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Reinhard Lakomy

 

 

001 20130209 1557915249Mancher von Euch ist bestimmt mit seinem "Traumzauberbaum" groß geworden. Andere kennen und lieben seine elektronischen Instrumental-Stücke, die zwischen Anfang der 80er und 90er entstanden und erschienen sind. Aber vielleicht sind es auch die Lieder, die in den 70ern unter dem Namen "Reinhard Lakomy & sein Ensemble" entstanden sind, die bei diesem oder jenem eher einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Was auch immer es ist, Lacky hat Musik für Generationen gemacht und damit auch Brücken geschlagen. Der 1946 in Magdeburg geborene Komponist, Musiker und Sänger begann seine musikalische Karriere bei Klaus Lenz. Von dort wechselte er zu Günther Fischer, bevor er 1972 sein eigenes Projekt gründete. Dort kam es auch zu einer langjährigen Zusammenarbeit mit Angelika Mann, die bei uns auch schon zweimal "Gast des Monats" war. Ab 1978 entdeckte Reinhard seine Leidenschaft für das Komponieren von Kinderliedern. Gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Schriftstellerin Monika Ehrhardt, veröffentlichte er zahlreiche Kinderlieder, Hörspiele und Kindermusicals, wie z.B. den legendären "Traumzauberbaum". Die Arbeit für und mit Kindern ließ ihn bis heute nicht los. Zuletzt konnten sich die kleinen und auch großen Musikfreunde über seine CD "Kiki Sonne - Eine Sternputzergeschichte" und das dazugehörige, für das Planetarium Jena entstandene Familienmusical "Unendlich und Eins" freuen. Zwischen 1980 und 1991 komponierte und spielte Reinhard Lakomy instrumentale elektronische Musik und veröffentlichte damit die Alben "Das geheime Leben" (1981), "Der Traum von Asgard" (1982) und "Aer" (1991). Reinhard Lakomy kann inzwischen auf eine bunte und lange Karriere zurückschauen. Er zählte zu den erfolgreichsten Künstlern der DDR und wurde dementsprechend u.a. mit dem Kunstpreis der FDJ und 1984 sogar mit dem Nationalpreis der DDR (II. Klasse) ausgezeichnet. So interessant sich seine Biographie liest, so interessant war auch das Gespräch mit dem Musiker, das Andreas und Patricia in den ersten Tagen des Januar 2010 mit ihm geführt haben. Die beiden Kollegen trafen auf einen freundlichen Mann mit dem objektiven Sinn für's Reale und dem Blick nach vorne...
 

 
 
Reinhard Lakomy ist ja ein Mann mit ganz vielen musikalischen Gesichtern, einer, der viele musikalische Experimente unternommen hat. Es waren Lieder gewesen, Chansons, da war sehr viel Jazz dabei...
Im Prinzip fängt auch alles, was ich je gemacht habe, erst einmal beim Jazz an. Und das zieht sich praktisch durch mein ganzes Leben. Der Jazz ist auch etwas, von dem man nicht wieder los kommt. Dafür wird man geboren. Dafür habe ich auch mal unheimlich viel Klavier geübt. Der Jazz und die sinfonische Musik - das sind meine Wurzeln. Mit sinfonischer Musik meine ich alles das, was mit Bach, Beethoven, Schumann, Schubert, Brahms und anderen zusammenhängt.
 
 

Also das ganz klassische...
Ja, das ganz klassische. Ich bin kein Freund von Zwölfton- oder serieller Musik. Ich liebe zwar auch Ligeti und Penderecki und Georg Katzer, aber das hält sich bei mir in Grenzen. Sobald das in eine Schlechte-Laune-Musik abgleitet, in welcher man nichts Positives mehr darstellen kann, ist das nichts mehr für mich. Damit meine ich speziell die Zwölftonmusik oder auch den Free Jazz. Für mich ist der Free Jazz auch kein richtiger Jazz. Jazz muss für mich abgehen. Er muss swingen und er muss grooven. Ansonsten ist das für mich nicht gut.

 

Ich habe mit Free Jazz auch so meine Probleme. Und auch mit dem Schlager.
Bei Schlagern würde ich Deine Meinung nicht mal unbedingt teilen. Ein Schlager ist zum Beispiel auch "Strangers in the night". Die Titel, die heutzutage beim Jazz als Standards gespielt werden, waren alle mal Schlager. Es gibt auch deutsche Schlager, von denen ich sage, das sind bis heute Ohrwürmer geblieben und das sind auch gut komponierte Titel. Was ich wirklich hasse, das ist diese sogenannte volkstümliche Musik. Das ist auch etwas, was überhaupt nichts mit Volksmusik zu tun hat und auch nichts mit Schlagern. Das ist eine Art Nullachtfuffzehn-Musik. So etwas mag ich nicht. Das sollte man aber wiederum auch nicht verwechseln mit Volksmusik. Ich meine mit volkstümlicher Musik die Musik, die zum Beispiel im "Musikantenstadl" gebracht wird.

 

Das klingt ja auch alles gleich.
Erstens klingt das alles gleich. Es ist auch immer die gleiche Harmonik, weil diejenigen, die solche Titel komponieren, wahrscheinlich auch nicht sehr viele Harmonien drauf haben. Zweitens ist es eine Musik, die auch fast immer das gleiche Tempo hat. Für mich ist das so eine Art Verdummungsmusik, bei der ich mit gequälter Seele und fast körperlichen Schmerzen sofort die Fernbedienung in der Hand haben muss, damit ich diesen Sender wegzappen kann, auf dem sie gerade läuft. Das hat wirklich gar nichts mit Volksmusik zu tun. Wir haben zum Beispiel in Malaysia ausschließlich deutsche Volkslieder gesungen. Mit etwas moderneren Arrangements natürlich. Das klang hervorragend, wie meine Mädels das im dreistimmigen Satzgesang gesungen haben. "Wenn ich ein Vöglein wär" ist ein wunderschönes Lied.

 

002 20130209 1248547679Aber so etwas spielen die ja gar nicht in diesen volkstümlichen Sendungen.
Nein, so etwas spielen die da nicht. Weil die Leute, welche da auftreten, so etwas auch gar nicht richtig singen können.
Es waren also der Jazz und die sinfonische Musik, die mich geprägt haben, zum Glück. Irgendwann habe ich festgestellt, dass man mit den Instrumenten eines klassischen Orchesters bestimmte Klänge nicht produzieren kann. Ligeti hat das zwar versucht bei den Geigen und bei den Bläsern, aber das hat alles seine Grenzen. Das war der Grund, weshalb ich dann zur elektronischen Musik gekommen bin. Ich weiß gar nicht, wie man das nennen kann, was ich zuvor gemacht habe. "Heute bin ich allein" und "Es war doch nicht das erste Mal" und die anderen Titel dieser Art wüsste ich gar nicht einzuordnen.

 

Götz Alsmann würde sagen, es waren Jazz-Schlager. Zumindest bezeichnet er das so, was er macht.
Na, ich weiß nicht...

 

Deine Titel passten ja schon damals nicht wirklich in irgendeine Schublade, waren aber dennoch erfolgreich. Da war auf einmal so ein Mensch mit einer völlig untypischen Stimme für einen Sänger...
Ich habe mich auch nie selbst als Sänger bezeichnet. Ich benutze die Stimme wie ein Instrument. Es gibt auch Musikstücke, für die sich dieses Instrument überhaupt nicht eignet. Ähnlich wie in einem Orchester bestimmte Stimmungen zum Beispiel nicht mit einer Oboe dargestellt werden können, sondern eben nur mit einer Posaune. Wenn also diese Stimme, die ich habe, zu bestimmten Stücken nicht passt, dann setze ich sie auch gar nicht ein. Dann singe ich nicht.

 

Die Menschen fanden diese Stimme aber doch wohl sehr interessant bei Deinen Titeln.
Das, was ich damals gesungen habe, das hätte zu dieser Zeit vermutlich auch kein anderer singen können.

 

Und die Texte waren frech.
Es gibt kein Lied, welches ich vertone oder singe, bei dem der Text keine Bedeutung hat. Der Text hat für mich eine sehr große Bedeutung. Deswegen mag ich auch die Titel nicht, die im Fernsehen gebracht werden oder im Rundfunk, bei denen der Text gar keine Bedeutung hat. Das beste Beispiel ist "Modern Talking". Wenn man das übersetzt, dann kann man sich eigentlich nur noch fragen: Wozu haben die überhaupt einen Text? Es ist schon gruselig, was man da ab und zu hört. In der DDR gab es dafür ein Lektorat. Das ist auch gut so gewesen. Allerdings ist damit auch Schindluder getrieben worden durch die Leute, die in diesem Lektorat arbeiteten, indem sie sich manchmal Komponisten gegriffen haben und denen gesagt hatten, dass der Text, den die vorgelegt haben, schlecht wäre. Und dabei war der vielleicht nicht mal schlecht. Aber grundsätzlich fand ich das gut, dass da jemand etwas genauer hinschaut, bevor man einen Titel produziert. Ich würde mir das heute manchmal sehr wünschen.

 

Vieles hört sich leider einfach weg, auch durch die Überreizung im Angebot... Wie kamst Du denn zu den Kinderliedern?
Das war ein Zufall. Mich hat ein Regisseur gefragt, der eine Sendung für das "Sandmännchen" gestaltet hat. Die hieß "Der besondere Tag". Darin hat in jedem Film ein Kind ein Elternteil vorgestellt bzw. dessen Beruf. Ein Tankwart war zum Beispiel dabei oder ein Straßenbahnfahrer. Dazu gab es jeweils immer auch ein Lied. Und bei dieser Arbeit habe ich gemerkt, dass das etwas ist, was mir liegt. Und dadurch habe ich in mir den Wunsch verspürt, vielleicht sogar mal eine ganze LP mit solchen Liedern zu machen. Aber mein damaliger Texter, Fred Gertz, hat mich immer vertröstet. Er meinte, die Zeit wäre noch nicht reif dafür. Was er damit genau gemeint hat, das weiß ich bis heute nicht.me 20130209 1205250056
Dann habe ich Monika Ehrhardt kennen gelernt und habe festgestellt, dass sie, sozusagen in der Schublade, Texte hatte, die sie auf ihren langen Tourneefahrten als Tänzerin geschrieben hatte. So wie andere vielleicht Tagebuch schreiben, hat sie diese Texte geschrieben. Auch um nicht zu verblöden. Denn bei Tänzern ist diese Gefahr sehr groß. Das ist nicht abwertend gemeint. Tänzer sind eigentlich arme Würstchen, die im Prinzip wie Sportler nur dazu da sind, auf der Bühne Höchstleistungen zu bringen. Und um das zu erreichen, müssen sie alles, was sie können, einsetzen. Da muss vieles andere hinten anstehen wie leider eben auch das Buch, also die Bildung. Und mit dem Schreiben der Texte hat sie sich geistig rege gehalten. Sie hat ja auch nebenbei Kulturwissenschaften studiert. Und diese Texte hat sie mir irgendwann mal gezeigt. Der erste war, glaube ich, "Der Regentropfen Paule Platsch". Dann kam noch "Es war einmal ein König" und einige andere. Dann hatte ich noch "Das Lied vom Fliegen" und noch ein Lied, das als Duett mir Vroni Fischer gedacht war, mit einem Text von Fred Gertz. Mit diesen sieben oder acht Liedern bin ich zum VEB Deutsche Schallplatten gegangen, zum damaligen künstlerischen Direktor Hans-Jürgen Schäfer. Der fand das ganz gut, was ich ihm vorspielte und sagte: "Na, dann macht mal". Zu DDR-Zeiten war das wie ein Fünfer im Lotto gewesen. Das war ein Freibrief dafür, eine LP zu machen. Es war ja nichts da. Es war nicht genügend Pressmasse da. Dann brauchte man für die LP-Cover, die damals künstlerisch viel aussagekräftiger waren als heute diese CD-Booklets, Papier und Farbe. Und die mussten in der Druckerei in Gotha oft das letzte Rot oder das letzte Grün aus irgendeiner Ecke zusammenkratzen, damit die Cover überhaupt gedruckt werden konnten. Nun war die Herausforderung da. Wir wollten die LP eigentlich zu dritt konzipieren. Doch dann sagte Fred Gertz, er würde da doch nicht mitmachen. Denn er meinte, wenn das ein Hit wird, würden alle sagen, er hätte Monika Ehrhardt die Hand geführt. Und wenn es ein Flop werden würde, würden alle sagen: "Wie konntest du dich denn auch auf so ein Projekt einlassen." Für mich war das wie ein eiskalter Eimer Wasser. Dann bin ich wie ein begossener Pudel wieder nach Hause gefahren. Die Monika, mit der ich nun mittlerweile 33 Jahre verheiratet bin, war schon da. Ich habe ihr alles erzählt und sie sagte dann nur: "Dann mache ich das eben alleine." Ganz ehrlich, ich habe in diesem Moment gedacht: Was ist das denn für eine arrogante Kuh. Aber wir sind dann in den Urlaub nach Bulgarien gefahren, und als wir zurück kamen war die LP fertig. Mit allen Texten und Zwischenstücken. Das heißt, ich musste erst mal anfangen, diese Texte zu vertonen. Jetzt, im Endeffekt, weiß ich natürlich, dass dies das Wichtigste ist, was ich in meinem ganzen Leben gemacht habe. Bei allem anderen, was ich gemacht habe, wage ich zu bezweifeln, ob das wirklich jemand braucht. Was wir aber für die Kinder machen, das ist auch seit siebzehn Jahren hochwertige Ensemblearbeit. Wir spielen in Häusern mit Platz für über zweitausend Leute, ob nun im Dresdner Kulturpalast, im Berliner Friedrichstadtpalast, im Admiralspalast in Berlin, im Düsseldorfer Schumannsaal oder in Krefeld im Seidenweberhaus. Da haben wir etwas geschaffen, was in der Form kein anderer bis jetzt fertig zu bieten hat. Und was auch wirklich aus meiner Sicht für andere Menschen wichtig ist.

 

003 20130209 1403528875Das Projekt ist ja auch sehr beständig.
Ja, es ist beständig und vor allem in der Qualität nicht in irgendeiner Weise mit einer Kurve nach unten behaftet, sondern es geht immer nur nach oben. Das finde ich vor allem deswegen wichtig, weil ich eine große Angst habe vor dummen Menschen. Denn dumme Menschen sind gefährlich. Wenn unsere Kinder dumm gehalten werden durch das, was man ihnen tagtäglich anbietet - und es ist niemand da, der diesen Teufelskreis mal durchbricht, indem er mal etwas anderes zeigt -, dann werden wir eines Tages nur noch Trottel und Vollidioten haben. Also Menschen, die kulturell absolut unterbelichtet sind. Wer unsere Musik hört, der hört eventuell - eventuell - später auch mal einen Bach oder einen Beethoven. Das ist eigentlich mein Wunsch. Oder er interessiert sich auch mal für Jazz, was ja nun wirklich auch alles andere als dumme Musik ist.

 

Ein paar klassische und ein paar jazzige Elemente sind ja drin in diesen Programmen.
Genau. Ich möchte auf jeden Fall, dass der Horizont ein bisschen erweitert wird. Denn durch Poesie entwickeln sich ja auch bestimmte Synapsen im Gehirn. Ich bin ja der Auffassung, dass diese Aufnahmebereitschaft für Ungewohntes bei Kindern mit sechs Jahren schon vorbei ist. Da kann man danach machen, was man will. Wenn die Kinder es bis dahin nicht geschafft haben, auf einem gewissen Niveau zu sein, dann trifft das berühmte Sprichwort zu: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Das ist heute so wahr wie früher.

 

005 20130209 1335314320Wie viele Tonträger gibt es denn mittlerweile schon von diesem "Traumzauberbaum"-Projekt?
Insgesamt haben wir bereits zwölf Tonträger angeboten. Mal die Sampler und was dazu alles noch herausgebracht wurde, nicht hinzugerechnet. Ich meine jetzt nur die kompakten Werke.

 

Das sind ja alles abgeschlossene Geschichten. Die Liveauftritte habe ich selber nie gesehen. Ist das dann auch eine abgeschlossene Geschichte oder eher ein Mix aus allem?
Das ist auch eine abgeschlossene Geschichte. Das ist wie eine Art Musical mit vier Leuten auf der Bühne. Jetzt in einer ganz neuen Besetzung. Eine ist 21, eine ist 23, eine ist 44 und ich bin 64. Es ist also für Nachwuchs gesorgt. Es sind eigentlich drei Generationen auf der Bühne. Und drei Generationen haben wir auch im Publikum.

 

Da kommen also Oma, Opa, Mutti, Vati und die Kinder...
Manchmal kommen auch nur Mutti und Vati. Und manchmal kommen auch nur Oma und Opa.

 

Ganz ohne Alibi-Kinder?
Manchmal haben die auch noch Säuglinge im Arm. Da sage ich tatsächlich immer: Das sind Alibi-Kinder. Und das sind Erlebnisse, über die freue ich mich natürlich auch sehr. Das zeigt sich ja auch an den Reinhard-Lakomy-Schulen in Halberstadt und in Cottbus. Die wurden ja nicht nach mir benannt, weil ich so ein hübscher Mensch bin. Und auch nicht, weil ich die dritte Relativitätstheorie entdeckt habe. Oder die "Traumzauberschule" oder die "Wolkensteinschule", in der meine Frau gerade jetzt mit den Kindern probt. Das hat damit etwas zu tun, dass die Leute in den Schulen mit diesen Liedern arbeiten. Wir sind mit diesen Liedern in elf Schulbüchern vertreten. Das ist ein Zeichen der Anerkenntnis unserer Arbeit und unseres Anliegens.

 

a01 20130209 1640553588Wie empfinden Dich die Kinder denn so?
Ich bin einfach Lacky. Ich bin derjenige, der das Ganze in der Hand hält. Die Kinder kommen zu Lakomy und zu den Figuren. Sie kommen, um etwas über den Traumzauberbaum zu hören und um mitzumachen im Programm. Zuerst aber kommen sie zu Lakomy und dann kommt eine ganze Weile nichts. Ein Freund von mir hat mal gesagt, weil ich nun schon wieder die Besetzung gewechselt habe: Du musst deinen Leuten die zehn Gebote beibringen, "Du darfst deinem Chef nicht dumm kommen." Das waren sie schon.

 

Gibt es immer noch Nachfolgeprojekte?
Ja, klar. Das geht immer weiter.

 

Gibt es da eine gewisse Regelmäßigkeit?
Nein. Das hängt nur davon ab, wann meine Frau, die Monika Ehrhardt, mit den Texten fertig wird. Wenn sie fertig ist, gibt sie mir das Buch mit den Liedtexten. Vorher will ich das gar nicht sehen. Dann sage ich meine Meinung dazu. Wenn ich das dann alles gut finde und wir uns so lange gestritten haben, bis das in Sack und Tüten ist, fange ich an zu komponieren. Wir lassen uns da überhaupt nicht und von niemandem drängeln. Das ist auch etwas, worüber ich sehr froh und glücklich bin. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, gehen bei mir die Mundwinkel hoch nur aufgrund des Gedankens, dass mir kein Mensch etwas zu sagen hat. Das Einzige, worauf ich Wert lege, ist mein Publikum. Dass diese Menschen, nachdem sie unser Programm gesehen haben und unsere Tonträger gehört haben, sagen: Es gibt nichts Besseres als Lakomy. Das reicht mir. Die müssen mir nicht mehr erzählen, wie gut das war mit solchen Liedern wie "Heute bin ich allein" oder "So schön ist die Liebe im Wald".

 

004 20130209 1549604264Was aber auch sehr lustig war.
Ja, ich denk ja auch heute noch, dass ich das richtig gemacht habe. Bis ich irgendwann gesagt habe: Heute ist das letzte Konzert. Das Konzert war in der Dresdner Komödie. Da waren knapp siebenhundert Leute. Mehr passen da auch gar nicht rein. Es war ein sehr schönes Konzert. Die Leute waren gut drauf, wir waren gut drauf. Im zweiten Teil kam noch Axinia Schönfeld (www.axinia-schönfeld.de) hinzu und wir haben noch ein bisschen Jazz gemacht. Und wenn die Leute heute sagen: Das ist aber schade, dass der Lakomy das nicht mehr macht, dann ist das doch viel besser als wenn sie sagen würden: Um Gottes Willen, der macht das ja immer noch, wann will der endlich mal Ruhe geben.

 

Obwohl ich genau die zwei Lieder, die Du angesprochen hast, vor gar nicht langer Zeit, nämlich zum Neujahrskonzert der Jonathan-Blues-Band in der "Wabe" 2009 von Dir gehört habe.
Aber danach habe ich mit der Band Blues gespielt. Eigentlich ist mir das nicht mal recht, wenn ich dabei noch singe. Wenn ich mit so einer Band zusammen spiele, möchte ich nur Blues spielen. Dreckigen, räudigen Blues. Nichts anderes.

 

tzbp 20130209 1155307751Das machst Du aber noch ab und zu mit der "Jonathan-Blues-Band"?
Ja.

 

Irgendwann nach der Wende gab mir ein Freund mal eine Platte zu hören und meinte: Das ist richtig toll, das sind richtig gute Songs, ganz aktuell und sehr schön. Und das war eine Lakomy-Scheibe, nämlich die "6 Uhr 13-Bahn". Später habe ich dann erfahren, die ist überhaupt nicht gut gelaufen.
Nein. Das ist vor allem deswegen nicht gut gelaufen, weil das keine Radiostation gesendet hat. Die Platte hat einige ziemlich angekotzt. Das waren diese Wendehälse. Zum Beispiel ein Typ, der richtig FDJ-mäßig drauf war. Hoffmann hieß der. Der war bei VEB Deutsche Schallplatten zur Wende und hat zu mir gesagt: Unsere Menschen wollen so etwas nicht hören.

 

Diesen Satz kenne ich doch schon aus DDR-Zeiten.
Deswegen habe ich diesen Satz ja auch zitiert. Er hatte sich noch nicht durchringen können, ein anderes Vokabular zu benutzen. Soweit war er noch nicht. Aber er hatte den Hals schon so weit gewendet, dass er der Meinung war, das will gar keiner mehr hören. Das war ja auch beim mdr ungefähr so. Da waren Leute, die entweder ganz schnell die Kurve gekriegt haben und dort übrig geblieben sind oder sie kamen aus dem Westen. Und die wollten so etwas erst recht nicht hören.

 

Das war ja schon Kritik am neuen System.
"Im Casino brennt noch Licht" und so etwas. Ich hab denen ja den Spiegel vorgehalten. Zur Wendezeit gab es eine ganze Menge Leute, die eigentlich ihren Spiegel im Bad hätten zerhauen müssen. Damit sie nicht jeden Tag ihre Wendefresse oder ihren Opportunismus sehen müssen.

 

ensemble 20130209 1781127369Ist denn eine Platte mit Liedern dieser Art, also für Erwachsene, noch einmal geplant?
Um es gleich klarzumachen. Für Erwachsene ist gar nichts mehr geplant. Ich hab damit auch nichts mehr im Sinn. Das hat auch mit dem zu tun, was ich vorhin schon gesagt habe. Ich bin ausschließlich nur noch für die Kinder da. Weil ich der Meinung bin, dass die Erwachsenen sowieso genug haben. Die werden von allen Seiten beballert. Und was soll ich mich da noch hinsetzen und eine CD produzieren, die sich nicht verkauft, weil gar keiner weiß, dass sie überhaupt da ist. Ansonsten finde ich die Platte, die Du angesprochen hast, heute noch gut. Heute hätte ich sie vielleicht ein wenig anders gemacht. Damals war womöglich noch etwas zu viel Wut dabei. Heute wäre ich eher ein bisschen gehässiger.

 

Es ist ja ein Fingerzeig darauf, dass das andere System auch nicht wirklich funktioniert.
Nicht nur das. Ich habe mich gerade in der Wendezeit mit einem großartigen Tonmeister über dieses Thema unterhalten und sagte zu ihm: "Es haben sich doch einige Leute ganz schön verändert". Da hat er zu mir gesagt: "Die haben sich nicht verändert, die waren schon immer so und haben sich nur nicht getraut, das auch raus zu lassen". Damit hat er meiner Ansicht nach den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich bin auch verwundert über einige, die sich heute hinstellen und erzählen, wie mutig sie gewesen sind. Der Mut hielt sich doch bei den meisten Leuten sehr in Grenzen. Und ich kann auch für mich nicht behaupten, der Mutigste gewesen zu sein. Außerdem konnte ich schon zwölf Jahre vor der Wende in den Westen reisen und mir sehr genau anschauen, was da abläuft. Da sage ich auch ganz ehrlich: Ich hätte mich geschämt, wenn ich im Westen geblieben wäre. Mit einem Haus im Hintergrund. Ich hab doch nie Not gehabt. Wenn mein Konto jetzt unter 10.000 € geht, krieg ich schon nasse Hände vor Panik. Zu DDR-Zeiten habe ich mir darüber nie den Kopf zerbrochen, ob ich 1.000 Mark oder gar nichts auf dem Konto hatte. Das ging immer irgendwie weiter. Irgendetwas war da, was man machen konnte. Heute aber bedeutet das ja, dass man gleich alles weggenommen bekommt. Wenn du nicht mehr zahlen kannst, kommen die sofort, und alles ist weg. Solche Fälle habe ich auch erlebt in Kollegenkreisen. Das darf man mal nicht vergessen. Diese neue Freiheit ist nur Freiheit, wenn du genug Geld hast. Wenn du keine Kohle hast, kannst du mit der Freiheit gar nichts anfangen.

 

vl 20130209 1717061418Vor kurzem ist der Franz Bartsch gestorben...
Damit komme ich, ehrlich gesagt, nicht klar. Ich hatte mit einem sehr guten Freund telefoniert, der in Rathen ein sehr schönes Hotel hatte und jetzt in Fuerteventura lebt. Aber der hat sich, bevor er nach Fuerteventura zog, noch in Deutschland einen Bypass legen lassen. Sonst wäre es ihm genauso ergangen wie Franz Bartsch. Bei ihm war das nämlich auch im Gespräch, dass da so etwas gemacht werden muss. Mein Freund sagte damals: "Was denkst du denn, wie das wäre, wenn ich in Rathen bin und da passiert mir etwas. Und dann vielleicht noch im Winter. Das dauert dann vielleicht anderthalb Stunden, bis dann Hilfe kommt." Im Prinzip hat es Franz genauso erwischt. Franz... mit 62. Franz ist der einzige Komponist, zumindest bezogen auf die DDR, vor dem ich richtig große Achtung habe. Er auch vor mir. Leider ist nach dem Bruch mit Vroni Fischer in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr groß etwas gekommen. Das ist richtig traurig. Franz ist ja erst vor kurzem, so vor ungefähr zwei Jahren vielleicht, nach Neustadt/Dosse gezogen, hat da ein Haus und lebt da mit Anke Schenker... lebte muss man ja jetzt sagen... und ich habe mein Boot an der Müritz, in Klink. Jetzt im November haben wir das letzte Mal miteinander telefoniert und ich sagte zu Franz: "Wenn ich wieder oben bin in Klink, dann komme ich mal bei dir vorbei und wir machen einen richtig schönen Saufabend." - "O ja", hat er gesagt, "das wird langsam mal Zeit, dass wir beide uns wieder mal über alte Zeiten unterhalten." - Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Mit Franz hatte ich gerne einen getrunken. Weil Franz auch ein ganz lustiger Typ ist... oder war.

 

Es gibt ja das Gerücht, dass irgendwer Dich geschickt hat, um Franz Bartsch zurück zu holen, als er in den Westen gegangen ist.
Das stimmt gar nicht. Ich wäre nicht mal auf die Idee gekommen. Bloß Franz hat das gedacht. Aber pass auf, da gibt es nämlich eine Geschichte dazu. Mit Andreas Bicking. Der hat mal eine Weile bei mir gewohnt. Und als der Klaus Lenz gerade in den Westen gegangen ist, haben wir uns da mal etwas ausgedacht. Nämlich, dass wir den Lenz in Westberlin so betrunken machen, dass wir den in den Kofferraum von meinem Saab stecken können und am Ostbahnhof auf irgendeiner Bank absetzen. Das ist Musikantenhumor. Franz war sogar dabei, als wir uns das ausgemalt hatten, wie Lenz plötzlich am Ostbahnhof aufwacht und keinen Pass mehr hat. Ich muss dazu auch sagen, ich hab ja mit Franz gerade gearbeitet, wir hatten ja große Pläne mit elektronischer Musik, als er drüben geblieben ist. Nun war der auf einmal weg und das hat mich, ehrlich gesagt, auch ziemlich angekotzt. Aber noch schlimmer fand ich andererseits, wie er behandelt wurde. Da war zum Beispiel dieser ekelhaft schmierige Dr. René Büttner, damals der Chef von Amiga, der die wahnsinnige Idee hatte, dass die neue Vroni-Platte Franz Bartsch und Günter Fischer machen sollen. Franz Bartsch hat bezogen auf Günter Fischer immer gesagt: "Das ist ein Musik-Ingenieur, das ist ja gar kein richtiger Musikant." Diese Meinung muss ich leider auch ein bisschen teilen, obwohl Günter Fischer in der Vergangenheit auch sehr schöne Lieder gemacht hat. Aber irgendwann ging ihm wohl der Treibstoff aus, ab dann war es für mich nur noch Gedudel. Und ausgerechnet mit dem sollte Franz Bartsch eine Platte machen. Dann kam noch dazu, dass Vroni Fischer ging und so hatte Franz keine richtige Basis mehr. Eine Reise nach Frankreich haben wir ja noch zusammen gemacht. Dann kam er plötzlich mit einer Französin an. Ich kam mir vor wie der Fahrer auf einer Hochzeitsreise. Wir sind dann noch zu den Eltern von dieser Jacqueline in die Bretagne gefahren. Das hat mich damals doch ein bisschen angestunken. Und Franz hat wohl damals gedacht, ich werde wahrscheinlich geschickt, um ihn auch betrunken zu machen, dann in meinen Kofferraum zu verfrachten und am Ostbahnhof wieder auszusetzen. So entstehen solche Geschichten. Ich bitte Dich. Ich bin doch nicht die Mama von Franz.

 

006 20130209 1975063095Aber besucht habt Ihr Euch trotzdem?
Ja, gegenseitig. Franz hat ja auch die Erlaubnis erhalten, hierher zu kommen. Damals mit der Roland-Kaiser-Band. Da ist er auch zu mir gekommen. Allerdings hat er mir dann Sachen vorgespielt, bei denen ich gesagt habe: "Franz, das bist doch nicht mehr Du. Was ist das denn?" Ich meinte: "Häng Dich doch bloß nicht in diesen Mist rein, den alle anderen auch machen - Du kannst doch ganz andere Sachen, die die nicht können." Aber irgendwie hat er da wohl keinen Interpreten gefunden, mit dem er seine Sachen hätte machen können. Er war ja Chef des Orchesters von Roland Kaiser. Wenn jemand Franz zu DDR-Zeiten angeboten hätte, für solch einen Sänger etwas zu schreiben, dann hätte er ihm eine in die Fresse gehauen.

 

Aber er musste wohl auch von irgendetwas leben.
Klar musste ich einsehen, dass er da auch Geld verdienen musste. Und das vielleicht auch noch auf einem entsprechenden Niveau. Was er gemacht hat, live auf der Bühne, das war auf hohem Niveau. Und Roland Kaiser ist ja auch nicht irgendwer.

 

Da Du es vorhin angesprochen hattest und bevor ich das vergesse: Elektronische Musik planst Du auch nicht mehr?
Was heißt elektronische Musik. Heutzutage ist ja alles elektronische Musik. Ich habe noch eine CD gemacht nach der Wende und dann habe ich festgestellt, es gibt Leute wie Sand am Meer, die so etwas machen. Bei den analogen Synthesizern war das ja noch so, dass man wirklich den Klang, den man wollte, selber kreieren musste. Heute geht man die Werkbänke durch. Da habe ich drei Monate lang zu tun bei solch einem Teil, um die Werksounds mal durchgehört zu haben. Das ist für mich nicht mehr interessant. Wenn ich etwas mache, dann sollte es für mich schon einzigartig sein. Keine Musik, die praktisch jeder machen kann. Daraus ziehe ich mich dann lieber zurück und mache etwas anderes.

 

Dann wünsche ich Dir noch sehr viele Jahre mit dem "Traumzauberbaum", auch Deinem Publikum in jedem Alter und danke Dir sehr herzlich für dieses Interview.

 

Interview: Andreas Hähle
Bearbeitung: kf, cr
Ältere Fotos: Reinhard Lakomy, privat, Redaktion (Patricia Heidrich)
 
 
 
 

   
   
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