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 Thomas Natschinski
Interview vom 31. Oktober 2007

 

60 Jahre und kein bisschen leise - das trifft haargenau auf Thomas Natschinski zu. Zugegeben: in den letzten Jahren war es alles andere als "laut" um ihn, was auch einer der Gründe dafür war, ihn in die "Rauchzeichen" einzuladen. Dafür hat er es zu seinem Ehrentag richtig krachen lassen! Eine neue CD ist erschienen, und eine Geburtstagfeier hat stattgefunden. Beides hat reichlich Staub aufgewirbelt. Wir trafen uns mit einem äußerst netten und aufgeschlossenen, und trotz all seiner Erfolge sehr bescheidenen Musiker, der sofort zugesagt hat, als ihn unsere Einladung zu deutsche-mugge.de erreichte. Wo steckte Thomas all die Jahre? Warum war er nicht mehr als Solist aktiv? Wie kam er zur Musik und wie war das damals... als er die deutsche Beatmusik "erfunden" hat? Diese und andere Fragen stellten wir Thomas in einem Interview in der vergangenen Woche.
 


Hallo Thomas, von allen im Team bei deutsche-mugge.de alles Gute nachträglich zu Deinem 60. Geburtstag!
Vielen herzlichen Dank!
 


Du hast in der "WABE" in Berlin gefeiert… Wie war's denn?

Also, es war ein tolles Konzert! Ich habe meinen 60. Geburtstag einmal ganz anders verlebt, als man sonst Geburtstage feiert… man fährt entweder weg oder trifft sich mit Freunden und der Familie… diesmal hab ich gedacht, der 60. ist doch vielleicht etwas Besonderes. Also haben wir in unserem Kreativteam bei mir im Studio Eichwalde überlegt und Christine Dähn, Starmoderatorin bei DT64 und bekannt von ihrer TV-Sendung "Dähn über den..." sagte: "Du hast seit über 20 Jahren nicht mehr selbst gesungen. Mach doch eine CD, mach ein Konzert. Nimm den Geburtstag zum Anlass, Dich in der Rockerszene zurückzumelden". Ich habe dann mit viel Spaß begonnen, Songs zu schreiben. Zu den Aufnahmen habe ich viele meiner musikalischen Freunde gebeten, und sie sind auch auf dem Album zu hören. Für das Konzert habe ich die Solisten, für die ich seit vielen Jahren komponiere, angerufen und sie haben alle zugesagt, u.a. Veronika Fischer, Gaby Rückert und Jürgen Walter. Die Karat-Freunde Bernd Römer und Claudius Dreilich waren dabei und Ingo Koster hat die "Mokka-Milch-Eisbar" gesungen. Ich hatte noch weitere Freunde eingeladen: Gotte Gottschalk und Angelika Weiz, die auf meiner neuen CD die Backings gesungen haben. Ich hatte eine super Band auf der Bühne, mit Jäcki Reznicek von Silly und Pankow am Bass und Michael Behm von der Stern Combo Meissen am Schlagzeug - mit beiden habe ich schon 1978/79 bei der Veronika Fischer Band gespielt, Thomas Kurzhals von KARAT und Stern Meissen, der mein Nachfolger bei Karat wurde, an den Keyboards, Ralf Templin, ein wunderbarer Gitarrist, der bei mir in der Jürgen Walter-Band spielt, Ritchie Barton von Silly war auch dabei. Thomas Kurzhals, von dem ich eben gesprochen habe, hat extra für dieses Konzert und zu meinem Geburtstag ein Stück komponiert: TNTK07 - eine jazzige Kurz-Rock-Symphonie - so würde ich das mal nennen. Ein 8-Minuten-Stück, das wir an diesem Abend uraufgeführt haben, und das mit sehr großem Erfolg angekommen ist. Eine ganz besondere Geschichte. Und für mich ein ganz besonderer Abend. Ein großes Dankeschön an alle, die mit mir auf der Bühne standen und an alle, die hinter den Kulissen am Erfolg beteiligt waren.

 

Du hast es bereits angesprochen: Es gibt auch ein neues Album von Dir, auf dem brandneue Titeln zu hören sind. Kannst Du uns etwas über "Weit, weit und wild" erzählen?
Musikalisch ist es ein vollkommen neues Projekt. Ich bin an das Album ohne innere Zwänge herangegangen. Ich habe gedacht: "Du denkst nicht an die Charts, Du schreibst einfach die Songs aus Dir heraus". Es ist entstanden, weil ich es mir selbst zu diesem Geburtstag schenken wollte. Vielleicht ist es deswegen so locker geworden. Es sind Balladen darauf, Blues, es swingt, rockt, meine Stimme klingt rauchiger, interessanter. Ein sehr breites Spektrum - anders als früher, als ich doch eher getragenere Titel gesungen habe. Über den "neuen" Natschinski bin ich ganz froh.

 

Die Texte stammen von Christine Dähn und Norbert Kaiser. Wie kam es dazu, dass Norbert Kaiser wieder Texte für Musik schreibt, und dass Christine, die man eigentlich von DT64 kennt, plötzlich textet?
Also ich fang mal mit Christine an… Ihr bin ich vor ca. 2 Jahren zufällig wieder begegnet. Wir haben uns unterhalten und sie hat mir ihre wunderbaren Geschichten gezeigt. Aus diesen Geschichten ist dann in relativ kurzer Zeit im letzten Jahr das Hörbuch "Der Pianist und eine Autorin" entstanden, und überhaupt eine ganz wunderbare Zusammenarbeit. Am Anfang dieses Jahres habe ich sie gefragt, ob sie nicht für mein Album texten will. Sie sagte: "Ich kann Geschichten schreiben, aber Texte?", hat es dann aber gemacht und ich finde, sie sind wunderbar geworden, phantasievoll und ungewöhnlich. Norbert Kaiser habe ich angesprochen, weil ich für das kommende Album von KARAT wieder Songs geschrieben habe. Ich dachte, er könne die Texte für KARAT machen und habe ihm bei der Gelegenheit einige Demos für meine CD vorgespielt. Die haben ihm so gefallen, dass er gesagt hat, dass er dafür auch gerne Texte schreiben würde. Die Kombination aus Norbert Kaiser und Christine Dähn finde ich sehr gelungen.


Im Studio hast Du viele bekannte Musiker dabei gehabt. Wie ist diese "Studio-Band" entstanden und nach welchen Kriterien hast Du sie ausgewählt?

Ich gehe bei der Studioarbeit immer zuerst davon aus, dass ich soviel wie möglich selbst spiele. Ich habe mir für diese CD wieder eine Gitarre gekauft, denn ich habe viele Jahre lang nicht mehr selbst im Studio Gitarre gespielt. Ich hatte unglaublich viel Spaß daran, wieder zur Gitarre zu komponieren. Ich habe Keyboards, Klaviere, Mundharmonika, die Akustik-Gitarren eingespielt und die Drums programmiert. Wie ich es immer gern mache, habe ich dann die E-Gitarren und Konzertgitarre von Uwe Hassbecker und Ralf Templin, und das Cello von Jens Naumilkat einspielen lassen. Die Chöre habe ich erst selbst eingesungen. Angelika Weiz und Gotte Gottschalk haben dann mit ihren wunderbaren Stimmen die Backings noch veredelt. Bass hat Jäcki Reznicek gespielt. Es gibt heute tolle Samples und viele Möglichkeiten, bei einer CD-Produktion fast alles alleine aufnehmen zu können, aber ich stehe auf dem Standpunkt, dass es viel lebendiger ist, wenn bei einem Großteil der Titel noch Musiker dazu kommen, die ihren Stil einbringen. Alles wird frischer und abwechslungsreicher.

 

Im nächsten Jahr wirst Du ein Buch veröffentlichen. Worum geht's, auf was können sich die Leute freuen?
Es heißt "Verdammt, wer hat das Klavier erfunden" und erzählt aus meinem Leben. Man könnte auch Biographie dazu sagen, ist es aber nicht im reinen Wortsinn, weil es Ausflüge in die Zeitgeschichte, viele Geschichten und Anekdoten gibt. Man erfährt einiges über meine Kindheit, meine erste Band Team4, die Rockmusik in der DDR und die Freuden und Probleme, die wir Musiker hatten. Kollegen schreiben über mich und ich über sie. Christine Dähn schreibt das sehr witzig und kurzweilig. Das Buch erscheint zur Leipziger Buchmesse im März 2008 und es wird im Anschluss eine Konzert-Lese-Tour mit Christine und mir geben.

 

Es ist in unseren Interviews eine immer wieder gestellte Frage, weil die Antworten stets anders und interessant sind: Wie bist Du zur Musik gekommen?
Ich denke, das waren bei mir zwei Wege. Einmal habe ich ein musikalisches Elternhaus, mein Vater ist Komponist. Ich denke, die Gene haben hier auch eine Rolle gespielt. Ich habe mit acht Jahren angefangen, Klavierunterricht zu nehmen. Am Anfang relativ erfolglos, mit 10 Jahren dann wirklich richtig kontinuierlich. Der Knackpunkt für mich war aber dann die Musik der Beatles. Es gab 1964 in Berlin ein Deutschlandtreffen, zu dem auch der Jugendsender DT64 gegründet worden ist, wo zum ersten Mal im Osten die Beatles auf dem Sender gespielt wurden und wo die ersten Beat-Bands auftraten. Das war für mich die Initialzündung, denn ich war absoluter Beatles-Fan. Wir haben dann noch im selben Jahr eine Schülerband mit Namen "Team 4" gegründet, und haben gleich angefangen, die ersten Songs selber zu schreiben.

 

Weißt Du noch, was Deine erste Komposition war, und welches Deiner Werke als erstes veröffentlicht wurde?
(lacht) Meine erste Komposition habe ich mit 11 Jahren geschrieben. Das war ein Lied zu einem Wettbewerb über den abgebrannten Müggelturm in Berlin. Einen Preis haben wir dafür nicht bekommen. Die erste veröffentlichte Komposition, da muss ich überlegen… ich denke das war einer von den "Team 4"-Songs, wahrscheinlich "Lied von den Träumen".

 

Du gehörst zu den Pionieren der Beat-Musik in der DDR. "Team 4" war die erste deutschsprachige Band, die Beat-Musik veröffentlichte. Wie hast Du die Zeit damals erlebt?
Es war eine tolle Zeit, eine Zeit des Aufbruchs auf den Spuren der Beatles. Wir hatten tolle Fans, die uns und unsere Songs geliebt haben. Unser größter Hit war die "Mokka-Milch-Eisbar". Aber es war auch eine schwierige Zeit. Es war in der DDR nicht so einfach, sich Musikinstrumente zu besorgen. Das hat eine ganze Weile gedauert, bis wir überhaupt Equipment hatten. Man konnte nicht so einfach ins Geschäft gehen und sich die Instrumente kaufen, die man gerne haben wollte. Es war sicherlich auch politisch eine komplizierte Zeit, weil die englischsprachige Beat- und Rock-Musik von institutioneller Seite aus nicht so gerne gesehen wurde. Man konnte nicht produzieren, wenn man englisch gesungen hat. Wir waren da im Vorteil, denn wir hatten mit Hartmut einen potenten Lyriker in der Band, der deutsche Texte schreiben konnte. Für uns war es von Anfang an keine Frage, dass wir die Songs, sowohl Texte als auch Musik, selber schreiben. Genauso klar war es, dass wir die Lieder in der Sprache singen, die unsere Fans auch verstehen können. Wir haben 1965 bereits die ersten Produktionen gemacht und bis 1971 drei LPs bei Amiga veröffentlicht. Es ging in der Szene auf und ab, es gab wunderbare Zeiten, in denen die Rock-Musik gefördert wurde und es gab auch immer wieder Phasen, wie zur Zeit des 11. Plenums, wo Bands verboten wurden, ihren englischsprachigen Namen ändern mussten, usw. Wir mussten uns ja auch umbenennen, von "Team 4" in "Thomas Natschinski Gruppe". Aber rückblickend hat uns die Zeit und das, was wir machen konnten, viel mehr Freude bereitet als Frust gebracht.

 


Nach Deiner Armeezeit war auch die Thomas Natschinski Gruppe Geschichte. Knapp fünf Jahre später gab es "Brot und Salz". Bitte erzähl uns etwas über die Gruppe.

Wir hatten versucht, die Thomas-Natschinski-Gruppe über die Armeezeit zu retten, indem die Jungs einfach weitergemacht haben. Als ich von der Armee zurückgekehrt bin hat sich herausgestellt, dass sich in der Zwischenzeit ziemlich viel getan hatte. Der Stil der Band hatte sich verändert, die musikalische Landschaft in der DDR hatte sich gewandelt. Ich fand, dass alles nicht mehr so richtig zusammen passte. Ich wollte neue Wege gehen, und habe dann die Band "Brot und Salz" gegründet, zum Teil noch mit Leuten aus der Thomas-Natschinski-Gruppe. Ich muss sagen, wir haben als "Brot und Salz" viele schöne Songs gehabt, aber nicht die großen Erfolge, wie wir sie mit der alten Band hatten. Es gab drei Komponisten in der Band: Ingo, Helmut und mich. Aus meiner heutigen Sicht war das ein Fehler, denn zu "Team 4"-Zeiten habe ich alle Songs geschrieben. "Brot und Salz" war eine gute Band, aber der Stil war nicht mehr erkennbar und wir dadurch leider nicht sehr erfolgreich. Darum habe ich die Gruppe 1976 verlassen. Es waren auch zwei Musiker aus der Band ausgestiegen, die zur Politgruppe "Jahrgang `49" gegangen sind… was ich nicht so toll fand. Ich war etwas frustriert und habe für mich damals beschlossen, mit der Bandarbeit erstmal aufzuhören. Ich habe den Schritt in die Freiberuflichkeit gewagt und beschlossen, als Komponist zu arbeiten. Ich hatte Musik studiert und in der Zwischenzeit Kontakte zu Regisseuren aufgebaut, die Filmmusiken von mir haben wollten. Das war am Anfang schwierig. Das erste Jahr war sehr kompliziert, aber das hat sich bald wieder normalisiert.

 

Wie bist Du zu dem Teil Deiner Karriere, der Filmmusik-Komposition, gekommen?
Mitte der 70er Jahre hat mich Konrad Weiß angesprochen, der damals im Dokumentarfilm-Studio arbeitete und Kinderfilme gedreht hat. Er hatte zu dem Zeitpunkt eine neue Fernseh-Reihe in Arbeit und suchte einen Komponisten, der anders komponiert als die Komponisten, mit denen er bis dahin gearbeitet hat. Er brauchte jemanden, der aus einer Rockband kommt und sowohl Balladen als auch rockige Sachen schreiben konnte. Über diese sehr schöne Zusammenarbeit bin ich mit anderen Regisseuren aus dem Dokumentarfilm-Studio und später auch aus dem Fernseh- und Film-Bereich zusammen gekommen, und habe dadurch in der Filmmusik-Branche Fuß fassen können.


Legendär waren auch Deine Kompositionen zu "Spuk unterm Riesenrad" und "Spuk im Hochhaus". Wie sind die entstanden?

Günter Meyer, der Regisseur der beiden Filme, hat viele Serien für's Kinderfernsehen produziert. Über das Dokumentarfilm-Studio bin ich auch mit ihm in Kontakt gekommen. Ich habe viele seiner Filme vertonen dürfen. Die bekanntesten sind "Spuk unterm Riesenrad" und "Spuk im Hochhaus", es gab aber auch noch den "Spuk von Draußen" und nach der Wende einen wunderbaren Mehrteiler, "Sherlock Holmes und die sieben Zwerge" und die ARD - Abendserie "Die Trotzkis". Der letzte Film, den ich mit ihm zusammen gemacht habe, war im vergangenen Jahr ein Dokumentarfilm über Karl Friedrich Schinkel "Bauen für Preußen". Uns verbindet eine sehr lange Zusammenarbeit und wir sind auch sehr gut befreundet.

 

Gibt es die Musik aus den "Spuk"-Filmen eigentlich auf Platte oder CD, oder sind sie für den heimischen Plattenteller gar nicht erschienen?
Sie sind auf Schallplatte leider nicht erschienen. Es war damals nicht üblich, dass Soundtracks von Filmen oder von Fernsehserien gemacht worden sind. Deswegen gibt es wirklich nur die Videomitschnitte, die ich selber gemacht habe, und die DEFA-Bänder von den Filmen. Aber die sind von der Qualität nicht so, dass man daraus eine CD machen könnte. Ich habe mir allerdings vorgenommen, für Leute, die sich dafür interessieren, einmal eine CD-Version zu machen, wo man sich zumindest die Haupt-Themen dieser Filme anhören kann.


Dann hast Du einige Zeit bei der Gruppe KARAT verbracht. Auf den Platten bist Du als "Gast" aufgeführt. Bist Du nun festes Mitglied gewesen, oder wirklich nur Gast?

Also ich war drei Jahre festes Mitglied bei KARAT! Ich hatte vorher schon 1 ½ Jahre die Band von Veronika Fischer geleitet, und war dadurch wieder zurück in den Rock-Zirkus gekommen. Im Jahre 1980 fragte mich Herbert Dreilich, ob ich nicht für Ed Swillms, den Keyboarder und Komponisten dieser wunderbaren Lieder von KARAT, eine Zeit lang spielen könnte. Es war anfangs nur von einem ¾-Jahr die Rede, weil Ed krank geworden war. Ed ist ein guter Freund von mir, wir haben zusammen studiert, er hat Cello studiert, ich Klavier und Komposition. Deswegen habe ich das natürlich auch gerne gemacht. Er wurde dann leider nicht so schnell gesund, wie das zu erwarten war, so dass aus diesem ¾-Jahr drei Jahre geworden sind. Ed hat zwischendurch mal wieder für ein paar Monate gespielt, aber ansonsten war ich festes Mitglied der Band. Ich wäre es auch geblieben, denn es war eine relativ schwere Entscheidung für mich, 1984 zu sagen: "Ich verlasse Karat, ich verfolge meine freiberuflichen Pläne weiter". Die Band hätte mich sehr gerne behalten, weil wir uns toll verstanden haben. Es war für mich aber nicht so einfach, die Filmaufträge und die Arbeiten für andere Interpreten waren sehr viel geworden. Ich hatte Erfolg mit Gaby Rückert, so dass ich gesagt habe: "Ich finde es spannender und vielseitiger, meine Arbeit als Komponist weiter zu verfolgen".

 

In den 90ern hast Du auch Erfahrungen mit dem Grand Prix sammeln können, stimmt das?
Ja, das stimmt! Das Jahr kann ich jetzt aus dem Kopf gar nicht mehr sagen, ich glaube 1995 und 96. Ich war zweimal beim Grand Prix-Vorausscheid dabei. Damals gab es noch eine GEMA-Jury, dort hatte ich einen Song eingereicht, der ausgewählt wurde und habe dann auf Anhieb den vierten Platz im Vorausscheid belegt. Durch diesen vierten Platz war ich wieder qualifiziert für das nächste Jahr, und habe wieder den vierten Platz belegt. Dann ist leider das Reglement so geändert worden, dass die Schallplattenfirmen unter sich ausmachen konnten, wen sie zum Vorausscheid schicken, und da hatte man dann als Komponist, der nicht in einer großen Plattenfirma präsent war, eigentlich keine Chance mehr. Ich war das erste Mal mit Anett Kölpin dabei. Sie hat bei mir sehr viel im Studio die Backings gesungen, eine wunderbare Sängerin! Im zweiten Jahr war es die stimmgewaltige Anke Lautenbach. Für mich war es eine große Erfahrung, dabei gewesen zu sein. Ich war der erste DDR-Komponist, der beim deutschen Vorausscheid dabei war.


In all den Jahren hast Du für so viele bekannte Musiker Songs geschrieben. Mit wem hättest Du gerne mal zusammen gearbeitet, bzw. mit wem möchtest Du gerne noch mal zusammen arbeiten?

(wartet sehr lange mit einer Antwort) Das ist jetzt eine sehr schwierige Frage… Ich denke, ich habe Glück gehabt, dass ich zumindest im DDR-Bereich mit ganz wichtigen Leuten zusammen arbeiten durfte. Ich habe z.B. auch für den Friedrichstadt-Palast gearbeitet und eine komplette Show geschrieben - "Wunderbar - die 2002. Nacht", mit über 400 Aufführungen und 700.000 Besuchern eine der erfolgreichsten des Hauses. Im Friedrichstadt-Palast habe ich mit sehr vielen Künstlern arbeiten können, ich habe über viele Jahre die Show "Spaß muss sein" im Palast der Republik betreut, eine Sommer-Show in der ich auch mit vielen internationalen Künstlern zu tun hatte. Ich hätte schon gerne noch eine große internationale Zusammenarbeit, ohne jetzt Namen nennen zu können. Ich fühle mich sehr kreativ in vielen musikalischen Bereichen, Rock, Pop, Filmmusik. Es könnte auch ein Musical sein.

 

Wenn es in Reportagen um die Pop- und Rockmusik der DDR geht, fehlt wirklich NIE Deine "Mokka-Milch-Eisbar". Welche Gedanken kommen in Dir hoch, wenn Du als einer DER Erfinder des Ostrock bezeichnet wirst?
Ich find das in Ordnung, weil es wirklich stimmt. Erfinder ist vielleicht die falsche Bezeichnung, ich weiß nicht, wie man das Kind nennen soll. Aber wir waren die ersten, die im deutschsprachigen Raum Beat-Musik mit deutschen Texten gemacht haben. Das ist nachgewiesen, und darauf bin ich sehr stolz. Wir hatten uns das als Band von vornherein als Prämisse gesetzt. Wir haben in der Zeit natürlich auch Beatles, Stones und andere Bands nachgespielt, das ist völlig klar. Aber wir haben von Anfang an immer eigene Songs geschrieben und im Repertoire gehabt. "Mokka-Milch-Eisbar" ist ein Song, der auch heute noch von den Leuten auf der Strasse gepfiffen wird, und der auch einen sehr hohen Bekanntheitsgrad hat...

 

...übrigens auch im Westen!
Auch im Westen?

 

Ja, da komme ich ja her, kann es also gut beurteilen...
(lacht) stimmt.


Wenn Du Dir die heutigen Charts anschaust: Was denkst Du dann?

Mich interessiert jegliche Art von Musik. Prinzipiell gibt es nur gute und schlechte Musik. Ich würde auch keine Musikrichtung verteufeln oder abwerten. Die Charts höre ich mir ab und zu an, wenn ich denke, ich muss mal schauen, was es Neues gibt… neue Stilistiken, neue Künstler… Aber ich stelle fest, dass ich viele Bands einfach leider nicht kenne, gerade junge Bands. Das wechselt so schnell, das finde ich eigentlich schade. Es gibt kaum Kontinuität, wenn man mal von Xavier Naidoo, Rosenstolz, Tokio Hotel, Westernhagen oder anderen absieht, die ständig und über Jahre präsent sind. Diese Kontinuität gibt es bei den jungen Bands nicht. Früher war das anders. Da hatte man die Chance, sich über Jahre zu profilieren und an den eigenen Ansprüchen zu wachsen. Für mich ist die heutige Zeit zu schnelllebig. Der Verschleiß, auch durch Sendungen wie "Deutschland sucht den Superstar" ist sehr groß. Heute Top - morgen Hop. Wer nicht genug Umsatz macht, wird fallen gelassen.

 

Wird "Weit, weit und wild…" NUR ein Album zum Geburtstag bleiben, oder wird man Thomas Natschinski als Interpreten jetzt wieder öfters sehen und hören?
Ich sag's mal so: Ich habe wieder richtig Lust bekommen, und bedauere es eigentlich sehr, dass ich so viele Jahre nicht an mich selbst gedacht habe. Ich habe tolle Filmmusiken und Shows komponiert, für viele wunderbare Sängerinnen und Sänger geschrieben. Aber ich hätte sicher alle fünf Jahre ein Album machen müssen. Weil ich nun wieder Freude daran habe, denke ich, dass es nicht nur bei diesem Album bleiben wird. Erst einmal versuchen wir, mit "thomas natschinski & friends live in concert" auf Tournee zu gehen. Dann gibt es die Konzertlesungen zum neuen Buch, in denen ich auch singen werde. Aber ich werde mich als Sänger nicht noch einmal so vernachlässigen, wie ich es in den letzten Jahren getan habe.

 

Ich danke Dir für dieses Gespräch. Möchtest Du noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Ich freue mich darüber, dass zu meinem Geburtstag die Möglichkeit zu diesem Gespräch bestand, hoffe, dass Euch meine CD gefällt, dass ihr im Herzen jung seid und immer gern Musik hört… vielfältige Musik und neugierig und offen bleibt.

 

Interview: Christian Reder
Bearbeitung & Vorbereitung: kf, cr