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Udo Dirkschneider:

Enthusiasmus mit Langzeitwirkung

 

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Wenn man zu Beginn der 80er Jahre Hard Rock und Heavy Metal mochte, hatte man sein musikalisches Zuhause hauptsächlich in Großbritannien und den USA, denn von da kamen die meisten und auch die besten Bands, die bis heute in der ersten Liga spielen. Zwar hatten auch andere Länder durchaus relevante Vertreter der harten Gitarren zu bieten, doch waren die meist Einzelexemplare und wurden als "Exoten" angesehen. Auch Deutschland - heute einer der wichtigsten Märkte für harte Musik mit extrem hoher Banddichte - war damals noch Entwicklungsland, in dem lediglich die Scorpions die eiserne Fahne hochielten. Doch das sollte nicht so bleiben: Fast unvermittelt tauchte in jenen Tagen eine junge deutsche Band auf, die mit ihrer dritten LP den Heavy Metal Sound neu definierte. Rohe, krachende und messerscharfe Gitarrenriffs trafen auf ungezügeltere, wildere Rhythmusgebilde, als man sie bis dato je gehört hatte. Dazu kamen ungestüme und rasend schnelle (Doppel-)Gitarrensoli, die trotz aller ungezügelter Kraft nie aus dem Ruder liefen und ihren melodischen Grundcharakter stets beibehielten. Und dann dieser Sänger... Mit einer Reibeisenstimme irgendwo zwischen Brian Johnson (AC/DC) und Dan McCafferty (Nazareth) schrie sich der kleine Frontmann die Seele aus dem Leib und traf den unbedarften Hörer damit bis ins Mark. Ein so gewaltiges Metallgewitter war neu und einzigartig und machte die Band fast über Nacht in ganz Europa bekannt. Der Name dieser außergewöhnlichen LP war "Breaker" und die Band hieß ACCEPT. Heute kennt sie jeder, der sich auch nur einigermaßen mit der hartmusikalischen Materie befaßt, sie hat ihren Platz in der weltweiten Rock-Historie längst inne. Doch genauso rasant wie ihr Aufstieg war auch ihr Sturz und so war sie eines Tages plötzlich wieder von der Bildfläche verschwunden. Aber nur fast: Sänger Udo Dirkschneider, dessen Rausschmiß ein wesentlicher Bestandteil des Accept-Niedergangs gewesen war, hatte mit seiner neuen Gruppe U.D.O. bereits ihren Platz eingenommen und setzte unbeirrt und erfolgreich seinen Weg fort. Das ist mittlerweile über 20 Jahre her und in der Zwischenzeit ist manches passiert. Über all das einmal mit Dirkschneider sprechen zu können, war lange Zeit einer unserer Träume, der am 21.09.2009 Wirklichkeit wurde. Ausgehend vom starken aktuellen U.D.O.-Album "Dominator" begaben wir uns mit Udo auf Zeitreise, zu der wir euch herzlich einladen...

 


 

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Hallo Udo und herzlich willkommen bei Deutsche Mugge! Bevor wir zum neuen Album und allem anderen kommen, möchten wir dir uns gerne einem Thema widmen, das uns schon seit vielen Jahren bewegt und interessiert. Deine frühere Band Accept war in der DDR äußerst beliebt und wurde zudem auch viel im Radio gespielt. Hast du damals mitbekommen, welchen Stellenwert die Band im Osten hatte und welche Beziehungen hattest du zur ehemaligen DDR?
Auch erstmal hallo! Ja, ich hatte sogar sehr enge Beziehungen zur DDR, weil Verwandte von mir da wohnten. Ich bin auch mal drüben gewesen, als ich noch jung war. Dadurch habe ich später natürlich sehr wohl mitbekommen, daß Accept in der DDR eine ganz große Nummer war. Ich glaube, mein Cousin hat mir das mal erzählt.

Warst bzw. bist du mit der Musikszene der DDR vertraut, kanntest du Bands und Musikrichtungen?
Nein, überhaupt nicht. Da hat man nichts davon mitbekommen. Hinterher dann, ja. Da hat man dann Bands wahrgenommen wie Karat... Ach ja, Karat! Die kannte ich natürlich schon, weil Peter Maffay mal eine Nummer von denen gemacht hatte. Die Puhdys hat man mal gehört und da war auch noch eine andere Gruppe, deren Name mir gerade nicht einfällt. Aber mehr ist da nicht angekommen.

Habt ihr je versucht, in der DDR Konzerte zu organisieren?
Nein, das wurde leider nie versucht.

Wie hast du aus deiner Sicht die politische Wende erlebt und was hat dich am meisten bewegt, als du davon erfahren hast?
Ich war gerade im Studio und habe an einem Album gearbeitet, da kam das im Fernsehen. Das war irgendwie... wie soll man das beschreiben? (überlegt) Wie gesagt, ich hatte ja Verwandte dort, da hat einen das schon sehr berührt. Ja, so könnte man es vielleicht am besten ausdrücken.

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Du bist mit U.D.O. sehr bald nach der Vereinigung im Osten aufgetreten. Wie seid ihr empfangen worden und welche Erfahrungen hast du dabei gesammelt?
Sehr gute und sehr angenehme Erfahrungen. Ich hatte allerdings auch nichts ganz Seltsames oder Negatives erwartet. Wir sind sehr freundlich aufgenommen worden und die Konzerte haben viel Spaß gemacht.

Was hat sich deiner Meinung nach seither in welcher Weise geändert?
Nun ja, Deutschland ist halt etwas größer geworden... (lacht), das kann man wohl so sagen! Ich kann auch nichts mit diesem Ossi-Wessi-Problem anfangen. Für mich ist das ein Deutschland und fertig! Dieses Negative und Abwertende, daß manche Leute am liebsten schnell die Mauer wieder aufbauen würden, kann ich nicht nachvollziehen. Ich find's gut, wie es gekommen ist und so langsam aber sicher wächst das auch zusammen. Zwar noch nicht ganz, aber wir sind auf einem guten Weg. Ich denke, nach der nächsten Generation redet keiner mehr davon.

Wir dachten dabei eigentlich mehr in musikalischen Kategorien. Man sagt ja im allgemeinen, daß im Osten nur noch Death- und Black Metal läuft...
Ach, Musik ist doch immer Geschmackssache. Der eine hört halt gerne Death Metal, der andere wiederum hört lieber Was-weiß-ich-für-einen Metal... Das ist ganz normal. Die Art Musik, die wir machen, ist nunmal der klassische Heavy Metal. Das ist der Ursprung, den wird es immer geben und daran wird sich nichts ändern. Und es gibt mit Sicherheit auch in Ostdeutschland genug Fans, die diese Art Musik mögen.

Nun ja, man hört nicht selten Aussagen wie: "Im Osten brauchen wir gar nicht erst spielen, da will uns eh keiner hören."...
Das halte ich für Quatsch. Wir haben auf der letzten Tour 2007 zum Beispiel auch wieder in Leipzig gespielt. Der Saal war zwar nicht brechend voll, aber dennoch gut besucht und das Konzert hat Spaß gemacht. Also, es ist auf jeden Fall machbar!

Seit Ende August steht das zwölfte U.D.O.-Studioalbum "Dominator" in den Läden. Rechnet man die Platten von Accept dazu, ist es deine 22. LP...
(lacht) Genau!

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...uns würde interessieren, mit welcher Zielsetzung man an einem neuen Album arbeitet, wenn man bereits einen so großen Backkatalog hat, in dem sich ja bekanntlich einige Welterfolge befinden. Was treibt dich an, immer wieder ins Studio zu gehen und dich neu zu erfinden?
Wenn man an ein neues Album geht, denkt man nicht darüber nach, was und wieviel man schon gemacht hat. Man fängt immer wieder mit neuem Enthusiasmus an. Wäre es anders, müßte man auch aufhören. Man versucht halt, immer noch etwas besser zu sein... (überlegt) So eine Platte ist doch auch ein kleines Kunstwerk! Wenn man zum Beispiel Bilder malt, sagt man ja auch nicht: "Ich muß jetzt das neue Bild genauso malen wie das vorige, weil es so vielen Leuten gefallen hat." Man macht vielmehr immer etwas Neues. Man darf sich gar nicht erst damit beschäftigen: "Ach du liebe Güte, ich habe schon so und so viele Alben gemacht und die sind so und so gelaufen und da sollte ich vielleicht wieder in diese oder jene Richtung gehen..." Das bringt gar nichts. Wir machen einfach immer drauf los, weil es Spaß macht. Und bis jetzt - toi, toi, toi - sind uns, glaube ich, ganz gute Alben gelungen.

Wie man unserer Rezension entnehmen kann, haben wir eine Weile gebraucht, uns mit "Dominator" anzufreunden und waren zunächst gar nicht so überzeugt davon. War es evtl. Absicht, die Titel auf Langzeitwirkung anzulegen und macht man sich beim Schreiben und Aufnehmen überhaupt Gedanken darüber, wie dieses oder jenes bei den Leuten draußen wirken wird?
Nein, eigentlich nicht, da man das sowieso nicht beeinflussen kann. Mir selbst geht es ja auch oft so, wenn ich Platten von anderen Bands höre. Erstmal denkt man: "Och, das war jetzt aber nicht so toll...", doch nach mehreren Durchläufen kann sich noch richtige Begeisterung einstellen. Da ist auch jeder verschieden: Während einer gleich vom ersten Moment an den Zugang zu neuer Musik findet, braucht der andere eben etwas länger und muß sich erst reinhören. Ich denke, bei "Dominator" kann dieser Prozeß zum Beispiel deshalb länger dauern, weil die Songs so vielschichtig sind. Das ganze Album ist ziemlich breit gefächert und geht nicht nur in eine bestimmte Richtung. Da sind viele verschiedene Stilistiken drauf vereint, was es für den Hörer anspruchsvoller macht, so daß mancher doch mehrmals und genauer hinhören muß, bevor er sagt: "Aha!"

Genau das ist uns auch aufgefallen. "Dominator" gibt einen recht umfangreichen Einblick in die vielseitigen musikalischen Welten der Band. Die CD wirkt dabei fast wie eine Art "Best Of" oder eine Bestandsaufnahme. Steckt da ein Plan dahinter oder hat sich das einfach so ergeben?
Wie gesagt, wir denken über solche Geschichten gar nicht großartig nach. Wir setzen uns hin, komponieren... und alles andere ergibt sich. Dabei war es diesmal so, daß wir etwas mehr Zeit zum Schreiben zur Verfügung hatten. Seit dem letzten Album "Mastercutor" haben wir getourt und die DVD "Mastercutor Alive" recorded und ansonsten durchgehend an "Dominator" gearbeitet. Ich denke, es war gut, sich einfach mal mehr Zeit für die Platte zu nehmen, das ist ihr zugute gekommen und das Ergebnis hat uns da auch Recht gegeben.

Aufgefallen ist uns auch der starke Judas Priest-Einschlag beim Gitarrensound und den Gitarrenarrangements. Ist das Zufall oder vielleicht auch ein bißchen Hommage?
(verwundert) Judas Priest-Einschlag?

Ja, die Gitarren erinnern uns schon sehr an Downing/Tipton...
Ich würde eher sagen, die klingen nach den alten Accept! (lacht lauthals) Nee, also mit Judas Priest hat das nichts zu tun. Klar, ich bin nach wie vor Priest-Fan und daß sich die beiden Bands musikalisch schon immer ziemlich nahe gestanden haben, ist auch kein Geheimnis. Ansonsten gibt es da aber keine Gemeinsamkeiten.

Weil wir gerade bei Judas Priest sind: Wie findest du deren aktuelles Album "Nostradamus"?
Davon bin ich nicht besonders begeistert, das sage ich ganz offen und ehrlich. Da sind zwar gute Sachen drauf, aber ein richtiges Judas Priest-Album ist es für mich nicht.

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Könntest du dir vorstellen, auch mal so ein episches Konzept umzusetzen?
Nein. Das einzige, was ich mir vorstellen könnte, ist, irgendwann mal etwas mit einem Orchester zu machen, also so eine Klassik-Geschichte. Aber so'n Konzept-Ding, das wäre nichts für uns.

Zurück zu "Dominator": Der Titel "Devil's Rendezvous" fällt ein bißchen aus dem Rahmen. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Zuerst hatten wir nur den Song-Titel "Devil's Rendezvous", da hatten wir noch gar keine Idee, wie das musikalisch enden wird. Dann haben wir den Titel immer mal gesungen und dabei entstand dann dieses (singt) "Devil's Devil's Devil's Rendezvous". Das gefiel uns und dann wurde uns auch schnell klar, daß wir daraus eine Art Rock-Swing machen wollen. Tja (lacht), und dann haben wir's einfach so umgesetzt. Wir haben ja schon öfter solche eher ungewöhnlichen Geschichten gemacht, wie "Cut Me Out" auf dem "Holy"-Album als eine Art Zigeunermusik oder "Trainride In Russia" (von "Thunderball", Anm. d. Verf.), was eine Polka ist. Sowas sticht natürlich immer etwas heraus.

Gibt es eigentlich etwas, das du musikalisch gerne einmal ausprobieren würdest, dich aber nicht so recht herantraust?
Ich sag's mal so: Wenn ich tatsächlich mal dieses oder jenes ausprobieren wollte, gäbe es genügend Möglichkeiten, das auf einem Solo-Album zu tun oder irgendwelche Projekte ins Leben zu rufen, mit denen ich etwas ganz anderes machen könnte. Aber da strebe ich eigentlich nicht danach. Ich könnte mir zwar schon so manches vorstellen, beschäftige mich aber nicht ernsthaft mit solchen Gedanken.

Wenn man sich die Songtitel so anschaut, stellt man fest, daß sie sehr schlagwortartig daherkommen und dabei eher dem traditionellen Themenkreis des Heavy Metal zuzuordnen sind. Manche nennen das auch abwertend "Klischee". Wie wichtig ist dir Tradition und das stete Agieren in Reichweite deiner Roots?
Das ist ganz einfach: Wir sind nach 30 Jahren immer noch da! Das beantwortet die meisten Fragen in dieser Richtung. Wenn man so lange im Geschäft ist und immer noch weltweit touren kann, dann hat man irgendetwas richtig gemacht. Also, warum sollten wir uns verändern? Wir könnten natürlich problemlos auch andere Geschichten machen - wollen wir aber gar nicht! Wir machen das, was wir am besten können. Es werden immer Leute da sein, die drauflosnörgeln: "Ach, ihr habt euch ja immer noch nicht verändert..." Doch ich sag's euch: Genau dieselben Leute würden als erste laut aufschreien, wenn wir uns tatsächlich verändern würden! (lacht) Es hat deshalb keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Zumal es auf der anderen Seite viele Menschen gibt, die auf uns zukommen und sagen: "Gott sei Dank seid ihr immer noch so, wie ihr immer wart!" Und das ist definitiv die Mehrheit.

Wie man hört, habt ihr bei den Texten mit Frank Knight (früher Sänger von X-Wild) zusammengearbeitet. In welcher Beziehung steht Frank zu U.D.O. und worin besteht seine Mitwirkung?
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Mit Frank Knight arbeiten wir schon sehr sehr lange zusammen. Wir haben ihn während der Accept-Reunion kennengelernt, seitdem ist er im Hintergrund für uns tätig. Wir sind der englischen Sprache zwar mächtig und können auch englisch schreiben, aber wenn es um Texte geht, möchte ich nicht gerne etwas verkehrt machen. In der Beziehung ist er sehr hilfreich. Wie soll ich das am besten erklären? Ich mach's mal ganz simpel: Man hat einen Text, in dem das Wort "Heaven" vorkommt. Beim Einsingen stellt man aber fest, daß es vom Klang her nicht reinpaßt. Dann braucht man schnell ein anderes Wort für "Heaven", das besser klingt, aber dasselbe bedeutet. Da ist es unschlagbar, wenn ein Engländer zur Hand ist, der sofort die passenden Synonyme parat hat.

Auf der Vorab-EP "Infected" sind zwei Titel auf Russisch zu finden. Was verbindet U.D.O. mit Rußland?
Ach... sehr viel! (lacht) U.D.O. ist in Rußland eine ziemlich große Nummer, so daß das als Hommage an unsere russischen Fans zu verstehen ist. Ich habe auch schon einiges mit russischen Bands zusammen gemacht... Es ist eigentlich eine sehr eigenartige Verbindung, die wir zu Rußland haben. Wir fühlen uns da wohl, die Russen fühlen sich mit uns wohl... Es ist toll! Ich mag Rußland und die Mentalität der Leute dort.

Könntest du dir vorstellen, auch mal andere Sprachen auszuprobieren wie es etwa Manowar auf ihrer aktuellen Scheibe getan haben?
Es könnte mal passieren, daß wir etwas auf Spanisch machen...

Und noch spezieller: Wie wäre es mit Deutsch?
Mit Deutsch? Hahaha... das ist eine beliebte Frage. Wäre bestimmt mal interessant, das auszuprobieren. Müßte man mal versuchen. Wißt ihr, das sind alles so Sachen, bei denen ich nicht sagen würde: "Um Gottes Willen, niemals!" Kann alles mal passieren, warum nicht...

Accept war seinerzeit in Japan und den USA sehr erfolgreich. Wie sieht das bei U.D.O. aus? Wo siehst du euer größtes Potential?
Auf jeden Fall Europa, natürlich inklusive Rußland. Südamerika ist mittlerweile auch ein wichtiger Faktor geworden. Und wie es aussieht, werden die USA und Kanada auch wieder vermehrt hinzukommen. Im Moment kommen ziemlich viele Anfragen von dort. Japan - würd' ich mal sagen - eher nicht. Denn da hat sich einiges verändert in den letzten Jahren. Dafür werden wir bei der nächsten Tour zum ersten mal nach China gehen. Ich glaube, da könnte sich auch ein ganz gutes Pflaster für U.D.O. entwickeln.

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Deinen Gesang erkennt man immer noch sofort. Aber wir haben den Eindruck, daß er sich in den letzten Jahren - wie soll man sagen - ein bißchen eingeschliffen hat und nicht mehr so in die extremen Bereiche vorstößt. Täuschen wir uns da oder ist da was dran?
Die Stimme ist eher variabler geworden. So eine Nummer wie "Whispers In The Dark" vom neuen Album hätte ich vor zehn Jahren wohl noch gar nicht singen können. Natürlich ist immer noch genug Gekreische dabei (lacht), aber ich habe auch bemerkt, daß ich als Sänger in den tieferen Lagen noch mehr Möglichkeiten habe, mein Potential zu entfalten. Man muß nicht immer nur in den höchsten Tonlagen herumquietschen, sondern kann mehr mit Melodien arbeiten und dadurch die Sache interessanter gestalten.

Könntest du dir einen Song wie etwa "Can't Stand The Night" (von "Breaker", 1981) heute noch vorstellen?
Ohne weiteres, ja.

Habt ihr den je live gespielt?
Mit Accept ja, mit U.D.O. noch nicht. Ich wüßte auch nicht, warum wir den mit U.D.O. spielen sollten.

Können wir dir sagen: Weils eine herrliche und völlig von der Norm abweichende Ballade ist!
Ich weiß! (lacht) Aber im Moment sind wir dabei, unser Programm ein bißchen - sagen wir mal - zu überprüfen. Man sagt uns zwar nach, daß wir die eigentlichen Accept sind, doch es gibt mittlerweile so viele U.D.O.-Alben, daß wir uns auf der nächsten Tour auf höchstens drei oder vier Accept-Songs beschränken werden. Und da könnt ihr euch sicher ungefähr denken, welche das sein werden...

"Princess Of The Dawn", "Balls To The Wall", "Metal Heart" und "Fast As A Shark" würden uns spontan einfallen...
Die Richtung stimmt (lacht). Und ansonsten werden wir uns darauf beschränken, U.D.O.-Songs zu spielen, denn da gibt es mittlerweile so viele, die auch schon Klassiker sind und die unbedingt auf die Bühne müssen.

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Weil wir gerade bei Gesang sind: Was uns früher immer fasziniert hat, waren diese quietschenden, ellenlangen Urschreie wie z.B. bei "Burning" oder "Fight It Back", bei denen wir uns stets fragten: "Wie macht der das bloß?"
Hahaha...

Vor allem auch deshalb, weil die immer irgendwie "rückwärts" klangen, wir aber wußten, daß du das auch auf der Bühne bringst, was technische Spielereien ja ausschließt. Bitte löse doch dieses Rätsel mal.
Das habt ihr eigentlich schon richtig erkannt. Bei dieser Gesangstechnik ziehe ich die Luft nach innen, dabei kommt dieser Ton zustande.

Wann hast du angefangen, dich für Musik zu interessieren und wann und wie reifte der Entschluß, es mit einer musikalischen Laufbahn zu versuchen?
Da war ich so 13, 14 als das losging. Beatles, Rolling Stones, Little Richard, auch Elvis Presley - das waren die ersten Bands und Musiker, die mich dazu brachten, mich für die Materie zu interessieren. Wann genau das mit der eigenen Karriere losging, kann man gar nicht so richtig festlegen, das hat sich alles Stück für Stück aufgebaut. Erst hatte ich zusammen mit meinem ältesten Freund Michael Wagener so ein bißchen gespielt, er Gitarre, ich Keyboards. Die Keyboards waren aber nicht so mein Ding, so daß ich irgendwann nur noch gesungen habe. Später kam dann eine Schulband und so weiter und so weiter. Die erste Band im eigentlichen Sinne kam dann 1968, die hieß Band X. Und 1971 gab es dann Accept, da war schon ein richtiges Bandgefüge da. Aber das war alles kein Masterplan, da kam immer ein Stück zum anderen.

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Bitte erzähle uns etwas über die Gründerzeit von Accept und die Entwicklung der Band in den ersten Jahren bis hin zur ersten LP.
Hm... das muß ich mal ein bißchen abkürzen, sonst haben wir ein Interview von drei Stunden. Also ich habe etwa bis 1975/76 gebraucht, die Musiker zu finden, die ich mir vorgestellt habe. Und das waren im Prinzip auch schon die Accept, die man hinterher kannte. Wir haben in der Philipshalle Düsseldorf an einem Bandwettbewerb teilgenommen und wurden entweder Zweite oder Dritte, das weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls saß da ein Produzententeam im Publikum, auf das wir ziemlichen Eindruck gemacht hatten. Sie fanden uns sehr außergewöhnlich, und das waren wir ja auch. So eine Stimme und so eine harte Musik gab es bis dahin in Deutschland nämlich noch gar nicht. Wir wurden gefragt, ob wir nicht Lust hätten, ein paar Demos aufzunehmen... Das haben wir gemacht, die Demos sind Plattenfirmen angeboten worden und wir waren relativ schnell dabei, unsere erste LP aufzunehmen.

Ihr habt also schon recht früh auch eigene Titel gemacht?
Ja, das stimmt. Wir haben eigentlich recht wenig gecovert, sondern sehr zeitig damit begonnen, eigene Songs zu schreiben. Deshalb hatten wir das Material für das erste Album auch sehr schnell zusammen.

Woher kam der Name "Accept" eigentlich? Für eine neue Rockband - gerade zur damaligen Zeit - klingt er schon ein wenig gewöhnungsbedürftig...
Der kam von einem Album von Chicken Shack. Die Band wird euch vermutlich nichts sagen...

In der Tat.
Das war ein berühmter Bluesgitarrist damals, Stan Webb hieß der. Ich weiß gar nicht, ob er noch lebt... Jedenfalls: Das Album dieser Band hieß "Accept". Wir fanden den Namen damals gleich toll, weil er in jeder Sprache das gleiche bedeutet. Akzeptieren - da war auch gleich eine Aussage drin. Akzeptiert uns als Band.

Mit "I'm A Rebel" habt ihr das musikalische Konzept der ersten LP weitgehend fortgesetzt, der Titelsong jedoch zeigte schon die kommende Richtung an. Was viele bis heute nicht wissen ist, daß der Track aus dem AC/DC-Umfeld stammt (Er wurde von George, dem älteren Bruder von Angus und Malcolm Young, unter dem Pseudonym "George Alexander" geschrieben. - Anm. d. Verf.). Wie ist das zustandegekommen?
Unser Verlag hatte den Titel als 8-Spur-Aufnahme herumliegen und AC/DC wollten den nicht machen. Und so wurden wir gefragt, ob wir den Song haben wollen bzw. ob wir den nehmen würden. Das war natürlich keine Frage, denn wir waren alle Fans von AC/DC, ich speziell auch von Bon Scott. So kam der Titel auf unser Album.

Zwischen "I'm A Rebel" und "Breaker" liegt nur ein Jahr, musikalisch aber ein extrem großer Sprung nach vorn. Wie ist es zu erklären, daß die Gruppe plötzlich dermaßen aufzutrumpfen in der Lage war?
Ich glaube, die wirklichen Ansätze für Accept hat man bereits auf dem ersten Album gehört, während "I'm A Rebel" mehr von "Suchen und Finden" geprägt war, wo man noch verschiedenes ausprobierte. Die Phase war dann abgeschlossen und mit "Breaker" kam, als logische Folge, die eigentliche Geburtsstunde von Accept.

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Wie hat sich die Öffentlichkeitsarbeit damals gestaltet? Es gab ja noch keine Szene, geschweige denn vergleichbare Bands, schon gar nicht in Deutschland...
Nee, in Deutschland nicht, da gab es nur die Scorpions. (lacht) Wir hatten Glück, daß wir mit "Breaker" im Gepäck europaweit als Support von Judas Priest touren konnten. Das war für uns die Eintrittskarte, damit haben wir Europa gewissermaßen im Sturm erobert. Und von da an ging es Schlag auf Schlag...

Ja, wie üblich: Ist man im Ausland erstmal bekannt, klappt's auch in Deutschland.
Genau. Wir waren erst außerhalb Deutschlands erfolgreich, bevor man in der Heimat auf uns aufmerksam wurde.

Ist der Song "Son Of A Bitch" eigentlich einer bestimmten Person gewidmet gewesen?
Ja, der war unserer damaligen Plattenfirma gewidmet, mit der wir zu der Zeit ziemlich unglücklich waren.

Auch die nächste LP "Restless And Wild" sorgte für Aufsehen, allerdings nicht nur im positiven Sinne. Stein des Anstoßes war "Fast As A Shark", das nicht überall auf ungeteilte Zustimmung stieß...
Ja, das hing mit dem "Heidi-Heido-Heida"-Intro zusammen. Ich hab das, ehrlich gesagt, nie so richtig verstanden. Die negativen Stimmen kamen hauptsächlich aus Osteuropa und Frankreich, wo die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mit diesem Lied auf den Lippen einmarschiert sind. Aber das ist ein uraltes Volkslied aus dem Neunzehnten Jahrhundert und wenn man den Text liest, hat der nun gar nichts mit Nazis oder so zu tun. Trotzdem hat man uns das angekreidet und in Polen und Frankreich war das so extrem, daß wir den Song gar nicht spielen konnten. Das heißt: Den Song schon, aber ohne Intro.

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Zum Klassiker avancierte quasi über Nacht jedoch "Princess Of The Dawn". Wie ist dieser Jahrhundert-Song entstanden und war euch bewußt, daß ihr gerade im Begriff wart, etwas Historisches zu erschaffen?
Nein, das ist einem nie vorher bewußt. Das war auch ein ganz eigenartiger Song. Da gab es erstmal nur dieses Riff und sonst gar nichts. Wir haben da lange dran herumgeschraubt und das zog sich immer mehr in die Länge. Wir waren sogar drauf und dran zu sagen: "Laßt uns das einfach vergessen." Aber wie es manchmal so geht, entwickelt sich später alles ganz anders, als man dachte.

Mit "Balls To The Wall" konntet ihr nochmals einen draufsetzen. Drei Klassiker in drei Jahren - Ihr müßt euch zu dieser Zeit in einem extremen kreativen Hoch befunden haben, oder?
Ach ja... wir waren immer eine fleißige Band und das sind wir auch mit U.D.O. geblieben. Es ging und geht immer Studio-Tour-Studio-Tour etc. Klar, man versucht dabei immer zu lernen und neue Sachen zu machen. So war es auch bei "Balls...". Sicher, man merkt beim Schreiben schon, daß es in eine gute Richtung geht und man an einer guten Nummer arbeitet. Aber daß es ein Welthit werden würde - das war auch für uns eine Überraschung.

Für uns befindet sich die eigentliche Heldentat übrigens ganz am Ende der LP. "Winterdreams" ist musikalisch und textlich ein absoluter Seelenschmaus, den man von Accept in dieser Form nie und nimmer erwartet hätte. Habt ihr den eigentlich jemals live gespielt? Und wie ist er entstanden?
Also, live gespielt haben wir den auf jeden Fall, auch mit U.D.O., es ist ja ein schöner Song. Entstanden ist er, wie die anderen auch. Wir haben damals immer zuerst die Musik gehabt, auf die ich eine Melodie gesungen habe. Und dann hat es entweder gepaßt oder eben nicht. So war die Arbeitsweise, ganz einfach zu erklären...

Naja, aber für eine Metal-Band war das schon ein ungewöhnlicher Song...
Ach... Metal Bands hatten immer schon gute Balladen. (Pures Understatement! Anm. d. Verf.)

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Die beiden Alben "Metal Heart" und "Russian Roulette" haben euch weltweit als eine der führenden Metal-Formationen etabliert. Sie waren musikalisch stark, ihr wart präsent und eigentlich schien alles bestens zu laufen. Insofern kam die Nachricht von deinem Ausstieg schon sehr überraschend, zumal deine Debüt-LP "Animal House" die angeführten musikalischen Differenzen ad absurdum führte, denn sie war ja faktisch ein Accept-Album reinsten Wassers. Wo also lagen die Gründe für den Schritt in die Selbständigkeit?
Den bin ich ja gar nicht selber gegangen, sondern man hat mich freundlicherweise aus der Band entfernt! (lacht) Ich versteh's bis heute nicht, daß so viele Leute denken, ich sei ausgestiegen. Die Band wollte zu dem Zeitpunkt einfach eine andere Musik machen und den amerikanischen Markt anpeilen. Da gab es viele schlaue Leute, die meinten, meine Stimme sei nicht dafür geeignet, im Fahrwasser von Bon Jovi zu schippern. Aber die haben sich wohl ein bißchen geirrt... (lacht) Ich meine, wenn man schon gut dreieinhalb Millionen Platten in Amerika verkauft, muß man sich doch fragen, was das eigentlich soll. Aber gut, es ist eben so passiert... "Animal House" war der eigentliche Nachfolger von "Russian Roulette" und ich hatte das Glück, daß Accept die Nummern nicht haben wollten, weil sie ja kommerzieller zu werden gedachten. Also sagte man mir - und deshalb spreche ich auch von einem freundlichen Rauswurf - ich könne die Songs alle haben, weil man sie sowieso nicht spielen und aufnehmen würde. So hatte ich einen relativ leichten Anfang für U.D.O.

Also, im Nachhinein betrachtet ist "Animal House" aber um einiges kommerzieller ausgefallen als "Eat The Heat", die Platte, mit der Accept dann um die Ecke kam...
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Ja und nein. "Eat The Heat" ist nicht das Album, das sie ursprünglich machen wollten. Ich habe das alles ziemlich nah mitbekommen, da wir im gleichen Studio waren. Sie haben von dem Material, das sie als neues Album angedacht hatten, ca. 70% verworfen, weil es am Ende doch zu weit weg von dem war, wofür der Name Accept stand. Man ist also ein wenig aufgewacht und hat dann versucht, noch soviel Accept wie möglich einzubringen. Hat aber nichts mehr genützt, letztendlich hat sich das bewahrheitet, wofür es viele Beispiele gibt: Die Stimme prägt eine Band. Ob man nun will oder nicht, das ist halt so.

Wie es auch Iron Maiden und Judas Priest erfahren mußten...
Genau! Ich meine, Ripper Owens hat streckenweise wirklich besser gesungen als Halford, keine Frage. Nur - er war halt nicht Halford... (lacht)

Nach einer Experimentierphase mit den Alben "Mean Machine" und vor allem "Faceless World" kam dann der Urknall in Form der LP "Timebomb", die nicht nur ein musikalisches Highlight darstellte, sondern auch die Suche nach dem eigenen Sound beendete. Zumindest hatten wir den Eindruck. Wie siehst du das?
Also, diese vier Alben der ersten U.D.O.-Generation - ich nenne es immer "U.D.O. - Mach 1" (lacht) - waren doch sehr verschieden. Über "Animal House" hatten wir ja schon gesprochen. Bei "Mean Machine" arbeitete ich zum ersten mal auch kompositorisch mit anderen Leuten zusammen und ich finde, das hört man auch. (Yep! - Anm. d. Verf.) Bei "Faceless World" kam zum ersten mal nach dem Accept-Split Stefan Kaufmann wieder dazu. Er fungierte als Produzent und wir begannen auch wieder, gemeinsam zu komponieren. Für mich war "Faceless World" zudem als Sänger ein wichtiges Album, weil es zeigte, daß ich noch anderes kann als nur herumzuschreien. Und "Timebomb"... hm, wie soll man das sagen? Das war eine sehr aggressive Phase. Da sind eine Menge Sachen passiert, die irgendwann einmal in einem Buch stehen werden, über die ich aber an dieser Stelle nicht sprechen möchte. Jedenfalls war ich da sehr aggressiv drauf und das spiegelt das Album wider.

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U.D.O. hatte sich damals so sehr von Accept emanzipiert, daß ihr bei der Tour zu "Timebomb" gerade mal noch zwei Songs deiner früheren Band im Set hattet, "Princess Of The Dawn" und "Balls To The Wall". Laß uns mal spekulieren: Wäre die Accept-Reunion nicht gekommen - wo stünde U.D.O. heute?
Das ist eine gute Frage! Wenn man die beantworten könnte... (lacht) Ich muß zugeben, daß ich mich auch öfter gefragt habe, ob es richtig war, die Reunion durchzuziehen. Im Nachhinein würde ich sagen, es war eher falsch, weil die Reunion letztendlich nach hinten losgegangen ist. Das heißt, es passierte genau das gleiche wieder, das 1986 geschehen war. Nach dem Motto: Man hat nichts gelernt. Von daher sehe ich es als Fehler. Aber wer weiß, vielleicht war es auch gut...

Für uns auf jeden Fall, denn ansonsten hätten wir Accept ja nie live erleben können!
(lacht) Ja gut, das ist natürlich richtig. Ob das allerdings die "richtigen" Accept waren, die da auf der Bühne standen, ist eine andere Frage...

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Wie ist es zu erklären, daß Accept nach der Reunion im Grunde nie wirklich an alte musikalische Glanztaten anknüpfen konnte?
Weil viele Fehler gemacht worden sind! Ich möchte das mal kurz umreißen: "Objection Overruled" war eigentlich ein richtig gutes Accept-Album. Das war auch das, was die Leute von uns erwartet haben. Doch dann meinte Wolf Hoffmann - und das ist jetzt nicht böse gemeint - er sei der Accept-Gitarrist und die Band bräuchte keinen zweiten. Das war der erste Kardinalfehler. Dann kam "Death Row" und da meinte man, man müßte jetzt unbedingt modern werden und die "Klischees", von denen wir vorhin schon mal sprachen, hinter sich lassen. Zu dem Zeitpunkt war der klassische Heavy Metal nicht gerade up to date, dagegen waren diese Grunge-Geschichten angesagt, Nirvana & Co. Dem sollte Rechnung getragen werden, also nur eine Gitarre, am besten mit kurzen Hosen auf die Bühne usw. Kurz gesagt: Den ganzen neumodischen Firlefanz bei Accept einführen. Das war der nächste Kardinalfehler.
Dann hätte man plötzlich ganz problemlos einen zweiten Gitarristen haben können, denn mitten in der Produktion kam die Hiobsbotschaft, daß Stefan Kaufmann wegen seiner Rückenprobleme nicht mehr Schlagzeug spielen kann. Daß er aber auch ein hervorragender Gitarrist ist, wußte nicht nur ich. Und da habe ich die Dreistigkeit besessen vorzuschlagen, daß es nicht nur bandpolitisch sondern auch sozial eine gute Sache wäre, Stefan zukünftig an die Gitarre zu "versetzen". Ein guter Promo-Gag wäre es außerdem gewesen. Das wollte man aber auch nicht.
Und dann kam "Predator" und wir waren wieder in der gleichen Sackgasse wie zehn Jahre zuvor. Peter Baltes und Wolf Hoffmann wollten sich verwirklichen und meinten: "Udo muß dann eben mal so singen, wie wir das wollen." Wieder hatten Wolf und Peter den amerikanischen Markt im Sinn und wieder ging der Schuß nach hinten los. Die CD fand kaum noch jemand gut und die Leute waren total verwirrt. Ist ja auch klar, wenn plötzlich der Bassist ein Drittel der Songs singt...

Nach drei Alben war dann folgerichtig wieder Schluß. Etwas ungewöhnlich fanden wir damals, daß ihr eure neuerliche Trennung noch vor der abschließenden Tournee bekanntgegeben habt. Wie fühlt man sich denn so dabei, wenn man weiß, das man hinterher auseinandergeht?
Ihr werdet lachen: Es war ein sehr gutes Gefühl und wir hatten wirklich viel Spaß auf dieser Tour! Zu wissen, daß es die letzte Tour sein würde, hat uns alle erleichtert und irgendwie befreit. Man mußte keine Pläne mehr machen, sich nicht fragen, wie es weitergeht und was man als nächstes tut. Wir brauchten nur alles gut über die Bühne bringen und dann - Schluß.

Wir haben's erlebt: Die Band wirkte gelöst und war auf der Bühne richtig gut!
Ja, das waren auf jeden Fall sehr gute Konzerte!

Daß du unmittelbar im Anschluß U.D.O. wieder aufleben lassen würdest, stand sicher schon recht früh fest, oder?
Ja klar, schon bevor die Tour losging. Ich habe als erstes Stefan angerufen und ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, als Gitarrist bei U.D.O. mitzumachen. Das war überhaupt keine Frage. Dann rief ich Stefan Schwarzmann (der drei der vier bisherigen U.D.O.-Alben eingetrommelt hatte und zwischenzeitlich auch bei Accept hinter den Kesseln saß - Anm. d. Verf.) an, der ebenfalls sofort zusagte. Fitty Wienhold (Baß - Anm. d. Verf.) kannte ich schon lange, noch aus den 80er Jahren, wo er mit seiner damaligen Band im gleichen Studio wie Accept zugange war. Ihn traf ich zufällig im Urlaub auf Ibiza wieder, wo er sich unterdessen niedergelassen und den Baß an den Nagel gehängt hatte. Da fragte ich ihn, ob er nicht Lust hätte, wieder ins Musik-Geschäft einzusteigen und wie es manchmal so geht, hatte er auch gleich noch einen Gitarristen in der Hinterhand: Jürgen Graf. Da hatte ich also wieder eine komplette Band, die schon während der Accept-Tour fleißig am Komponieren war.

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Wir haben uns übrigens sehr darüber gewundert, daß Mathias Dieth nicht dabei war, der einzige Musiker - abgesehen von dir - der auf allen bisherigen U.D.O.-Alben zu hören war. Wollte er nicht oder hast du ihn nicht gefragt? Und weißt du, was aus ihm geworden ist?
Ich hätte ihn gerne dabeigehabt, aber er war leider nicht mehr im Musikbereich tätig. Er hatte inzwischen ein Jura-Studium absolviert und arbeitete als Anwalt, so daß er nicht mehr mit von der Partie sein konnte. Dafür steht er uns aber nun als Musik-Anwalt zur Seite.

Im Gegensatz zur ersten U.D.O.-Generation setzte die neue von Anfang an darauf, an die Accept-Tradition anzuknüpfen und sie fortzusetzen, während du noch zu "Timebomb"-Zeiten nie müde wurdest, U.D.O. von genau dieser Tradition zu lösen. Was hat diesen Sinneswandel bewirkt?
Das war kein Sinneswandel, sondern die logische Folge der Tatsache, daß Stefan Kaufmann dabei war. Zusammen mit ihm waren 50% Accept in der Band, wobei ich hinzufügen möchte, daß er auch bei Accept schon ein wichtiger Faktor war, was die Kompositionen anbelangt. Insofern war vorauszusehen, daß sich das bei U.D.O. widerspiegeln würde. Darüberhinaus gab es Accept nun nicht mehr und da bot es sich an, diese Lücke gleich mit auszufüllen.

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Stefan Kaufmann war also bei Accept stark ins Songwriting involviert? Das ist interessant, denn auf den Platten steht ja immer nur "Words and Music by Accept + Deaffy"...
Das stimmt auch, denn letztendlich haben wir die Songs immer zusammen gemacht. Wenn man das aber mal auseinanderdividiert, ist Stefan schon ein SEHR wichtiger Baustein gewesen. "Metal Heart" z.B. ist zu 80% Stefan Kaufmann, "Princess Of The Dawn" ist Stefan Kaufmann, "Fast As A Shark" ist Stefan Kaufmann... ich könnte euch noch eine ganze Reihe von Songs nennen, die es ohne ihn nie gegeben hätte. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß man seine Handschrift nun auch bei U.D.O. hört und daß die etwas mit Accept zu tun hat.

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Der erste Song vom neuen Album "Solid" - "Independence Day" - weist gewisse Parallelen zum Eröffnungssong der letzten Accept-CD "Predator" - "Hard Attack" - auf. Gewollt oder Zufall?
"Independence Day" und "Hard Attack"??? Das kann nicht sein...

Doch, unserer Meinung nach schon. Der Einstieg ist bei beiden Songs sehr ähnlich. Nur, daß du bei "Independence Day" singst, wo bei "Hard Attack" die Gitarre den Part übernimmt.
Ist mir total unbewußt, das höre ich zum ersten mal. Ich habe da noch nie Parallelen gesehen. Muß ich direkt mal nachhören, interessant... (lacht)

Nachdem U.D.O. nun schon seit vielen Jahren wieder erfolgreich und etabliert ist, standest du vor Kurzem wieder vor der Möglichkeit, es nochmal mit Accept zu versuchen. Du hast dich dagegen entschieden. Wie lange hast du überlegt und was führte letztendlich dazu, U.D.O. den Vorrang zu lassen?
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Also, ich bin tatsächlich gefragt worden und habe mich, ehrlich gesagt, ziemlich gewundert, daß die Herrschaften auf einmal Accept wieder aufleben lassen wollen. Auch Stefan Kaufmann wurde gefragt. Ich sag ganz ehrlich: Ich habe nicht umgehend abgewunken, sondern mich ernsthaft mit dieser Möglichkeit befaßt. Da hätten aber bestimmte Dinge von vornherein klar sein müssen, um es mal so auszudrücken. Stefan und ich haben gewisse Forderungen gestellt, unter welchen Umständen wir uns eine neuerliche Reunion vorstellen könnten. Wir mußten uns absichern, denn es hätte ja bedeutet, U.D.O. aufzugeben, eine Band, die relativ erfolgreich ist und seit 12, 13 Jahren in der gleichen Besetzung existiert (Udo: Gesang, Stefan Kaufmann: Gitarre, Fitty Wienhold: Baß, Igor Gianola: Gitarre, Francesco Jovino: Schlagzeug - Anm. d. Verf.). Das kann man nicht einfach über Bord werfen, wenn nicht jedes Detail exakt zusammenpaßt. Es würde ja auch reichlich komisch wirken, wenn wir nach einer neuerlichen Accept-Pleite dann zum dritten mal U.D.O. reformierten... Lange Rede, kurzer Sinn: Unsere Forderungen waren Wolf und Peter zuviel und da haben Stefan und ich gesagt: "Das Risiko ist uns zu groß, U.D.O. für eine Accept-Reunion sterben zu lassen, bei der wir nach einem Album eventuell wieder feststellen müssen, daß es nicht funktioniert." Und das war's eigentlich. Allerdings war ich im Nachhinein dann doch etwas stinkig. Nach unserer Absage hieß es: "OK, Stefan und Udo machen nicht mit. Da aber Accept ohne Udos Stimme nicht geht, ist die Reunion vom Tisch." Und zwei Wochen später finde ich im Internet eine offizielle Seite, auf der steht: "Accept is back!" Das bedeutet für mich, daß sie Plan B bereits in der Tasche hatten und ich komme mir einigermaßen verarscht vor.
Trotzdem wünsche ich ihnen viel Glück und ich bin mir auch sicher, daß es ein gutes Album werden wird. Anderenfalls wäre ich sehr enttäuscht, das muß ich so sagen! Doch es wäre besser, sie würden es nicht unter dem Namen Accept machen, weil sie damit bei den Leuten bestimmte Erwartungshaltungen provozieren, die sie nicht erfüllen können. Viele Fans sehen das Erbe von Accept nunmal bei U.D.O. und werden vergleichen... Nun ja, wir werden sehen, was passiert.

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Du bist überall auf der Welt getourt, hast mit so ziemlich allen Rock-Größen gemeinsam auf der Bühne gestanden und dabei sicher viel erlebt. Woran erinnerst du dich in dem Zusammenhang wirklich gerne und gab es auch unschöne Momente?
Da gibt es vor allem zwei Dinge: Das erste, woran ich mich gerne erinnere, ist die Amerika-Tour mit KISS. Da haben wir viel gelernt, insbesondere, daß Musik auch Unterhaltung, Entertainment ist. KISS haben uns in dieser Hinsicht viele Tips gegeben. Und das zweite ist die Tour mit U.D.O. im Vorprogramm von Ozzy Osbourne 1989. Die war sehr interessant und insbesondere für meine noch jungen Mitmusiker sehr lehrreich. An diese beiden Touren denke ich oft und gerne zurück. Unschöne Momente hingegen gab es nie. Ich habe weder mit Accept noch mit U.D.O. jemals Probleme mit irgendwelchen Bands gehabt.

Oh, das hört man aber eher selten...
Ich denke, das liegt daran, daß wir uns immer sehr professionell verhalten haben und nie eine "Quängel-Vorgruppe" waren, wenn wir Support machten. Die kenne ich übrigens auch zur Genüge... Jedenfalls haben das die Main-Acts immer als sehr angenehm empfunden und wenn man sich so verhält, hat man auf einmal sehr viele Vorteile. Also, ich kann da nichts Negatives von mir geben, es hat stets alles wunderbar funktioniert.

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Hattest oder hast du Vorbilder oder Idole oder gibt es jemanden, den du besonders bewunderst?
Ohje... Idole? Hmmm... sagen wir mal so: Ich war immer ein großer Bon Scott-Fan. (überlegt eine Weile) Ich bin auch ein großer Fan von Ronnie James Dio (ex-Rainbow, ex-Black Sabbath, DIO, z.Zt. Heaven And Hell - Anm. d. Verf.), den ich für einen der besten Rocksänger aller Zeiten halte. Die beiden würde ich da nennen wollen.

Die Musikindustrie steckt schon seit Jahren in der Krise. Wo siehst du die Ursachen dafür? Und wie siehst du allgemein die Entwicklung des Business im Vergleich zu deinen Anfangstagen?
Das hat sich alles total verändert! Als wir angefangen haben, hat die Plattenfirma gemeint: "Wenn wir mit euch nach dem 5. oder 6. Album schwarze Zahlen schreiben, ist alles wunderbar." Den Satz hört man heute von niemandem mehr. Durch die vielen neuen Medien ist die Landschaft eine ganz andere geworden. Früher war eine Tour dazu da, ein Album zu promoten. Heute ist es andersherum. Die CD-Verkäufe sind extrem nach unten gegangen, was unter anderem an den illegalen Downloads liegt und dem ganzen Kram, den es da so gibt. In dieser Hinsicht haben die Plattenfirmen einiges verpennt, zumindest in unserem Bereich. Beim Pop waren sie etwas schneller. Ich persönlich sehe die Zukunft so (fängt an zu lachen) - das hört sich jetzt ganz fies an - daß es irgendwann überhaupt keine Plattenfirmen mehr geben wird, sondern die Bands sich über das Internet selbst vermarkten. Ich könnte mir gut vorstellen, daß es irgendwann einmal nicht mehr heißt: "Band XY hat ein neues Album draußen!", sondern: "Da stehen neue Songs im Netz." Der Vorteil für uns Musiker wird sein, daß uns die Gewinne zu 100% gehören. Die Bands werden wieder Geld mit ihrer Arbeit verdienen! Natürlich braucht es trotzdem noch Werbung und Vermarktung, dafür muß man dann jemanden haben, der sich den ganzen Tag damit beschäftigt. Doch die Verdienstmöglichkeiten für Bands werden wieder ansteigen. Heute kann man nur noch mit Konzerten und Merchandise überleben. Wenn ich manchmal höre, was neuen Bands für Plattendeals angeboten werden, schlackert man nur noch mit den Ohren. Ich sag's ganz offen: Das ist eine Unverschämtheit.
Außerdem bin ich der Meinung, daß in den letzten Jahren viel zu viele Bands unter Vertrag genommen wurden. Nach dem Motto: Wenn ich zehn Bands signe, wird eine davon schon etwas abwerfen. Damit hat sich die Industrie selbst ein Ei gelegt. Das System funktioniert einfach nicht.
Wir alten Recken haben da noch Glück, daß wir weltweit spielen können, das können neue Bands in der Regel nicht. Und wenn, bekommen sie nicht solche Gagen wie wir. Meistens müssen sie sogar noch etwas mitbringen, damit sie überhaupt auftreten dürfen... Wenn ich so darüber nachdenke: Als Neuling würde ich heutzutage wohl nicht noch einmal anfangen.

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Letzte Frage: Du hast 1984 mit Raven eine Single aufgenommen, u.a. mit einer Coverversion von "Born To Be Wild", der man den Spaß, den ihr dabei hattet, mehr als anhört. Wie kam das zustande und wie war die Zusammenarbeit mit den verrückten Gallagher-Brüdern?
Die waren wirklich verrückt... Also, Michael Wagener und ich hatten damals die Firma Double Trouble Productions und haben das Angebot bekommen, Raven zu produzieren. Wir waren von Anfang an auf einem Nenner mit dieser Band, das paßte alles und so haben wir das gemacht. "Born To Be Wild" war eigentlich nur Spaß. Es hieß: "Wir machen mal eben eine Session im Studio", und dabei hat Michael Wagener auf den Knopf gedrückt. Da war übrigens auch viel Alkohol im Spiel... (lacht) Jedenfalls ist das nichts anderes als der Mitschnitt einer spontanen Session. Reiner Spaß.

Wir bedanken uns für das Gespräch.
Gerne!

Gibt es etwas, das du unseren Lesern unbedingt noch mitteilen möchtest?
Ja, ich habe gerade auf unseren Tourplan geschaut, ich hoffe, daß da noch ein paar Konzerte in Ostdeutschland dazukommen, Leipzig oder so. Im Januar machen wir nochmal drei Wochen Europa, wenn also jetzt nichts dabei sein sollte, dann sicher im Januar. Ich hoffe auf jeden Fall, daß wir wieder bei euch spielen können. Und ansonsten - wie sagt man so schön? Stay heavy!

 

Interview: Knechtel Family
Vorbereitung: cr, kf
Fotos: Pressefotos Band + Plattenfirma, Band-Archiv
 




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