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Interview vom 13. März 2023



Wenn man sich ein PANKOW-Album holt oder auf eins ihrer Konzerte geht, weiß man genau, was man dort bekommt. Das ist wie bei den Stones … Wenn man aber schaut, was André Herzberg, der Frontmann von PANKOW, so nebenbei macht, wird man immer wieder überrascht. Es ist eben nicht nur die Musik, die aus ihm heraus fließt - und selbst die weiß immer wieder zu überraschen -, sondern auch das geschriebene Wort, mit dem er Menschen erreicht und berührt. Ein paar Bücher gibt es schon von ihm, und für April ist ein neues Studioalbum angekündigt. "Von woandes her" heißt es, hat acht Lieder in sich und zeigt den gebürtigen Berliner einmal mehr auf nichts fixiert und sich selbst immer wieder häutend. Unser Kollege Christian hatte vor einigen Tagen die Gelegenheit, nicht nur das Album schon zu hören, sondern auch mal wieder mit André über seine Musik, die anstehende Tour und das aktuelle Geschehen in seinem Umfeld zu sprechen. Hier das Ergebnis ...






Hallo Andre, wie geht es Dir aktuell?
Mir geht es gut, danke. Das liegt sicher auch mit daran, dass gerade ein Video zu einem Song unseres neuen Albums erschienen ist. Und dazu kommt, dass ich zu dem Album ganz viele wunderbare Reaktionen bekommen habe. Da ich ein Mensch bin, der nicht gerade mit übermäßigem Selbstbewusstsein ausgestattet ist, hilft mir das durchaus dabei, mich gut zu fühlen.


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Es sind ja noch gute vier Wochen, bis das Album "Von woanders her" in den Handel kommen wird. Bist Du nach all den Jahren immer noch so aufgeregt wie früher, wenn so ein neues Album fertig ist und in den Startlöchern steht?
Ja, leider. Es steckt auch immer wieder eine riesige Hoffnung dahinter. Diese Hoffnung irgendwo zwischen zwei Welten. Einerseits hofft man schon morgens, mit einem riesengroßen Preis ausgezeichnet zu werden und in allen Ländern der Welt gefeiert zu werden. Dem entgegen steht das ganz negative Denken, dass kein Mensch in mein Konzert kommt, niemand will mich sehen, ich bin erledigt. So schwankt meine Stimmung ganz oft hin und her, aber im Moment stehen die Zeiger ganz oben auf plus zehn.

Ich habe vorab noch eine nachträgliche Frage zu dem Titelsong des Albums "Was aus uns geworden ist". Das kam zwar schon vor fünf Jahren raus, aber trotzdem … War der Angriff auf die Seele Deiner Hörer, also dieses Auslösen von intensiven Gefühlen und die Wahrscheinlichkeit, den einen oder anderen in Deinem Publikums damit zu Tränen zu rühren, volle Absicht oder war es eher ein Zufallsprodukt, welches beim Aufnehmen des Songs entstanden ist?
Wahrscheinlich war das eher Zufall. Ich denke eigentlich beim Schreiben der Lieder nie an mein Publikum, sondern bin eher in meinem eigenen Kosmos oder Film. Man mag das egoistisch oder autistisch nennen, aber das ist nun mal so. Das von Dir angesprochene Lied "Was aus uns geworden ist" entstand eigentlich als Echo auf meinen Roman, den ich zur gleichen Zeit wie das Album veröffentlicht habe. Das war insofern ein Novum, weil ich noch nie zuvor versucht habe, nach der Prosa, die ich zuerst geschrieben habe, zu überlegen, was denn passieren könnte, wenn ich diese geschriebene Zeile singe. Dass der Text so zu Tränen rührt, liegt wohl daran, dass mein Buch sehr ernste Themen behandelt.


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Ist das biografisch?
Ja. Auf die Art bin ich immer mit mir selbst beschäftigt. Und dann passiert halt so etwas, dass ich Bücher schreibe oder dass neue Lieder von mir rauskommen.

Wenn so etwas dabei herauskommt, darfst Du Dich gerne öfter mit Dir selbst beschäftigen.
(lacht) Das tue ich ja schon seit vielen Jahren, auch wenn meine Frau manchmal etwas genervt davon ist. Ich habe dann nämlich ziemlich wenig Zeit und Energie für meine Familie.

Wann äußert sich bei Dir denn dieser Wunsch, mal nachzuschauen, "was aus uns geworden ist". Wie kam es zu dieser Nummer und auch zu dem Buch?
Ein bestimmter Teil meiner Biografie und ein Teil der ostdeutschen Geschichte ist so richtig niemals erzählt worden. In dem Buch, und auch schon in dem Vorgängerbuch, geht es um die jüdische Geschichte in der DDR und somit betrifft es mich auch persönlich. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. In "Was aus uns geworden ist" geht um verschiedene jüdische Familien und was sie dazu bewogen hat, nach dem Krieg in die DDR zurückzukommen, denn in der Regel waren sie während des Krieges irgendwo im Exil. Wie ist es ihnen nach der Rückkehr in die DDR ergangen? Das Thema ist eine Art blinder Fleck, und das nicht nur in meiner eigenen Biographie. Es gibt also noch eine Menge nachzuholen.

Konntest Du nach 2018 eigentlich Dein Live-Programm zu dieser Platte abschließen?
Na ja, ich habe in dieser Zeit viel zuhause rumgesessen, denn live spielen war da bekanntlich ja nur unter ganz vielen Einschränkungen möglich. Das führte zu diesen abstrusen Situationen, dass im Saal plötzlich nur noch drei Leute sitzen durften und die mussten auch noch zehn Meter Abstand zueinander halten. Das war nicht sehr erquicklich. Dazu kommt, dass es natürlich irgendwann auch zu einem existentiellen Problem wurde, da das Konzerte spielen einen Teil meines Einkommens ausmacht.


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Der Gitarrist Hans Rohe und der Multiinstrumentalist Karl Neukauf waren ja schon 2018 in der Band, die das damalige Album mit eingespielt haben. Die beiden waren jetzt auch wieder mit Dir im Studio und gehen mit Dir auf Tour. Wie habt Ihr Euch gefunden, warum gerade diese beiden und wie kamen Sie in das Herzberg-Universum hinein?
Das ist eine gute Frage. Der wesentliche Bezugspunkt ist Danny Dziuk. Danny ist ein Liedermacher, den ich schon wahnsinnig lange kenne und der wiederum viel mit Stoppok zusammen gemacht hat. Und mit den beiden, also mit Danny und Stoppok, habe ich schon kurz nach dem Fall der Mauer mein erstes Soloalbum aufgenommen. In der Band von Danny hat Hans Rohe gespielt und auch Karl Neukauf arbeitet jetzt mit Danny zusammen. Zu Danny, den ich als Musiker und Songschreiber ganz doll schätze, habe ich nie den Kontakt verloren. Und so kommt es eben, dass man über diese Querverbindungen den einen oder anderen kennenlernt und einfach mal anfragt: "Hast Du Lust, mal mir zusammenzuspielen?" Für das neue Album "Von woanders her" habe ich mich entschieden, auf eine etwas andere Weise mit Karl Neukauf zu arbeiten. Für den Vorgänger "Was aus uns geworden ist" sind wir relativ spontan ins Studio gegangen, nahmen den Rest der Band dazu und haben das Album in einem Ruck eingespielt. Diesmal habe ich mit Karl zusammen ganz in Ruhe die einzelnen Songs entwickelt und alles nacheinander, Stück für Stück aufgenommen. Der Prozess war also ein etwas anderer, ich denke aber, dass das Endprodukt sehr gut geworden ist. Im Gegensatz zur Arbeit mit der ganzen Band kann man so langsamer und ruhiger an die Arbeit herangehen und vor allem immer wieder etwas verändern und verbessern. So habe ich jedenfalls vorher noch nie gearbeitet, während es wahrscheinlich ganz viele Musiker gibt, die ausschließlich auf diese Art arbeiten. Die wiederum werden die andere Seite nicht kennen, dass man nämlich mit der kompletten Band und ganz spontan die Aufnahmen erledigt. Für mich war es auf jeden Fall eine großartige, neue Erfahrung. Bei "Ich schreibe ein Lied" ist mir beispielsweise das Finale erst eingefallen, als das Lied eigentlich schon im Kasten war. Aber heutzutage ist das ja alles kein Problem mehr, da spielt man eben noch ein Finale und ein paar Instrumente hinten ran. Der Chor kam auch noch dazu, und den wollte ich wie einen Gospelchor klingen lassen. Karl hat das alles nach meinen Vorstellungen arrangiert. Auch ein paar Bläser kamen noch dazu, und auch die hat Karl extra arrangiert.

Die Handschrift von Karl Neukauf ist deutlich rauszuhören, vor allem, wenn man sein Soloalbum kennt. Ist es dieser besondere Sound, den er kreieren kann, speziell auch mit der Gitarre, der Dich so fasziniert?
Ich mag Karls Art zu spielen ungemein. Er spielt die Slide-Gitarre ganz exzellent, und er kann auch sonst alles. Er kann langsam spielen, kann schnell spielen, er kann es nach Country klingen lassen, er kann auch Rockabilly oder Soul, das ist alles überhaupt kein Thema für Karl. Karl denkt immer: "Was braucht das Lied, welche Stimmung bringe ich rein?" Er kann also jede mögliche Stimmung in die Songs einfließen lassen, das ist absolute Professionalität. Damit bin ich mehr als happy.


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Dein neues Album kommt ja nach einer noch nie dagewesenen und von vielen Menschen als Albtraum empfundenen Zeit auf den Markt. Wir wurden teilweise wegsperrt, ihr Künstler konntet nichts tun. Wie viel Einfluss hatte all das auf die Entstehung der neuen Scheibe?
Na ja... So genau kann ich das nicht festmachen, außer bei den beiden Liedern, die tatsächlich direkt von diesen Dingen inspiriert wurden. Das ist eben "Ich schreibe ein Lied", welches eine konkrete Reaktion auf die Corona-Zeit ist. Ich hatte mir vorgenommen, den Menschen und auch mir selber damit Mut zu machen. Im Refrain gibt es die Zeile "Wir suchen Hoffnung, egal woher sie kommt". Bei all dem zynischen Gerede in den sozialen Medien hat man trotzdem immer wieder klar erkannt, dass die Menschen eigentlich immer Hoffnung suchen. Das klingt immer nach Religion, aber letztlich ist es doch völlig egal, welchem Glauben, welcher politischen Richtung sie angehören, denn sie suchen immer nur nach Hoffnung.

Kannst Du mir zu den einzelnen Inhalten der Lieder etwas sagen? Ich habe das Album zwar schon rezensiert, aber vielleicht kannst Du selbst ein paar Worte dazu sagen.
Nun ja, zu jedem einzelnen Lied will ich nicht unbedingt was sagen, das würde den Rahmen sprengen. Aber drei Titel liegen mir sehr am Herzen, über die rede ich gerne etwas ausführlicher. "Von woanders her" ist der Titelsong des Albums. Hier versuche ich ein Resümee zu ziehen aus meiner Arbeit als Musiker und meinem Leben, wobei das beides ja ganz eng miteinander verbunden ist. Nun bin ich ja auch schon Rentner und da kommt man langsam an den Punkt, wo man erkennt, dass man nicht mehr ganz so viele Jahre vor sich hat, wie man gerne möchte. Ich werde also voraussichtlich auch nicht mehr allzu viele Bücher und Lieder schreiben, denn ich bin jetzt 67, da weiß man nie was kommt. Deshalb habe ich ein wenig zurückgeschaut. Diese Gedanken waren der Auslöser für dieses Lied. Dann gibt es den Song "Diktator". Auch hier handelt es sich um eine Art Rückblick. Ich bin ja in der DDR aufgewachsen, also in einer Diktatur groß geworden. Das hieß für mich, dass ich im Klassenzimmer immer automatisch den Blick auf den jeweiligen "Führer" an der Wand hatte. Zunächst war das Ulbricht, dann Honecker. Und die Verbindung zu heute sehe ich darin, dass der russische "Führer" Putin ja ebenfalls eine Art Diktatur in seinem Land errichtet hat. Das meine ich übrigens ganz unabhängig von dem Krieg in der Ukraine, der natürlich absoluter Horror ist. Als Kind habe ich, wie alle anderen Kinder und Erwachsenen auch, daran geglaubt, dass wir dem gottgleichen "Führer" zu dienen haben. Wir haben zu machen, was er sagt, und jeder Widerspruch wird im Keim erstickt. Aber eigentlich hat dieses Denken immer einen bestimmten Teil von mir nicht entsprochen. Ich wollte zwar auch ein guter Pionier sein, merkte aber recht schnell, dass das ganz schreckliche Regeln für das Leben sind, die man mir da vorschreiben wollte. Und diesen gleichen Geist meine ich in Russland zu spüren.


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Mich würden noch Deine Gedanken zu dem Lied "Das Auge des Kindes" interessieren.
Ich glaube schon, dass ich eine große Liebe zu Kindern in mir habe, zumal ich ja auch selber einige in die Welt gesetzt habe. Ich lebe ja auch fast mein ganzes Leben lang mit Kindern zusammen, habe also eine ganz intensive Beziehung zu ihnen. In den Kinderaugen sehe ich eine ganz besondere Macht. Wenn man so will, ist so ein Kinderauge auch das Auge Gottes. Ich weiß nicht, ob Du das auch kennst: Du siehst im Alltag irgendwo ein ganz kleines Kind in einem Kinderwagen. Und dieses Kind schaut Dich an. Dich, der Du ja ein Fremder für das Kind bist. Dieser Blick löst tiefe Gefühle aus, denn Du fühlst Dich total getroffen und erkannt, das geht richtig rein. Du fühlst Dich wirklich ertappt mit allem, was Du je gemacht hast, mit jeder Lüge, mit dem, was Du bist … Das ist aber nur ein ganz kurzer Moment, denn dann guckt das Kind wieder weg oder du läufst weiter, doch dieser Moment ist einzigartig. Und aus diesem Augenblick zieht das Lied seinen Ursprung.

Ihr werdet als Trio demnächst auch live auftreten. Was habt Ihr vorbereitet? Habt Ihr überhaupt schon etwas vorbereitet?
Ja, wir haben uns schon getroffen und vor allem über die mögliche Setlist philosophiert. Demnach wollen wir wahrscheinlich sechs der acht neuen Songs ins Live-Programm aufnehmen. Wir werden aber auch Lieder aus meinen ganzen anderen Soloalben spielen. Wenn ich richtig gezählt habe, müsste das jetzt mein siebtes Soloalbum sein, das ich veröffentlicht habe. Genügend Material ist also vorhanden. Für mich ist das gleichzeitig eine Art Resümee, was ich schon alles gemacht habe in den letzten dreißig Jahren. Da werden also Titel zu hören sein, die ich noch nie oder schon jahrelang nicht mehr live gespielt habe. Wir haben mit Franziska Günther auch eine Sängerin dabei, die bei "Ich schreibe ein Lied" im Background gesungen hat und die ein paar schöne eigene Songs hat und diese im Vorprogramm als Einstimmung präsentieren wird. Franziska wird aber auch bei uns im Hauptprogramm mit auf der Bühne stehen und sich mit einbringen, so dass wir kein Trio, sondern ein Quartett sein werden.

Trennst Du Dienstliches von Privatem oder anders gefragt: Wird es auch PANKOW-Songs geben oder einzig und allein Deine Solo-Sachen?
(lacht) "Dienstlich von Privat" ist gut … Mit PANKOW werde ich auf jeden Fall im November ein paar Konzerte geben. Was die anstehende Solo-Tour zu meinem neuen Album angeht, so wird mit ziemlicher Sicherheit ein Song wie "Langeweile" dabei sein, der ja ohne Zweifel eine größere Bedeutung bekommen hat. Es gibt nur sehr selten einen Auftritt von mir, wo ich die Nummer nicht spiele, denn das Publikum verlangt den Song.


 



Kommen wir noch einmal kurz zurück der "Was aus uns geworden ist"-Geschichte. In diesem Buch geht es um verschiedene jüdische Geschichten. Du selbst hast Deinen Glauben in den letzten Jahren sehr in den Vordergrund gerückt, was Du meiner Ansicht nach vorher nie so getan hast. Wo kommt denn diese starke Verbindung zum Judentum überhaupt her? Wann reifte in Dir der Wunsch, das nun auch öffentlich zu zeigen?
Das kann ich Dir sagen. Da gibt es ein Schlüsselerlebnis, was schon eine Weile zurück liegt, aber für mich enorm wichtig war und ist. Direkt nach der Öffnung der Mauer bin ich zum ersten Mal nach Amerika geflogen, und zwar direkt nach New York. Das war Ende November 1989. Dort wohnte ich im Herzen der Stadt, in Manhattan. Auf dem Time Square entdeckte ich inmitten der unzähligen Werbeplakate von Coca Cola & Co. Eine große Aufschrift: Happy Chanukka! Chanukka ist nämlich ein jüdisches Fest, welches ich aus entfernten Beschreibungen meiner Familie kannte. In der Öffentlichkeit wurde darüber allerdings nicht geredet, was mit dem Leben der Juden in der DDR zusammenhängt. Generell wurde über jüdisches Leben in der DDR nicht gesprochen. Plötzlich sah ich also diese Aufschrift im öffentlichen Raum und hatte auf einmal eine ganz andere Wahrnehmung über das Judentum. Ich begriff, es kann völlig normal sein, jüdisch zu sein, das muss man nicht verstecken!

Warst Du denn vorher schon so gläubig?
Der Glaube an sich spielte für mich keine entscheidende Rolle, die Herkunftsgeschichte meiner Eltern dagegen schon. Die Geschichten rund um den Holocaust haben nämlich meine gesamte Kindheit und Jugend überschattet. Dass öffentliche Gespräche und Diskussionen darüber nicht möglich waren, hing mit der Ideologie in der DDR zusammen. Und jetzt sehe ich mitten in New York einen öffentlichen Hinweis auf ein jüdisches Fest! Natürlich leben in New York viele tausend Juden, das ist mir klar. Und trotzdem war das für mich so ein Aufwach-Erlebnis. Ich kapierte, dass es im Judentum viel mehr gab und gibt als den Holocaust und andere schreckliche Geschichten. Es gibt nämlich ein richtig lebendiges Leben in der jüdischen Gesellschaft und Du darfst selber mal gucken, was Dich davon interessiert, was Dir gefällt. Du darfst auch gerne das eine oder andere mal ausprobieren. Nun kam ich aber wieder zurück nach Deutschland und wusste, diese Erfahrungen hier umzusetzen und so zu leben, wie Juden eben leben, das dauert Jahre. In Deutschland gibt es halt immer noch sehr wenig lebendiges Judentum. Und wenn man hier auf Juden trifft, dann sind es meistens russische Juden, was nochmal etwas anderes ist.


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Daran schließt sich meine nächste Frage an. Ich erinnere mich noch an das Konzert anlässlich Deines 60. Geburtstages. Die Erlöse des Abends hast Du an unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan gestiftet. Also teilweise an die Leute, die jetzt in unserem Land Anschläge auf Juden verüben, diese bedrohen und ihnen den Tod wünschen. Besorgt Dich diese Entwicklung, empfindest Du Wut dabei oder steckt in Dir nach wie vor diese große Nächstenliebe, die durch nichts zu zerstören ist?
Dass die Einwanderung gerade aus arabischen Ländern problematisch ist, das weiß ich natürlich. Es ist kompliziert, dafür Erklärungen zu finden. Einerseits sind es Flüchtlinge, und gerade, wenn es dabei um Kinder und Jugendliche geht, habe ich ein Herz für diese Menschen. Was bedeutet es denn, mit 14 oder 15 Jahren von Afghanistan bis nach Deutschland gekommen zu sein? Was war das für ein Weg, der unter Umständen mehrere Jahre dauerte! Auf der anderen Seite gibt es diesen schrecklichen Antisemitismus. Das weiß ich, das ist mir nicht unbekannt. Ich war selbst schon mehrmals in Ägypten und weiß, wie dort die Atmosphäre ist. Ja, das ist ein Riesenthema. Aber damals war es mir einfach ein Anliegen, weil ich in erster Linie die Kinder und Jugendlichen sah, die zu uns kamen. Und wenn sie dann noch unbegleitet waren, weil sie oft schon ihre Eltern verloren hatten, war das nochmal eine verschärftere Situation. Ich dachte nur, diesen Menschen muss man helfen. Und was den Antisemitismus betrifft, so ist das ein weltweites Problem. Es betrifft sicherlich vor allem die muslimischen Länder, aber eben nicht nur. Und ich denke, mit dieser Problematik muss man ein Stück weit leben.

Die Glaubensgemeinschaft der Juden ist ja wohl ohnehin sehr professionell unterwegs, wenn es um das Verzeihen geht und wie man mit bestimmten Dingen umgeht.
Das ist halt Routine. Wenn Du Dich näher mit dem Judentum beschäftigst, dann weiß Du, dass irgendwie jedes jüdische Fest davon handelt, wie die Juden mal wieder gerettet wurden oder es geschafft haben, irgendwem zu entfliehen. Das ist tief verwurzelt und ein Teil der Geschichte, mit dem man umgehen muss.

Da gibt es auch noch ganz andere Geschichten, mit denen man umgehen muss. Eine davon interessiert mich ganz besonders, denn wenn Du mit den 3 HIGHligen unterwegs bist, bist Du gleich mit drei anderen Charakteren zusammen, die sicher auch andere Meinungen zu den Geschehnissen in der Welt haben, zum Beispiel zum Ukraine-Krieg. Nun ist es ja mittlerweile in unserer Gesellschaft so, dass derjenige mit einer anderen Meinung sofort zum Feindbild erklärt wird. Wie funktioniert das denn bei den beiden Dirks und Dir?
Da sprichst Du einen Punkt an, der nicht so ganz einfach ist. Wir arbeiten gerade daran, solche Dinge wie unterschiedliche Standpunkte zu bestimmten Themen auf zivilisierte Weise auszutragen. Das gilt für mich übrigens für alle Lebensbereiche. Wenn man wegen einer anderen Meinung zum Feind erklärt wird, ist das doch komplett lächerlich. Aber gerade hier in Deutschland ist die Toleranz in Sachen politischer Meinung nicht besonders hoch. Es wird sich beleidigt und bekotzt und mir ist das oftmals zu dumm, sich jedes Mal dazu zu äußern. Ich habe meine eigene Meinung zu vielen Dingen, aber ich dränge sie anderen Menschen nicht auf. So versuche ich das auch mit den beiden Dirks zu halten. Ansonsten achten wir uns gegenseitig als Musiker.


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Ihr wart ja dieses Jahr mal wieder mit einer kompletten Tour unterwegs. Ganz am Anfang der 3 HIGHligen-Geschichte habt Ihr auch mal gemeinsame Songs geschrieben. Besteht die Aussicht darauf, dass so etwas nochmal passieren wird?
Wir haben es immer wieder versucht über die Jahre. Einen Song haben wir tatsächlich mal entwickelt, der hieß "Wir sind alle Verkäufer". Und wir haben auch mal das "Lied der 3HIGHligen" zusammen erfunden. Ansonsten ist das mit eigenen Liedern immer ein bisschen daran gescheitert, dass wir uns textlich und musikalisch nie wirklich einigen konnten. Und so kommt es, dass sich unsere Touren immer aus dem Repertoire der Anderen zusammensetzen. Dass wir irgendwann nochmal gemeinsame Lieder schreiben, halte ich also eher für eine schöne Utopie.

Gibt es eigentlich Lieder von Deinen Kollegen, auf die besonders scharf bist und wo Du Dir manchmal denkst: "Mensch, die Nummer hätte ich gerne selber geschrieben!"?
Ja schon. Bei Dirk Zöllner betrifft das "Ich darf alles, Du darfst nichts". Ich würde mich zwar selber niemals trauen, eine solche Aussage zu singen, aber ich finde das von ihm sehr mutig. Zöllner hat auch wunderbare Balladen, die ich ja auch singe. Bei Dirk Michaelis begeistern mich vor allem seine Kompositionen. Er schafft es auf eine ganze einfache Weise, mit seinen Liedern Wirkung zu erzielen.

Am 14.04. kommt also nun Dein neues Album in den Handel. Was wünschst Du Dir dafür? Die mediale Landschaft ist ja heutzutage leider so gestrickt, dass nur noch wenige eine Platte wie diese wahrnehmen.
Ich wünsche mir den großartigen Zufall, dass eins der Lieder entdeckt wird von einer Zuhörerschaft, die mich überhaupt nicht kennt.
Also Du möchtest nochmal in die BRAVO…
(lacht) Jawoll, nochmal in die BRAVO und Dauerschleifen bei den Privatsendern, das ist das, was ich mir wünsche.

Dann drücke ich mal die Daumen, dass es klappt.
Dankeschön.



Interview: Christian Reder
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Dajana Prosser-Gehn, Bodo Kubatzki, Lutz Müller-Bohlen






   
   
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