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Anne Haigis

 

 

001 20130303 1437211104Es gibt eine ganze Menge Sängerinnen auf der Welt. Dabei gibt es dünne Stimmchen, regelrechte Rockröhren, oder aber auch Reibeisenstimmen. Nach dem Genuss einiger CDs oder Konzerte mancher dieser Damen fühlt man sich so erleichtert wie ein Küstendorf nach dem Abzug der Wikinger. Bei anderen hat man am Ende weit mehr Appetit als vorher. Anne Haigis ist eine der Künstlerinnen, die einen hungrig auf mehr machen. Und das schon seit mehr als 30 Jahren. Seit sie 1984 mit ihrem dritten Album ein größeres Publikum erreicht hat, wird sie im gleichen Atemzug mit den Musikgrößen aus Deutschland genannt. Ihre markante Stimme geht nicht wieder aus dem Gehörgang. Mit steigenden Plattenverkäufen wuchs auch das Interesse der Medien. Sie wurde Dauergast in den Wohnzimmern des Landes, denn in keiner der angesagten Samstagabend-Shows fehlte sie. In all den Jahren hat Anne Haigis einiges erlebt, einiges probiert und einiges in die Tat umgesetzt. Ob mit großer Band im Rücken oder auf Barhockern und unplugged: Anne weiß ihr Publikum stets von den Sitzen zu reißen. Mit "Good Time For The Blues" erschien zuletzt das aktuelle Album der in Rottweil geborenen Sängerin. Aber nicht nur das war Thema in unserem Interview zum "Gast des Monats" September...
 

 

Wir haben kürzlich Dein aktuelles Album "Good Day For The Blues" ausführlich in unserem Magazin vorgestellt. Ein wunderbares Blues-Album mit tollen Songs. Wie lange hat es von der Idee bis zur abschließenden Produktion gedauert, bis das Album fertig war?
Wir hatten in unserem Duoprogramm ein paar wenige bluesige Songs, die sich im Laufe der Zeit und über die Konzerte weiter entwickelten und das Publikum speziell auf diese Songs reagierte. Immer wieder wurde ich am CD-Stand nach dem Konzert gefragt, auf welcher CD am meisten Blues sei und so kam ich darauf, beim nächsten Album mehr in diese Richtung zu gehen.
 
 

Kannst Du uns etwas über die Entstehung und die Arbeit im Studio zu "Good Day For The Blues" erzählen?
Ich fing an, Songs zu sammeln, mich mehr mit dem Thema ‚Bluesverwandt' zu beschäftigen. Daraufhin haben wir die Songs sozusagen angerissen, manchmal auch schon in den Konzerten gespielt, so sah man schnell, ob ein Song funktioniert, vor allem in der reduzierten Besetzung.

 

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Gibt es auf der CD einen Titel, der es Dir besonders angetan hat, oder sind alle Songs nach Deinem Geschmack gleichermaßen gelungen?
Ich meine, die Songs sind alle unterschiedlich und jeder hat etwas Eigenes.

 

Wenn man die CD hört wird man das Gefühl nie los, Frau Haigis ist dort angekommen, bzw. zurück, wo sie sich musikalisch richtig zu Hause fühlt. Täuscht der Eindruck oder ist der Blues tatsächlich Deine Berufung?
Ich denke, ich bin mit jedem Album, das ich gemacht habe, angekommen und konnte mich aber auch wieder verabschieden. Aber in der Stilistik Rock, Folk, Country-Rock, Blues-Rock fühle ich mich schon sehr zu Hause.

 

Es ist äußerst bedauerlich, dass die Formatradios Deine Songs scheinbar gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, geschweige denn spielen. Was denkst Du persönlich über die Vereinheitlichung der Radiosender was die Playlists und Moderationsformen betrifft?
Ich sage immer, es gibt ein Leben außerhalb der Medien, bzw. der großen Sender. Ich finde es toll, dass es so viele kleine Radiosender gibt und man übers Internet einfach klasse Musik hören kann. Ich möchte mich nicht immer aufregen, was ist, sondern eher nach dem positiven schauen.

 

Die Medienwelt hat sich im Vergleich zu den 80er komplett - eigentlich fast nur - zum Nachteil verändert. Mal abgesehen vom Internet: Welche Möglichkeiten siehst Du, dass gute Musik mit Qualität sich wieder mehr verbreiten und einem breiteren Publikum präsentieren kann?
Man muss sich halt auch den neuen Möglichkeiten anpassen. Ich verkaufe meine CDs auf meinen Konzerten, aber an meinen Abrechnungen sehe ich , dass meine Musik auch immer öfter runter geladen wird.

 

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Reisen wir mal ein klein wenig in der Zeit zurück. Wann reifte in Dir der Entschluss, professionelle Musikerin zu werden, und was waren die ersten Berührungspunkte mit der Musik?
Ich hatte als Teenie extremes Fernweh und eine unbestimmte Sehnsucht, die ich instinktiv ausgelebt habe, indem ich mir ein paar Akkorde auf der Gitarre zeigen liess und dann einfach gesungen habe. So habe ich den Kleinstadtblues etwas besser ertragen.

 

Bitte erzähle uns etwas über "Interstate Roadshow". Wie war die Zeit mit der Band?
Ja, das waren sozusagen meine Lehrjahre. Das war ganz schön hart. Wir spielten in Amiclubs, meistens am Wochenende und immer von 20:00 Uhr bis 1:00 Uhr, also fünf Sets a 50 Minuten. Am Anfang sang ich genau zwei Songs, und zwar von Julie Driscoll "Season of the witch" und einen Song von Grandfunk Railroad, da verausgabte ich mich derart, dass ich nach den beiden Songs völlig heiser war. Das gab sich dann aber mit der Routine.

 

Kurz danach folgte auch schon ein Gastauftritt bei der Band RE, mit der Du bei einem Auftritt das Publikum förmlich von den Stühlen gehau'n hast. Erinnerst Du Dich noch an diesen Auftritt, und an das, was danach kam?
Ja, an den Auftritt kann ich mich sogar sehr gut erinnern. Ich war im Jazzclub 18 in Stuttgart und jemand fragte mich, ob ich einen Song singen möchte. Das war damals üblich, dass man einfach irgendwo spontan mit machte, und die waren eben so begeistert, dass sie mich gleich fest in die Band aufgenommen haben. So kam ich aus den Amiclubs raus und sang auch einen ganz anderen Musikstil, viel Rock-Jazz, Fusion, Latin. Das war zu der Zeit absolut angesagt. Und wir spielten Clubs und kleine Hallen, die Resonanz beim Publikum war eine völlig neue Erfahrung und Bestätigung für mich.

 

Dann zog es Dich nach St. Tropez in Frankreich. Was war der Grund für Deine Zeit im Süden Frankreichs und was hast Du dort erlebt?
Ich erwähnte ja schon, dass ich viel Fernweh hatte. Ich fuhr mit einer Feundin nach Südfrankreich und blieb in St. Tropez, wo ich zwei tolle Musiker kennen lernte, hängen. Mit ihnen spielte ich zwei Monate lang jeden Abend bis nachts vor Cafes oder auf Booten, die uns von der Strasse weg engagierten. Auf jeden Fall eine meiner schönsten Zeiten.

 

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Wie ging es dann weiter? Hast Du danach wieder mit RE gespielt?
Als ich wieder in Stuttgart war, spielte ich weiter mit RE, lernte dann Wolfgang Dauner kennen, und wir wurden ein Paar. Er zeigte mir die Welt und prägte mich sehr. Er setzte mich bei seinen "Radio Jazz Group"-Produktionen ein, und wir produzierten 1981 mein erstes Album "For here where the life is" bei ‚Mood Records'. Dann durfte ich mit auf die ‚United Rock und Jazz Ensemble'-Tour, zuerst als Plattenverkäuferin, dann ein Jahr später als Support.

 

Während Deine ersten Alben allesamt im Jazz beheimatet waren, folgte mit "Anne Haigis" im Jahre 1984 Dein Debüt in populärer Musik. Was waren die Gründe für den Richtungswechsel?
Dieter Dehm, der auch der Manager von Klaus Lage war, brachte mich zur EMI Elektrola. Dies war eine grosse Chance für mich, ins kommerzielle Musikgeschäft einzusteigen. Ausserdem reitze es mich, etwas ganz Neues zu machen.

 

Produziert wurde das Album von Edo Zanki. Wie kam der Kontakt mit Zanki zustande, und wie hast Du die Zusammenarbeit mit ihm empfunden?
Ich suchte meine Produzenten damals zusammen mit meiner Plattenfirma aus. Man probierte sich aus und dann gings los. Edo Zanki ist für mich einer der besten Sänger hierzulande.

 

Was folgte waren reichlich Fernsehauftritte, u.a. in den Prime-Time Sendungen "Verflixte 7", "Na so was" oder "Peter's Popshow". Wie hast Du den großen Erfolg Deiner Platten und Deiner Musik damals empfunden?
Wenn man in diesem Prozess drin ist, empfindet man das als ganz normale Arbeit. Zumindest war das bei mir so, ich bin anscheinend recht bodenständig.

 

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Weitere Alben folgten, u.a. im Jahre 1987 Ihr erfolgreichstes, nämlich "Geheime Zeichen", das von Tony Carey produziert worden ist. Wie hast Du Mr. Carey kennen gelernt und wie war die Zusammenarbeit damals mit ihm?
Die Produktionszeit mit Tony war toll. Wir produzierten in Peter Maffays Studio am Starnberger See, Tony schrieb tolle Songs für mich. Wir hatten sehr viel Spass, und das Leben war schön und aufregend.

 

Trotz all der Erfolge hast Du Dich in den 90ern aber dazu entschlossen, nicht mehr auf Deutsch zu singen. Warum hast Du Deiner Muttersprache musikalisch den Rücken zugewandt?
Nach der LP ‚Indigo', die mir von den deutschsprachigen persönlich übrigens am besten gefällt, wollte ich mich einfach mal wieder musikalisch austoben, und da hätte ich mich mal wieder zu eingeengt gefühlt, wenn ich nur in deutsch gesungen hätte.

 

Auch in den 90ern gab es dann wieder eine Zusammenarbeit mit Tony Carey, nämlich für die Produktion der Single "No Man's Land". Wer hatte die Idee zu diesem Projekt, an dem auch noch Eric Burdon beteiligt war?
Tony hatte die Idee, zusammen mit Eric und mir diesen Song aufzunehmen. Er hat ihn auch geschrieben.

 

Du hast Dich dann von Deiner Plattenfirma EMI getrennt. Stimmt es, dass Peter Maffay Dir geholfen hat, bei der BMG Ariola in München einen neuen Vertrag abzuschließen?
Ja, ich bin zu ihm gefahren und habe ihm meine Demos vorgespielt und wollte seine Meinung dazu hören, und er sagte mir: "Baby, hör auf Dein Herz, dann gehst Du den richtigen Weg." Und da hatte er Recht.

 

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Bei der neuen Plattenfirma erschien dann Dein rockigstes Album, nämlich "Cry Wolf". Die Produktion dieser LP fand 1992 in Los Angeles und Nashville statt. Welche Eindrücke und Erinnerungen hast Du von dieser "Arbeitsreise" in die Staaten mitgebracht?
Es war auf jeden Fall ein großes Glück und Privileg, in Amerika arbeiten zu dürfen, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich habe meine Erfahrungen gemacht und weiß heute, dass das alles aber auch sehr gut hier geht. Es gibt mittlerweile so viele tolle Musiker hier, so dass wir uns nicht verstecken müssen.

 

Mit dieser LP bist Du fast zwei Monate auf einer ausgedehnten Europa-Touree gewesen. Kannst Du uns etwas über diese Tournee erzählen?
Ich war Support von Curtis Stigers. Support zu sein ist keine sehr dankbare Aufgabe. Man wird etwas underdogmässig behandelt, und davon halte ich nicht so viel.

 

Was folgte waren Akustik-Programme, weitere wunderschöne CDs bis zum eingangs erwähnten, aktuellen Album. Rückblickend auf diese farben- und facettenreiche Karriere der Anne Haigis: Was waren für Dich die schönsten, was die weniger schönen Momente in all den Jahren?
Oh, es gab einige schöne, ergreifende Momente, z.B. mit der Band von 1997 bis 2001. Wir waren ein eingespielter Haufen und hatten extrem viel Spaß auf Tour. Oder ergreifende Momente auf der Bühne, die man nie vergisst, wenn alle Musiker von der Bühne kommen und sagen: "Was war das denn eben?". Wir waren sehr eng zusammen. Das war schon sehr speziell.

 

Du zeigtest Dich auch oft politisch engagiert, wenn ich an das legendäre Konzert in Wackersdorf 1986 denke. Solche Live-Konzerte zum Aufrütteln der Leute und Nachdenken gibt es für meinen Geschmack heute nur noch selten, fast gar nicht mehr. Was glaubst Du, woran es liegt, dass es solche musikalischen Denkanstöße heute nur noch in Nischen gibt?
Vielleicht gibt es diese Art von Konzerten doch in einer bestimmten Szene und wir bekommen es nur nicht mit.

 

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Ich nenne Dir jetzt einige Schlagwörter. Bitte antworte auf diese Begriffe spontan in einem oder zwei Sätzen:

Deutschland sucht den Superstar:
Times are changing. Ich hätte mich vielleicht auch beworben.

 

Rottweil:
Ein Teil meines Lebens, der mich geprägt hat.

 

Köln:
Eine wilde, leidenschaftliche Zeit

 

Die 80er:
Ich denke nicht so viel in der Vergangenheit.

 

Musik in der damaligen DDR:
Da gab's tolle Sachen

 

Freunde und Kollegen:
Freunde oder Kollegen?

 

Strandhaus in Holland:
Abgefahrene Zeit

Gospel-Workshop:
Macht sehr viel Spaß

Hast Du schon Pläne oder Ideen, was es demnächst von Anne Haigis Neues geben wird?
Kommt Zeit...

 

Hast Du einen persönlichen, musikalischen Wunsch, den Du Dir gerne noch erfüllen möchtest?
Lass ich auf mich zukommen.

 

Damit sind wir am Ende unseres Interviews. Vielen Dank für die Fragen und die Zeit, die Du Dir genommen hast. Möchtest Du unseren Lesern noch etwas sagen?
Jetzt hab ich doch mein fast ganzes Leben zumindest angerissen, ich glaube, die Leser sind befriedigt

 

 

Interview: Christian Reder
Fotos: Pressematerial und Privatarchiv Anne Haigis, Plattenfirmen EMI, Metronome
 
 

   
   
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