"Du als Deutscher solltest auch deutsch singen"...

 

Achim Reichel

 

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Der Song "Kuddel Daddel Du" von Achim Reichel stammt aus dem Jahre 1991 und handelt von einem Seemann, der nach langer Fahrt wieder nach Hause kommt und voller Freude am Leben selbiges genießt. Aber es ist nur ein Hit des inzwischen 66-jährigen Deutschrockers, der seit über 50 Jahren in Sachen Musik unterwegs ist. Und doch zeichnet es auch ein bisschen das Bild von Achim Reichel selbst. Auch er ist voller Energie und Lebensfreude, singt immer gerne seine Lieder und ist rast- und ruhelos. Seine Songs handeln nicht selten von der Seefahrt und fernen Ländern ("Sansibar", 1991), von Verlierern ("Der Spieler", 1982) und manchmal geht's auch ins Lyrische ("Für immer und immer wieder", 1988). In seiner langen Karriere sind so manche Hits entstanden, die er erfolgreich platzieren konnte. Dabei ging er aber auch mal neue, vielleicht auch unbequeme Wege, indem er z.B. alte Texte neu vertonte. Sein Ziel war es, die alten Volkslieder am Leben zu erhalten, darum steckte er sie in ein zeitgenössisches Klangkleid. Volxlieder nennt er sie, und wer auch nur ein bisschen Ahnung von Musik hat, merkt schnell, dass genau DAS die deutsche Volksmusik ist, der Reichel da gerade neues Leben eingehaucht hat. Der Musiker gehört zweifelsohne zu den schillerndsten und wichtigsten Persönlichkeiten in der Deutschrock-Szene. Viele kennen ihn, viele lieben ihn, und alle - ob jung oder alt - haben großen Respekt vor dem, was er geleistet hat. Heute, am 24. November 2010, endet seine "Solo mit Euch"-Tournee, die ihn durch 24 deutsche Städte geführt, und auf der er wieder einmal zahlreiche Fans mit seinem Programm glücklich gemacht hat. Glücklich auch deshalb, weil "Solo mit Euch" ein ganz spezielles Programm ist. Reichel unternimmt mit seinem Publikum und mit spartanischer Instrumentierung eine Zeitreise quer durch seine persönliche Geschichte, erzählt Stories und Anekdoten aus all den Jahren und singt seine erfolgreichsten Lieder, incl. derer aus der Rattles-Zeit. So tief läßt kaum ein Künstler sein Publikum in sich hinein blicken. Am Ende seines Auftritts in der Leipziger Theaterfabrik am 18. November 2010 hatten wir Gelegenheit, mit dem großen Mann des Deutschrock und Pionier der deutschen Beatbewegung zu sprechen...
 

 

Achim, das heute war ja eines der ersten Konzerte auf der "Solo mit Euch"- Tour im Osten. Wie hat Dir Leipzig gefallen? War das vergleichbar mit den anderen Konzerten der Tour?
Du, ich bin mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo - wie soll ich sagen - ich mich nur noch frage: "Hab ich Spaß an einer Sache, oder wie oder was?" Alles andere interessiert mich gar nicht mehr so doll. Wenn ich Spaß habe, dann klappt das auch mit der Mugge. Für mich hängt das oftmals davon ab, wie so ein Laden klingt, denn jeder klingt anders. Heute zum Beispiel war das eine hohle Bühne. Da war also ein Resonanzkörper drunter. Dadurch kommen die Bässe beispielsweise ganz anders rüber als auf einem Gerüst oder einer Fläche. Das sind Sachen, um die sich vermutlich kaum ein Zuschauer Gedanken macht. Für mich ist das aber wichtig, weil ich ja 'ne ordentliche Vorstellung abliefern will. Egal wo ich spiele.
 
 
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Bist Du da so hart mit Dir selbst?
Ja, das bin ich schon. Es muss nicht immer alles klingen wie von 'ner Platte. Auch wenn die Zuhörer einem mitunter viel verzeihen, wie ich das ja im Programm erwähnte - ein gewisses Niveau muss ein Konzert schon haben. Was ganz wichtig ist: Ich versuche, das Publikum einzubeziehen, wodurch immer wieder unvorhergesehene Dinge passieren. Doch im Grunde bleibe ich der Chef. Ich mache mein Programm und die Zuschauer erwarten, dass das ein gewisses Niveau hat. Dem muss man gerecht werden, dann macht ein Konzert Spaß.

 

Da sind wir noch mal bei der ersten Frage. Wie gefiel es Dir heute?
Die ganze Tour bestand aus sehr schönen Konzerten. Ich lege Wert darauf, Kontakt zum Publikum zu bekommen. Hier war ich nah dran am Publikum, konnte es spüren. Da war alles echt. Das was von mir kam, genau wie das, was mir zurückgegeben wurde. Dazu hatten wir gestern einen freien Tag, waren ausgeruht. Für mich war das heute ein gutes Konzert. Das war Klasse. Wunderbar! (Wählte Achim Reichel vorher seine Worte durchaus merklich bedacht, kam die Aussage zum heutigen Konzert sehr spontan, ehrlich und glaubwürdig und wurde von einem verschmitzten Lachen gekrönt - Anm. d. Verfassers). Ich konnte keinen wirklichen Unterschied zu Konzerten irgendwo im Westen oder Süden feststellen.

 

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Osten, Süden, Westen… Du als Urgestein des deutschen Rocks bist geradezu prädestiniert. Verbindest Du mit Ostrock etwas Spezielles? Hast Du davon etwas mitbekommen?
Zunächst mal muss ich sagen, diese ganzen Unterscheidungen kann man machen und man hat sie auch gemacht. Aber ich mach die schon länger nicht mehr. Das läuft ja immer auf ein Vergleichen hinaus. Den mit dem, und diesen mit jenem. Dann beginnst Du zu bewerten. Der hat das und dieser jenes... Das ist mir zu blöd. Mir kommt es mittlerweile eigentlich nur drauf an, ob ich mich gut oder nicht so gut fühle, wenn ich etwas höre. Mitbekommen habe ich davon direkt eher weniger, aber natürlich verbinde ich damit etwas. Da ist zum einen die Tatsache, dass man im Osten näher an der deutschen Sprache war, als im Westen. Es wurde deutsch gesungen oder musste gesungen werden, als im Westen jeder noch versuchte, auf international zu machen. Die Wenigen im Westen, die es mit deutsch versuchten, wurden eher belächelt. Im Osten durfte man eben nicht in dieser ungezügelten Art drauflos machen wie im Westen. Daraus entstand dann ja wohl auch sowas wie eine Geheimsprache in der Musik oder zumindest doppeldeutige Texte. Ich kenne zwar nur wenige, aber die sind wirklich gut. Ich habe allerdings auch ein paar furchtbare Sachen gehört, die ich aber längst wieder vergessen habe. Aber das gibt es ja überall. Gute Musik und schlechte.

 

Ich hätte vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten, "Moscow" jemals live zu hören. Das war einer der größten Hits meiner Jugend. Weißt Du, warum das im Osten verboten war?
Nein. Wir konnten das überhaupt nicht verstehen. "Moscow" ist doch im Grunde ein harmloses Liebeslied oder sowas. Aber das war schon stark. Ein Lied auf dem Index, das hatte nicht jeder. Wieso ist es denn bei euch verboten gewesen?

 

Ich glaube, weil es in der DDR wohl weniger als Liebeslied bekannt war. Da wurde vor allem im Refrain was ganz anderes draus. Viele konnten weder Englisch, noch hat man den Text richtig verstanden oder verstehen wollen. Da ließ sich singen: "Moskau, Panzer steh'n vor Moskau oder... Bomben fall'n auf Moskau". Da machte man aus "But I've.." ein "Bombs drive..." und schon protestierte man gewissermaßen gegen die verordnete Freundschaft zur Sowjetunion. Dabei hatte man wohl eher den Prager Frühling und den 17. Juni in Erinnerung als den Weltkrieg. Das ist aber mehr Hörensagen und Vermutung als Wissen...
Ach so... Das klingt geradezu unglaublich. Für eine Aufnahme von damals oder was es dazu gibt, würde ich mich interessieren, auch wenn ich so einen Text nicht singen würde. Ich habe nichts gegen Moskau und die braunen Gespenster mag ich nicht.

 

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Du hast einen Wandel vom vielleicht international erfolgreichsten deutschen Rock- und Popstar der 60er und 70er zu Achim Reichel, dem deutschsprachigen Barden vollzogen. Warum? Was hat Dich bewogen, deutsch zu singen?
Das ist eigentlich ganz einfach. Ich bin irgendwann erwachsen geworden. Ich hatte früh schon sehr viel ausprobiert und erlebt und war für mich auf der Suche nach etwas Neuem. Da gab es zwei Alternativen. Die eine war, mir einen Arbeitskittel anzuziehen und irgendwas zu machen, damit die Butter auf's Brot kommt, und möglicherweise wenig Spaß dabei zu haben. Das wollte und will ich mir nicht antun. Da wäre ich nicht mit meinem Herzen dabei gewesen, egal was es gewesen wäre. Das hätte ich nicht gelebt. Die andere war, weiter mein Ding zu machen. Das, wo ich mich wohlfühle. Und das war und ist die Musik. Damals sollte es neue, andere Musik sein. Musik an sich ist ja sowas wie 'ne universelle Sprache. Ein Verständigungsmittel. Damit konnte ich mich immer ganz gut anderen mitteilen. Irgendwann hab ich das Gefühl gehabt: "Du als Deutscher solltest auch deutsch singen." Das ist 'ne wunderbare Sprache, in der man sich ganz toll ausdrücken kann... Texte können Musik unterstützen. Ich finde die deutsche Sprache sehr schön. Zudem hab ich mir gesagt: In England und Amerika versteht jeder Mensch jedes Lied im Radio. Rund um die Uhr. Jeden Tag, jeden Titel! Das muss man sich mal reinziehen. Weil in ihrer Muttersprache gesungen wird. Gleich ob Folk, ob Blues oder Rock. Jeder versteht die Texte. In Deutschland verstehen die meisten eben deutsch, bekommen aber sehr viel englische Texte vorgesetzt. Was spricht also dagegen, deutsch in Deutschland zu singen? Ich fand das Englischgesinge mit einem mal irgendwie kindisch. Ich suchte gewissermaßen auch nach meinen Wurzeln. Noch heute finde ich, dass ganz viel und leider zumeist auch die interessanteste Musik aus England und Amerika kommt. Trotzdem kommt es für mich nicht mehr in Frage, englisch zu singen. Als englischsingender Ausländer bist du da drüben immer ein Exot und hier einer von vielen, die sich mühen. Zudem haben deutsche Künstler aufgrund der vielen Brüche in der Kultur unseres Landes und des immer noch verklemmten und unsicheren Umgangs mit deutscher Kunst und Kultur, einen Job zu tun. Da ist etwas geradezubiegen. Das finde ich interessanter, als im englisch-sprachigen Raum ein exotischer Faktor zu sein. Zudem ist - wenn ich hier deutsch singe - ein Filter weniger drin. Wenn ich englisch singe, dann bin ich ein bisschen wie der oder der. Wenn ich deutsch singe, bin ich authentischer und werde auch so wahrgenommen. Mag sein, dass sich mancher der Kohle wegen die Mütze aufsetzt und in Englisch macht. Aber wenn man erwachsen wird und sich gegenüber ehrlich bleibt, muss man als Künstlernatur eins sein mit dem, was man rüberbringen will.

 

Woher stammt die Idee, klassisch-literarische Texte modern zu vertonen?
Das gehört zu meinem Versuch, die Vergangenheit mit der Gegenwart auszusöhnen, indem man beides miteinander verbindet. Dabei hilft es, alte Lieder und Texte mit heutigen Augen zu betrachten, und weniger zu versuchen, nachzuvollziehen, wie die mal gedacht oder gemacht wurden. Denn die Zeiten, in denen sie entstanden sind, sind vorbei. Da gab es womöglich ganz andere Prämissen für die, die diese Sachen gemacht haben, genau wie für die, die sie hörten. Wenn man sich nur damit beschäftigt, wie etwas mal gemacht und gedacht wurde, dann bekommt man bestenfalls heraus, wie sich etwas mal gehörte. Es heißt nicht, etwas muss sich für alle Ewigkeit so gehören. Einen modernen Umgang mit eigener Kultur und vor allem mit Volksliedern machen uns doch alle möglichen Länder vor. Ob England, Irland, Skandinavien, Italien oder Frankreich - die gehen alle mit Volksliedern so um, dass sie sie in ein heutiges Klangbild setzen. Melodie und Text bleiben erhalten, aber der Rest ist modern. Dadurch wird diese alte Musik neu und interessant, klingt für den Zuhörer vertraut und nicht wie aus dem Museum. Zudem werden dort oft Volksmusikelemente in ganz anderen Richtungen verwendet. Sowas konnte ich mir auch mit deutschen Volksliedern und Texten vorstellen. Die Beschäftigung mit diesen Themen, hat meinem Handeln eine sinnvolle Komponente gegeben, bilde ich mir ein.

 

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Du hast diesen Wechsel ja mit Bravour geschafft. Nun lässt Du eine der erfolgreichsten deutschen Musikerkarrieren in relativ kleinen Clubs Revue passieren. Warum kein ganz großes Publikum?
Ich mag es heute nicht mehr, in so Riesenhallen und Stadien zu spielen, wo das Publikum 'ne anonyme Masse ist. Das kommt mir mittlerweile falsch vor. Das hatte ich lange genug. Seit einigen Jahren ist meine Philosophie so: Ich will nur noch in solchen Läden spielen, wo die Nähe zum Publikum da ist. Weil die Musik, die wir alle so mögen, kommt nicht aus großen Hallen und so. Die kommt aus kleinen Klubs, Probenkellern, Kneipen und ähnlichem. Die großen Hallen, Stadien und sowas, das hat auch mit dem großen Abkassieren zu tun. Das muss ich gar nicht mehr haben, also lass ich das auch. Ich habe zunehmend das Gefühl, diese internationale Popmusik ist manchmal auch ganz interessant, aber es handelt sich dabei zunehmend um Globalismuskultur, und es geht vor allem um viel Kohle. Da sitzen Milliardenschwere Agenturen dahinter und bauen etwas zurecht, wo man geblendet davorsteht und sich fragt: Was hat das jetzt alles mit mir zu tun, außer dass man staunt, was alles an den Start gebracht wird? Gigantische Videos, ganze Orchester, Deutschland wird zuplakatiert. All den Rummel, weil man irgendein blödes Huhn durchkriegen will - das hat mehr mit Industrieproduktion als mit Kunst zu tun. Der Aufwand kann auch übertrieben werden und schadet dann mehr als er nutzt. Mir geht es viel mehr um die Botschaft, die ich rüberbringen will und da haben Großkonzerne meist wenig Interesse dran. Die wollen an die Masse ran und scheuen oft das Risiko, etwas Unkonventionelles oder Neues anzugehen. Ich meine zwar, dass das eine zeitlang sogar OK war, als man Rock- und Popmusik herausbrachte und entwickelte, aber im Augenblick behindert das oft die Vielfalt und auch die Individualität in der Musik. Ich mag das nicht mehr mitmachen. Irgendwann hat man das durchschaut. Dann bleibt ein ganz fader Geschmack oder man macht eben sein eigenes Ding.

 

Nicht mehr lange und Du wirst 67. In den letzten Wochen hast Du quasi jeden Tag ein fast 4-Stunden-Konzert gespielt. Wie hast Du Dich so fit gehalten? Hast Du ein Rezept?
Nein. Frag mich nicht. Da hab ich noch keinen Gedanken dran verschwendet. Ich denke, es liegt vielleicht auch daran, dass man mehr leisten kann, wenn man in seinem Element ist, wenn man das macht, wofür man möglicherweise geboren wurde, wo man sich wohl fühlt, als wenn einem etwas schwer fällt. Das ist so meine Vermutung. Denn Musik ist das, womit ich mich am liebsten beschäftigt habe und beschäftige. Da bin ich in meinem Element. Ob mir das geholfen hat, trotz teilweise ruinöser Lebensführung, einigermaßen fit und jung geblieben zu sein, dass kann ich nur vermuten. Ein spezielles Rezept hab ich jedenfalls nicht.

 

 

Interview: Fred Heiduk
Bearbeitung: kf, cr
Fotos: Pressefotos Achim Reichel (die Namen der Fotografen sind im Bildtext zu finden)
 
 
 
 

   
   
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