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Ein Konzertbericht von Christian Reder mit Fotos von Elmar Rahn



Wie beschreibt man einen Abend wie den gestrigen? Einen Abend, der vom Programm und den auftretenden Künstlern so herrlich frisch und amüsant, dessen Rahmenbedingungen allerdings eine Enttäuschung waren. Die Vorfreude auf diesen Tag war groß. Ende Dezember schrieb mir Hähle, dass er mich in Castrop besuchen kommen wird, denn er hätte einen Auftritt in Osnabrück und von dort aus wolle er den Abstecher nach Castrop machen. Als er mir davon erzählte, sagte ich ihm sofort zu, ihm in meiner Heimatstadt eine Auftrittsmöglichkeit zu beschaffen.b 20140224 1266378898 Gesagt, getan ... wir freuten uns seit Wochen auf das Treffen und den Abend. Für mich war es eine Premiere, sein Programm "Wir trinken Wein und dann..." zu erleben und überhaupt mal zu sehen, wie sich Hähle auf der Bühne macht. Auch freute ich mich auf die Kombination mit Fährmann, den ich von CD und als Gast in meiner Radiosendung von Januar schon kannte. Alles war vorbereitet für einen gemütlichen Abend mit Lesung und Musik.

Es war kurz nach 17:00 Uhr als wir das Brauhaus in Castrop betraten. Reges Treiben bereits im Veranstaltungssaal, denn Fährmann richtete gerade die Technik auf der Bühne ein. Es war eine große Freude, Hähle begrüßen zu können. Auch seine Freundin. Und natürlich auch Fährmann, mit dem ich ja noch so einiges vor habe. Es war eine herzliche Begrüßung und wir waren alle guter Laune. Fährmann und Hähle hatten bereits am Mittag einen Auftritt vor über 100 Leuten in Münster. Es schien ein guter Tag für die beiden zu sein. Bei einer Zigarette vor der Tür erzählte Hähle von seiner derzeitigen Tour, und wo es ihn schon alles hin verschlagen hatte. Seine Texte kommen sehr gut beim Publikum an. Dabei ist erotische Literatur nicht jedermanns Sache. Es muss also noch etwas anderes sein, was die Leute so fasziniert. Am Ende des Tages wussten wir alle, was es ist ... Hähle erzählte mir, dass sein Programm spontan entsteht. Er entscheidet auf der Bühne, welche seiner Texte er vorträgt. "Man muss immer schauen, was für ein Publikum im Saal ist", merkte er an. Er will sein Auditorium schließlich nicht überfallen, sondern es für seine Texte sensibilisieren, aufmerksam machen und begeistern. Er scheint seine Vorgehensweise gefunden zu haben und dieses Konzept geht auf.

cd 20140224 1563292512Den Abend eröffnete aber nicht der Hähle, sondern der Fährmann. Hähles Freund ist ein genialer Musiker, der mich schon mit seinen ersten gespielten Tönen an Bob Dylan erinnerte und doch eine unüberseh- und unüberhörbare Einzigartigkeit hat. Und er singt seine Songs in Deutsch, damit auch jeder sein Anliegen verstehen und aufnehmen kann. "Was ich brauch" ist der erste Song des Abends. Es ist schon bei diesem ersten Lied zu erkennen, welch musikalische Tiefe er nicht nur mit seinen drei (!) gleichzeitig gespielten Instrumenten erzeugen kann, sondern auch welch inhaltliche Tiefe in seinen Texten steckt. Da sitzt er auf einem Barhocker, die Schlägermütze tief ins Gesicht gezogen, die Gitarre spielend und darüber singend, was er "wirklich braucht". Die Textstelle, "... doch was ich brauch, das ist ein Stern | wenn Dein Himmel mal sein Blau verliert | Dass Du mich finden kannst | wenn's mal zu dunkel wird", allein birgt schon so viel Energie in sich, dass man gleich dieses "Zu Hause"-Gefühl bekommt. Es ist das Gesamtpaket aus Musiker und seinen Liedern, das ein warmes Gefühl erzeugt und bei dem man sich einfach nur gut fühlt. Er holt das Publikum gleich ab und die Zuhörer hängen an seinen Lippen. Die Melodie perlt von der Bühne und seine angenehme Singstimme erledigt den Rest. Das Lied, mit dem er uns empfing, war eine sehr gute Wahl, um den Abend zu eröffnen. Und so sind auch die anderen Lieder, die wir gestern Abend zu hören bekamen. Das wunderschöne "Vorstadtträume", das ich sofort wiedererkannte. Ein Lied über eine gescheiterte Beziehung und die Gefühlswelt danach. Einfach nur großartig! Ebenso wie "Fährmann", das Stück, das auch seine Doppel CD "Live in Briescht" eröffnet, und "Ohne Dich", das Fährmann ganz spontan auswählte, nachdem Hähle einen Text über eine gewachsene Abneigung dem Partner gegenüber innerhalb einer langjährigen Beziehung vorgetragen hatte. Überhaupt wählte der Fährmann seine Songs nach den voran gegangenen Texten aus, was ihm nicht immer leicht fiel, bei den Vorlagen, die ihm der Hähle mit seinen Texten lieferte. Fährmann löste diese Aufgaben ganz wunderbar.

d 20140224 1497979277Und dann natürlich Hähle. Nach dem ersten Song "Was ich brauch" war es Zeit für den ersten Block gelesener Texte. Andreas Hähle betrat die kleine Bühne und setzte sich an einen Tisch, auf dem nur eine Leselampe und eine Vase mit einer Tulpe standen. Schlicht, nicht ablenkend und der Sache nützlich. Wer braucht schon viel Schnickschnack im Rücken oder Drumherum, wenn er mit seinen Werken überzeugen kann. Getreu diesem Motto saß er an seinem Tisch. Sein Getränk darauf abgestellt, kurz in seinem Ordner geblättert und schon ging's los. Zu jedem seiner Texte hatte Hähle auch eine Geschichte mitgebracht, die er erklärend voranstellte. So hörten wir z.B. die Geschichte darüber, wie sein Text "Es ist Frühling" entstanden ist. Eine Dame bat ihn, etwas Passendes zur Jahreszeit zu schreiben, was er dann auch tat. Noch vor dem Vortrag dieses Textes stellte Hähle verwundert fest, dass sich diese Frau danach nie wieder bei ihm gemeldet hätte und er gar nicht wisse, warum ... Die Antwort darauf konnte sich jeder im anschließend von Hähle vorgetragenen Gedicht selbst geben. Es folgten weitere Texte aus Hähles Feder. Der Ordner ist dick, darin gibt's allerlei Geschriebenes. So z.B. "Sonne wecken" oder das wunderschöne "Die Liebe". Hähle outete sich gestern seinem Publikum gegenüber auch als jemand, der es in jungen Jahren mit der Treue nicht so genau nahm. So kam es, dass er mal mehr als nur eine oder zwei Freundinnen auf einmal hatte, die aber alle nichts voneinander wussten. Sowas funktioniert aber nur eine bestimmte Zeit lang, und so platzte die Bombe letztlich auch und es kam, wie es kommen musste. An seinem Geburtstag tauchten plötzlich alle auf einmal auf. Dies schon vor diesem Tag ahnend, schrieb er quasi als vorweggenommene Reaktion, nämlich den Verlust aller Freundinnen auf einmal, den Text "Der Dichter".e 20140224 1294282930 Mit Wortwitz und gut platzierten Pointen fing auch er das Publikum ein. Selbst dem Stück "Komm, lass uns eine rauchen", das - laut Hähle - überhaupt keinen Sinn hat und das aufgrund des Nichtrauchergesetzes entstanden ist, wurde vom Publikum andächtig gelauscht und geschmunzelt. Dem Text "Sexshop" stellte Hähle eine Geschichte voran, die er bei einer Lesung auf Europas größter Erotikmesse erlebt hat. Nicht nur diese Geschichte, sondern auch der Text brachte das Publikum zum Lachen. Als einzigen Prosa-Text las Hähle kurz vor Ende des Programms das Stück "Morgenspaziergang" vor. Hier ging es dann erstmals richtig zur Sache, was handfesten erotischen Inhalt betrifft. Mit dezent gewählten Worten begann die Beschreibung eines Morgens und eines Spaziergangs ans Meer mit einer Freundin, die den Hauptdarsteller des Textes ziemlich erregte. Im Verlauf des Textes steigerte sich nicht nur die Lust, sondern auch die Umschreibung des Geschehens bis hin zum Höhepunkt fand deutlichere Worte. Nach dem Höhepunkt bleibt bekanntlich bei vielen nur noch die Zigarette, die Hähles Publikum in Form eines weiteren Gedichts verabreicht bekam. Danach beendete der Berliner Textdichter sein Programm. Was die Zugaben betraf, so bezogen Hähle und Fährmann das Publikum mit ein: "Wollt Ihr noch einen Text oder lieber ein Lied?". Das Publikum entschied sich zwar für ein Lied, aber es war eines, an dessen Text Hähle mitgearbeitet und ihn mit Fährmann zusammen geschrieben hatte. "Meine Dunkelheit" - ein autobiographisch angelegtes Stück, bei dem wir ein letztes Mal in den Genuss eines großartigen Sängers und eines äußerst gelungenen Liedes kamen. Nach über zwei Stunden war dann Schluss.

Auf der Bühne erlebten wir gestern zwei Künstler, die sich blind verstanden und das, obwohl sie bisher nur selten zusammen spielten und sich die Möglichkeit dazu seit einiger Zeit nicht mehr ergeben hat, da beide inzwischen weit weg voneinander wohnen. Manchmal ging es zu wie beim Tennis, wenn der lesende Part mit dem musizierenden Part die Sprüche hin und her spielte.f 20140224 1516145912 Fährmann und Hähle sind beide sehr schlagfertig und kontern die Gags des Anderen auf dem Fuße. Da ist nichts einstudiert oder abgesprochen, das ist echt und authentisch. Hähle als vortragender Dichter verfügt außerdem über eine sonore, tiefe Sprechstimme, die für meinen Geschmack unbedingt in ein Synchron- oder Hörspiel-Studio gehört. Eine Dame an unserem Tisch war total fasziniert davon und merkte immer wieder an, wie gut Hähles Stimme zu seinen Texten passt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie Hähles Texte, von einem anderen "Vorleser" gesprochen, klingen würden. Abgesehen davon las Hähle seine Texte nicht nur, er legte auch sein schauspielerisches Talent hinein. Betonungen da, wo sie sein mussten, Übernahmen von Rollen innerhalb eines Textes gekonnt rübergebracht und überhaupt ein Erzähler, von dem man über den kompletten Verlauf des Abends weder Auge noch Ohr ablassen konnte. Fährmann rundete das Geschehen auf der Bühne perfekt ab. Der Mann begleitet sich selbst mit Gitarre, Mundharmonika und einem als Percussion-Instrument umgebauten Holzkasten (Kasten und die darin steckende Technik sind übrigens selbst gebaut). All das eingesetzt lässt der Musiker den Anschein entstehen, er hätte noch zwei Musiker neben sich. Es muss - glaube ich - nicht näher erwähnt werden, wie schwer es ist, allein eine Gitarre mit Mundi zusammen zu spielen, während man einen Song singend vorträgt.a 20140224 1562023373 Dazu noch die Füße einzusetzen, um sich selbst einen Beat zu geben, ist schon außergewöhnlich und kam richtig gut beim Publikum an. Dies konnte man auch daran erkennen, dass am Ende des Abends zahlreiche CDs vom Fährmann die Besitzer wechselten. Die Texte vom Fährmann sollte jeder für sich selbst entdecken. Das finde ich ganz wichtig, denn die Erlebnisreise am gestrigen Abend lässt sich nicht in Worte kleiden. Dazu empfehle ich den Erwerb der CD "Live in Briescht", die viele seiner Songs in Live-Versionen beinhaltet. Oder noch besser: Besucht eines seiner Konzerte und lasst Euch genauso verzaubern, wie es gestern (und das ist nicht gelogen) jeder im Saal war.

Es war ein echt gelungener Abend. Etwas enttäuscht war ich über das geringe Interesse des Castroper Publikums. War ich bei einem Klaus Hoffmann-Konzert vor ein paar Jahren in unserer Stadthalle schon geschockt, wie wenig Leute sich dahin verirrten, war ich es gestern umso mehr. In einschlägigen Foren und auch über Leserbriefe in Zeitungen kann man Beiträge von Leuten lesen, die sich über fehlendes kulturelles Angebot in unserer Stadt beschweren. Es wird sich darüber aufgeregt, dass nur noch Comedy und Volksmusik stattfinden, aber echte und von Herzen kommende Kunst keinen Platz hat. Bietet man dann sowas an, lässt sich kaum einer blicken. Dabei war die Veranstaltung durch die Tagespresse und das Fernsehen vorab gut beworben. Für mich war das gestern ein Moment, in dem ich mich für mein Castrop geschämt habe. Für die vielen Leute, die immer was zu Meckern haben, aber offenbar den Hintern von der Couch nicht hoch bekommen. Dieser Moment hält übrigens noch an!

Danke an Hähle und Fährmann, dass sie sich davon in keinster Weise haben beeindrucken lassen und ihr Programm mit Lust und spürbarer Freude vorgetragen haben. Das war klasse! Selbst schuld, wer sich das hat entgehen lassen ...



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Termine:

Hähle:
• 08.03.2014 - Berlin - SeppMaiers2Raumwohnung ("Wir trinken Wein und dann...")
• 13.03.2014 - Neubrandenburg - Seeperle (Lesung aus "Andre Dahlke - Gedichte")
• 09.04.2014 - Berlin - Insomnia Nachtclub ("Wir trinken Wein und dann...")

Fährmann:
• 08.03.2014 - Helbedündorf - Kunsthof Friedrichsrode (Band Konzert)
• 07.04.2014 - Gladbeck - Café-Stilbruch (Solo Konzert)
• 08.05.2014 - Dormagen - Café Seitenweise (Solo Konzert)
• 15.05.2014 - Bremen - Cantina Publica (Solo Konzert)
• 16.05.2014 - Hamburg - Kulturcafé 'Komm du' (Solo Konzert)

Alle Angaben ohne Gewähr. Nähere Infos auf der jeweiligen Homepage der Künstler.



Termine:

• off. Homepage von Andreas Hähle: www.andreas-haehle.de
• off. Homepage von Fährmann: www.faehrmann-lieder.de
• Homepage des Brauhaus Rütershoff: www.brauhaus-ruetershoff.de




 
 

   
   
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