013 in Halle auf dem Programm der Georg-Friedrich-Händel-Halle. Die Gruppe electra führte in der Saalestadt ihre Rocksuite "Die Sixtinische Madonna" aus dem Jahre 1979 auf, jenes Monumentalwerk, das in den letzten Jahren unter recht spektakulären Bedingungen aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wurde.

Viele kennen den 2. Satz der Suite, "Das Bild" und dessen Einleitung, Orlando di Lassos "Io ti voria", das von Bernd Aust so meisterhaft in das Werk eingearbeitet wurde, da der Titel seit Jahr und Tag fester, fast unverzichtbarer Bestandteil der electra-Konzerte ist. Doch die gesamte Suite haben sicher nur wenige Musikfreunde jemals live erleben können, da eine Menge dazu gehört, einen großen Chor, ein sinfonisches Orchester und eine Rockband für eine Aufführung unter einen Hut zu bekommen. So gab es dann auch nur eine Handvoll Aufführungen in der Zeit der Entstehung dieser Suite sowie einige wenige Aufführungen in den letzten Jahren. Die Geschichte der "Wiederentdeckung" der "Sixtinischen Madonna" war dann auch geradezu kurios, wie BERND AUST in Würdigung der vielen Beteiligten der Hallenser Aufführung zu berichten wusste. Seinen lobenden Worten zum Aufführungsort und zum Veranstalter kann und möchte ich mich ausdrücklich anschließen. Der Veranstalter, Känguruh Production aus Halle, war einer der wenigen Veranstalter in Deutschland, der den logistischen Aufwand und damit auch das finanzielle Risiko rund um die Aufführung der Suite nicht scheute, sondern bereit war, diesem Meisterwerk des Classic Rocks einen würdigen Rahmen zu geben, indem man es vielen Interessierten als Liveaufführung in einem perfekten Ambiente, einem großen Konzertsaal, zugänglich machte. In gewisser Weise trug man so auch etwas zum Nimbus des Werkes bei, wird die Hallenser Händelhalle doch fortan einer der wenigen Orte sein, an dem dieses in gewisser Weise epochale Werk live zu erleben war.

Wohlfühlen schon beim Betreten des Hauses
Erfreulicherweise war der große Saal der Händel Halle bis in die oberen Ränge recht gut gefüllt, obwohl das Konzert an diesem Abend mit der Halle/Leipziger Museumsnacht einen harten Konkurrenten um die Publikumsgunst der Kulturinteressierten hatte. Die, die in die Händelhalle gekommen waren, erlebten einen großen, wohl sogar einen einmaligen Konzertabend und werden ihre Entscheidung keinesfalls bereut haben. Das Wohlfühlen begann sicher für viele bereits an der Abendkasse oder mit dem Saalpersonal. Die Mitarbeiter des Hauses erwiesen sich als ausgesucht höflich, kompetent und sie erfüllten den einen oder anderen "Extrawunsch" nach besten Kräften.c 20130509 1247562804 Für mich hieß das: Känguruh Production hatte dafür gesorgt, dass an der Kasse eine Fotoakkreditierung bereit lag und ich einen "Wunschplatz" zugewiesen bekam, von dem aus ich das Geschehen bestens verfolgen konnte und dennoch niemanden durch meine "Sprachnotizen" störte.

Eine gewachsene Unsitte
In diesem Zusammenhang seien mir auch ein paar Gedanken zum Thema Foto/Film in den Konzerten gestattet. In Zeiten moderner und hochempfindlicher Handys, Tablets und anderer technischer Hilfsmittel, wird man dieser Geschichte nicht mehr Herr. Es ist schon erstaunlich, wie viele größere und kleinere helle Flächen im Zuschauerraum über teilweise sehr große Teile des Konzerts hinweg aufleuchteten. Besonders störend dabei die, die nicht in der Lage waren, ihre Blitzprogramme abzuschalten oder dachten, ein Blitz aus 50 Meter Entfernung würde die Bildqualität verbessern. Ich empfand das als eher störend und verstehe nicht wirklich, warum dieser Volkssport derartige Ausmaße angenommen hat. Ich gehe zu einem Konzert, um die besondere Atmosphäre eines Livekonzerts zu erleben, um vielleicht die eine Finesse im Konzert zu erleben, die aus der Situation heraus entsteht und es so nicht wieder geben wird. Andere mögen da andere Beweggründe haben, aber in die Luft gereckte oder hell leuchtende Monitore in Blickrichtung verderben wohl vielen den Spaß gewaltig. Klar kann ich auch einige Beweggründe der "Knipser" nachvollziehen, gelegentlich bin ich sogar froh über diesen oder jenen Beleg, aber nicht selten bin ich entsetzt, mit welcher Dreistigkeit hier Grenzen und Regeln missachtet und überschritten werden. Es mag jeder für sich entscheiden, ob, wann und wie er sich diesbezüglich mit anderen Konzertbesuchern auseinandersetzt und ebenso, welche Konsequenzen sein Verhalten zeitigen kann, so er denn selbst zum "knipsen" neigt. Wie bei so vielem ist es bestimmt nicht das Schlechteste, wenn man sich hier und da ein wenig selbst begrenzt.

Das Konzert beginnt...
Aber zurück zum eigentlichen Konzert. Das sehr gastliche Haus öffnete recht früh seine Pforten und bot im Vorfeld viele Möglichkeiten, sich die Zeit bis zum Konzertbeginn zu verkürzen. Hier wurde in kleiner Runde miteinander geredet, dort wurde im Catering-Bereich etwas gegessen oder getrunken, viele erkundeten den Konzertsaal und tauschten sich über das zu erwartende Konzert aus. Kurz vor 20:00 Uhr füllte sich der Saal dann zusehend, bis um 19:57 Uhr das Licht gedimmt wurde, die Seitentür der Bühne aufging und 16 Orchestermusiker der Elbland Philharmonie Sachsen unter einem ersten Applaus die Bühne betraten, um anschließend ihre Instrumente zu stimmen. Nach einer erneuten Türöffnung betrat mit ANDREAS "BRUNO" LEUSCHNER der erste Musiker der Band die Bühne, nahm seinen Platz hinter seinen Keyboards ein und begann gemeinsam mit dem Orchester die Klassikadaption des Schlusssatzes von Bachs 2. Suite, der "Badinerie" zu spielen. Kurz darauf, noch in den bekannten Flötenpart dieses Stückes hinein, betrat wieder unter Applaus BERND AUST von der anderen Bühnenseite aus das Podium, um in den Titel einzusetzen. Der dritte Musiker electras war kurz darauf EKKEHARD "ECKI" LIPSKE, unmittelbar gefolgt von WOLFGANG "KUDDEL" RIEDEL, der mit FALK MÖCKEL, dem Schlagzeuger electras, auf die Bühne tanzte.

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Sieht man davon ab, dass noch ein Sänger fehlte, war electra damit komplett und wechselte kurz darauf fast übergangslos das Musikstück. BERND AUST tauscht seine Querflöte gegen ein Sopransaxophon, ECKI LIPSKE griff richtig in die Saiten und es erklangen die wilden, rhythmischen Klänge von Aram Chatschaturjans "Säbeltanz" in der Adaption, die electra früh sehr, sehr bekannt machte. Ist der Titel sonst schon beeindruckend, ist er gemeinsam von einer Rockband und einem klassischen Orchester gespielt geradezu eine Offenbarung. Ganz groß wirkten für mein Empfinden dabei BRUNOs Tasteninstrumente. Bei einer der von ihm gespielten Bridge zwischen den Bläserparts, vermeinte man einen großen Moog oder eine Hammondorgel von der Bühne zu hören. Dieses erzeugte Klangbild erinnerte mich irgendwie an die frühen Jahre der Band und damit die Entstehungszeit der Adaptionen. So klangen auch die berühmten Klassikanleihen von EKSEPTION, THE NICE, EMERSON LAKE & PALMER oder auch DEEP PURPLE. Zugleich wurde in diesen Parts auch erstmals deutlich, welch außerordentlich gute Akustik der Händelsaal hat. Bis zum letzten Platz war auch die kleinste Feinheit, gut zu hören. Ein tolles Ambiente für ein electra-Klassik-Konzert, das mich ein wenig an den Dresdener Kulturpalast erinnerte.

e 20130509 1408091276Mit Abschluss des "Säbeltanzes" betrat mit GISBERT KORENG schließlich auch ein Sänger die Bühne, und damit wechselte die Band von der Klassik zu den frühen Rockwerken electras. Als erstes erklang "Einmal ich, einmal du, einmal er", das das Publikum zum Mitklatschen des Rhythmus animierte. Ist der Titel in der üblichen Band-Fassung schon sehr wirkungsvoll, wirkte er speziell im Refrain durch die Untermalung des Orchesters und einen perfekten Satzgesang geradezu opulent. Entsprechend fällt der Beifall nach dem Titel aus. Da fehlte nicht viel und es hätte das erste Mal Standing Ovations gegeben. Stattdessen lauschte das Publikum den Worten von BERND AUST, der erklärte, warum die Band seit langem keine neuen Titel mehr produziert hat, was man aber in der neuen Musikszene - speziell im Westen Deutschlands - kaum vermisst habe und stattdessen solche überlebt geglaubten Titel wie "Vier Milliarden in einem Boot" angesichts von Szenarien wie in Nahost, Korea oder auch aktueller Steuervorkommnisse in Deutschland immer noch auf dem Spielplan stehen und ihre Bedeutung haben. Natürlich wurde der Titel dann gespielt und wirkte durch die Orchesterbegleitung ähnlich gewaltig, wie der zuvor. Zudem gab es ein erstes rockiges Gitarrensolo von ECKI LIPSKE zu bestaunen. Mit der Ankündigung des dritten Titels dieses Blocks erntete BERND AUST ordentlich Lacher. Er erzählte, die Band habe zu allen möglichen Anlässen, so auch zum Frauentag, Lieder geschrieben. Das folgende sei ein recht trauriges geworden. Auch wenn es im Saal - soweit er sehen könne - keine traurigen Frauen gäbe, das Publikum müsse da jetzt aber durch, denn schließlich habe man den Titel geübt und werde ihn jetzt auch singen. Das Publikum wusste natürlich längst, dass da die Rede von "Frau im Spiegelglas" war, mit dem GISBERT KORENG den Block früherer Bandtitel abschloss.

An diese Rocktitel schlossen sich ein paar der JETHRO TULL-Coverversionen an, für die electra bekannt und berühmt war und ist. BERND AUST startete mit "Bouree", jenem Bach-Werk für eine Laute, das durch die Interpretation IAN ANDERSONs zu einem Klassiker für Querflöte wurde und richtig bekannt ist.g 20130509 1252093465 Hierzu holte sich BERND AUST Verstärkung aus dem Orchester. SUSANNE GROSCHE spielt im perfekten Wechselspiel mit BERND AUST und veranlasste das Publikum zum wiederholten Male zu Szenenapplaus. Den gab es auch für einen in den Titel eingebauten tollen Basspart WOLFGANG RIEDELS. Der aufkommende und tosende Beifall nach dem Titel wurde nur dadurch gebremst, dass electra quasi ohne Überleitung zu "Locomotive Breath" überging, was allerdings für sich eine weitere Beifallswelle hervorrief. Dass der Beifall danach geradezu zum Orkan wurde, lag sicher auch ein Stück weit am einbeinigen Flötenspiel, das BERND AUST heute wohl noch öfter zeigt, als IAN ANDERSON.

Wurde der Titel schon sehr gut von GISBERT KORENG gesungen, setzte der bei "Still got the Blues", dem folgenden GARY MOORE-Klassiker von 1990, seiner Leistung an diesem Abend die Krone auf. So klingt es, wenn man Seele in einen Titel legt. Die Wirkung seines Gesangs wurde durch die sensationell gut passenden Streicher noch verstärkt. Dass ECKI LIPSKE hier zeigen konnte, was man mit einer E-Gitarre alles machen kann, muss man - glaube ich - nicht extra erwähnen. Der Vollblutgitarrist ließ seine Gitarre heulen, jammern und wimmern, bevor er aus ihr Töne wie ein Gewittergrollen holte, um sie wenig später wieder zur eigentlichen Melodie anwachsen zu lassen - ein Hörerlebnis der Extraklasse. Ob es am Blues an sich lag...? Mir wurde etwas wehmütig bewusst, dass man derartige Konzerte nicht mehr ewig wird erleben können. Einige der Protagonisten gehen auf die 70 zu und werden diese kraftraubenden Auftritte schlicht nicht mehr ewig durchstehen können. Aber an diesem Tag brillierte die Band zur Freude der gut 1.000 Zuschauer, als würde das Alter keine Grenzen setzen.

Ob es so geplant war oder es darum ging, die Stimmung nicht aus dem Ruder laufen zu lassen und den Zeitplan halbwegs einzuhalten, kann ich nicht sagen, aber die Band ließ dem Publikum erneut wenig Zeit zum Jubeln, sondern setzte ohne große Pause mit einem weiteren Klassiktitel fort. Der "Türkische Marsch" stand nun auf dem Programm. Der Titel wird von BERND AUSTs Querflöte dominiert, der ein paar Improvisationen einfließen ließ, die beim Publikum richtig gut ankamen. Musikalisch hervorzuheben ist die Perfektion, mit der die Melodie in der Band von Instrument zu Instrument weitergab.f 20130509 1108905902 Und dann begann der Saal doch zu kochen. Die Tür ging noch einmal auf und STEPHAN TREPTE betrat die Bühne. Er wurde euphorisch begrüßt. Den Vorschussapplaus bekam er völlig zu Recht, und revanchierte sich mit einer beeindruckenden Interpretation von "Nie zuvor". Speziell in die letzte Strophe legte TREPTE so viel Ausdruckskraft, dass man Gänsehaut beim Zuhören bekam. Die beste Live-Interpretation, die ich von diesem Titel gehört habe. Das machte er ganz unspektakulär. TREPTE braucht keine Mätzchen. Er überzeugt mit Größe und Können und beides zeigte er an diesem Abend. Dass die Band bei dem Titel mit einem exzellenten Satzgesang beeindruckte und das Publikum weite Teile des Titels mit klatschte, ging gegen den Gesangspart TREPTEs fast unter. Das Publikum hätte ihn auf Händen getragen, beendete TREPTE den Beifall durch eine seiner Geschichten. Er leitet "Wenn die Blätter fallen" ein, indem er darauf hinweist, dass in der ersten Reihe bei electra nur Musiker über 60 stehen und dazu ECKI, weil der am ältesten von allen aussehe. Klar, dass das Publikum nun vor Lachen tobte. "Die Blätter" sind eines der Lieblingslieder TREPTEs. Da wundert es nicht, dass er ihn exzellent mit einer sagenhaften Ausdruckstärke sang. Er sang nicht schlechthin, er zelebrierte ihn sozusagen mit jeder Faser seines Körpers, ohne dabei in irgendeiner Form albern oder gekünstelt zu wirken. Seine großartige Stimme ließ er zum Ende des Titels, als er die abschließenden Vokalisen des Stücks gegen die Fulminanz des Orchesters und BERND AUSTs Saxophon sang, noch einmal richtig klingen.

Wie schon mehrfach zuvor bleibt nicht viel Zeit zum Jubeln. Das nächste, das die Aufmerksamkeit des Publikums in Anspruch nahm, war ein Solopart von Schlagzeug und Bass. WOLFGANG RIEDELs Einlage mit dem Cellobogen ist zwar nicht neu, er spielt jedoch bis auf ein paar markante Melodieteile immer wieder etwas anderes. Hin und wieder rätselte ich deshalb, ob er nun Motive von Rockklassikern anspielt, wobei ich nicht "Hernando's Hideaway" meine oder ob er alles frei improvisiert. Gleich wie, er macht es beeindruckend. Und dann war der Moment gekommen, für den wohl die meisten in die Händel Halle gekommen waren - die Aufführung der gesamten Suite "Die Sixtinische Madonna". BERND AUST, der musikalische Schöpfer des Werkes, berichtete von der Geschichte des Stückes und ihrer musikalischen "Wiedergeburt", bei der der große Chor von Hoyerswerda eine besondere Rolle spielt. Er erzählte, dass er ursprünglich skeptisch war, ob Schüler und Laien das Werk würden wirklich umsetzen können, sich aber schnell von der Akribie der Beteiligten anstecken ließ und schließlich zum 500. Geburtstag von Raffaels Gemälde das Werk in Dresden erstmals nach Jahren wieder mit dem Chor, Band und einem klassischen Tenor aufführte.d 20130509 1353092421 Er vergaß auch nicht, denen zu danken, die jetzt weitere Aufführungen ermöglichten, wie eben Kanguruh Productions in Halle, die wohl, ähnlich wie die Band, erst an das musikalische Erlebnis gedacht haben, als an ihr betriebswirtschaftliches Ergebnis, als man der Aufführung in dieser eindrucksvollen Kulisse zustimmte. Das genüge dann auch, um nach dröhnendem Applaus für die Veranstalter andächtiges Schweigen im Konzertsaal zu erzeugen, das schließlich von den ersten Tönen der Madonna und dem verhalten einsetzenden Chor beendet wurde. Die Zuhörer folgten gebannt jedem Ton und waren sich wohl durchweg des besonderen Augenblicks bewusst. Nicht wenige dürften auch dem Auftritt des Tenors JENS MÜRNER entgegengefiebert haben, prägte doch die Ausnahmestimme MANUEL VON SENDENs die Originalaufnahme nicht unerheblich. Die Unterschiede waren dann auch deutlich. MÜRNER meisterte die Höhen scheinbar noch leichter als VON SENDEN, klang dafür in den tieferen Passagen kehliger, als das Original. Alles in allem überzeugte er vom ersten bis zum letzten Ton mit seiner eigenen Interpretation, die sich aber ganz nah am Original bewegte und vor allem im brillanten Zusammenspiel von Solist, Chor, Orchester und Band überzeugte. Das traf auf die gesamte Aufführung zu, wo immer wieder große musikalische Momente zu erleben waren. Mir ging BERND AUSTs Saxophonpart zum Ende des ersten Satzes im Zusammenspiel mit dem ganzen Orchester besonders unter die Haut. Überragend, atemberaubend - einfach nur sehr, sehr schön. Der Bedeutung des Bildes angemessen möchte ich behaupten, auch wenn das sehr pathetisch klingt.

"Die Sixtinische Madonna" von electra ist schon ein herausragendes Werk in der Musikgeschichte Deutschlands, wenngleich wohl vornehmlich im Osten bekannt. Wer eine der Liveaufführungen erleben durfte, wird mir vielleicht Recht geben, wenn ich mich stellenweise an solch legendäre Momente der Musikgeschichte wie der Aufführung des Concerto for Group and Orchestra vom Royal Philharmonic Orchestra und DEEP PURPLE in der Londoner Royal Albert Hall erinnert fühlte. Auch wenn man beides nicht direkt vergleichen sollte und wohl auch nicht kann, sie stehen irgendwie doch gleichberechtigt in einer Reihe herausragender Werke, die Rock und Klassik miteinander verbinden. Und in Halle konnte man so einen denkwürdigen Moment der Musikgeschichte live miterleben. Das Publikum wollte genau das und so wurden die bekanntesten Passagen der "Madonna", also das vom Chor gesungene Madrigal Orlando di Lassos "Io ti voria", das mit diesem markanten, ausgehaltenen Gitarrenakkord in den zweiten Teil der Suite "Das Bild", mit seinem genialen Text von Kurt Demmler, übergeht, zum emotionalen Höhepunkt des Abends. Musikalisch beeindruckt aber auch der 3. Teil der Suite, den sicher weit weniger kannten. Ob der Schlagzeugpart zu Beginn, ob ECKIs Rockgitarrenvariation zum eigentlichen Thema der Suite, das er im Wechsel mit dem Orchester spielte, der 3. Satz bietet viele musikalische Feinheiten und steht dem bekannteren "Bild" insofern nicht nach. Die gesamte Suite hat wirklich etwas von epochaler Größe und wirkt das große Finale von Solist, Chor, Band und Orchester dann auch entsprechend opulent. Das Publikum schwieg geradezu benommen von dieser Gewalt einige Sekunden nach dem letzten Ton der Suite, bevor der Bann brach und die Gefühle mit minutenlangem Beifall und Standing Ovations freien Lauf ließen. Die Ovationen bekamen die Mitwirkenden auf der Bühne völlig zu Recht, wie ich fand. Es war eine geradezu perfekte Aufführung. In diesen Beifallsorkan hinein stellte BERND AUST noch einmal alle Beteiligten vor. So kam auch STEPHAN TREPTE noch einmal auf die Bühne und sicher ahnten da viele, dass nun noch ein weiteres Überwerk electras - sozusagen als Zugabe - auf dem Programm stehen würde. Dem war auch so.

Nachdem sich der Beifall gelegt hatte, griff ANDREAS LEUSCHNER in die Tasten und ließ die ersten Akkorde zu "Tritt ein in den Dom" erklingen, was prompt erneut Szenenapplaus brachte. STEPHAN TREPTE setzte ein, sang die getragenen, tieferen Anfangszeilen des Titels mit seinem unvergleichlichen Timbre, setzte die Coloraturen einzelner Takte in gewohnter Manier und steigerte seine Stimme entsprechend des bekannten Melodieverlaufs fast spielerisch, um dann entgegen der Urfassung die allerletzten Spitzen durch fallende Töne zu ersetzen. Das nahm dem Vortrag jedoch nichts von seiner Klasse, mit der er sich überaus passend an das zuvor gehörte Meisterwerk anschloss. Der wurde vielmehr durch die brachiale Stimmgewalt des fast 100 köpfigen Chores geradezu aufgewertet. Es ist wirklich ein Erlebnis, diese Version, die nur mit dem großen Chor überhaupt möglich ist, zu hören. Dass TREPTE das gestrichene hohe C nicht mehr so locker wie vor 40 Jahren singt, sollte niemanden verwundern. Er weiß, dass das nicht mehr geht und versucht, derartige Stimmakrobatik zu vermeiden. Also überlässt er sie denen, die dafür noch die Stimme haben und konzentriert sich stattdessen auf das, was ihn unvergleichlich macht. Er legt ein Stück Seele mit aller Intensität, die er zu bieten hat, in seine Stimme und macht die von ihm gesungenen Titel so zu wahren Preziosen.

Entsprechend feierte ihn das Publikum auch an diesem Abend wieder. Doch als hätten die Ovationen ihn beflügelt, setzte er gemeinsam mit GISBERT zu den besonders hoch gesungenen Tönen zum Ende des Titels an und schraubte sich in die Höhen, die einen Teil seines Ruhms begründet haben. Das Publikum tobte förmlich und fieberte dem Fortgang des Konzerts entgegen, zumal die Band bis auf "BRUNO" und STEPHAN die Bühne verließ. Den Schlusstitel leitete TREPTE dann in seiner unnachahmlichen Art und mit seinem typischen Humor ein. Er plauderte: "... es gibt Lieder, die passen zu allen Anlässen. Geburtstage ... Hochzeiten ... Begräbnisse ... die passen sogar hier her...". Der Saal brach in lautes Lachen aus und man hatte den Eindruck, STEPHAN hatte auch seinen Spaß an der gesamten Aufführung, was ihn vielleicht zu einer besonderen Gesangsleistung inspiriert hat. Denn die hat er in Halle gebracht. Für mich war er dabei im letzten Titel des Abends, den er zuvor so humorig angekündigt hatte, am stärksten. "Sieh in die Kerzen" sang TREPTE mit einer Intensität, wie ich sie lange nicht mehr bei ihm erlebt habe. Die einzelnen Details beschreiben zu wollen, warum mich gerade der Titel so ansprach, spare ich mir, zumal ich das gar nicht wirklich beschreiben kann. Es war eben ein unbeschreibliches Gefühl... Aber auf seinen letzten, fast 30 Sekunden ausgehaltenen, hohen Ton möchte ich dann doch noch hinweisen. Und zwar, weil TREPTE mir vor geraumer Zeit einmal sagte, er könne es kaum ertragen, sich wie ein alter Mann auf die Bühne zu schleppen, Töne nicht mehr zu treffen oder gar zu erreichen und anstelle perfektem Zusammenspiels in Beliebigkeit zu vergehen.h 20130509 1327016276 Ich kann ihm sagen, am 4. Mai 2013 standen auf der Bühne große Künstler, die mit Können und spürbarer Freude jeden Ansatz von altersbedingten Problemen hinweg fegten. Dass dabei keine ballettreife Choreografie auf die Bühne gezaubert wurde, störte die Zuschauer wenig, bekamen sie doch im Gegenzug ein einmaliges Musikerlebnis geboten, dass davon zeugt, dass Musikanten mit ihrer Kunst ein Stück Unvergänglichkeit schaffen können, wenn sie denn so groß ist, wie "Die Sixtinische Madonna" oder ein Titel, wie "Tritt ein in den Dom".

Mein Fazit
Es hat mich überaus gefreut, dass ich daran teilhaben durfte. Dieses Ereignis vorbereitet und gestaltet zu haben, dafür gilt es, electra, Känguruh Production, der Händelhalle in Halle und besonders auch der Elbland Philharmonie Sachsen und dem großen Chor von Hoyerswerda mit JENS UWE MÜRNER zu danken. Und ganz tief hinten im Kopf bleibt ein klitzekleines Stück Hoffnung, dass dieses geniale Werk vielleicht doch irgendwann einmal einem Teil unserer Mitbürger in Regionen südlich vom Vogtland und westlich des Harzes live zu Gehör gebracht werden kann. Dort soll es ja auch Leute geben, die Kunstverständnis besitzen.
Aktuell gibt es noch zwei Termine, bei denen man die Rocksuite live und in Gänze erleben kann. Am 13. Juli wird "Die Sixtinische Madonna" in Freiberg aufgeführt werden und am 26. Oktober in Cottbus. Wenn es irgendwie passt, sollte man als geneigter Musikfreund den Besuch eines der Konzerte ernsthaft erwägen. Es lohnen sich sogar weite Wege, wird man doch Zeuge eines der außergewöhnlichsten und für meine Begriffe überragenden Stücke der modernen deutschen Rockgeschichte.



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Live-Impressionen: