Was macht eigentlich...
 

Gotte Gottschalk


Interview von 07/2009


 

Gotte Gottschalk hat die Musikgeschichte aus so vielen Perspektiven betrachten können und müssen wie kaum ein anderer Musiker aus dem Osten. Als Mitglied der Erfurter Gitarrenband "Rampenlichter" ist er einer der Gründungsväter des Ostbeat, als Bandleader der "Nautiks" geradezu legendär. Gotte ist ein Stück weit die Stimme der "Tagesreise" und überhaupt eine der profiliertesten Soulstimmen des Ostens.000main 20121215 1285652788 "Neue Generation" gilt als eines der interessantesten Musikprojekte des Ostens. Der Macher hinter der Band war Gotte. Gotte ist ein Musiker, der sowohl im Osten als auch im Westen beachtliche Erfolge vorweisen kann.-- left --- Zudem deckt er wohl so viele Genres ab wie kein zweiter deutscher Musiker. Er hat Titel von der Volksmusik bis zur Klassik erfolgreich gesungen, produziert und getextet und nebenbei unglaublich vielen Musikproduktionen im Background seine Stimme geliehen. Gleich was sich ihm für Probleme und Hürden in den Weg stellten oder gestellt wurden, ob aus der Politik, der Musikindustrie oder ob die Gesundheit ihm einen Streich spielte - Gotte meisterte mit Willen, Humor und immer wieder mit einer gewaltigen Kreativität und Vielfalt alle Höhen und Tiefen des Lebens. Im Folgenden ist zu lesen, was Heinz Jürgen Gottschalk, genannt Gotte, uns in einem der umfangreichsten, wie ich finde hochinformativen und wirklich lustigen Interviews zu erzählen hatte...






Ich habe gelesen, Gotte Gottschalk ist ein "stiller Star". Was sagst Du dazu?
(lacht) Dazu kann ich eigentlich wenig sagen. Eigentlich kann ich nur bestätigen, dass ich mich relativ zurück gezogen habe. Nach verschiedenen Einschnitten und Ereignissen konnte ich nicht sicher sein, ob und wie weit ich den ganzen Bühnenstress gesundheitlich bewältigen kann. Daher bin ich seit einiger Zeit recht zurückhaltend und genieße es, wenn etwas schön ist. Das hat mit meiner Krebserkrankung zu tun. Wegen der konnte und kann ich nicht wirklich an eine große Karriere denken oder daran, noch einmal voll durchzustarten. Ich musste nach der Erkrankung Maß halten, hab das nur in dem Maß gemacht, wie es meine Kräfte zuließen. Dabei haben mir super Freunde in Erfurt, meine Band VITAL, sehr geholfen. Die haben mich voll als Pflegefall aufgenommen und entsprechend behandelt (lacht) und gehen sehr pfleglich mit mir um, was mir wiederum gut bekommt.

Deine sehr schönen Lieder scheinen ein wenig vergessen, wie sehr bewegt Dich das?
(überlegt kurz) Na jaaa... Ich bewege mich heute auf anderen Ebenen. Im Radio mag wirklich vieles nicht mehr so oft laufen. Aber ich will mich gar nicht beklagen. (lacht) Kann ich auch gar nicht. Denn ich hab heut ja mehr Publikum als früher. Wenn wir mit der Band Rock meets Classic machen auf dem Domplatz in Erfurt, dann können das 50.000 Menschen erleben. Oder im Bergwerk in Merkers. Das sind schon besondere Veranstaltungen.

Du sprachst persönliche Schicksalsschläge an. Was wertest Du für Dich als Deine größten Erfolge?
Mein größtes Glück und insofern vielleicht mein größter Erfolg ist meine Familie... dass man Kinder hat, auf die man stolz sein kann (lacht), inzwischen sogar Enkelkinder - tja, das ist so meins (ist hier nun wieder sehr ernst). Das ist es, was mich die ganze Zeit die vielen Stürme des Lebens hat relativ - wirklich relativ - gut überstehen lassen. Und dann ist es sehr schön, dass man immer noch viele Freunde hat.

gotte 20121215 1491371872Ich hätte erwartet, dass der Sieg über Deine Krebserkrankung dazu gehört?
Natürlich. Auf jeden Fall. Heute erst, 10 Jahre nach meiner Erkrankung, kann ich das so sagen. Ich muss zwar noch ein paar Untersuchungen abwarten, aber ich habe das Gefühl, dass alles OK ist. (lacht)

Kann man das fühlen?
Ich habe zumindest damals gefühlt, dass das noch nicht der letzte Schuss war, dass es nicht zu Ende ist. Ich hab gefühlt, ich bin noch nicht dran. Das war einen Tag vor meinem 50sten. Jetzt darf zu meinem 60sten eine gute Message kommen. Aber so war das halt. Es waren sicher extreme Momente, die man da durchmacht, aber da war und bin ich nicht der Einzige, der so etwas erfahren hat. Wenn ich dann noch an kleine Kinder denke, die so etwas ja auch trifft, dort ist das ja noch viel schlimmer. Mit 50 hat man ja wenigstens schon einen Teil des Lebens gelebt, eine schöne Zeit gehabt, wenn es da Schluss gewesen wäre. Aber diese Kinder… Wie gesagt, ich wusste aber in dem Moment - Du bist noch nicht dran. Und ich hab Recht behalten. Ich hab noch mal 'nen Nachschlag für 10 Jahre bekommen und hoffe das war noch lange nicht alles. (lacht) Vielleicht wie die Frau Beate Uhse, die ja auch 30 Jahre bekommen hat.

Wie begegnest Du Problemen und Nackenschlägen, von denen es ja einige in Deinem privaten wie musikalischem Leben gab?
Die muss man zunächst mal immer wegstecken. Vielleicht bin ich krebskrank geworden, weil ich einer gewesen bin, der immer alles in sich rein gefressen hat. Einer der Probleme und so nur mit sich ausgemacht hat. Das war vielleicht lange Zeit der Fehler. Inzwischen hab ich gelernt, auch mal Dampf abzulassen. Und auch deshalb stehe ich wieder auf der Bühne. Ja und dann gibt's da noch einen guten Rat der Ärzte. Es ist so, dass sie mir nach meiner Krebsgeschichte empfohlen haben, zum Beispiel in Maßen dunkles Weizen zu trinken. Da ist in der Hefe alles mögliche drin. Vor allem Vitamin E als bester Radikalfänger. So trink ich also regelmäßig auf die Gesundheit ein Bierchen. Man darf's halt nur nicht übertreiben. Und mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden. Das hat jetzt 10 Jahre lang geklappt - so schlecht kann der Tipp nicht sein (lacht). Aber in Maßen ist wichtig!

Stimmt es also doch was die Medien sagen - ein "stiller Star"?
(lacht) Das entscheiden andere. Ich gebe meine beste Leistung. Aber von meiner Art gibt es sicher viele auf dieser Welt. Da bin ich nicht der Einzige. Ich bin halt nicht so viel in den Medien, weil ich die ganzen Kontakte in dem Sinne nicht so gepflegt habe. Ich bin nicht der Mensch, der das wollte und gekonnt hätte. Daher kann der Eindruck entstehen, ich sei still. Noch dazu, weil ich abgehauen bin, da war sowieso alles anders. Dann war ich der "Abgehauene". Das hing mir lange nach, machte vieles nicht einfacher. Sowohl in der Heimat als auch in der Ostrockszene. Es hat recht lange gedauert, bis dort wieder eine Annäherung erfolgte. Es wurde nicht drüber gesprochen, aber in mancher Hinsicht war man der "Verräter" (in breitestem sächsisch - lacht). Aber darüber kann ich nur lachen. Besonders, wenn ich mir im Nachhinein ansehe, wer sich da, auch nach so vielen Jahren noch, so alles als IM geoutet hat, da ist einiges schon tragisch. Andererseits sind das halt unsere Ostgeschichten. Sehr verstrickt, verzwickt und kompliziert. Gell?

gotte1 20121215 1550489251Was bedeutet es Dir, heute wieder auf der Bühne zu stehen?
Das macht richtig Spaß und das ist das Wichtigste. Da gebe ich und nehme ich. Dafür habe ich Studioarbeit und ähnliches eingeschränkt. Die habe ich hinten an gestellt, mache dies nur ab und an noch. Zumal sich das Business deutlich geändert hat. Es interessiert niemanden mehr ob man einen Titel abgibt oder nicht. Heute gibt es Teams, die ihre festen Partner haben, die die produzierten Titel dann verdealen. Und wenn Du in den Teams nicht drin bist, interessiert es niemanden ob und was Du machst. Wer einen Vertrag hat, macht etwas und das wird vermarktet. Frei eingereichte Titel werden in der Regel zurück geschickt. Selten, dass gerade bei Ostrock jemand Interesse zeigt. Etwas anders ist das, wenn man mit etablierten Größen der Szene - ob Textern oder Komponisten - arbeitet. Da bestehen dann zumindest Chancen, dass jemand auf einen Titel aufmerksam wird und man wirklich etwas veröffentlichen kann. Oder wenn ich mir die jetzt laufenden Fernsehsendungen zum Thema Ostmusik ansehe, dann stelle ich fest, dass da auch viele Musiker und Bands laufen, deren einziges Verdienst es ist, dass es alte Fernsehaufzeichnungen von ihnen gibt (lacht). Andere wichtige Gruppen, die von Staats wegen nicht gesendet wurden, fehlen zum Teil ganz, werden kaum erwähnt. Da kann man sich doch fragen, warum die Medien so verfahren wie sie es tun, wer sie beeinflusst oder lenkt. Das zumindest einige alte "Freunde" heute noch aktiv in Medien und Kulturpolitik sind, ist ja nun wirklich kein Geheimnis. Und wenn zu DDR-Zeiten die richtigen Kontakte und Beziehungen wichtig waren, dann sind sie es heute nicht ein bisschen weniger. Allerdings gibt es heute auch gravierende Unterschiede. Heute verbietet Dich niemand. Können kann sich durchaus auch außerhalb der gängigen Wege durchsetzen, auch wenn das unglaublich schwer ist und die Szene ist viel, viel breiter.

Was meinst Du? Warum kommen Künstler, die nicht mehr in den Hitparaden zu finden sind, in den Medien eher selten vor? Ich denke vor allem auch an solche Sendungen wie "...was macht eigentlich?" unlängst im Fernsehen, die ja hätte einige der ehemaligen Stars etwas aus dem Vergessen holen können.
Ich denke das liegt vor allem viel an den Redakteuren in den Medien. Das sind die, die solche Sendungen und Nachrichten konzipieren. Die einen haben Angst, etwas falsch zu machen und setzen auf wenigstens halbwegs bekannte Größen. Die anderen haben sozusagen ihre eigenen Bands, mit denen sie die jeweiligen Formate bestreiten. Ich meine damit nicht, dass sie selbst Musik machen oder gemacht haben, sondern dass Wechselbeziehungen zwischen den Medien und den Künstlern bestehen. Es setzen sich heute eher spezielle Methoden und Hartnäckigkeit von Management und Bands als deren Klasse durch. Und ich behaupte, dass man das sogar verallgemeinern könnte. Es spielt auch eine Rolle, dass viele Menschen Kunst und Kultur heute am besten geschenkt haben möchten. Und so wird dann mal 'ne Gratismugge hier mit einem Auftritt da verbunden, da wird Herr X oder Frau Y mal zu diesem, mal zu jenem Event eingeladen, dafür darf der Künstler oder ein von ihm empfohlener Kollege hier oder da auftreten. So entstehen auch Verpflichtungen, diesen und jenen zu präsentieren. Mitunter werden Künstler auch zu Paketen geschnürt und bilden sowas wie einen Pool. Wenn du den und den haben willst, musst du auch diesen und jenen mit engagieren. Und so kommt es, dass, wenn man sich rein auf die alten Heldentaten, auf Können und Niveau verlässt, mitunter sehr verlassen ist. Und je mehr Kohle und Einfluss dabei im Spiel ist, desto extremer sind diese Zusammenhänge. Zumindest kann man das gelegentlich so glauben. Die Vorgehensweise führt dazu, dass man zu allen möglichen Anlässen immer wieder die gleichen Gesichter sieht (lacht). Ich bin nun nicht der große Moralapostel und sowas ist auch nicht neu oder besonders verwerflich. Wir haben das doch in unserer großen Zeit im Grunde nicht anders gemacht, wenn wir konnten. Da wurden Herr X und Frau Y schon mal nach Berlin zu 'ner Fernsehsendung eingeladen, dafür haben wir im Klubhaus irgendwo drei mal spielen dürfen oder die Mugge an Freunde weitervermittelt. Das gab's eben auch und von daher will ich das auch nicht verurteilen. Natürlich wäre es schön, auch mal wieder etwas mehr im Rampenlicht zu stehen, aber das ist gar nicht so wichtig für uns. Uns geht es ganz stark um den Spaß auf und vor der Bühne, den Spaß an der Musik und den haben wir. Um präsenter zu sein, müsste man viel Kraft und Geld aufwenden. Geld haben wir keins (lacht) und meine Kraft brauche ich für die schönen Momente auf der Bühne und für meine Familie. Dafür setz ich mich voll ein. An den Hebeln ziehen und Schrauben drehen müsste für uns wer anders, den ich noch nicht kenne.

Wo liegen für Dich die Gründe für diese Entwicklung?
Die Zeiten sind heute halt anders. Auch die Helden sind andere. Heute kann jeder zu Hause am Computer seine Sachen bearbeiten und machen. Wenn jemand glücklich ist, dass er ab und an mal auf der Bühne steht, tagsüber eben arbeiten geht… Das ist auch in Ordnung. Mein Sohn zum Beispiel ist mit seiner Musik in Japan und einigen Ländern durchaus bekannt und erfolgreich, geht aber brav täglich hier in Deutschland arbeiten. Ausschließlich von Musik leben können ja zunehmend weniger Künstler. Und wenn, dann ist der Ruhm oft schnell wieder vorbei.gotte2 20121215 2047680994 Die Zeiten haben sich eben geändert. Heute bestimmen das alles ein paar große Konzerne und die wollen ständig neue Namen und Gesichter. Qualität und Können sind da nicht immer so wichtig. Da wird der Titel von dem noch mal aufgenommen, das Sternchen singt dies noch mal und dann alles noch mal recycelt. Die nutzen ihre Strukturen bis zum Äußersten aus.

Das ist doch eigentlich dramatisch, oder?
Nö! Das ist gar nicht dramatisch. Das ist einfach, so weil das Volk, die Mehrheit der Menschen eben einfach so sind. Kaum ist jemand mal etwas länger nicht ganz oben, verfolgen sie schon den nächsten Helden. Und Medien reagieren ganz extrem darauf. Allerdings, wenn es dann doch noch ein paar Menschen gibt, die eine andere Wertigkeit für sich haben und einen der alten Helden Respekt und Anerkennung spüren lassen, dann ist das für uns alte Helden schön, dann schätzen wir uns glücklich. So ist es und das muss man akzeptieren. Für uns ist es etwas sehr Schönes, zum Beispiel in Erfurt auf dem Domplatz zum Krämerbrückenfest zu spielen. Da kommen die Leute und freuen sich, dass ordentliche Musik gemacht wird. Und ich glaube, die machen wir. Diese Momente und den Umstand, dass wir ein großes Auditorium haben, genießen wir halt. Und solange die Stadt Erfurt sowas noch finanzieren kann, was ja in Zukunft auch alles in Frage steht, weil einfach keine Kohle mehr da ist, solange wollen wir das auch weiter machen. Ich kann jeden nur herzlich zu unseren Auftritten einladen. Denn je größer das Publikum, je mehr Leute Spaß an dem haben, was geboten wird, desto mehr Spaß macht es auch uns. Dann haben alle was davon.

Gab es da andere Zeiten?
Aus meiner Sicht schon. Und es war bedeutend einfacher zu arbeiten. Vielleicht auch, weil es nicht so einen aufgeblähten Apparat gab, der um die Musik herum existierte. Als wir anfingen, gab's Musik nur im Radio. "All you need is love" war die erste weltweite Übertragung im Fernsehen überhaupt. Bei all den Dingen waren wir dabei, haben das erlebt und wollten das leben. Heute ist vieles anders geworden. Es gibt unglaubliche Möglichkeiten durch Computer und moderne Technik. Das Spektrum der Musik ist zudem enorm weit geworden. Und so finden eben auch viele Leute ihre Beschäftigung damit. Wenn es sein muss, erfinden sie eine neue Richtung. (lacht) Natürlich gibt es auch positive Beispiele. Leute, die wirklich gut sind. Aber es ist eben wirklich schwer, sich in der Branche durchzusetzen und dann da auch halten zu können.

Wenn Du sagst, es gibt gute Leute, an wen denkst Du?
Na ja. Da gibt es erfreulicherweise gerade eine ganze Reihe deutscher Musiker und Gruppen, die es in die Charts geschafft haben. Von "Wir sind Helden" bis "Rammstein" oder gerade auch wieder "Ich + Ich". Allerdings verdienen selbst von den heute in den Charts platzierten viele nach kurzer Zeit kaum genug, um davon leben zu können. Sie tingeln zwar von Festival zu Festival, aber das tun eben 50 andere auch. Wenn irgendwer den Gig bezahlt, sind sie schon gut dran. Ansonsten ist es Promotion und die Hoffnung, dass der nächste Titel ein Hit wird oder sich die aktuelle Platte verkauft. Das war schon mal anders.

Dann lass uns mal schauen, was sich so alles in Gottes Musikerleben getan hat. Gibt es musikalische Vorbilder? Wie hat Gotte Gottschalk angefangen?
Mit Rock'n Roll und Gitarrenmusik hat das Musikmachen wirklich angefangen. Shadows und so, das waren unsere ersten Helden. Von den Beatles waren wir begeistert. Die waren jung und anders und wir waren infiziert.

Wie hast Du den Bogen vom frühen Rock'n Roll und Beat zum Schlager von Gabi Albrecht geschlagen?
Das ist 'ne ganz verrückte Geschichte. Es hängt damit zusammen, dass ich als 8-jähriger in Lederhose auf der Bühne stand und gejodelt habe. Das kam daher, dass meine Mutter, wie ihre ganze Familie, sehr volksmusikliebend war. Sie sangen mehrstimmig Volkslieder, spielten Akkordeon und Mundharmonika und was man an Hausmusik so machen konnte im und nach dem Krieg. Das hab ich natürlich auch mitbekommen und meine Mutter hat mich zur Musikschule geschickt, wo ich Akkordeon lernen sollte, allerdings auch Gitarrenunterricht bekam. Mein Vater hatte in amerikanischer Kriegsgefangenschaft Swing, Blues und Jazz kennen gelernt und hörte das im Radio, so dass ich auch diese Richtung kennenlernte. Als ich dann in die Sportschule kam, hab ich versucht die Musik zu spielen, die gerade angesagt war. Da hab ich auch Kerth kennen gelernt und zur Musik gebracht. Als dann die Beatles kamen, hat es uns voll erwischt. Wir identifizierten uns damit bis zum Haarschnitt (man kann Gotte geradezu schmunzeln sehen beim Gedanken an diese "Jugendsünden"). Wie die aussahen, haben wir uns in dieser Jugendzeitschrift der französischen kommunistischen Partei ansehen können. Die bekam man damals hier und da waren erste Fotos der Beatles drin. So wie die Kids heute Tokio Hotel anhimmeln, so haben wir dann die Frisuren der Beatles nachgeahmt und hatten prompt die ersten Probleme damit in Erfurt. Ponny und Rundschnitt, das ging nicht. Fasson, hochrasiert war angesagt (lacht) wie heute die Rechten, so hatte man damals auszusehen.

Für die Musik, die Ihr spielen wolltet, gab es ja keine Noten. In der Musikschule wurde sicher auch keine Rockmusik gelehrt? Habt Ihr Euch alles durch Hören beigebracht?
Nun ja... Zum einen war es wirklich so, dass wir, wo immer es ging, probiert und gespielt haben. In Trainingspausen, in unserer Freizeit, eben wo immer es ging. Das war wirklich vom Radio abgehört. Nicht nur die Musik, sondern auch die Texte. Das machten damals alle so. Einige singen heute noch nicht englisch sondern Kauderwelsch (lacht). Der Refrain musste stimmen. Der Rest, englisch klingende Worte aus dem Stehgreif entstehen zu lassen, war eigene Kreativität (und wieder sieht man Gotte schelmisch lachen). Fast wie die heutigen Rapper. Da es im Publikum auch kaum jemand verstand, war das nicht ganz so schlimm (lacht). Und dann hab ich mir von anderen Musikern viel zeigen lassen. Einmal bin ich so durch die Straßen gegangen, da kamen aus einem Fenster Gitarrenakkorde, die ich so noch nie gehört habe. Da hab ich geklingelt. Zu dem Musiker, der da ein bisschen Jazz spielte, sind wir dann oft gegangen um etwas zu lernen. Wir kannten ja nur DUR (lacht). So haben wir alles gespielt und uns gewundert, dass das nicht so klang, wie wir es wollten. Er zeigte uns die ersten Moll Akkorde, wie man vermindert und andere Sachen.

Noten konnte auch keiner?
Nee, anfangs nicht. Das war auch so ein Ding. Zur Einstufung musste man das eigentlich können. Wir haben so getan als ob. Hat nicht so viel geholfen, weil meine Schuhe nicht gut genug geputzt waren und wir beim ersten Mal wieder nach Hause geschickt wurden. Beim zweiten Mal bekamen wir ein "elementar / bedingt geeignet" und die Einstufung 2,50 die Stunde. Da haben wir dann als Band für 80 Mark gespielt und die Klubhäuser dick Kasse gemacht. Die Säle waren immer voll, weil wir ja die angesagten englischen Sachen spielten.

Trotz relativ geringer musikalischer und textlicher Kenntnisse gab es recht schnell Probleme.
Na ja. Wir waren halt völlig anders als die bestehenden Sachen. Angefangen haben wir mit Musik im Sitzen, so wie es alle Tanzorchester ja auch machten. Wir hatten keine Noten, daher brauchten wir auch diese Schilder nicht, auf denen die bei anderen Bands und den Orchestern ja lagen. Dafür standen wir dann irgendwann auf und die Zuhörerinnen flippten aus. Die haben wie bei den Beatles gekreischt und hüpften im Saal. Das passte den Kulturniks einfach nicht und da war's besser das zu verbieten, als sich damit auseinander zu setzen. Im Namen von Ordnung und Sicherheit… Da ja laut Ulbricht die Beatmusik nicht gebraucht wurde und die Erfurter Genossen besonders vorbildlich waren, wurden die zu Rampenlichter umbenannten Spotlights schließlich verboten. Das Thema verfolgte mich dann gerade in Erfurt weiter, da die Kulturfunktionäre ja langte auf ihren Stühlen klebten und sich an die "Störenfriede" erinnerten. Einige haben die Stühle sogar bis in die Neuzeit behalten. Es gibt Fälle, wo Söhne ihren Vätern im Amt folgten. Wobei, zugegeben, die Jungen nicht immer die schlechtesten Partner in der Szene sind und schon anders als die Alten agieren. Irgendwie mochten mich jedenfalls die Behörden nicht. Irgendwas gefiel nicht, ich eckte an und schon wurden wir wieder verboten. Meist wusste man gar nicht warum. Zum Beispiel die Rampenlichter, als wir, Kerth und ich, lebenslanges Zusammenspielverbot bekamen und 750 Mark Strafe. Für mich führte das zu den "Titans" mit Lodix, Lothar Wilke. Das war auf dem Land und ich dachte, da wäre jetzt Ruhe, ich könnte spielen. Aber auch die wurden verboten. Vom Landkreis dieses Mal. Dabei spielte unser Aufzug in einem Dorfumzug eine Rolle (lacht). Die Jungs der Band hatten jeder einen Oldtimer. Der Bassist hatte einen Opel P4, der Saxophonist einen Adler Cabrio, der Schlagzeuger einen alten BMW. Die waren auch unsere Tourbusse, unser Anlagentransporter, und, und, und…. Damit sind wir mit der Anlage auf dem Rücksitz in voller Montur,spotlight2 20121215 1755285166 das hieß weisse Hemden, schwarze Lederweste und Wyatt Earp Hut, Sonnenbrille auf, mitten in diesen Festumzug hineingeraten (lacht herzlich). Wir wollten zur Einstufung und landeten da mitten drin. Das war natürlich ein Fauxpas. Wirklich ungewollt! Prompt hatten wir natürlich wieder den größten Ärger. Anstelle einer Einstufung fürs Land bekamen wir ein Verbot. (Belustigt wie er das erzählt, merkt man, dass ihm dieser "Streich" heute, anders als damals, richtig Freude bereitet, Anm. d. Verf.)
Im Hintergrund ruft Gottes Frau: "Ihr wart cool." Gotte antwortet:
Wir fanden uns cool und wir waren es auch (lacht). Schon unsere Bühnenoutfits (lacht). Man musste ja Bühnenkleidung haben. Also haben wir uns second Hand alte Opa-Anzüge gekauft und die Hosen ganz eng umgenäht. Dazu einen schwarzen Frack und Beatlesstiefel. Wir fanden es mega cool. Oder dann später helle Jacken mit breiten Kragen, wie sie die Kinks anhatten. Wir waren immer trendy, wollten immer die Modernsten und für die Mädchen die Interessantesten sein. (lacht herzlich) Und wir haben Trends gesetzt, denn unsere Fans haben uns das ja nachgemacht.

Doch zunächst hattest Du ja mal wieder keine Band...
Stimmt. Nach der Titans-Zeit habe ich auch schon mal bei den Polars in Gotha nachgefragt und dort ein paar Einlagen in deren Programm gespielt. Die Polars waren damals durchaus bekannt und es gab Überlegungen da einzusteigen. Ist aber nichts geworden. Vielleicht war ich den alten Herren (lacht) zu jung. Jedenfalls wurde das nichts. So ging ich zu den Ricardos, aus denen dann wirklich die Nautiks hervorgingen. Zunächst durfte ich nur in einem Klubhaus, dem "Roten Berg", spielen. Sozusagen unter Bewachung. Die Klubhausleiterin hatte für uns gebürgt. Sonnabend Tanzabend, Sonntag Tanztee nur in dem einen Klub.

Wolltest Du nach dem Verbot der Rampenlichter und der Titans mit den Nautiks etwas ändern?
Zunächst wollte ich erst einmal wieder spielen. Die Ricardos waren ja 'ne echte Tanzcombo. Die hab ich dann nach und nach musikalisch umgekrempelt. Einige der Musiker hatten da wohl auch drauf gewartet. Wir waren schon recht verrückte Typen. Echte Musiker, die alle Klischees die sich darum ranken, erfüllen wollten. Vom Zigeunerleben über Alkohol zu Frauen. (lacht) Einiges klappte, anderes weniger (lacht). Und dann wollten wir wieder "In" sein. Da hat sich also nicht so viel geändert. Allerdings machten wir etwas andere Musik, da die sich ja entwickelt hatte. Nicht mehr nur Beatles, sondern auch Small Faces, Kinks und was gerade angesagt war. Und wir versuchten, nicht mehr überall anzuecken. Das gelang aber nicht alles. Wir wurden zwar nicht direkt verboten, aber dafür durften nach und nach einige zur Armee. Irgendwann auch ich. So kommt es, dass es sozusagen Nautik 1 und 2 gibt.

Das bringt mich zur nächsten Frage: TBA. Wofür steht das und welchen Stellenwert hat diese Gruppe?
(lacht) TBA ist die Abkürzung für Transportbataillon. Und so hieß die Gruppe, in der ich während meiner Armeezeit Musik machen konnte. Mit der Armee hat man mir ja auch wieder eine rein gehauen. Nicht genug, mich nach den Kollegen von den Nautiks zu ziehen, man schickte mich auch noch ans andere Ende der DDR nach Torgelow. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als wir mit den Nautiks den ersten Fernsehauftritt haben sollten. Notenbude hieß die, glaube ich, und war ein Vorläufer von Rund, der dann doch wieder abgesetzt wurde. Damals waren wir von Volkmar Andrä, der Redakteur bei dieser Sendung war, eingeladen worden. Kurz vor dem Termin wollte mich die Stasi engagieren. Der junge Mann, mit dem ich zu sprechen hatte, wollte, dass ich da mitspiele und drohte mir: "Wenn nicht, dann gehst du statt ins Fernsehen zur Armee." Ich wollte nicht mitspielen und hab nicht unterschrieben oder irgendwas. Also bekam ich ganz schnell meinen Einberufungsbefehl. Der Fernsehauftritt stand drei Tage vor der Einberufung an. Alles ging drunter und drüber. Meine Frau im 8. Monat schwanger. Meine Schwiegermutter schwer krank. Ich schon fast weit weg bei der Armee. In der Situation sind wir Richtung Berlin gefahren und hatten bei Magdala einen ganz schweren Unfall. Drei wirklich schwer Verletzte. Ich hatte nur eine Nierenprellung und Wirbelsäulenstauchung. Das Auto lag auf der Seite. Spaßig sag ich heute: Nur ein leises Räderrollen war noch zu hören, und zum Glück waren damals die Zeiten noch anders. Damals in Thüringen kam anderthalb Stunden kein Auto (lacht), so dass niemand in uns reinfuhr, sondern wir gerettet wurden. Das hat mich nicht verschont. Ich wurde zum Wehrkreiskommando geschleppt, wo man mir sagte: Sie werden bei uns geheilt! Und damit behielt der junge Mann Recht. Nicht Fernsehen, sondern Armee. In Torgelow bekam man mich nicht so recht fit, so dass ich 1½ Jahre innendiensttauglich geschrieben war. Natürlich wurde ich nicht ausgemustert, sondern durfte bis zum letzten Tag in Torgelow bleiben. Toiletten reinigen, Blumen harken und ähnlich schöne Beschäftigungen. Und am Wochenende, das war das Besondere, durften wir für Oberfeldwebel Bitzker Musik machen. Der stand immer wenn Neue kamen am Bahnhof und rief: Wer kann Musik machen? Die landeten dann in seinem Transportbataillon und durften Musik machen. Nach mir war zum Beispiel Neumi in dieser Truppe. Mit mir war Fred Uwe Peschke, der später bei Kreis am Schlagzeug saß, in der Band. Wir waren richtig gut. Luise Mirsch war es zu verdanken, dass wir sogar Plattenaufnahmen machen konnten. Mit dem G5 zum Studio Schwerin, um drei Lieder einzuspielen. "Du bist eine Blume" war kurioserweise mein kommerziell erfolgreichster Titel. Der lief so gut, weil er auf der ersten Hallo LP drauf war, die sich unglaublich gut verkaufte.

Luise Mirsch - welche Rolle spielte sie für Gotte und seine Musik?
Als sich Anfang der 70er die Kulturpolitik lockerte, zog Luise Mirsch durchs Land und suchte die verbotenen Bands zusammen. Die großen Namen wie Renft, Lift und Vroni Fischer verdanken ihr sicher eine Menge. Natürlich auch ich. Die TBA Geschichte haben wir ja schon besprochen. Vorher hatte ein alter Profimusiker Luise auf die Polars und die Nautiks aufmerksam gemacht. Wir durften Probeaufnahmen im Rundfunk in Weimar machen. Da kam extra ein Aufnahmewagen aus Berlin und nichts funktionierte. Wir spielten "Lichter in Deinen Augen" und "Ich steh allein in dieser Stadt" ein. Die konnte man zu meiner Sologitarre machen, weil technisch nichts ging. Bei einer zweiten Aufnahme war das dann besser. Da war Gabi Merz mit dabei, erinnere ich mich. "Wir gehen am Meer" haben wir eingespielt.

Bei den Nautiks spielten Musiker, die Dich zum Teil sehr lange begleiteten. Werner Zentgraf und Siegfried Hörger waren wichtige Stationen in Deinem Musikerleben.
Siegfried Hörger war bei den Rampenlichtern schon dabei. Nach der Auflösung gründeten wir dann mehrere neue Gruppen oder schlossen uns bestehenden an. Bei den ersten Nautiks war Siegfried anfangs nicht dabei. Aber bei der zweiten Nautiksbesetzung haben wir wieder zusammen gespielt. Das hatte auch mit der Kulturentspannung Anfang der 70er zu tun. Da war dann auch Werner erstmals mit in der Band. Sowohl die erste als auch die zweite Besetzung waren teilweise wirklich gute Musiker. Auch Micha Schwandt, den ich von den Polars kannte, war mal in der Band. Eine sehr kreative Zeit war das Jahr vor meiner Einberufung. Damals spielte Sany Tong bei uns Geige und Schlagzeug und Gabi Merz sang. Es ging alles recht gut los. Wir hatten Auftritte mit 2+1 und Skaldowie im Rundfunk und alles ließ sich wirklich gut an. Dann kam der Unfall und die Armee und alles änderte sich fast schlagartig. Dass es danach weiter ging mit den Nautiks, hängt mit Werner und Siegfried zusammen.

Spielten die Nautiks immer noch rein nach Gehör, oder gab es da bereits Musiktheorie, also Notenkunde, Komposition, Arrangement und ähnliches?
Die Nautiks spielten nach wie vor viel nach. Aber es gab auch erste eigene Titel. Für mich war Musiktheorie immer noch kein Thema. Ich hab zwar ein paar Titel mitentwickelt, aber theoretisch konnte ich das noch nicht. Musik kommt bei mir aus der Seele. Ich habe meinen Kollegen das was da durch meinen Kopf ging vorgespielt und vorgesungen. Und daraus wurden unsere Lieder. Da wir ja nicht so toll englisch sprachen, waren die eigenen Sachen deutschsprachig. Aber in der Gruppe gab es doch ein paar mehr Kenntnisse. Theorie wurde für mich erst in der Horst Krüger Band ein Thema. Dort wurde ausschließlich nach Noten gespielt. Für mich war das nicht ganz so tragisch, denn ich war da nur der Sänger und musste nichts spielen. Da man im Osten ja als Berufsmusiker eine Ausbildung brauchte, hab ich während der Zeit bei Krüger in Weimar an der Musikhochschule Musik studiert. Und da gehörte die ganze große Theorie natürlich dazu. Bis dahin war ich reiner Autodidakt. Bereut hab ich das Studium natürlich nicht, auch wenn ich zwischenzeitlich nicht mehr Gitarre spielen konnte. Die zwei Methoden haben mich so durcheinander gebracht, dass das nicht ging. Ich hab die Versuche nach Noten zu spielen auch schnell wieder sein lassen und spiele bis heute nicht danach, obwohl ich die Theorie mittlerweile beherrsche. Irgendwann gab's dann technische Mittel, so wie heute die Keyboardworkstation, mit denen ich komponiert habe. Allerdings entstand und entsteht auch am Computer das meiste akustisch und nicht nach Kompositionslehre und Theorie. Ich nehme das auf, was mir gefällt und der Computer gibt die Noten dazu aus. Nette Erfindung (lacht). Ich habe großen Respekt vor Menschen wie Horst Krüger, dem Notenfuchs, die sich an ein Klavier setzen, etwas spielen und das dann, klassisch sozusagen, direkt als Noten aufschreiben können. Das ist aber nicht mein Weg. Ich spiele Spur für Spur, Stimme für Stimme ein und mache daraus anschließend Noten.

Auf die Art kann man Lieder wie "Traum vom Baum", "Am Morgen" oder "Wenn ich auf dem Rücken lieg" schreiben?
Ja! Zumindest waren die Lieder irgendwann da und ich hab sie gespielt. (lacht) Die Melodien hatte ich im Kopf und dann hab ich dran gefeilt, bis es das war was ich mir vorstellte. Meine Lieder sind einfach passiert. (lacht) Sie waren einfach mit einem mal da. Die besten Ideen kamen mir oft, wenn ich gerade nichts aufschreiben oder spielen konnte. Beim Spazierengehen zum Beispiel. Um mir das merken zu können, hab ich oft ein Diktiergerät, heute mein Telefon, bei mir. Wenn ich dann eine Idee hab, singe oder summe ich auf der Straße vor mich hin. Um mir das besser merken zu können oft im bekannten englischen Kauderwelsch aus den Anfangstagen (lacht). Musik lässt sich zu Worten für mich am leichtesten merken. Die Ideen werden dann zu Hause weiter ausgearbeitet und ab und an zu einem neuen Lied. Einige Sachen hab ich mir auch einfach so gemerkt. Immer wieder im Kopf vor sich hin summen, bis man das einspielen kann. Da darf einem aber nichts dazwischenkommen, sonst ist eine Idee auch schon mal wieder aus dem Kopf. Es gab natürlich auch die andere Variante, dass ein Text vorgegeben war und ich eine Melodie dazu finden musste. Das war zum Beispiel für Gaby Albrecht öfters so.

Dein vielleicht bekanntester Titel ist "Wenn ich auf dem Rücken lieg". Wie lief das bei dem Titel?
Da hatte ich die Melodie und Ingeburg Branoner hat dazu den Text geschrieben. Um den zu entwickeln haben wir sehr, sehr viel miteinander geredet und irgendwann war er fertig. Ingeburg Branoner kannte ihre Künstler. Sie hat sie in Kategorien eingeordnet und konnte so, wie ich finde, recht treffende Texte zu den einzelnen Künstlern zuordnen. Mich hat sie eben irgendwann so gesehen, wie das in dem Lied erzählt wird. In wie weit das stimmt, steht auf einem anderen Blatt. Ich konnte ihre Lieder jedoch eigentlich im Großen und Ganzen immer gut singen, ohne mich zu verbiegen. Es gab aber auch andere Texter, die zu meinen Melodien Texte für mich geschrieben haben. Die beiden Lieder "Traum vom Baum" und "Am Morgen", die Du nanntest, da sind die Texte von meiner Frau. Das sind Texte, die sehr viel Intimität haben und wirklich viel von mir zeigen.

Jetzt haben wir einen Riesensprung gemacht. Lass uns noch einmal zum Ende der Nautiks zurück gehen. Wie kam es dazu?
Nach meiner Armeezeit belebte ich die Nautiks wieder. Doch da die Erfurter Freunde uns immer noch nicht vergessen hatten, suchte man einen Grund, uns ganz aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei kam die Dummheit eines der Kollegen den Jungs zugute. Eine Liste in Ungarn gekaufter Instrumente und die Käufer in der Szene wurde ihm und uns als schweres Zollvergehen vorgehalten und führte dazu, dass einige Kollegen ins Gefängnis gingen und andere hohe Strafen zahlen mussten. Wer ins Gefängnis musste, hing von der Summe ab, die man den Kollegen vorwarf. Mich rettete der Umstand, dass die Summe, die man mir vorwarf, leicht unter der kritischen Grenze lag, so dass ich kein Verbrechen, sondern ein Vergehen begangen hatte. Gleichzeitig war es das Aus der Nautiks. Die Instrumente konfisziert, die Kollegen im Gefängnis - da rief Bernd Römer an, ob ich zur Horst-Krüger-Band kommen würde.

Musstest Du lange überlegen, um zuzusagen?
Ja und nein. Zum einen hatte ich ja bis dahin immer eine eigene Band, konnte meine Vorstellungen umsetzen und hatte ja auch durchaus Erfolg. Krüger machte damals zum Teil ganz andere Musik als ich das bei den Nautiks machte. Für mich war Krüger Schlager. Ich war bei Blind Faith und Eric Clapton. Dann war die Krüger-Band ja in Berlin und nicht in Erfurt zu Hause. Das waren schon Gründe, die mich überlegen ließen. Andererseits hatte ich zwei Kinder, eine Band die es nicht mehr gab und wirklich "gute Freunde" in Erfurt, so dass mir die Entscheidung nicht so schwer fiel.

Wie kam Römer eigentlich auf Dich?
Bernd kannte ich auch länger. Er ist ja auch Erfurter und spielte dort in Amateurbands, bevor er nach Berlin zu Krüger ging. Bei der Krüger-Band war gerade Micha Schubert, der Sänger, wie ich vorher zur Fahne gezogen worden. Die brauchten also Ersatz und Bernd Römer erinnerte sich da halt an mich.

Und wie hast Du dich musikalisch in die Band eingefügt?
Das war auch nicht so schwer wie ich es befürchtet hatte. Zum einen stellte sich heraus, dass die Musiker erstklassig waren und zum anderen war Horst ein ganz, ganz toleranter Mensch. Er nahm alle Anregungen auf und ließ die Musiker gewähren, wenn es die Band voran brachte. So konnte ich meine Vorstellungen in die Band einbringen. Horst war immer bereit, neue Wege zu beschreiten und die Band und sich zu entwickeln. Seine musikalischen Qualitäten standen eh nie in Frage. Dazu kamen Horsts gute Kontakte zu AMIGA, zum Rundfunk und zum Fernsehen. Das machte mir das Hineinwachsen in die Band eigentlich nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. Musikalisch war das alles eigentlich nicht das große Problem. Die größten entstanden aus den unterschiedlichen Charakteren in der Band. Und da waren ja zeitweise sehr viele Personen zu integrieren. Das war eine Aufgabe, die mich gelegentlich sehr mitgenommen hat.

Was ist aus Deiner Zeit bei der Horst-Krüger-Band besonders hervor zu heben?
Zum einen sicher die musikalische Entwicklung der Band. In meiner Zeit sind ja Sachen wie die "Tagesreise" entstanden. Das waren schon große Stücke, auf ganz hohem Niveau. Und mit diesen Werken hat Horst mir auch begreiflich gemacht, dass die Musiktheorie wichtig ist. Dann haben wir als Unternehmen Münchehofe sehr viel für Fremde als Chor gearbeitet. Bei Münchehofe hab ich sozusagen meine Chorsporen verdient. Und dann war da ja noch das Musikstudium in Weimar bei Professor Hans Herbert Schulze. Dort hab ich vor allem gelernt, rationell mit meiner Stimme umzugehen. Vorher hab ich geröhrt, dass ich nach einem Abend fertig war. Das wurde dann anders. Zudem entdeckte ich neue Möglichkeiten, die die Stimme bietet. Das ließ sich natürlich gut in die Studioarbeit bei Krüger einbringen. Dazu die Kreativität, die wir bei Krüger entwickelten. Wir hatten ja drei Sängerinnen, von denen jede Ihr Metier bediente. Sylvia Kottas mit der Janis Joplin-Schiene, Tamara, die zum Beispiel Roberta Fleck machte - wir haben damals ja auch unglaublich viel gecovert - und Gabi Merz, die Soul- und Blues-Sachen sang. Dazu die Bläsergruppe, die enorme Möglichkeiten bot. Das war schon toll. Ich hatte die Aufgabe, was ich nie zuvor getan hatte, Joe Cocker zu singen (lacht). Das war sowieso eine Ochsentour am Anfang. Binnen zweier Tage musste ich mir das gesamte Repertoire draufdrücken. Irgendwie ging's und alle waren zufrieden.

Wenn man über die Horst Krüger Band redet, dann kommt man unweigerlich zur "Tagesreise". Welchen Anteil hast Du daran?
Geschrieben hat den Titel ja Micha Heubach. Er hat ihn auch mit Krüger arrangiert. Die eigentliche Strophe hat Horst gesungen. Ich war zum einen im Chorus und habe den etwas schnelleren Teil gesungen. Die Stelle: "Hab mir von der Tagesreise manches mitgebracht…", den Schreiteil sozusagen, die hab ich gesungen. Die Leadgitarre hat Bernd Römer gespielt, ich die Begleitgitarre, eine 12-Saiter. Was ich jetzt erst erfahren habe, den Titel hat Heubach zur Krüger Band mitgebracht. Er hatte ihn schon bei der Bürkholz-Formation gemacht. Und dort hat ihn Hans-Jürgen Beyer gesungen, der ja von Haus aus ein Rock'n Roller ist. Das Lied ist dann mit Heubach weiter zu Lift gegangen und nochmals produziert worden. Mit etwas Abstand betrachtet, so finde ich, ist die Krüger Fassung die Gelungenste, die Rundeste. Schon weil die große Band riesige Möglichkeiten bot. Da brachte der Chor schon gewaltig Power. Zumal wir für diese Aufnahme noch eine vierte Gastsängerin hatten, die bei uns einsteigen wollte, was sich aber zerschlug - Angelika Weiz war an der Aufnahme als Chorsängerin beteiligt. Die Tagesreise ist schon ein tolles Lied, das sicher auf einer Ebene mit Hits wie "Am Fenster", dem "Albatros" und wie sie alle heißen steht. Selbst international muss man sich damit nicht verstecken glaube ich. Auch wenn Heubach Parallelen zu Frumpys "How the gipsy was born" immer wieder nachgesagt werden und man diese sicher sogar findet. Es bleibt trotzdem etwas Eigenständiges. Schon wegen dieser Band die es damals interpretierte.

Warum endete die Horst Krüger Band eigentlich recht abrupt?
Wir waren dem Komitee für Unterhaltungskunst angeschlossen und hatten ein regelrechtes Management. Als die Band sich auflöste, war gerade die Diskothekenzeit in der DDR im Kommen. Und da haben die Klubhäuser gesagt, warum sollen wir eine 13-Mann-Band nehmen, wenn wir eine Diskothek aufbauen können. Die Disko kostet mich 150 Mark und der Saal ist auch voll. Unser Management konnte uns einfach nicht mehr gut buchen. Kleinere Bands, die Dreimannformationen wie Prinzip, Set und wie sie so hießen, hatten es da noch einfacher. Die ganz großen Formationen zerfielen zumeist. Unser kluges Komitee hatte dann den klugen Einfall, wir sollen so ABBA-Musik machen. Anderenfalls würde man uns die Unterstützung entziehen. Genaues weiß ich allerdings nicht, denn Horst hat mit dem Komitee verhandelt. Andererseits war die Stimmung in der Band gespannt, da bandinterne Regeln kippten und Horst so zunehmend an Autorität und Respekt verlor. Es bildeten sich Grüppchen und das war der Anfang vom Ende der Band. Irgendwann machte es dann keinen Sinn mehr und die einzelnen Bandmitglieder gingen ihre eigenen Wege. Bernd Römer und Micha Schwandt gingen zu Karat, Tamara machte sillymäßig weiter. Krüger selbst verlegte sich komplett aufs Komponieren. Ja und mich verschlug es zur Neuen Generation.

Bevor wir das Thema "Neue Generation" vertiefen, möchte ich noch einmal auf das "Unternehmen Münchehofe" zu sprechen kommen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Unternehmen Münchehofe war sozusagen ein Parallelprojekt zur Krüger-Band, in dem Sänger der Band für andere Musiker als Studiochor arbeiteten. Dazu kamen Auftritte in Fernsehsendungen und Galaveranstaltungen. Münchehofe lief noch lange, nachdem die Krüger-Band bereits aufgelöst war. Zumeist wurden, wenn nicht Background gesungen wurde, Coverversionen von bekannten Titeln gemacht. Was Münchehofe ausmachte, waren Klasse, Können und Vielfalt. Die Stimmen waren einfach gut. Die Arrangements, meist von Krüger, passten. So habe nicht nur ich viel dazugelernt, sondern hatten auch alle Spaß an der Sache. Wir haben alles gesungen, was gefordert wurde. Wir haben so ziemlich für alle Schlagersternchen und Stars unsere Stimmen hergegeben. Nur einmal habe ich mich geweigert. Da sollten wir für einen hamsterbäckigen Landsmann von mir etwas einsingen. (lacht) Da hab ich mich geweigert. Das war sicher persönlich bedingt, da ich nicht für die Leute arbeiten wollte, die in unseren Anfangsjahren mit der Obrigkeit gekuschelt hatten und immer noch oben schwammen. Das waren so für mich die Feinde (lacht). Auf das, was ich bei Münchehofe gelernt hatte als Chorsänger, habe ich später aufbauen können. Schon von daher möchte ich die Zeit keinesfalls missen. Und - gerade als es in und nach der Krüger-Band gelegentlich nicht so lief, brachte die Studioarbeit Geld in die Kasse.

Neue Generation ist für mich ein Kuriosum. Gegründet, hochgelobt, binnen eines Jahres erfolgreich und dann ein plötzlicher, dafür radikaler Stilwechsel im zweiten Jahr und das Ende. Wie hast Du die Band erlebt und warum verschwandt sie so schnell wieder?
Neue Generation war erst mal eine ganz spannende Geschichte. Weil - das waren zum großen Teil ganz junge Musikstudenten, die das Modernste spielen wollten, die Spaß am Experiment hatten und nicht eingefahren waren. Das versprach, richtig toll zu werden. Petko Datschew, mit dem ich in der Krüger Band gespielt hatte, fragte mich, ob ich Interesse an so einer Band hätte. Die Managerin der Krüger-Band, Claudia Nietz, wäre auch dabei. So landete ich als Sänger bei der Neuen Generation. Und dann haben wir losgelegt. Jazzrock, Soul eine echte Funkband. Richtig modern und durchaus beachtet, aber es fehlten die Muggen. Wir haben vor allem in Studentenklubs gespielt. Für viele andere Veranstalter waren wir wohl zu modern. Ja und wenn man dann nur noch ein, zwei Auftritte im Monat hat… Da wurde es kriminell. Einen Schuldigen fand man auch: Mich. Ich war ja der Frontmann und war zuständig, dass die Band gut rüberkam, dass Muggen da waren und, und, und. Dabei hatte ich gerade mit Biene Albrecht die LP klar gemacht, hatte durch meine Kontakte für Fernsehauftritte gesorgt und eigentlich vieles überhaupt angestoßen. Nebenher hatte ich auch fast alle Titel der Gruppe komponiert. Man suchte trotzdem einen neuen Frontmann und Sänger. Und da bot sich Neumi an, der eine neue Band suchte. Er wurde nach seiner Armeezeit bei Karat nicht mehr gebraucht, da Herbert den Gesangspart allein ausfüllte. Wer weiß, was geworden wäre, wenn Herbert wie am Anfang einen zweiten Sänger geduldet hätte? Neumi hatte ja Qualitäten und Verdienste um Karat. War aber nicht. Ich verstehe, dass er zugegriffen hat, als ihm mein Part bei der Neuen Generation angeboten wurde. (Laut Henning Protzmann kam Neumi aber von der "Neuen Generation" erstmal zu Karat, VOR Herbert, der da noch bei Panta Rhei war. Neumi war demnach kein Neukunde, sondern Wiedereinsteiger... Siehe auch das Interview mit Henning Protzmann in der Rubrik "Rauchzeichen", kf) Ein Punkt, der zu Problemen in der Band führte war auch, dass nachdem die LP klar war, plötzlich alle komponieren konnten. Dadurch verlor die Band ihr Gesicht, ihren Charakter. Einer schrieb Schlager, Axel Donner eine große Jazzrocksuite. Das war ja alles OK, aber führte zu gewaltiger Unruhe und einem unklaren Bandkonzept. Jeder wollte seine Richtung stärker betonen. Wenn man sich die Platte ansieht, die zum Ende der Gruppe produziert worden ist, sieht man, wie stilistisch bunt gemischt sie ist. Keiner hat die Titel des anderen mit Freude gespielt (lacht). So zerbrach die Band zusehends. Axel Donner, der stärker in die Jazzrichtung gehen wollte, schied aus. Für ihn kam Rainer Oleak. Er war aber eher in Richtung Schlager- und Pop orientiert. Der Titel "Sie ist wie Wind" zum Text von Waltraut Lewin, der Texterin von Rosa Laub, war natürlich ein richtiger Erfolg und beschleunigte das Ende der Neuen Generation als Funkband. Nach der Platte war Schluss. Aus der Neuen Generation wurde Neumi's Rock Circus. Zweifellos eine tolle Truppe, aber eben mit anderer musikalischer Ausrichtung. Vier blieben, drei gingen, einer davon war ich. Dass sich der Stil in so kurzer Zeit so sehr geändert hat, mag auch daran liegen, dass die Jungs irgendwie noch auf der Suche nach einem Stil war. Es waren ja alles Musikstudenten, die schon mal auf einen neuen Zug aufsprangen. Das ist auch OK, denn jeder muss ja irgendwie seinen Weg finden. Für mich war das natürlich tödlich, da ich auch mental alles auf das Unternehmen gesetzt hatte und stolz darauf war. Dass mir dann gesagt wurde, ich soll die Band verlassen, das war schon der Hammer. Ich war am Boden zerstört. Davon gibt es auch schöne Fotos. (lacht) Finanziell war das natürlich auch ein Schock. Aber man konnte das in der DDR überleben (lacht).

Wie wertest Du aus heutiger Sicht die Zeit bei Neue Generation. Erfolg oder Niederlage?
Beides. Niederlage, weil ich wie gesagt sehr engagiert in der Band war und das machen konnte, was ich mir vorstellte. Dass das in der Art beendet wurde, wie es war, das war schon irgendwo auch eine Niederlage. Auch die Studioarbeit mit Neue Generation, als wir zum Beispiel die Biege LP einspielten, das waren schon tolle Sachen. Das nicht mehr zu machen war schon hart. Andererseits war ich nach dem Rauswurf bei der Neuen Generation zum ersten Mal musikalisch solo. Und ich merkte schnell, dass das Beste war, was mir passieren konnte. Es war wie eine Erleuchtung. (lacht) Denn ich war raus aus dem Korsett einer Band. Viele Bands, so habe ich das erlebt, haben etwas sektenhaftes, ein sehr enges Denken. Schmalspurig, auf die eigenen Dinge achtend, die eigene Musikrichtung als das Wichtigste und einzig Wahre ansehend, haben Bands Musiker auch oft gebremst. Dass ich das erkannte, lag vielleicht auch daran, dass ich als Solist erstmals mit DJ's arbeitete. Olli, Tute und Velox-Disko fallen mir da so ein. Und die sahen vieles ganz anders als viele Bandmusiker. Die waren völlig offen für neue Dinge und für viele Musikrichtungen. Als meist Söhne aus besseren Verhältnissen, gut gebildet, sahen sie Musik nicht so verbissen. Sie hatten irgendwie einen recht guten Überblick über Zusammenhänge und Hintergründe, das gefiel mir. Ich habe als Solist zu mir selbst zurück gefunden und - back to the roots - Musik mit Gitarre, Mundharmonika und Stimme gemacht. Und ich lernte, die Musik und das Publikum anders zu erleben. Vorher war ich ja Stevie Wonder und Kool and the Gang zusammen, spielte Jazz, hatte krause Haare und war schon fast ein Schwarzer (lacht). Bis ich merkte, dass wir die Musik spielten, aber das Lebensgefühl nicht hatten, den Stil nicht lebten. Nicht leben konnten, weil wir das von der Seele her nicht sind, sondern das alles nur kopieren und nachahmen. Unsere Probleme sind nicht die eines schwarzen Amerikaners. Wir hatten erfreulicherweise nicht den Drogendealer an der Ecke, nicht die Rassismusprobleme und andere Dinge, die das Leben nicht wirklich erleichtern. Neue Generation war natürlich auch ein Erfolg. Wir haben tolle Musik gemacht und damit vielleicht das eine oder andere, das später kam, beeinflusst.

Wie schätzt Du ein, wist du von außen gesehen?
Ich denke, Gotte wird vor allem als der Sänger von dieser und jener Band gesehen, und dann ist es der, der irgendwann mal auf dem Rücken lag (lacht). Wobei ich sagen muss, früher konnte ich ja gar nicht singen (lacht schallend). Das hat sich alles erst richtig durch die ganze Studioarbeit entwickelt - die ganze Stimmkultur und so. Früher brüllte und grölte ich mehr, als zu singen. Durch die Studioarbeit hab ich gelernt, mit meiner Stimme professionell umzugehen.

Spielte dabei das Studium auch eine Rolle? Du hast ja in Weimar Musik studiert.
Ja, Gitarre und Gesang bei Hans Herbert Schulz. Allerdings nur zwei Jahre, also nicht bis zu einem Abschluss. Das Studium brauchte man, um als Berufsmusiker arbeiten zu können. Ich hab solange studiert, bis ich meine Profipappe hatte, dann hab ich damit aufgehört und so Musik gemacht. Ging auch, denke ich (lacht). Die Gitarre hab ich beim Studium sogar noch früher an den Nagel gehängt gehabt und mich ganz auf Gesang konzentriert. Dass ich aufhörte mit dem Studium hatte auch damit zu tun, dass die Belastung aus dem Hin und Her zwischen Berlin, Weimar und den Auftritten doch ganz enorm war. Das war alles Stress. Ich wohnte mit Familie in Berlin, musste regelmäßig nach Weimar und hatte einen vollen Tourkalender. Das ging an die Substanz und drohte, die Familie in Mitleidenschaft zu ziehen. So hab ich zum ersten besten Zeitpunkt aufgehört mit dem Studium. Geschadet hats aber nicht (lacht).

Wenn ich behaupte, Deine AMIGA LP "Wenn ich auf dem Rücken lieg" ist sowas wie eine Best of alter Titel, die in den Bands, in denen du spieltest, nicht umsetzbar waren, was erwiderst Du dann?
Das ist falsch! Die Titel sind nie für die Bands geschrieben worden, sondern waren von Anfang an für mich konzipiert. Dass es bis zu einer eigenen Platte so lange dauerte lag auch daran, dass die Titel über Jahre hinweg im Rundfunk aufgenommen wurden und dann die besten von AMIGA zu einer LP zusammengestellt wurden. Als es soweit war, war "Wenn ich auf dem Rücken lieg" gerade aktuell und daher hat die Platte den Namen. Und wenn man diese Zeit betrachtet, die zwischen den Titeln liegt, dann stimmt das schon wieder mit der Best of (lacht). Dass das nicht schneller ging lag nicht daran, dass ich keine Titel gehabt hätte, sondern dass ich pro Jahr für zwei mal vier Stunden ins Rundfunkstudio durfte. Da wurden dann je drei Titel für den Rundfunk eingesungen und das war's. Die drei Titel wurden dann in die bekannten Wertungssendungen geschickt, bis es sechs Monate später drei neue gab. Ich durfte immer im Frühjahr und im Herbst produzieren und die besten Titel über mehrere Jahre landeten dann auf der LP. So richtig große Plattenproduktionen bei AMIGA an einem Stück, das hab ich als Solist nie erlebt, das war für die großen der Brache reserviert. Aber im Chor hab ich nicht nur eine LP bei AMIGA aufgenommen (lacht).

Der Platte sagt man ein paar Besonderheiten nach...?!
(lacht) Na ja - beim Titel "Wer bist du?", meine ich zumindest, ist der erste Rhythmuscomputer auf einer DDR-Aufnahme zu hören. Das war 'ne lustige Sache. Ich hatte mal wieder meine vier Stunden und im Studio stand dieser kleine schwarze Kasten. Die drei Titel waren fertig und ich hatte noch Zeit. Da haben wir mit dem Ding etwas rumprobiert und eben den einen Titel nochmal mit dem Computer aufgenommen. Und das klang so ordentlich, dass diese sehr moderne Aufnahme auf der LP landete. Damals hatte ich auch keine Band und hab praktisch alles allein gemacht bei den Aufnahmen zu "Regenmacher", "Schür das Feuer" meine ich und eben dem "Wer bist Du". Einzig ein Gastmusiker, der Flöte und Dudelsack spielte, hat die Titel mit eingespielt. Ich hab dann die verschiedenen Stimmen und die anderen Instrumente dazu gespielt und so entstanden die Titel, denen man nicht anhört, dass sie von einer One-Man-Band eingespielt wurden (lacht). Die Aufnahmetermine waren auch immer lustig. Irgendwas war immer. Mal hatte man keine Kohle für Begleitmusiker wenn so ein Aufnahmetermin anstand, mal kippte der Termin ganz wegen anderer Verpflichtungen, wenn er dann zustande kam, fehlten schon mal ein paar Spuren einer Aufnahme - es kam schon mal vor, dass das laute Schlagzeug auf dem Tape nicht mehr vorhanden war - so dass einzelne Parts neu eingespielt werden mussten. Doch letztlich hat das irgendwie immer funktioniert mit den Vierstundenterminen über die Jahre und immer nachts. Nachts, weil tagsüber waren ja die Kinderchöre und die Klassikaufnahmen in den Studios drin (lacht).

Was hat Dich veranlasst, trotz aller Erfolge schließlich doch zu gehen?
Mein Beweggrund war, dass ich zu viel erlebt hatte, zu viel Hintergründe und Zusammenhänge kannte, als dass ich den schönen Worten noch Glauben hätte schenken können. Und eine Änderung war nicht in Sicht. Zum einen wurde mir angetragen, ich solle doch dafür, dass ich im Westen auftreten darf, auch mal ein paar Berichte schreiben, was ich so ganz und gar nicht wollte und wo immer mehr Druck auszuüben versucht wurde, weil ich das eben nicht machte. Zum anderen eben die vielen großen und kleinen Erlebnisse. Ganz extrem war zum Beispiel: Als ich in Luxemburg gespielt habe, hab ich gesehen, dass Kinder im Alter meiner Kinder in der Welt rumfuhren und sie sich anschauten. Ich dachte daran - meine Kinder können das nie, das kann doch nicht wahr sein. Ich wollte eine andere Perspektive für meine Familie, eine andere Zukunft. In der DDR hatte ich das Gefühl einer schleichenden Russifizierung. Das Niveau sank immer mehr und doch gaben sich viele Menschen mit immer weniger und simplen Dingen zufrieden. Das wollte ich nicht. Das Fass zum Überlaufen brachten Erlebnisse im Umfeld der Weltfestspiele 1985 in Moskau. Da hab ich erlebt, wie sich Kollegen nach oben angeschleimt haben, andere anschwärzten, um sich Vorteile zu verschaffen. Kollegen aus dem Zentralrat der FDJ wurden eingeflogen, wir fuhren drei Tage Zug. Dann sollten wir für unsere Sternchen den Chor machen. Per Dekret. Das haben Peter Berliner, das Duo H + N und ich dankend abgelehnt (lacht). Das waren so kleine Kämpfchen am Rande, die es aber immer wieder gab und die die Atmosphäre zwischen den Kollegen vergiftet haben. Es gab eben Musiker und Hofsänger. Man hat sich überlegt, muss ich mir den Kindergarten denn weiter geben? Dann die netten Ratschläge von Genossen - Gotte, weißt Du was. Du musst in die Partei gehen, dann geht's vorwärts. (Gotte liebt es, verschiedene Dialekte zu imitieren. Und er kann es. Den letzten Satz muss man jetzt noch einmal sächseln.). Andererseits sah ich eines Nachts eine weltweite Übertragung im Fernsehen - Nina Hagen in Tokio im Studio und Doldingers Passport in München, die gemeinsam Musik machten über Satellit verbunden. Das war für mich der Punkt, wo ich zu mir sagte, da muss ich hin (lacht). Dann war ich von den vielen Muggen, die ich hatte, irgendwie ausgebrannt. Drei Jahre die gleichen Lieder, das war wirklich hart. Aber das Publikum wollte das Programm. Da blieb für Kreativität und Studioarbeit fast keine Zeit. Irgendwann hab ich das mit meiner Frau besprochen und dann überlegt, wie es passieren soll. Dabei mussten wir ordentlich aufpassen, weil Horch und Guck sogar zu Hause auf uns aufpasste. Die erste Chance war ein Konzert in Westberlin mit den Puhdys in der Waldbühne. Das hab ich aber nicht gemacht. Schon um den Jungs von den Puhdys nicht noch ein Ei zu legen, da sie für mich nette Kollegen waren. Die waren bei weitem nicht so verbissen wie der Rest der Szene.

Aber Du fandest eine Gelegenheit.
Ja. Die berühmte Reichsbahnmugge. Die Reichsbahn bildete in Westberlin Lehrlinge bei der U- und S-Bahn aus. Und die wurden regelmäßig mit Kultur beschallt. Ich wusste schon länger, dass diese Mugge feststand und den Zeitpunkt wollte ich nutzen. Vorher habe ich in Bulgarien noch Abschied gefeiert (lacht), ohne dass jemand wusste, worum es geht. Die dachten - jetzt hebt er ab (lacht).

Erzähle bitte, wenn es niemanden kompromittiert.
Ne, das geht schon OK. Das war einfach eine lustige Geschichte. Nach Moskau hatte ich noch eine Geschichte in Bulgarien. Kulturbetreuung in solchen Jugendlagern. Neben Prinzz aus Erfurt, die mich neben ihrem eigenen Programm ja oft begleiteten, war auch Luise Mirsch dabei. Eines Abends hab ich 'ne Kilo-Büchse Kaviar auf den Tisch gestellt und den haben wir dann ausgelöffelt. Einfach so - Jens Hellmann, heute Vicky Vomit, der damals Bassist von Prinzz war, Kerstin Radtke, heute bei Rest of Best, Luise - so genau weiß ich gar nicht mehr, wer da noch dabei war. Die dachten wohl: Mann, dem Gotte muss es ja saugut gehen... Die Büchse hatte mir ein russischer Musikerfreund für 150 Rubel besorgt. Ich erinnere mich auch noch dran, dass ich 1:1 gegen Ostmark umtauschen durfte (lacht). Niemand ahnte ja, dass das meine Abschiedsfete war. Etwas später wussten sie dann, worum es ging. Wenn wir uns heute gelegentlich treffen, fragt schon mal einer, ob's wieder Kaviar gibt (lacht).
So lustig war's nicht immer. Mir kommen da noch ganz andere Erinnerungen. Und es ist schon komisch, was es doch für Parallelen in der Welt gibt. Letztens las ich die Clapton-Biografie, wo er erzählt, dass er in Griechenland ein Hotel fluchtartig verlassen musste und ein Freund ihm die Haut gerettet hat. Er ließ alles stehen und liegen und verschwand schnellstens aus dem Hotel. Zur gleichen Zeit haben wir uns mit der Krüger-Band in Rumänien und Bulgarien mit komischen Verhältnissen und irgendwelchen Deppen rumschlagen müssen. Das ging soweit, dass wir um unsere Hotels kämpfen mussten, damit wir da weiter pennen konnten und solche Dinger. Schon verrückt, ein paar Kilometer entfernt voneinander ähnliche Erlebnisse. Sowas kann man sich nicht mal ausdenken... Zugleich komisch, dass ich die Story eben auch mit Bulgarien verbinde.

Du bliebst also in West-, Deine Familie in Ostberlin. Hattest Du da nicht große Bedenken?
Und ob... Einfach war's nicht. Die Aussicht auf drei Jahre Trennung - ohne eine Möglichkeit, frei miteinander reden zu können. Wir haben uns gesagt, die DDR hat ja die Schlussakte von Helsinki, diese Menschenrechtskonferenz, unterschrieben. Dort stand drin, dass Familienzusammenführung maximal drei Jahre dauern darf. Diese Zeit schien uns relativ sicher und überschaubar. Sonst hätten wir das nicht gemacht. Man hat meine Frau und die Kinder aber in der Zeit doll unter Druck gesetzt. Ein naher Bekannter, der sich nach der Wende als eifriger IM herausstellte, dachte sich üble Geschichten aus und beschuldigte meine Frau, mich zur Flucht angestiftet zu haben. Das hätte sie um ein Haar ins Gefängnis und meine Kinder in ein Heim gebracht. Die vielen Verhöre waren noch das kleinere Übel. Meiner Tochter wurde von ihrer Lehrerin vor der Klasse gesagt: Euer Vater ist ein Verbrecher. Die erste Zeit war Horror. Probleme hatten wir erwartet. Diese allerdings nicht wirklich. (So lustig das Gespräch bisher verlief, so ernst wird Gotte bei diesen Worten, Anm. d. Verf.)

Dann warst Du also im Westen. Gab es dort jemanden, der Dir in der ersten Zeit geholfen hat?
Mein erster Anlaufpunkt war Hansi Biebl. Mit seiner Hilfe bin ich nach München gekommen. Zu Cott'n (Henry Kotowski, Sputniks Gründer - Anm. d. Verf.), wo ich auch wohnen durfte. Es gab noch einige Leute, mit denen ich ganz am Anfang in Kontakt war. Aber Cott'n war letztlich wohl der Wichtigste. Ich bekam auch Tipps - da kannst' mal fragen, das kannste mal versuchen. Und das hab ich dann auch getan. Ich war ja klassisch arbeitslos. Ein Jahr lang alles in allem. Klinkenputzen, ohne dass es etwas gebracht hätte.

Hille sagte mal - Ostmusiker sind wie die Sonne. Im Osten gehen sie auf, im Westen unter. Aber Du schafftest es zurück in die Musik. Was war anders?
Dass ich Studio- und Chorerfahrung hatte, hat mir geholfen, im Westen Fuß zu fassen, als ich abgehauen war. Chorgesang, also Background, ist ja nicht jedermanns Sache. Als Chorsänger hat man ganz andere Aufgaben und Methoden als als Solist. Als Chorsänger lernst du in kürzester Zeit Texte und Melodien, singst sie perfekt ein und radierst danach sofort alles aus dem Hirn wieder aus, weil ja schon wieder etwas Neues kommt. Das Abgeschlossene würde das Neue nur behindern. Man hätte den Kopf nicht wirklich frei. Mein Rekord war mal den Chor einer LP mit 12 Songs an einem Tag einzusingen. Von früh um neun bis nachts um drei, dann waren alle Spuren für die LP fertig. Das war zwar musikalisch nicht sehr anspruchsvoll oder schwierig - Schlager eben - aber trotzdem eine ganz schöne Schinderei. Noch besser war, das wurde recht gut bezahlt. Als ich '85 ging, gab es noch richtige Studios. Mit Bändern, riesigen Mischpulten und allem was man sich so vorstellt. Aber das änderte sich. Es kamen zunehmend kleinere Geräte auf und die konnten im Wohnzimmer das, was man vormals im Studio aufwendig zusammen bastelte. Dafür wurde damit begonnen, die Musiker im Preis zu drücken, weil das ja alles keine Arbeit mehr machte… So wurde die gesamte Branche verändert. Alte Verträge wurden storniert, die Zahlen der produzierten Platten sanken deutlich und es war für jede Produktion viel weniger Zeit und Geld verfügbar. Heute sind die Budgets sehr eng. (lacht) Irgendwer führte dann ein, dass man seine Sachen kostenlos bei einer Agentur abgibt und die sich um alles weitere kümmert. Die Vermarktung, den Vertrieb und auch um die Finanzen. Der Komponist lebt dann von seinen GEMA-Einnahmen. Auch im Umfeld hat sich einiges verändert. Bei Ralph Siegel wurden noch acht Mann Chor eingeflogen, wenn er eine LP-Produktion machte. Die sangen jeden Refrain, jeden Background. Heute sind da zwei Personen, die singen einen Refrain, den Rest macht der Computer. Da wird gesampelt und geflogen, und am Ende ist ein Lied fertig. Allerdings ein wenig glatter, steriler als sie es früher gewesen wären. Das ist ein wenig wie LP/CD. LP's haben irgendwie eine gewisse Wärme von tief innen. Nicht zu beschreiben.

Aber es gibt doch noch große und toll ausgestattete Studios.
Klar. Aber da kommt ein unbekanntes Nachwuchstalent eher nicht rein. Und selbst wenn, heißt das noch lange nicht, dass es danach etwas gibt, das in Radio oder Fernsehen gespielt wird und sich auch noch verkauft. Heute existiert alles parallel und in enormer Breite. Das ist zwar sehr schön, macht es möglich, viele Wünsche zu erfüllen. Aber damit schwindet natürlich auch die Zahl der Interessenten je Stück. Es liegt bei jedem selbst, sich das zu suchen, das ihm gefällt.

Jetzt sind wir weit abgeschweift. Gehen wir wieder zurück zu Deinem Wiedereinstieg in die Musik. Was geschah nachdem Du in München warst? Gab es möglicherweise weitere Leute, die Dir halfen?
Ich war also arbeitslos und habe überall angeklopft, wo Musik gemacht wurde. So auch bei Rainer Pietsch, einem der erfolgreichsten deutschen Produzenten, der übrigens aus Leipzig stammt. Dass ich dort singen durfte, war wohl auch Glück im Spiel. Er hat wohl mal sehen wollen, was man eventuell machen könnte und so bekam ich Wochen später eine Einladung zu einer Chorgeschichte. Da bin ich auch hin und habe meinen Part gesungen. Und wie es so ist, kam mir nochmal der Zufall zu Hilfe. In einem Chor gibt es wie fast überall Hierarchien. In dem Chor gab es einen Sänger, der Einfluss hatte. Er musste eine Passage singen, die sehr hoch war. Das klappte nicht so richtig. In einer Pause hab ich ihn zur Seite genommen und gesagt, Du musst das und das machen, um die hohen Töne zu kriegen. Singe mental auf den Ton von oben drauf und versuche nicht, ihn zu erreichen. Ja und dann ging das. Er war verblüfft. Das hatte er noch nie erlebt und sein Image war gerettet. Das dankte er mir, indem er mich in die Siegel- und Pietschproduktionen immer wieder rein brachte. Er kannte wohl beide recht gut und sein Wort hatte Gewicht. So kam ich in die Chorszene und habe für jeden Schlagersänger, den Siegel gemacht hat, ob Nicole oder Grand Prix - ich war zwei Mal in Dublin dabei - die Chöre gesungen. Dabei habe ich das Glück gehabt, Bernd Meinunger, einen der bekanntesten deutschen Texter überhaupt, kennen zu lernen. Meinunger, ein gebürtiger Meininger, ist ein unglaublich kreativer und produktiver Mensch. Von Siegel und Meinunger habe ich auch gelernt, sehr diszipliniert zu arbeiten und nicht nur darauf zu warten, dass die Muse um 3.30 Uhr kommt oder dass man, bevor sie kommt, eine Flasche Rotwein als Trankopfer gelehrt haben muss (lacht). Man kann sich auch hinsetzen und loslegen. Früh fallen einem sogar die meisten Sachen ein. Die emotional tiefsten allerdings nicht (lacht). Mir zumindest nicht. Die überfallen einen. Die sind da. Bei mir geschah das oft, wenn es mir am schlechtesten ging.

Du hast mit Rock'n Roll begonnen, Jazz und Jazzrock gemacht, als Chormusiker bei Schlagerinterpreten gearbeitet. Hast Du selbst je das Gefühl gehabt, Schlagersänger zu sein?
Nie! Nein. Mit Schlager, wie ich ihn verstehe, hab ich nie etwas am Hut gehabt. Als Background und Chorsänger hab ich natürlich auch bei Schlagerproduktionen mitgewirkt. Und ich hab gar nichts gegen diese Musik. Wer es mag, soll es machen. Es gibt ja auch ganz viele Menschen, die sehr, sehr gern Schlager hören und mit anderer Musik wenig anfangen können. Ich für mich mag jedoch seichte Liedchen ohne reale Aussage nicht. Mir ist eine textliche Aussage wichtig. Die musikalische Verpackung ergibt sich dann. Das kann dann sowohl rockig sein, aber auch klassisches Lied. Ich bevorzuge eine rockige, rhythmische Spielweise und das zieht sich durch meine Lieder. In soweit sehe ich mich nicht als Schlagersänger. Niemand würde auf die Idee kommen, "Get Back" von den Beatles als Schlager zu bezeichnen. Mit "Wenn ich auf dem Rücken lieg", das rhythmisch ähnlich aufgebaut ist, kann man da schon mal in den Schlager eingeordnet werden. Überhaupt haben wir Deutschen eine Neigung zu Schubladen. Warum das so ist, weiß ich bis heute nicht. Gerade der "Rücken" - das ist eigentlich afrikanisch inspiriert. (lacht) Meine Eltern hatten da eine Schellackplatte mit afrikanischer Musik. Da war ein Stück drauf, das mir nie aus dem Kopf ging. (Schade, dass man die angesungene Melodie nicht mit Buchstaben übertragen kann. Stimmt jedenfalls, solche Rhythmen hat man schon mal an ganz anderer Stelle gehört. Genial, das zu einem deutschen Ohrwurm umzubauen). Es ist überhaupt oft so mit Volksmelodien. Das sind Melodien, die Kraft haben. Und viele Musiker verwenden starke Melodiemotive ja ganz oft wieder. Man hat eine Melodie gehört. Sie bleibt im Kopf, oft weiss man gar nicht woher sie stammt. Sie kommt unbewusst und geht einem nicht mehr aus dem Sinn. Irgendwann wird etwas Neues daraus. Unbewusst adaptiert man dann etwas, das es so oder ähnlich schon einmal gab.ndrtalkshow1 20121215 1566532989 Das hat, zumindest so wie ich das meine, nichts mit Plagiat zu tun. Zudem gab es jede Melodiefolge sicher irgendwo schon mal, so lange wie schon musiziert wird, und man ist immer in der Bredouille. Das war ja schon bei den Klassikern so und hat sich nicht geändert. Der Gefahr kann man nicht mal entgehen, wenn man wie George Harrison gar keine fremde Musik mehr hört. Ihm hatte man vorgeworfen "My Sweet Lord" sei ein Plagiat. Und ich habe Jahre, nach dem ich den Titel geschrieben habe, festgestellt, dass zwischen "Rosen klaun" von der Krüger-Band und einem Procol Harum-Motiv Ähnlichkeiten bestehen. Ich will damit sagen, starke Melodie wiederholen sich in der einen oder anderen Form oft. Meist einfach weil sie gut sind und passen, selten weil jemandem nichts anderes einfallen würde.

Wie siehst Du dann die aktuellen x-ten Aufgüsse von Klassikern und alten Titeln, wie sie immer wieder in den Charts auftauchen?
Das ist oft reiner Kommerz. Gerade im Schlagerbereich. Da müssen Harmoniefolgen xmal herhalten und werden zu immer wieder neuen Titeln verbogen. Zu einem funktionierenden Harmonieschema gibt es eine neue Melodie und das Stück läuft, ohne dass jemandem auffällt, dass alte Schemen adaptiert wurden. Das hat es aber eben schon immer gegeben. Das ist ein durchaus gängiges Verfahren. In anderen Fällen bleiben die alten Titel weitgehend unverändert, werden mal im Rhythmus, mal im Arrangement modifiziert und los geht's. Eine trendy Stimme oder einen bekannten Namen dazu und dann hofft man, dass sich solche guten alten Melodien gut verkaufen. So kommt es aber auch, dass sich vieles irgendwie bekannt anhört und bei einigen Leuten jeder Titel irgendwie gleich klingt. So ist das halt, wenn man Massenware produzieren muss. Muss! Bei vielen bekannten Schreibern ist es ja so, dass sie müssen, um im Geschäft zu bleiben. Da kommt die Bestellung für den, für den und für den jeweils ein paar Titel zu machen. Die schwitzt man sich aber nicht aus dem Ärmel. Also wird auf Bewährtes zurück gegriffen.

Du hast ja in Deiner Westzeit für viele bekannte Musiker geschrieben. Wieweit warst Du diesen Zwängen auch unterlegen?
Stark. Wie jeder andere Schreiber auch. Im Westen wollte ja keiner den Ostmusiker Gottschalk hören. In Bayern gleich zweimal nicht. Da muss man Bayer oder Weltstar sein um anzukommen. Und wer Weltstar ist, legen die Bayern fest (lacht). Ich habe da Alvin Lee (u.a. Ten Years Afther und schnellster Blues Gitarrist der Welt - Anm. d. Verf.) vor 25 Leuten spielen gehört und Paul Carrack (Mike & The Mechanics, The Smiths) vor 150. Die Pretty Things wollten sogar nur mein Sohn und ich sehen. Aber die Frage war ja nach den geschriebenen Titeln. Das waren richtige Schlager. Ich habe genau das geschrieben, was die Leute wollten. Schließlich hatte ich ja meine Familie zu ernähren.

Familie, Name und Bayern.... Inwieweit war oder ist der Name Gottschalk in Bayern Hilfe oder Last gewesen?
Gar nicht. Weder noch. Auch wenn Thomas Gottschalk wohl Vorfahren oder Verwandte in der Leipziger Ecke hat, sind wir, soweit bekannt, nicht verwandt. Zudem nennen mich ja viele Leute seit eh und je Gotte. Natürlich gab und gibt es immer mal wieder mehr oder weniger lustige Bemerkungen, die sich auf meinen Namensvetter beziehen. Ich bin übrigens fast auf den Tag genau zwei Jahre älter (lacht). Bei Thomas war ich auch schon mal zu einem Interview, als damals meine Platte im Westen promotet wurde. Damals war er noch Rundfunkmoderator beim Bayrischen Rundfunk und arbeitete irgendwie mit Jauch zusammen. Als ich im Studio war, da war er noch allein als Nachmittagsmoderator. Als er wirklich berühmt wurde, hab ich ihn nicht wieder getroffen (lacht).

Du sprachst den Texter Bernd Meinunger an. Mit ihm hast Du weit mehr gemacht als nur Chorgesang. Wie kam es zu der recht engen Zusammenarbeit?
Da spielt Hanne Haller eine Rolle, für die ich auf mehreren Platten Chor gesungen habe. Sie produzierte ja auch und hatte Interesse, etwas gemeinsam zu machen. Sie war während der Aufnahmen zu ihren Platten auf mich aufmerksam geworden und wir kamen ins Gespräch. Schließlich stellte sie mich Meinunger vor und auch er fragte, ob wir etwas miteinander machen wollen. Er stellte mich daraufhin Willy Klüter vor, einem Produzenten, der auch viele Titel für Gaby Albrecht machte und noch macht. Und in dem Team produzierten wir meine erste LP im Westen. Da war auch der ehemalige Keyboarder der Krüger-Band, Tommy Hamm, dabei. Mit ihm hab ich gemeinsam komponiert, arrangiert und, und, und. Hamm programmierte auch die Computer, die gerade aufkamen. Ich erinnere mich, dass er das Schlagzeug programmierte. Und dann legten wir los.

Wie lief die Platte?
Na ja. Ich hatte einen Vertrag mit der Polydor. Und gerade als ich die Platte fertig hatte, startete Matthias Reim sein "Verdammt ich lieb dich". Da ging alle Kraft der Polydor rein. Meine Titel mit Ostthemen, ein Jahr vor der Wende, haben zu dem Zeitpunkt keinen Menschen interessiert. Ich war zwar in ein paar Fernsehsendungen wie der Schaubude und ähnlichem, aber verkauft wurde letztlich nichts. Der Titel "In einer anderen Welt" lief zwar im Rundfunk recht gut, war aber mit wohl nur 700 verkauften Stück kommerziell ein echter Flop. Und so war ich wieder raus. Von Polydor wurde mir zu verstehen gegeben, dass nichts mehr mit mir gemacht würde. Aber ich wurde von Meinunger gefragt, ob ich mir vorstellen könne, für andere Interpreten auch in Richtung Schlager und Volksmusik zu komponieren.

Sagtest Du nicht, Du hast nichts mit Schlager im Sinn?
Ich hab gesagt, ich sehe mich nicht als Schlagersänger. Das hat aber nicht ausgeschlossen, welche zu schreiben. Ist ja ein bisschen "back to the roots" (lacht). Ich hab ja mit Volksmusik und Jodeln begonnen. Meine Familie sang Volksmusik als Hausmusik. Ich habe erlebt, wie glücklich diese Musik gerade ältere Menschen, die damit aufgewachsen sind, gemacht hat. Daher hatte ich nicht mehr ein sooo schlechtes Gewissen. Und ich versuchte, wenn ich schon solche Musik machte, sie nicht volksliedhaft zu machen, sondern richtige Volkslieder zu schreiben. Auf der ersten LP von Gaby Albrecht sind, so sehe ich das, solche Volkslieder drauf. Ganz schlecht waren sie wohl auch nicht, denn mit Gaby und dem Duo Thomasius schafften es zwei Titel in den Grand Prix der Volksmusik. Der Ausscheid dafür war in Rostock. Das war gleichzeitig meine erste Rückkehr in den Osten.

Wie hast Du die Wende erlebt?
Ich hab mich riesig gefreut, dass es so gekommen ist. Natürlich gabs auch ein paar Sachen, die mich erstaunt haben und in dem Moment nicht so toll waren. Musikalisch hatte der Osten einen großen Nachholbedarf an Musik und Kultur aus dem Westen. So hat man eine ganze Weile jeden vergessenen Altstar ausgegraben und hier rumgereicht.ndrschaubude 20121215 1978705031 Zum Teil für viel Geld, selbst wenn die Leute im Westen schon längst Auslaufmodelle waren und in kleinen Bars hinterm Wald klimperten. Das machte es für viele Ostmusiker nicht leichter. Vielleicht erklärt sich so, dass es gerade am Anfang in und aus der Szene schon ein paar blöde, abfällige Bemerkungen der Art "Ach der Verräter, der Abgehauene, na wieder da?" gab.

War das Neid? Galtest Du unter Kollegen als "Wirtschaftsflüchtling"?
(lacht) Nee, glaub ich nicht. Dazu war's im Westen einfach auch zu schwer, sich zurecht zu finden. Geschweige denn, wieder Fuß zu fassen. Nicht wenige die gegangen sind hatten da eine wirklich schwere Zeit. Und dass es so kommen kann, wusste eigentlich jeder. Mit offenen Armen und fetten Plattenverträgen sind die meisten nicht empfangen worden, auch wenn einige schnell zu guten Deals kamen. Und im Musikmarkt langfristig durchgesetzt haben sich davon noch weniger. Viele haben gute Arbeit für andere gemacht, standen in der zweiten Reihe. Wie ich schon sagte, hatte ich gerade zu Wendezeiten wirklich nicht viel Glück. Durch den "Grand Prix der Volksmusik" lernet ich Hans Rudolf Beierlein, DEN Macher der Volksmusikszene in Deutschland kennen, der zu mir sagte: "Ich lege ihnen meine Künstler zu Füßen." Das war wohl ein wenig zu viel für Siegel. Vielleicht hatte er den Eindruck "Jetzt haste den ein bisschen zu weit kommen lassen...", jedenfalls war ich da aus dem Team raus und auch Beierleins Worte blieben nur Worthülsen. Vielleicht waren zwei Gottschalktitel unter den letzten 12 zu viel? Vielleicht störte ich etablierte Kreise und verdrängte einen Titel der alten Granden zu viel? Jedenfalls war ich von einem Augenblick zum anderen wieder aus allem raus. Das waren meine anderen Wendeerlebnisse. Ein eigentlich großer Erfolg kippte ins totale Gegenteil.

Aber einige Künstler arbeiten weiterhin mit Dir oder täuscht das?
Das stimmt schon. Zumindest bis zu meiner Krebserkrankung schrieb ich weiterhin für zum Beispiel Gaby Albrecht. Über Gaby, die ja aus Magdeburg stammt, kann ich viel Gutes berichten. Bis zu meiner Erkrankung war ich praktisch bei jeder ihrer Platten als Komponist und Produzent dabei. Dann ging die Zusammenarbeit aber doch auseinander. Allerdings - auch auf späteren Alben finden sich noch Titel von mir.

Arbeitest Du noch mit Gaby Albrecht zusammen?
Das hat deutlich abgenommen. Besonders in den Jahren nach der Wende haben wir sehr viel und eng und erfolgreich zusammengearbeitet. Ich habe lange auch nach meiner Krebserkrankung an Gabys Alben in der ein oder anderen Form mitgearbeitet. Aber bei den letzten Alben nun nicht mehr. Das liegt vielleicht daran, dass das Geschäft zunehmend härter wird und alle Beteiligten zu immer neuen Kompromissen gezwungen werden. Als ich krank wurde, musste die Arbeit für Gaby weiter gemacht werden und so gründeten sich mit anderen Partnern zwangsläufig neue Wege der Zusammenarbeit zu Lasten meiner Arbeit mit Gaby.

Über Gaby Albrecht verbindet Dich einiges mit Magdeburg. Welche Erinnerungen hast Du daran?
Ja! Magdeburg spielte nach der Wende für mich schon eine wichtige Rolle. Da gibt es einige vor allem schöne Erinnerungen und sogar kleine Erfolge. Mein erster und zweiter Besuch im Osten, seit ich damals gegangen war, gingen beide nach Magdeburg. Der zweite Magdeburgbesuch ging eigentlich nur ins Studio zu Aufnahmen für die zweite CD von Gaby Albrecht. Ich erinnere mich noch, wir hatten einen Haufen Technik im Auto aus dem Westen nach Magdeburg mitgebracht, weil Gaby nicht mehr gut reisen konnte. Sie war hochschwanger. Und so saß sie dann mit ihrem runden Kullerbauch auf einem Stuhl in dem kleinen Studio in Magdeburg und sang die CD ein.gottekerth1 20121215 1504277593 Das hat sie souverän gemacht. Sie ist ja auch eine Vollblutmusikerin und ein echter Profi. Gaby verinnerlicht ihre Lieder wie kaum eine andere Sängerin. Ich hab es schon erlebt, dass sie nach einer Aufnahme in Tränen aufgelöst fast zusammenbrach, weil sie sich derart in ein trauriges Lied hineinversetzt hat. Dann dauert es mitunter eine halbe stunde, bis sie weiterarbeiten kann. Bei der CD war das anders. Da kniete sie sich auch voll rein, legte ihr Herz in die Titel, um schnell fertig zu werden und ein optimales Ergebnis zu erreichen. Das funktionierte dann auch alles reibungslos und die Platte wurde ein Erfolg. Besonders schwer für ein zweites Album.

Wenn man Gotte als Gast hat, muss man über den Grand Prix sprechen. Du warst 1992 mit einem Lied dabei, oder?
Ja und nein. Ich hab ein Lied für Susanne Schubert geschrieben gehabt. Ich hab das produziert und auch im Chor dazu gesungen. Aber in dem Jahr sind wir über den Vorentscheid, der damals in Magdeburg stattfand, nicht hinaus gekommen. Susi hat es mit unserem Titel nicht ins Finale in Malmö geschafft. Als ich damals nach Magdeburg kam, war das übrigens der erste Besuch im Osten seitdem ich aus der DDR weg war.

Du hast eine bisher noch nicht erwähnte Leidenschaft - die Muppet Show.
(lacht) Klar! Gonzo! Das war eine meiner wichtigen Einnahmequellen und ein ganz angenehmer Job. Ich hab die Gesangsparts für die Figur in einigen Filmen, zu Beispiel in der Schatzinsel und in der Weihnachtsgeschichte im Studio eingesungen und das war's dann immer schon. Mit anderen Charakteren bin ich dabei eher selten in Berührung gekommen. Teilweise hab ich gleich noch die Parts anderer Figuren mitgesungen (lacht). Mein schönstes Erlebnis in dem Zusammenhang war die Geschichte, als Gonzo seinem Lieblingshuhn im Waschsalon eine Liebeserklärung singt (Gotte singt das entsprechende Lied kurz an - Gonzo live am Telefon - wow!) Da hab ich richtig Herzblut reingelegt, so dass hinterher alle drum herum gerührt waren. Einige hatte sogar ein Glitzern im Auge (lacht). Das hat immer riesig Spaß gemacht. Und wenn man denkt, wer alles bei den Muppets war...

Wie bist Du zu der Figur gekommen?
Zufall. Die Chorsänger hatten neben den verschiedenen Produktionen immer mal Gigs hier und da und dachten irgendwann, als gerade jemand fehlte, da könnte man doch Gotte mitnehmen... Der Rest hat sich dann von allein entwickelt. Einer dieser Gigs war halt bei den Muppets. Ich brachte meine Leistung, dem Regisseur gefiel es und irgendwann hatte ich dann einen großen Charakter der Serie zu singen. Ich vermochte wohl in seinen Augen, den Charakter gewissermaßen lebendig werden zu lassen.

gottekerth2 20121215 1083386877Gab es weitere Filmproduktionen, die Du musikalisch begleitet hast?
Ja, die gab's auch. Ich hab in einem Film mit Götz George, in dem Brüder aus dem Osten und Westen die Rollen tauschen - ich komme gerade nicht auf den Namen ("Schulz und Schulz" - Anm. d. Verf.) - einen Belafontetitel gesungen. Oder in einem Mittelalterfilm, da hab ich den Namen ganz vergessen. Aber an die gregorianischen Gesänge dazu, da erinnere ich mich. Überhaupt gab es eine ganze Reihe von Fernsehproduktionen, für die ich allerdings zumeist als Chorsänger gearbeitete habe. Der ist eigentlich oft gefragt gewesen.

Musikalisch fehlt uns das Heute, die Jetztzeit, wo wir die Gruppe VITAL behandeln müssen, die Band in der Du auch aktuell spielst. Wie bist Du dorthin gekommen?
Nach meiner Krebserkrankung war ich auf einem Oldieabend. Dort fragte mich Werner Zentgraf, ob ich nicht ein paar der Songs singen würde. Das hab ich gemacht und es hat richtig Spaß gemacht, wieder zu singen. Dann fragte man mich, ob ich in die Band einsteigen würde. Da musikalisch auf den meisten anderen Ebenen nichts mehr lief - dank 11. September, Kirchpleite und so - und man anderenorts wegen der Krebserkrankung auf den schwachen, kranken Mann ja viel Rücksicht nahm und mich schonte (lacht - klingt allerdings bitter), hab ich das natürlich gern angenommen. Das einzig traurige war, dass Siegfried Hörger, mit dem ich ja schon bei den Spotlights gespielt habe, in mir wohl eine Konkurrenz sah und ausstieg. Das war anders gedacht. Ich wollte ihn keineswegs als Sänger der Band verdrängen. Vielleicht lag's auch an den unterschiedlichen Erfahrungen. Ich hab ja 'ne Menge erlebt und sehe vieles vielleicht gelassener als der eine oder andere, der sein ganzes Leben in Erfurt verbringen musste... Man muss mal raus aus seiner kleinen Welt. Die große anschauen, vielleicht gar erobern. So bin ich von Erfurt nach Berlin gegangen, wo ich meine regionale Sicht letztlich wesentlich erweitern konnte und dann in die kleine Welt. Hat mir, glaub ich, nicht geschadet. Aber ansonsten hat das in der Band viel Spaß gemacht und tut es heute noch.

Du spielst und singst dort. Wer oder was ist die Gruppe VITAL, stell uns die Band etwas vor.
Dann sag ich jetzt mal, VITAL ist die dienstälteste Erfurter Coverband. Wenn man so will, haben die immer Klassenkampf betrieben (lacht), weil sie ja immer die aktuelle Westmusik spielten, die man live von den Originalen nicht hören konnte. Insofern sind sie heute als Oldiecoverband, sozusagen in einer ganz anderen Ecke, obwohl sie ja die gleiche Musik spielen. Aber gerade am Anfang war es das, was die Leute unbedingt hören wollten und nicht live erleben konnten. VITAL hat das für das Thüringer Publikum sozusagen reproduziert und die Beatkultur damit gewissermaßen am Leben gehalten und über die Zeit bewahrt. Dass die Band eher regional bekannt blieb, dazu könnte man sagen: Undank ist der Welten Lohn, aber das wäre auch Quatsch. VITAL hätte ja auch den Mainstream mitmachen können. Wer weiß, was dann daraus geworden wäre...? Aber da man sich eben immer an Beat und Rock'n Roll orientierte, ist man heute schon wieder fast hochmodern (lacht).

Ist VITAL eine Spaßband?
Ja! Zumindest für die Musiker. Uns macht's nach wie vor richtig Spaß (lacht). Zumal wir ja solche Sachen machen, die man sonst nicht so oft zu hören bekommt. Wo kann man heute auch sonst noch Rockmusik mit einem großen Orchester machen, ganz zu schweigen davon, Oldies so neu einzuspielen? VITAL hat das machen wollen und ab 2001 auch umgesetzt, da war Ostrock in Klassik noch nicht mal angedacht. Nur weil es uns Spaß machte. Daraus hat sich mittlerweile Classic meets Rock entwickelt.gottekerth3 20121215 1282928958 Ich bin seit 2003 dabei. Dabei entstanden Titel wie "Eloise" oder "Street on walking" und eine wirkliche Best of-CD. Man kann CMR regelmäßig zum Beispiel beim Krämerbrückenfest oder auch im Besucherbergwerk in Merkers live mit begeisterten Zuhörern und oft auch mit prominenten Gästen erleben.

Live, Klassik und Erfurt sind drei Stichworte. Classic meets Rock ist nicht die Erfordia, oder?
Nein, die Erfordia ist ein spezielles, klassisch angelegtes Werk über Erfurt, das ich komponiert habe. Das ist eine Suite so richtig nach klassischem Vorbild mit Orchester und Chor, die zumindest anfangs fast ins E-Fach einzuordnen wäre. Im 3. Teil kommt aber die Rockband dazu, so dass es ein typisches VITAL-Stück wird (lacht). Inhaltlich habe ich Erfurts Geschichte von der Urzeit bis heute verarbeitet. Die gesamte 1200 jährige Stadtgeschichte einschließlich der Kriegs- und Nachkriegszeit, der DDR Geschichte und heutiger Geschehnisse. Das Finale bildet ein Loblied auf Erfurt. Ich hab das ganze an meinem Computer entwickelt, dann mit Werner Zentgraf rund gemacht und schließlich in klassische Orchesterpartituren umgesetzt. Die Erfordia wird mit Videoprojektionen illustriert. Erfurt wird sozusagen optisch und musikalisch in Szene gesetzt. Ich hab es schon erlebt, dass Zuschauer gerade bei alten Bildern wohl wegen der Erinnerungen in Tränen ausbrachen. Die Erfordia ist schon irgendwie bewegend. Zumindest für einen echten Erfurter.

Wer hatte eigentlich die Idee zu den Klassiksachen?
Ganz so neu ist die ja nun nicht. So etwas haben ja schon mehrere gemacht, von Deep Purple bis Metallica. Für uns und für Erfurt war das neu. Ich gebe zu, ich hab mir das Ganze nicht recht vorstellen können, anfangs. Aber Werner Zentgraf ist da ein echter Motor. Er sucht eigentlich immer nach Neuem und setzt das dann vor allem auch um. Und er nimmt die anderen dabei mit, motiviert und begeistert sie für das was er vorhat, so dass am Ende alle mitmachen. So auch bei der Geschichte. Ich hab mir vor allem nicht vorstellen können, dass ich Klassik singen kann. Hat aber geklappt. Werner hat das Ziel ausgegeben und wir haben es miteinander erreicht.

Gibt es neben der Best of weitere CD oder gar DVD von Classic meets Rock und der Erfordia, oder ist das nur live zu erleben?
Ja, es gibt vom 30. Krämerbrückenfest eine DVD, auf der auch eine Aufführung der Erfordia enthalten ist. Von den Classic meets Rock-Konzerten gibt es sowohl CDs, als auch eine DVD. Aber live mit vielen Zuschauern ist das doch etwas ganz besonderes. Was mich immer ein wenig ärgert ist, dass die lokalen Medien so wenig Notiz von all dem nehmen. Zum Beispiel das Krämerbrückenfest, wo ja dieses Klassikprogramm und die Erfordia abends auf dem Domplatz aufgeführt werden. Das wäre ja vielleicht etwas besonderes, das sich für eine Übertragung oder eine Aufzeichnung anbieten würde. Es ist ja wie gesagt ein geradezu monumentales Gesamtkunstwerk, wo wir nur ein ganz kleiner Teil sind. Aber was passiert? Man muss sich freuen, wenn man im Zusammenhang mit der Zweispaltenmeldung - dann und dann ist das Fest - überhaupt Erwähnung findet.gottekerthheute 20121215 1798639672 Es ist eigentlich traurig, dass die Medien anscheinend nicht so interessiert sind. Dabei haben wir ja oft auch noch namhafte Gastmusiker und Opernsänger bei den Aufführungen dabei. Ich erinnere mich gern an den Gastauftritt von Angelika Weiz, die einmal neben Kerstin Radtke sang. Ansonsten ist das immer eine richtig bunte Geschichte.

Mit Angelika Weiz verbindet dich auch eine aktuellere Zusammenarbeit. Oder täusche ich mich da?
Mit Angelika zu arbeiten, ist immer ein Vergnügen. Sie ist ja eine ausgewiesen tolle Sängerin. Und ich hatte das Vergnügen, mit ihr einen Teil der Vocals zu Thomas Natschinskis Album "Weit, weit und wild" gemeinsam einzusingen. Die Geschichte führte dann auch zu der Classic Sache. Ansonsten sind aber aktuell keine weiteren gemeinsamen Auftritte angedacht. Aber vielleicht kommt auch das noch (lacht).

Ist klassische Musik ein neuer Schwerpunkt von Dir? Ich denke da gerade daran, dass Du den Chor aus Nabucco aufgenommen hast.
Na ja, Klassik ist vielleicht nicht das, womit man einen Sänger aus dem Pop-, Rock- oder Schlagergenre zu allererst in Verbindung bringt, aber so ganz neu ist das alles eigentlich auch nicht. Gute Leute können schon mal das eine oder andere Stück interpretieren. Einiges ist ja sozusagen der Pop der Vergangenheit. Manche Stücke gehen allerdings gar nicht. Aber es geht ja auch vieles nicht, was klassische Sänger mit großen Popsongs gemacht haben, so wie es auch da gute Stücke gibt. Ich mag klassische Musik sehr, schon weil darauf vieles aufbaut, was wir heute so hören, wie heute Musik gemacht wird. Nabucco war eine ganz verrückte Sache. Ich wollte sowas seit längerem mal versuchen und hab das dann im Zuge des Classic meets Rock-Programms für die CD auch umgesetzt. Ich wollte mal einen richtig großen Chor machen. Aida oder eben Nabucco, so die Art. Und das hab ich ja dann auch. Aber richtig große Chöre kosten richtig großes Geld. Schon von daher ist ein großer Chor leichter gesagt als getan gewesen. Also hab ich den Chor selbst eingesungen. Dreißig mal Nabucco (lacht) einzeln aufgezeichnet, bearbeitet und dann bei einer der großen Aufführungen eingespielt als Halbplayback. Das Orchester, die Band und ich live und der Chorpart dazu. Da musste sich alles nach diesem Band richten (lacht). Das Stück ist ja auch auf der CD. Aber auch bei Classic meets Rock bin ich eher der Rocker. Schließlich spielen wir als Band vor allem die Rockparts. Lauter alte und neue Klassiker von "We will rock you" über "Another Brick in the Wall", "Eloise" zu "Right here waiting" und so, lauter schöne melodische Rocksongs eben. Das Orchester hat den Klassikpart und wird ihn auch behalten. Wir mischen uns da nur als Bestandteil ein. Dann bestimmt der Dirigent. In der Regel ist es ein Wechsel von Klassik und Rock mit entsprechenden Übergängen.

Bevor Du zu VITAL kamst, gab es eine Band "Bernstein" mit der Du spieltest. Was war das für ein Projekt, warum endete es scheinbar so schnell?
Bernstein war der Versuch eines Neubeginns mit meinen Freunden von "Die Drei", der nicht so verlief, wie wir uns das wünschten. Das war nach meiner Zeit mit Gaby Albrecht. Da wollte ich doch noch einmal einen Anlauf mit Rockmusik machen. Wir hatten alles bestens vorbereitet. Es gab 'ne richtige Pressekampagne so mit schönen Fotos und Design und allem. Wir haben neue, gute Titel aufgenommen, aber... niemand wollte sie. Kein Label, kein Verlag, nichts. So war Bernstein schnell wieder vorbei. Irgendwie war Bernstein ein bisschen von den Travelling Wilburys inspiriert - ein paar alte Säcke wollen's noch mal wissen. Nur waren wir nicht George Harrison, Bob Dylan oder Roy Orbison (lacht). Zudem hat uns meine Krebserkrankung auch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir hatten ja alles fertig, da erkrankte ich und fiel vollständig aus. Die Jungs haben versucht, das Ding allein am Laufen zu halten. Das lief eine Weile auch ganz gut. Der Titel "Du kannst doch nicht einfach so gehen" lief recht gut im Rundfunk. Aber irgendwann kam der Knick und es wurde letztlich alles sehr eng, so dass das dann doch beendet wurde und alle etwas anderes machten. Burkhard hat so eine japanische Musikschule, Yamaha Keyboards und diese Sachen, aufgemacht und Carsten ist ins Studio von Ingo Politz gegangen, bei dem er heute Studioleiter ist.

Das sind ja erstaunliche Verbindungen und Wechselfälle des Lebens...
Das kann man so sagen. Zu diesem Team damals gehörte in gewisser Weise auch noch Bernd Meinunger. Er hatte einige Lieder für die Band geschrieben und war auch an der Produktion beteiligt. Und die Band - da kannte man sich halt lange und hatte dann irgendwann immer mal wieder Berührungspunkte. Musikalisch waren die Jungs schon genau meine Wellenlänge. Wenn man so will, kamen wir ja alle ein wenig aus der Crosby, Stills- oder Dylan-Ecke oder wollten sowas machen. Bevor ich abgehauen bin, hatte wir ja auch jede Menge Gigs zusammen und dabei auch immer 'ne Menge Spaß. Schon weil wir zusammen ja ganz andere Sachen machen konnten als allein. Ich erinnere mich zum Beispiel an Clapton mit drei Gitarren oder die Eagles dreistimmig. Das waren schon tolle Sachen und das klang auch wirklich gut. Das Verhältnis passte zudem. Ja und diese Verbindung hat halt gehalten (lacht).

Andere nicht?
Ne - andere nicht. Es gibt da alle Varianten. Gerade wenn es einem richtig dreckig geht, staunt man mitunter, dass da welche sind, die man gar nicht auf der Liste hatte, während andersrum die, von denen man dachte, sie wären in so einer Situation da, verschwunden sind. Wenn dann von einem gedachten Freund ein Grußschreiben als einziges Zeichen kommt (spricht das so hart, dass man noch spürt, wie sehr ihn das getroffen hat und dass die Enttäuschung sehr tief sitzt), vielleicht noch ein Blumenstrauß statt eines Telefonats oder des erhofften Besuchs, kein persönliches Wort... (schweigt). Manch einer hat damit halt wohl nicht umgehen können. Vielleicht haben sie Angst vor negativer Energie oder sowas gehabt. Gesundheit, Geld und auch ein paar alte Freunde - alles weg mit einem Schlag. So ging's mir zumindest mit meiner Krebserkrankung.

Wie wechsle ich jetzt am besten das Thema? Auf Deiner Website hab ich eine Gitarre gesehen. Kerth, mit dem Du ja mal begonnen hast Musik zu machen, hat seine "Eine". Gibt es zu der Gitarre auf dem Bild auch so eine Geschichte?
(lacht) Ich hab zumindest auch eine... Gitarre meine ich. Aber die hat immer mal gewechselt. Ich habe meine Gitarren nie so umgebaut oder dergleichen. Ich hab immer versucht, gute Instrumente zu bekommen und damit auch aktuell zu bleiben und vielfältig spielen zu können. Kerth hat das mit den Umbauten auch für sich erreicht. Ich hätte da nicht so viel basteln wollen und können. Aber was er erreichen wollte und irgendwie auch hat, das ist schon toll. Ich musste, weil ich nicht gebastelt habe, neue Instrumente kaufen (lacht). Jetzt habe ich zum Beispiel eine amerikanische Gitarre. In der sind sozusagen alle anderen Gitarren enthalten. Man dreht an einem Knopf, dann ist es eine Fender, man dreht weiter, dann ist's 'ne 12-Saiter und noch eine Drehung dann wird's 'ne Sitar. Ich liebe moderne Instrumente wegen ihrer vielen Möglichkeiten. Deshalb hatte ich ja auch immer mal neue Instrumente. Meine neue Gitarre ist etwas, das in Deutschland noch nicht so verbreitet ist, aber mir gefällt das. Besonders auch, wenn ich solo unterwegs bin. Dann ist so ein Instrument ein kleines Orchester. Außerdem möchte ich nicht so gerne 10 Gitarren auf die Bühne schleppen. Mal davon abgesehen, dass ich mir 120 Spitzeninstrumente gar nicht leisten könnte (lacht). Daher hab ich mich für die moderne Technik entschieden. Ins Netz hab ich sie gestellt, weil ich sie ja selbst dekoriert habe und ich finde, dass mir das ganz gut gelungen ist (lacht schallend). Ich male ja gerne...

Das ist das nächste Stichwort und eine ganz andere Disziplin. Wie kommst du zum Malen?
Eigentlich wollte ich erst als Rentner so richtig malen. Ich hab schon seit langem immer mal so vor mich hin gemalt. Als ich dann erkrankte und die Chemo hatte, hab ich zur Ablenkung und als Ausgleich gemalt. Gitarre spielen ging nicht, weil die Finger steif waren - also hab ich gemalt. Das hat mir gerade bei den beiden heftigen Chemos sehr über die Zeit geholfen. Musik ging da gar nicht. Sogar Hören hat mir physischen Schmerz bereitet. In der Situation setzte ich mir ein Ziel: Du machst jeden Tag etwas. Du malst jeden Tag ein Bild! So sind die ersten Bilder entstanden, mit Farbstiften losgemalt. Im Nachhinein hab ich festgestellt, dass gerade in diesen Bildern sehr viel von mir und meinem Leben reflektiert ist. Daher haben diese Bilder auch spezielle Namen bekommen. Aus jedem Tag wurde schließlich jeden Monat und damit 12 Bilder. Die hab ich später denen geschenkt, die mir in der Zeit als Freunde verblieben sind und mir beigestanden haben. Etwas ernsthafter angefangen zu malen hab ich aber schon vorher, in der Zeit, nachdem ich in den Westen gegangen war. Damals hat es eine ganze Weile gedauert, ehe ich irgendwo wirklich unterkam. Und in der Zeit hab ich mit dem Malen begonnen. Auch weil mir mal jemand sagte, malen wäre ein guter Spiegel für die Seele und ein Ventil für alle möglichen Probleme. Probleme und Zeit hatte ich ja genug, also fing ich amateurhaft an zu malen. Nur so für mich. Im Grunde halte ich das so bis heute. Wenn mir halt so ist, male ich. Ohne Vorgabe, ohne Ziel. Ich entdecke erst hinterher, was da in den einzelnen Bildern steckt. Das ist wie eine Seelenreinigung. Das was ich male passiert mir einfach so, quasi ohne mein Zutun.

Was geschieht mit den Bildern? Kommerziell nutzt Du das nicht, oder?
(lacht) Ich warte noch auf einen Kunstkenner der die ganzen Bilder für viel Geld kauft, der mein Genie entdeckt (lacht schallend). Nein! Im Ernst... Ich hoffe immer noch, dass es mal eine Gelegenheit gibt, das im größeren Stil vorzustellen. Vielleicht über einen Verlag oder ähnliches. Aber so recht glaub ich da nicht dran. Das ist wie mit den Musikstücken, die auch in der Zeit meiner Krebserkrankung entstanden sind. Die interessieren auch niemanden. Das sind Instrumentalmusiken, die ich Spacemusic nenne und Vokalstücke, die Vokal total heißen. Die Vokaltotalstücke sind eine Geschichte, wo ich für 12 Stücke verschiedene Stimmen einzeln eingesungen habe. Das geschah sozusagen parallel zu den 12 Bildern während der Chemophase, als ich nur noch singen konnte. Die Finger waren zu steif für ein Instrument und rissen zudem schnell auf. Daher hab ich da nur gesungen. Aber wie die Bilder hab ich das ja eigentlich nur für mich gemacht, ohne finanzielle Interessen und ohne Rücksicht darauf, wer das wie einordnen könnte oder wer davon was hält. Das war mir scheißegal. Insofern ist es auch nicht besonders tragisch, wenn das niemanden interessiert. Die Bilder und diese Musik waren sehr wichtig für mein Selenheil damals. Dass sie auch sowas hätten sein können wie ein Vermächtnis, das weiss ich heute. Übrigens gibt es da prominente Parallelen. Chris Rea hat das alles auch erlebt. Wusste ich bis vor kurzem auch nicht. Hab ich gelesen. Er sagt, er hat sich in dieser Zeit, wie er es nennt, ausproduziert. Dieses kreative, elementare Arbeiten scheint eine funktionierende Methode zu sein, um solche Schicksalsschläge zu überwinden. Und ich bin dankbar, dass mir diese Fähigkeit gegeben ist. Zusammen mit den Menschen, die mir beistanden, hat mir die Fähigkeit, etwas kreativ zu schaffen, viel Kraft gegeben.

Welche Ziele hat Gotte noch?
Eigentlich wollte ich ja in Rente gehen (lacht). Aber einige Leute wollen mich da noch nicht haben und außerdem bekomme ich ja auch gar keine (lacht). Also mach ich noch ein wenig weiter. Vielleicht so wie Kollege BB King oder einige andere. Solange es die Gesundheit zulässt und mich noch ein paar Leute sehen und hören wollen… Ja und wenn sie das nicht mehr wollen, wenn die Leute keinen Spaß mehr an meiner Musik haben… Tja - dann ist das traurig und ich widme mich nur noch der Malerei und meinen Enkelkindern (lacht). Vielleicht verwerte ich dann auch meine Vergangenheit. Memoiren sind ja "In". Da kann ich dann die Wahrheit und nichts als die Wahrheit erzählen (lacht).

Wird die jetzt nicht erzählt?
So meine ich das nicht. Aber mit Geschichte und Geschichten ist es ja so, dass die gesamte dargestellte Geschichte nicht stimmt. Das ist ein wenig wie bei der stillen Post. Der eine erzählt etwas, der nächste gibt es etwas anders wieder und wenn der Fünfte die Geschichte erzählt hat, ist es eine andere Geschichte. Das trifft natürlich auch auf das Thema Ostmusik zu. Darum glaube ich solchen Geschichten auch nicht mehr, es sei denn, ich hab sie selbst erlebt (lacht). Zum Beispiel die Tamara-Geschichte. Meinen Part erwähnt niemand, weil er den wenigsten bekannt ist. Und so wichtig ist es auch gar nicht, dass man jedes Detail kennt. Viel wichtiger ist, dass Tamara zur Krüger-Band kam, dort viele Einflüsse erlebte und am Ende die Tamara wurde, die man kennt. Oder Tommy Abendroth und Micha Schwandt. So recht erinnert sich wohl kaum jemand daran, dass wir dabei waren, die Gruppe Nautics nochmals zu beleben. Daraus wurde bekanntlich nichts, da ja die halbe Band im Gefängnis saß und die andere Hälfte finanziell vor dem Nichts stand. Dafür hab ich beide dann nach Berlin zu Krüger geholt, wie mich vorher Römer holte. Einige solcher Geschichten sind interessant, andere nicht der Erwähnung wert. Und wenn eine Geschichte völlig verklärt oder falsch dargestellt wird, dann ist es gelegentlich erstaunlich, manchmal auch nur peinlich. Wichtiger ist, so meine ich, was zum Beispiel bei der Krüger-Band an Kreativität vorhanden war und sich in moderner Musik niederschlug, denn da kann man nicht hinzu- oder wegdichten.

Wenn Du es Dir aussuchen dürftest, mit wem möchtest Du mal gemeinsam arbeiten, auf der Bühne stehen und singen?
Die Wünsche sind unerfüllbar. Zu allererst ist das Eric Clapton natürlich (lacht schallend). Das wäre mein absoluter Wunschpartner. Aber wer bringt mich mit ihm zusammen? Allerdings - ich hab mit ihm gespielt. In der Chemo im Fieberwahn. Damals dachte ich, jetzt klapp ich ab, jetzt ist's zu Ende. Da waren dann Eric Clapton und Muddy Waters da. Die saßen so da... ich bin übrigens nicht gläubig, glaube an keinen lieben Gott - und da haben wir zusammen diese schöne alte Nummer gesungen, "You got to move" und am nächsten Tag ging's bergauf. Die beiden spielten Gitarre und ich hab's so mitgesungen (singt das an - selbst am Telefon hat Gotte eine klasse Bluesstimme ...). Du musst dich bewegen! Das hab ich dann gemacht.

Hast Du mal drüber nachgedacht, das auf 'ne CD oder einen andern Tonträger zu bringen? Ist ja wohl irgendwie auch Dein Lied?!
Nein. Das sing ich in einem Soloprogramm. Das nennt sich "Eine kleine Rockgeschichte". Da erzähle ich über all die Sachen, die wir auch gerade hatten, die ganze Rockgeschichte sozusagen, und singe passende Songs aus der jeweiligen Zeit dazu. "You got to move" ist eben auch dabei.

Ist das Dein Lieblingstitel? War das Lied zum 60. im vergangenen Jahr ein Geburtstagsständchen für Dich oder wäre es eins gewesen?
Nein. Ein einziges Lieblingslied gibt's eigentlich nicht. Da sind so viele Titel, die mir gefallen, da kann man keins wirklich nennen. Von meinen alten Helden gibt es von jedem mindestens eins. Seien es die Pretty Things, die Kinks superklassisch "You really got me", das ich immer mit Kerth gesungen habe, die Byrds "Eight miles high", die Stones und viele andere. Das sind so die Titel und Bands, mit denen wir angefangen haben und mit denen wir uns über Wasser hielten. Mit diesen Songs verbindet sich bei mir viel. Mit denen haben wir für uns gegen das "Establishment" gekämpft, sozusagen um unser Überleben. Und die Leute waren immer richtig fertig, wenn wir die gespielt haben. Weil die Titel live, das war ja wie etwas aus einer anderen Welt. Und wir damit auch irgendwie (lacht).gotte1964 20121215 1029820979 "You got to move" allein ist's nicht. Wäre es vielleicht, aber aus anderer Sicht. Und die Geburtstagsständchen - da hab ich mich gefreut, dass mein Sohn mir einen Song sang, dass mein Enkelkind mir einen Song sang. Ein wenig hoffe ich ja, dass meine Kinder und Enkel ein paar Rockgene geerbt haben. Ich bin da eigentlich ganz optimistisch (lacht). Dazu kamen noch einige nette Kollegen und Freunde. Mit denen versuchen wir, die alte Rockmusik einfach mal so am Leben zu halten, weil das auch 'ne gute Kultur war. Und das kann, sollte man und muss es vielleicht sogar so darstellen.

Und Deine eigenen Titel? Gibt es da sowas wie einen Lieblingssong oder einen Favoriten?
Das ist ebenso schwierig zu sagen. Ich hab ja in Bands gesungen, solo gearbeitet und andere Künstler produziert. Mit den meisten davon verbinden sich Geschichten und das macht jede für sich wertvoll für mich. Da sind Lieder dabei, wie die Tagesreise mit der Horst-Krüger-Band, wo ich die Passagen im Refrain gesungen habe. Die Aufnahme ist jetzt ja in der Box zum Amiga Jubiläum erschienen mit CDs von Natschinski, Brot und Salz und Drei sowie der Horst-Krüger-Band. Das für das Duo Thomasius produzierte Lied "Barfuß übern Strand" hat auch eine besondere Geschichte. Wolfgang Thomasius, der ja mal am Schlagzeug bei Transit saß, hatte mit diesem Lied beim Grand Prix des Nordens einen großen Erfolg. Ich glaub, wir hatten damals gewonnen. Das war nicht lange nach der Wende und fast etwas wie ein Karriereschub für Thomasius. "Lieder so schön wie der Norden" hieß die Sendung wohl, irgendwie war Elke Mertens dabei und Thomasius sangen mein Lied "Hand in Hand gehen wir übern Strand", sozusagen meinen großen Volksmusikhit (lacht). Oder Rex Gildo. Für ihn hab ich seine letzte Single geschrieben "Engel vergisst man nicht". Irgendwie tragisch. Auch er selbst mit all seinen Problemen und Neigungen, die er nicht lösen und ausleben konnte bis zu seinem Tod 1999. Eine andere, gewissermaßen tragische Geschichte ist mit "Danny" verbunden. Das ist für mich gewissermaßen verloren, da es in direktem Zusammenhang zu den Leuten steht, die in der DDR für Horch und Guck auf mich aufgepasst haben. Zwar ein sehr schönes Lied, das aber für mich seinen Sinn verloren hat, da der Inhalt nicht ehrlich ist. Ich kann's nicht mehr überzeugt singen, nachdem sich mir ein ehemaliger Freund als IM offenbarte, mir seine Geschichte erzählte. Ich hab ihm verziehen, aber auch gesagt, dass ich nichts mehr von ihm wissen will. Dabei ging auch der Sinn Dannys kaputt. (schweigt, als würde er die Geschichte gerade noch einmal erleben, Anm. d. Verf.)

Du bist also direkt stasigeschädigt. Wie siehst du dieses Thema heute?
Ja. Es gab, so weiß ich heute, eigentlich immer irgendwen, der als IM über mich, die Bands und vieles andere berichtete. Dazu die unsinnigsten Schulungen und Belehrungen als ich dann mal ins Ausland durfte. Die Spitze des Unsinns war eine Behauptung, der Weltkommunismus würde siegen, wenn Amerika durch die Verschiebung der Kontinente untergehen wird. Keine Ahnung, wo die den Spinner her hatten und ob der das selbst glaubte. Natürlich wurde man bei der Gelegenheit auch um Mitarbeit gebeten und es gab durchaus Probleme, wenn man die nicht leisten wollte. Und heute? Da finde ich es traurig, dass die Opfer irgendwie eine viel kleinere Lobby haben als die Täter. Die sind wieder oben auf, sitzen in Parteien, Gremien und Organisationen und es geht ihnen gut. Man handelt mit allem, was gut und wertvoll ist, von Immobilien bis sonstwas und fühlt sich rundum sicher und wohl, weiß nichts von der Vergangenheit, es sei denn, es wird etwas nachgewiesen. Ein schwieriges Thema, das uns wohl noch einige Zeit begleiten wird und muss.

Ich möchte den Lieblingsliedgedanken noch einmal aufnehmen. Welches Lied von Deinen eigenen würdest Du Dir sozusagen als verspätetes Geburtstagsständchen wünschen?
(Überlegt, dann kommt irgendwie weich und versonnen:) "Am Morgen". Schon weil der "Rücken" irgendwie sehr abgenudelt ist und dieses Lied auch sehr schön ist, wie ich finde. Und es hat eine ganz interessante Geschichte. Es ist deshalb entstanden, weil ich bei einer Rundsendung die Gruppe Status Quo kennenlernte. Wir waren zufällig in der gleichen Garderobe, warum auch immer, auch wenn wir da nur selten drin waren. Weil: Zum einen waren die Proben und Aufzeichnungen für die Sendung und zum anderen - ich hatte den Quo-Gitarristen kennen gelernt und der hatte damals eine neue Oviatin, die mit dem Plastikkorpus hinten.art 20121215 1032612511 Die Gitarre hatte noch keiner in der Zeit. Und die Gitarre hatte ein open tuning - etwas, das ich gar nicht kannte. Ich wusste nicht mal, dass es sowas gibt. Keith Richards spielt das übrigens schon sein ganzes musikalisches Leben. Open tuning ist eine besondere Art, Gitarren zu stimmen. In einer anderen Tonart als üblich sozusagen. Und der Quo-Gitarrist spielte das eben. Die ganzen Hits wurden in der Stimmung eingespielt. Und damals bei der Rundsendung hat er mir das mal gezeigt und das Tuning beigebracht. Ich hatte zudem auch gerade eine neue Oviationgitarre, allerdings ein klassisches Modell. Die hab ich dann umgestimmt. Wir haben den ganzen Tag das Spielen geübt, gemacht und getan, bis alles einigermaßen lief. Dabei kam die Idee zu dem Titel. Ich hab von da an viel im open tuning gespielt. Dass das viele machten, wusste ich da noch nicht. Der einzige, bei dem ich das später bemerkte, war Gerhard Schöne. Er benutzte auch mehrere Gitarren mit verschiedenen Stimmungen. Aber die offene Stimmung ist eigentlich ja 'ne ganz alte Sache der amerikanischen Cowboys. Wenn da jemand 'ne Gitarre in die Hand bekam und kaum 'nen Griff kannte, sie nicht richtig spielen und stimmen konnte, dann legte er den Zeigefinger quer über die Saiten und stimmte die Gitarre so, dass es klang. So konnte man leicht jemanden begleiten und auch solche Slidegeschichten machen. Das ist der Beginn. Mittlerweile ist es durchaus üblich, so zu spielen. Auch ganz große haben so gespielt, Crosby, Stills , Nash & Young zum Beispiel oder Joni Mitchell. Allerdings eben auch Leute, die nicht wirklich Gitarre spielen können. Einigen hat open tuning dabei geholfen, zumal man ganz andere Griffe hat als bei der klassischen Stimmung und auch irgendwie einen besonderen Sound aus den Instrumenten holt. Ich jedenfalls hab's sozusagen von Status Quo damals gelernt und daher kommt "Am Morgen" (lacht).

Wie wird es musikalisch bei Gotte weitergehen?
Zunächst hoffe ich erst mal, dass ich gesund bleibe und mit meinen Freunden, die ja auch um die 60 sind, weiter Spaß haben kann. Stones und Puhdys machen uns das ja vor (lacht).

Gibt es konkrete Projekte?
Ja. Duo "Golden Songs" mit Werner Zentgraf zum Beispiel. Des Öfteren singt Kerstin Radtke mit. Dann sind noch zwei künstliche Kollegen dabei (lacht), aber wir zwei spielen immer noch gute alte, handgemachte Musik. Ein wenig ist das die kleinere VITALvariante, da man sich ja heutzutage flexibel im Musikmarkt bewegen muss und wir zudem nie die großen Stars waren. Wenn es gewünscht wird, spiele und singe ich auch allein. Das hab ich ja vor Jahren hauptsächlich gemacht.

Du hast ja, wie wir erfahren haben, mit vielen verschiedenen Musikern gearbeitet. Ist neben VITAL etwas geplant?
Es gibt und gab verschiedene Angebote. Aber die sind oder waren oft nicht mein Ding. Und wenn mir etwas gefallen hat, wie die Sachen mit Natschinski, dann klappte das zeitlich aus verschiedenen Gründen nicht. Das Geburtstagskonzert hat jedenfalls sehr viel Spaß gemacht. Ansonsten macht Werner alles mögliche möglich (lacht). Vor allem aber mit den VITALs.

Dann bedanke ich mich für das ausführliche Gespräch, die vielen Einblicke in verschiedenste Themen, wünsche weiterhin beste Gesundheit und sage "Auf Wiedersehen, Gotte". Vielleicht bei einer Aufführung der Erfordia in Erfurt oder einem anderen Deiner Projekt

 
Interview: Fred Heiduk
Bearbeitung: cr
Fotos: Privatarchiv Heinz-Jürgen "Gotte" Gottschalk
 
 
 
 
 




   
   
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