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Interview vom 10. Februar 2023



"Hassbe", wie Freunde und Kollegen den Musiker Uwe Hassbecker nennen, war einer der jüngsten Profimusiker in der DDR. Schon als Teenager stand er auf der Bühne und war auf dem Weg, einer der besten Gitarristen der Szene zu werden. STERN MEISSEN und SILLY waren zwei wichtige Stationen, aber auch als Begleitmusiker von Joachim Witt und Dieter "Maschine" Birr trat er in Erscheinung. Doch mit all dem kratzt man nur an der Oberfläche, denn die Vita des blonden Saitenhexers gibt noch viele andere spannende Geschichten her. Ein paar davon ließ sich unser Kollege Christian kürzlich von ihm erzählen und Ihr könnt sie an dieser Stelle jetzt nachlesen ...




Du bist gebürtiger Leipziger, groß geworden in Halle (Saale), lebst seit vielen Jahren in Berlin. Nennst Du einen dieser drei Orte Heimat oder ist Dein Zuhause da, wo der Hut auf dem Garderobenständer hängt?
Da kann ich mich nicht wirklich entscheiden, aber ich tendiere zu Letzterem. Ich lebe schon so lange in Berlin, dass ich die Stadt durchaus als meine Heimat bezeichnen würde. Dort ist der Lebensmittelpunkt meiner Familie. Ich bin aber auch gerne in Leipzig oder Halle und fühle mich auch auf Rügen zuhause, wo wir seit Jahren ein kleines Ferienhaus haben. Also man kann sagen: wo ich gerade bin, bin ich zuhause.

Deine Mutter Eva war Opernsängerin, Dein Stiefvater Thomas Müller Komponist und Dirigent, Dein leiblicher Vater Herbert Kegel Chef der Dresdner Philharmonie. Das klingt so, als hättest Du seit Deiner Geburt der Musik überhaupt nicht ausweichen können.
Meine ganze Familie war halt sehr musikalisch. Auch der Bruder meiner Mutter, mein Onkel Siegfried, war Musiker. Er war nämlich Solo-Pauker am Leipziger Gewandhausorchester. Meine Großeltern sangen in verschiedenen Chören. Bei uns ging es eigentlich ausschließlich um Musik, was zur Folge hatte, dass ich dem tatsächlich nicht entgehen konnte.


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(Foto: privat)



War denn der Geigenunterricht, den Du schon in jungen Jahren bekommen hast, Dein eigener Wunsch oder der Deiner Eltern?
Das wollte ich selber, zumindest anfangs. Ich war ganz oft mit im Theater, wenn meine Mutter Proben hatte, und habe die ganzen Abläufe aus nächster Nähe erlebt. Ich bin also quasi im und mit dem Theater groß geworden, konnte mir das Orchester und die einzelnen Instrumente in aller Ruhe anschauen. Dabei reizte mich die Geige besonders. Ich hatte eine Schallplatte mit David Oistrach, einem berühmten russischen Geiger, die mich so sehr faszinierte, dass ich mit ungefähr sieben Jahren mit dem Wunsch nach Geigenunterricht um die Ecke kam. Natürlich dauerte das eine ganze Weile, bis die ersten hörenswerten Töne aus dem Instrument kamen und später dann die ersten Erfolge folgten. Ich merkte also recht schnell, dass es eine ganz schöne Arbeit ist und dass man immer am Ball bleiben muss, sonst kommt man nicht weiter. Im Laufe der Jahre spielte ich dann u.a. auch in Schulstreichquartetts und Schulorchestern mit, was mir zwar durchaus Spaß machte, aber irgendwie habe ich meine Zukunft nicht in einem Orchester gesehen. Mit zunehmendem Alter setzte stattdessen in mir der Drang nach Individualität ein und ich mochte die Geige nicht mehr so richtig.

Später hast Du Dich ja dann lieber ans Schlagzeug gesetzt und hast nebenher auch noch zur Gitarre gegriffen. Wie man liest, hast Du Dir das Spielen dieser beiden Instrumente selbst beigebracht. In welchem Alter passierte das?
Das war ein schleichender Prozess. Wir haben im Freundeskreis mit einigen Leuten, die ebenfalls Geige oder Klavier spielten, einfach mal ein paar Klassik-Stücke probiert. Teils mit drei Geigen, teils mit Geige, Bratsche und Klavier. Und immer, wenn wir das zuhause bei meinem Kumpel Reimar Henschke, der heute übrigens zusammen mit Ulla Meinecke spielt, zu Ende geübt hatten, spielten wir hinterher irgendwelchen anderen Quatsch. An der Wand hing so eine Art Bongo, die wahrscheinlich mal irgendwo aus dem Urlaub mitgebracht wurde. Das Ding griff ich mir und trommelte einfach drauf los, weil mir das Spaß machte. Es folgte der klassische Verlauf, dass man umgedrehte Pappkartons nutzte, sich Eimer oder Schüsseln bzw. Töpfe hinstellte und darauf trommelte. Eines Tages verkaufte eine Amateurband ihr altes Schlagzeug und ich konnte meine Mutter überreden. So kam ich zu meinem ersten Schlagzeug.

Stieß denn dieses Experimentieren mit verschiedenen Instrumenten in Deinem eher klassisch geprägten Elternhaus auf Gegenliebe oder doch auf Gegenwind?
Na ja, der Deal war, dass ich trotzdem immer noch auf der Geige übe. Ich hatte damals ein Smaragd-Tonbandgerät von meinem Onkel Siegfried. Zu dem Tonband gehörte auch ein Mikrofon, mit dem ich dann oftmals meine Übungen und Etüden aufnahm und dann in meinem Zimmer einfach abspielte, so dass meine Eltern tatsächlich dachten, dass ich gerade schwer am Üben bin. Ich hatte eben irgendwann keine Lust mehr und sparte mir dann durch solche kleinen Tricks die Zeit, die ich eigentlich zum Üben aufbringen sollte. Aber natürlich hatte ich später durch meine Eltern auch die volle Unterstützung, als sie merkten, dass ich musikalisch ganz woanders hin wollte.


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 (Foto: Dana Barthel)



Gab es denn in Deiner Kindheit und Jugend außer der Musik noch andere Aktivitäten, mit denen Du Deine Freizeit gefüllt hast? Warst Du möglicherweise nebenher auch ein begnadeter Fußballer oder Baumhausarchitekt?
Klar, das habe ich alles mitgemacht. Beim Fußball stand ich meistens im Tor. Außerdem habe ich geturnt und ein bisschen Eisschnelllauf gemacht. Da kam es allerdings zu der typischen Erfahrung, dass ich zweimal richtig heftig hingeknallt bin. Einmal war ich ohnmächtig, ein anderes Mal schlug ich mir beim Rückwärtsfahren das Kinn auf. Das gehörte eben dazu. Aber irgendwie passte z.B. Turnen nicht mit dem Geige spielen zusammen und ich entschied mich letztendlich für die Musik.

Gab es denn zur Musik berufliche Alternativen? Hattest Du schon immer vor, in diese Richtung zu gehen oder stand auch mal eine Lehre als Kfz-Mechaniker oder Heizungsbauer im Raum?
Nein, das nicht, aber als Kind wollte ich gerne Tierarzt werden. Ich mochte Tiere gerne und hatte selber alles, was man als Kind so haben kann. Über Hamster, weiße Mäuse, Meerschweinchen bis hin zu Zwergpapageien war bei uns alles vorhanden. Teilweise vermehrten sich die sogar, was dann logischerweise zu Problemen führte. Eines Tages bekam ich den Wunsch nach einem bestimmten Buch erfüllt, wo vorne auf dem Cover ein Meerschweinchen abgebildet war. Das war allerdings mehr ein wissenschaftliches Buch für Tierärzte, ich weiß es nicht mehr so genau. Jedenfalls war das für mich einzig Schöne an dem Buch das Foto vorne drauf. Anschließend ließ ich den Gedanken mit dem Tierarzt fallen.

War die KLINK-FORMATION aus Halle Deine erste Station als Musiker oder gab es vorher schon andere Kapellen für Dich?
Es gab vorher tatsächlich eine andere Band, und zwar war das eine Schulband namens SCOLARES. Das ergab sich aus den gemeinsamen musikalischen Spielereien, die war damals machten. Ich hatte schon ein richtiges Schlagzeug, Reimar Henschke kaufte sich eine Orgel, der Bruder von Reimar spielte Bassgitarre und hat gesungen. Natürlich haben wir uns auf das Nachspielen von bekannten Titeln beschränkt. Unter anderem versuchten wir uns an dem PUHDYS-Song "Wenn ein Mensch lebt". Davon gibt es sogar noch einen Mitschnitt von einer Probe im Klassenraum. Es klang schrecklich, aber wir haben es wenigstens versucht. Ansonsten spielten wir das, was damals so angesagt war. Wir trauten uns sogar an EMERSON, LAKE & PALMER heran, was uns aber nicht wirklich gelang. Das waren meine Anfänge als Rockmusiker.

Kannst Du Dich noch an Deinen allerersten Auftritt erinnern? Okay, das war in der DDR, wo ja so etwas nicht so ohne weiteres möglich war. Aber wo und wann hast Du zum ersten Mal auf einer Bühne gestanden?
Wenn man das Klassenzimmer als Bühne bezeichnen kann oder ein Schulkonzert zu irgendeinem festlichen Anlass dazu zählt, dann waren das meine ersten offiziellen Auftritte. Wir haben immerhin eine Dreiviertelstunde vor ein paar Schülern unserer Schule gespielt.


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Hassbe bei der Klink-Formation (Foto: privat)



Wie kamst Du denn zur KLINK FORMATION? Warst Du vielleicht sogar ein Gründungsmitglied?
Gründungsmitglied… Zumindest glaube ich, dass es die Band als solche noch gar nicht gab. Jetzt muss ich etwas ausholen. Ich spielte schon ein bisschen Gitarre. Es gab damals in der DDR abseits der offiziellen Jugendklubs ein paar Nischen, in denen man sich alternativ bewegen konnte. In unserer Gegend war das zum Beispiel der Gemeinderaum der Evangelischen Kirche. Die haben sich dort für Leute wie uns geöffnet. Das nannte sich "Junge Gemeinde". Man musste auch nicht zwingend Mitglied der Kirche sein, sondern konnte dort einfach so hingehen und mitmachen. So wurden an manchen Abenden Jam-Sessions abgehalten, wo sich alle möglichen Leute trafen, um zusammen Musik zu machen. Zu diesen Sessions kamen dann auch Musiker, die schon etwas professioneller unterwegs waren. Einer davon war Saxofonist Rüdiger Klink, der gerade auf der Suche nach Musikern war, um mit denen eine Band zusammenzustellen. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen. So kam ich zur KLINK-FORMATION.

Was war die KLINK-FORMATION für eine Band, welche Art Musik habt Ihr gespielt?
Wir haben alles Mögliche gemacht. Auf der einen Seite versuchten wir in Richtung Jazz Rock zu gehen, weil uns dieser Stil gefiel. Natürlich haben wir viel gecovert. Damals spielte man noch zum Tanz, die Diskotheken kamen erst später. Das nannte sich damals "Jugendtanz" und fand zumeist in offiziellen Klubhäusern statt. Man spielte pro Runde immer drei bis vier Songs am Stück, die Leute tanzten dazu und danach machte man zehn, fünfzehn Minuten Pause. Danach folgte dann die nächste Runde. So ging das den ganzen Abend lang. Wir spielten alles, was uns in den Sinn kam und Spaß machte, zum Beispiel Santana, Al Jarreau, Jeff Beck usw. Von dem Verdienst konnte man mit Mühe und Not auf bessere Instrumente sparen, oder die marode Technik reparieren lassen. Ich ging ja zu der Zeit noch zur Schule, aber Rüdiger Klink war schon Profimusiker, der musste also davon leben. Deshalb überlegte er, was man machen könnte, damit mehr Kohle reinkommt. Die Idee war, in Nachtbars aufzutreten. Allerdings mussten wir dazu die komplette aktuelle Schlagermusik in unser Repertoire aufnehmen. Ich erinnere mich, dass wir einmal vier Wochen am Stück, Nacht für Nacht, in Rostock die Nachtbars bespielten. Und das, obwohl ich erst so etwa sechzehn war.

Mit "Ich hab getanzt mit ihr" gibt es eine einzige Nummer der KLINK-FORMATION auf CD. War das nach Deiner Zeit, als die ihre Rundfunk-Produktionen gemacht haben oder warst Du noch dabei?
Nein, war ich nicht. Es gibt aber noch zwei andere Produktionen, bei denen ich dabei war. Das eine war eine Cover-Version eines Titels von Klaus Doldinger, der damals gerade sehr angesagt war und für uns eine Art Vorbild war. Die Nummer haben wir in der Fernsehsendung "Heitere Premiere" spielen dürfen. Der zweite Song war eine Eigenkomposition, da fällt mir aber jetzt der Name nicht ein. Aber wahrscheinlich bin ich sowieso der Einzige, der diese Aufnahmen noch hat.


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Hassbe bei der Klink-Formation (Foto: privat)



Das Angebot, in der Band von Uschi Brüning mitzuwirken, war wahrscheinlich der Grund für Deinen Ausstieg bei der KLINK-FORMATION, richtig?
Absolut. Uschi Brüning hatte ja schon einen richtig großen Namen, weil sie ja unter anderem mit Manfred Krug und Günther Fischer zusammen gespielt hat. Für mich war das auf jeden Fall eine echte Herausforderung, denn plötzlich spielte ich mit Leuten zusammen, deren Namen man überall kannte und die alle zehn, fünfzehn Jahre älter waren als ich. Manche von ihnen spielten beispielsweise schon in der KLAUS LENZ BIG BAND mit, bei denen ich als Zuschauer war und das Ganze mit offenem Mund verfolgte. Andere waren vorher bei der MODERN SOUL BAND oder bei PANTA RHEI. Und mit diesen tollen Musikern spielte ich nun auf Augenhöhe in einer Band! Das war für mich natürlich ein absoluter Sprung. Ich lernte in dieser Zeit enorm viel von meinen neuen Kollegen.

Du hast das Stichwort eben schon genannt, denn die MODERN SOUL BAND war Deine nächste Station. Wie bist Du dahin gekommen? Hat Hugo Laartz Dich entdeckt oder hast Du Dich selber dort beworben?
Na ja, dazwischen lag noch eine nicht ganz so glückliche Zeit, denn ich wurde zum Wehrdienst einberufen. Für mich war das schrecklich und ich arbeitete mit allen Mitteln daran, vorzeitig wegzukommen. Mir fiel zum Beispiel mein Asthma wieder ein. Glücklicherweise hatte ich die Möglichkeit, in einer Kompanie-Band mitzuspielen, wodurch ich hin und wieder mal etwas im Sinne meines Berufes tun konnte. Bei der Gelegenheit entdeckte ich zufällig, dass ich beim Löten von Kabeln durch die entstehenden Kolophoniumdämpfe mein Asthma auslösen konnte, welches mich seit meiner Kindheit plagt. Also versuchte ich so oft wie möglich zu löten und ging hinterher in den Med-Punkt, wo ein Arzt saß, der mich regelmäßig krankschrieb, mich manchmal sogar dort behielt und mich auch mal ins Krankenhaus schickte, weil ihm meine ständigen Asthmaanfälle irgendwann komisch vorkamen. Für den Krankenhausaufenthalt packte ich den Lötkolben in meine Waschtasche und hatte Glück, dass die eigentliche Station gerade renoviert wurde und ich auf die sogenannte Isolierstation kam, die über Zweibettzimmer mit separaten Badezimmern verfügte. Und so konnte ich jeden Tag vor der Visite in dem kleinen Bad die Dämpfe inhalieren. Es dauerte vier Wochen, dann entließen sie mich aus dem Wehrdienst.

Das hatte aber schon selbstzerstörerische Tendenzen, oder?
Na ja, ich hatte eher Angst, dass mein Gehör leidet, denn ich war an einer Kanone als Erster Kanonier eingeteilt. Und das war für mich eine Katastrophe. Meinem Asthma taten die Spielereien mit der Gasmaske während der Manöver natürlich auch nicht gut. Aus gesundheitlicher Sicht hätten die mich niemals einziehen dürfen. Aber im Osten war das eben so, die haben voll durchgezogen. Ich hatte zwar alle möglichen Atteste, um mich vom Wehrdienst zu befreien, aber das hatte alles nichts genützt.

Das war aber nicht die TBA-COMBO, in der Du da mitgewirkt hast, oder?
Nein. Ich glaube jede Kaserne hatte einen eigenen Singeklub und einen Kulturbeauftragten sowie manchmal eine Band, in der Leute spielten, die im richtigen Leben Amateurmusiker oder auch schon Profis waren. Wir mussten dann auf Offiziersfeiern auftreten und zusehen, dass die im Vollsuff an ein paar Stellen mitgrölen konnten. Dafür bekamen wir anschließend ein bis zwei Tage Sonderurlaub. Das war natürlich herrlich, wenn man mal außer der Reihe aus der Kaserne rauskam, denn in der DDR war es ja nicht so wie heute, dass man nach Dienstschluss einfach die Kaserne verlassen konnte.


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Uwe Hassbecker beim Studentenfasching mit der Modern Soul Band (Foto: privat)



Nach der Armeezeit bist Du dann bei Hugo Laartz und seiner MODERN SOUL BAND gelandet.
Nach meiner Entlassung aus dem Wehrdienst gab es die Band von Uschi Brüning in der alten Formation nicht mehr. Ich streckte also meine Fühler aus und fragte herum, wer denn gerade einen Gitarristen braucht. Wolfgang "Nick" Nicklisch spielte damals bei der MSB, wollte aber weg. Dadurch wurde der Posten des Gitarristen frei und er vermittelte mir die Stelle. Ich spielte also bei Hugo vor, der fand das toll und ab dem Zeitpunkt hatte ich wieder was zu tun. Wir spielten an den Abenden stundenlang, vor allem alte Soulklassiker. Hugo verteilte stapelweise Noten an seine Musiker und los ging es. Ich war zwar auch hier wieder nur ein gutes halbes Jahr, konnte aber wieder viel Neues lernen und spannende Erfahrungen sammeln. Man darf nicht vergessen, ich war zu der Zeit gerade mal Ende 18.

Anfang der 80er zog es Dich dann zu STERN MEISSEN. Wer von den Herren hat Dich denn in die Band geholt - Schreier, Seidel oder Kurzhals?
Keiner von denen, sondern das habe ich meinem Kumpel Peter Rasym zu verdanken. Wir haben nicht nur zusammen bei Uschi Brüning gespielt, sondern Peter wohnte wie ich in Halle. Wir hatten noch Kontakt zueinander und so schlug er mich innerhalb der Band vor. Ich habe dann bei STERN MEISSEN vorgespielt und die Jungs fanden, dass es doch mal interessant wäre, mit der Gitarre eine neue Klangfarbe ins Spiel zu bringen. Lothar Kramer, der damals noch dazugehörte, wollte live nicht mehr mitmachen, sondern nur noch im gerade entstehenden bandeigenen Studio als Toningenieur arbeiten, also reine Studioarbeit machen. So kam ich für Lothar in die Band. Wir passten als erstes das ganze Konzept etwas an, aber noch nicht so radikal, sondern ganz sanft. Zu der Zeit war Reinhard Fißler noch der eigentliche Sänger, Micha Behm trommelte und man spielte noch die großen, klassischen Werke wie "Reise zum Mittelpunkt des Menschen". Stilistisch pendelte man zwischen Klassik, Art Rock und Jazz Rock, was für mich ungemein interessant und spannend war, denn hier gab es keine Gitarrenstimmen. Die musste ich mir quasi ausdenken bzw. bestimmte Phrasen übernehmen, die ursprünglich von den Keyboards gespielt wurden.

Du hast ja Deinen Platz in der Band mitten in deren Metamorphose gefunden. "Reise zum Mittelpunkt des Menschen" war ja damals gerade das aktuelle Art Rock-Werk von STERN MEISSEN, und es war auch das letzte Werk dieser Art. Das folgende Album "Stundenschlag" war noch nicht fertig. Wie hast Du selber diese Veränderung innerhalb der Band erlebt?
Für mich war das, wie eben schon gesagt, einfach nur spannend und nochmal eine ganz andere Größenordnung. STERN MEISSEN war bereits richtig bekannt, man spielte vor tausenden Leuten, man hatte eine riesige Anlage. Technik war ja im Osten immer das ganz große Problem, aber bei STERN MEISSEN hatte man Leute, die diese Technik mitgebaut und entwickelt hatten. Das hatte den Vorteil, dass man die Anlage, also PA und Licht, nicht komplett für teures Geld im Westen erwerben musste. Insgesamt gesehen hatte die Band für die damalige Zeit einen technischen Standard, den in der DDR kaum eine zweite Band aufweisen konnte. Einige Zeit spielten wir sogar im Quadro-Sound, was wir aber später wieder einstampften, weil das einfach ein unglaublicher Aufwand war. Es ließ sich auch nicht überall verwirklichen, weil Quadrophonie an bestimmte akustische Bedingungen geknüpft ist. Jedenfalls kann ich sagen, dass ich diese Zeiten mitgemacht habe. Und musikalisch war es eben eine wirkliche Herausforderung für mich, um meinen Platz innerhalb der Band zu finden. Ich empfand es als eine riesengroße Spielwiese für mich, wie ich sie mir besser nicht hätte wünschen können.

Zu dem musikalischen Anspruch kamen dann auch noch so große Namen wie der eben schon erwähnte Reinhard Fißler oder ein Thomas Kurzhals, der die ganzen Adaptionen geschrieben hat. Ist man da als junger Bursche, der gerade vom Armeedienst zurückkam und vorher in kleineren Bands spielte, nicht ehrfürchtig erstarrt?
Na gut … Ja …, eine Zeit lang schon. Aber eigentlich waren wir ganz normale Kollegen. Irgendwie gewöhnt man sich ganz schnell an die Umstände und dann waren wir untereinander so etwas wie Freunde. Die Jungs wollten mich ja auch haben, ich habe mich also nicht etwa da rein gedrängelt. Für mich war das eine Art Ansporn, zwischen den alten Hasen bestehen zu können und einen guten Job zu machen. Vielleicht war es auch mein Ziel, meinen eigenen Weg zu finden und den Sound der Band ein Stückchen weit zu beeinflussen. Klar war ich anfangs immer etwas aufgeregt und konnte es manchmal kaum glauben, dass ich bei diesen Konzerten mit auf der Bühne stand. Aber ich versuchte immer, das Beste daraus zu machen und alles zu geben, was ich konnte.


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Uwe bei Stern Meißen, v.l.n.r.: Kurzhals, Hassbe, Fißler,
Schreier, Behm und Rasym (Foto: Art Agentur Seidel)



Nun ist ja speziell auf dem "Stundenschlag"-Album neben dem Bass-Sound von Peter Rasym vor allem Deine Gitarre ziemlich herausstechend. Hattest Du diesbezüglich Mitspracherecht oder wurden Dir die Gitarrenparts auf den Leib geschrieben?
Wenn man im Studio Takes für Produktionen einspielt, dann ist schon Kreativität gefragt. Das war auch damals nicht anders. Überhaupt war das die Zeit, als ich mich erstmals mit eigenen Ideen versucht habe in die Musik einzubringen. Teilweise waren in den Arrangements der Titel natürlich viele Dinge durch Thomas Kurzhals vorgegeben, aber ich hatte trotzdem jede Menge Möglichkeiten, meine Ideen und meinen Sound zu entwickeln und beizusteuern. Auf "Stundenschlag" kam übrigens auch die Geige mal wieder ins Spiel.

Im Jahr 1983 kam dann ein gewisser Ralf Schmidt als neuer Sänger in die Band. Anfangs hatte er es bei den Fans nicht leicht, denn man schob ihm den schwarzen Peter zu, die Pop-Phase bei STERN MEISSEN eingeleitet zu haben, was aber überhaupt nicht der Wahrheit entsprach. Ich habe kürzlich schon mit Lexa Schäfer darüber gesprochen, nun also auch mit Dir: Wie hast Du damals die Reaktion der Fans wahrgenommen?
Also wir merkten, dass die Zuschauerzahlen bei den Konzerten nachließen, dass die Angebote für Auftritte etwas dünner wurden. Oder anders gesagt: uns wurde nach und nach klar, dass die Zeichen der Zeit auf Veränderung standen und die Zeit der großen, opulenten Art Rock-Werke irgendwie vorbei war. Es gab eine Menge neue Bands mit Pop- und Rockanstrichen, was uns natürlich nicht entging. Und so dachten auch wir, wir müssten etwas ändern oder anders machen, brauchen frischen Wind. Zumal wir merkten, dass wir mit neuen Sachen auf der Stelle traten und nicht weiterkamen. Also entschieden wir uns, personelle Änderungen vorzunehmen. Das ist ohne Frage sehr bitter, wenn jemand die Band verlassen muss, aber wir hatten keine Wahl - so dachten wir zumindest. Wir nahmen uns ungefähr ein halbes Jahr Auszeit, was für uns damals sehr ungewöhnlich war, denn normalerweise haben wir immer gespielt. Manches Jahr standen bis zu zweihundert Konzerte auf dem Plan. Das musste auch so sein, denn anders als mit Live-Auftritten hast Du in der DDR als freiberuflicher Musiker kein Geld verdient. Für Plattenaufnahmen gab es so gut wie nichts, es blieb nur das Livespielen. Wir nahmen also diese extrem lange Auszeit von sechs, sieben Monaten, schrieben in dieser Zeit neue Songs und haben verschiedene Leute gecastet. So sangen auch einige Sänger bei uns vor, bis Martin Schreier eines Tages mit Ralf Schmidt ankam, den er auf einer Werkstattwoche in Suhl - glaube ich jedenfalls - entdeckt hatte und der ihn überzeugte. Wir anderen waren uns zuerst nicht ganz sicher, ob das in die Richtung gehen würde, die wir uns vorstellten. Letztlich war Ralf Schmidt aber doch die richtige Entscheidung. Dann rückte unser erstes Konzert in der neuen Besetzung, zu der mit Peter "Beppo" Förster auch noch ein neuer Schlagzeuger gehörte, immer näher. Wir hatten ordentlich geprobt und das erste Testkonzert fand in einem kleinen Klub in Rostock oder in Greifswald statt. Das Ganze lief so einigermaßen, aber wir merkten schon, dass es noch nicht ganz rund lief, mit unserer neuen Besetzung. Danach waren wir in Greifswald in der ausverkauften Mensa zu Gast, wo wir schon seit vielen Jahren immer wieder spielten. Wir freuten uns richtig auf das Konzert, merkten aber sehr bald, dass die Reaktionen aus dem Publikum sehr verhalten waren. Das war ganz komisch. Und nach dem ersten Drittel tauchten die ersten lauten Buuuh!!!-Rufe auf. Etwas später standen die ersten Zuschauer auf, ihnen folgten nach und nach immer mehr und Minuten später gab es eine richtige Schlange am Ausgang! (lacht) Die wollten alle gehen, während wir noch spielten. Na ja, die kamen halt wegen unserer großen Werke und waren völlig überrascht, dass da plötzlich ganz andere Musiker auf der Bühne stehen, ein neuer Sänger dabei ist und auch die Musik sich total verändert hatte. Ich glaube, das war damals für alle Beteiligten, zumindest für die auf der Bühne, ein echt schockierendes Erlebnis. Traumatisch geradezu. Manche Fans haben uns hinterher regelrecht beschimpft! Für Ralf Schmidt muss das jedenfalls furchtbar gewesen sein. Nun muss man aber auch wissen, dass er damals noch wie ein Punk aussah, was natürlich überhaupt nicht zu dem alten STERN MEISSEN-Konzept passte. Nicht lange nach dieser Erfahrung hielten wir eine Krisensitzung ab und änderten ein paar konzeptionelle Dinge. Unter anderem wurde Ralf Schmidt neu eingekleidet und zum Friseur geschickt. Und um die alten Fans zu versöhnen und ihnen eine Identifikationsfigur zu geben, nahmen wir gleich ein neues Stück auf, in welchem Martin Schreier den Gesangspart übernahm. Das müsste der Titel "Lebenslauf" gewesen sein. Die Nummer erschien als Single, lief auch im Radio und wurde zum Glück von den Fans gut angenommen. Wir nahmen dann auch solche Sachen wie die Vivaldi-Adaptionen wieder ins Live-Programm auf, um die treuen Anhänger der alten Zeit wieder mitzunehmen. Kurze Zeit später entstanden dann Lieder wie "Wir sind die Sonne" oder "Was fang ich an". Auf die Art versuchten wir die Übergangszeit zu meistern, um den Leuten die Gelegenheit zu geben, sich an die "neue" STERN MEISSEN-Band zu gewöhnen. Und es funktionierte. Das erste Album in der neuen Besetzung hieß "Taufrisch".


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Bei Stern Meissen: Schäfer, Bicking und Hassbe (Foto: privat)



Gab es denn unter den vielen Popsongs, die ihr nun im Programm hattet und von denen einige auch aus Deiner Feder stammen, einen Favoriten für Dich? Einen, den Du besonders gern gespielt hast?
Ich fand das eigentlich alles cool, was wir gespielt haben. Das klang alles etwas moderner und nicht so verstaubt wie unsere alten Sachen. Als Gitarrist hatte ich vor allem bei "Leben möcht' ich" gut zu tun, da waren viele Solo-Momente drin. Dadurch bin ich vielen Leuten überhaupt erst als Gitarrist aufgefallen.

Das komplette Gegenprogramm erlebtest Du 1985, als Du zu den GITARREROS geholt wurdest. Wie der Name schon sagt, drehte es sich hier vor allem um die Gitarristen. Wie und wann hast Du erfahren, dass Du dazugehören solltest?
Es gab ja schon seit längerem die Veranstaltung "Rock für den Frieden". Im Rahmen dessen wurden ja immer die Band des Jahres und die einzelnen Musiker des Jahres von einer Jury gewählt. Und alle Gewählten sollten dann bei "Rock für den Frieden" möglichst einen Song gemeinsam performen. Ich war einige Male dabei, ebenso wie Jäcki und Jürgen Ehle von PANKOW oder Frank Hille oder auch Tamara Danz. Kürzlich bin ich zufällig über eine Live-Version von "Die wilde Mathilde" von 1984 gestolpert. Das war bei eben dieser Veranstaltung und der wahrscheinlich erste gemeinsame Auftritt mit Tamara. Zurück zum Thema. Irgendwann kamen die Initiatoren des Festivals dann auf die Idee, dass doch die - nach ihrer Meinung - vier besten Gitarristen des Landes mal etwas zusammen machen könnten. Also richtigen Gitarrensound. Anfangs glaubte keiner von uns so recht, dass das etwas werden könnte. Wir trafen uns trotzdem ein paar Mal bei Bernd Römer zuhause und überlegten, was wir machen. Mit jedem Treffen wurde uns die Idee sympathischer und wir bekamen richtig Lust. Wir, das waren übrigens "Pitti" Piatkowski, Bernd Römer, Jürgen Ehle und ich. Wir entschieden uns dafür, alte Rock'n'Roll-Klassiker und Songs, die wir mochten, neu zu interpretieren. Dazu holten wir uns noch ein paar Leute ins Boot, mit denen wir gerne zusammenspielten, so dass wir eine richtig fette Band auf die Beine stellten. Im Endeffekt saß Stefan Dohanetz am Schlagzeug, Jäcki spielte Bass. Da Thomas Kurzhals keine Keyboards bei uns spielen wollte, übernahm Ed Swillms von KARAT den Part, was der absolute Hammer war. Dazu kamen wir vier Gitarristen. Nun brauchten wir aber auch noch Sänger. Wie es dazu kam, weiß ich nicht mehr genau, aber plötzlich standen neben uns Musikern noch Toni Krahl, Mike Kilian, Herbert Dreilich und Tamara Danz auf der Bühne. Da war sie, die erste und einzige All Star Band der DDR. Geplant waren ursprünglich nur zwei Konzerte im Foyer vom Palast der Republik. Das lief dann aber dermaßen gut, dass das Hauptprogramm im Großen Saal des Palastes überhaupt keinen mehr interessierte, denn die Leute standen alle bei uns im Foyer. Der zweite Abend lief genauso großartig ab, so dass die Rufe nach "mehr davon" laut wurden. In Windeseile waren plötzlich auch Manager da, wie zum Beispiel Wolfgang Schubert, der seinerzeit gerade PANKOW managte. Schubi stampfte dann auch wie aus dem Nichts eine Tournee für uns aus dem Boden und wenige Wochen später ging das Projekt GITARREROS auf Tour. Das war tatsächlich echter Rock'n'Roll, wie ihn das Land und auch wir in dieser Form noch nicht erlebt hatten.

Daran knüpft meine nächste Frage an. Welche Erinnerungen hast Du noch an diese Zeit? Das Ganze muss doch ein extrem beeindruckendes Erlebnis für einen Musiker gewesen sein, denn noch heute schwärmen alle davon, die damals dabei waren.
Nicht nur für uns Musiker, sondern auch für die Leute, für die Fans, war das der Hammer. Es war also eine Art Wechselwirkung. Da kam ein Brett von unseren Gitarren runter, das war schon enorm. Wir spielten ja auch ein totales "Best Of", angefangen von Klassikern wie "Johnny B. Goode" über große Rock-Blues-Nummern bis hin zu ROLLING STONES-Covern. Und dazu kamen von jeder Band, die dabei war, noch ein bis zwei Songs im Soundgewand der GITARREROS. Das war eben schon wegen der Besetzung der Band, aber auch wegen der Auswahl der gespielten Lieder, alles Hits, eine unglaublich beeindruckende Geschichte für alle Beteiligten.


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Die Gitarreros (Foto: Herbert Schulze)



Nun haben sich ja sicher die Erlebnisse vor und auf der Bühne von denen hinter der Bühne unterschieden. Wie war denn das Zusammenleben mit all den Kollegen auf Tour? Gibt es eine kleine oder größere Geschichte, die Dir im Gedächtnis geblieben ist?
Die Party auf der Bühne wurde in der Regel mit in die Hotels genommen und dort weitergefeiert. Ich denke, es war für alle Kollegen eine willkommene Abwechslung vom Band-Alltag und eine Art Hochgefühl, welches wir auch in aller Form ausgelebt haben. Wir haben uns auch außerhalb der Konzerte bei Bernd Römer getroffen, haben einfach nur zusammengesessen und gefeiert, uns viel über Musik ausgetauscht und die Momente genossen. Es war quasi eine ostdeutsche Musikszene im Ausnahmezustand.

Du bist nach der Zeit mit den GITARREROS nochmal kurzzeitig zurückgegangen zu STERN MEISSEN, aber dann im Sommer 1986 zu SILLY gewechselt. Hatte die Zeit mit den GITARREROS und die dort gespielte druckvolle Rockmusik Deine Lust auf STERN MEISSEN und die dort gerade vorherrschende Popmusik geschmälert?
Ja, ich habe dadurch gemerkt, dass es eine wirklich gute Zeit für mich war. Ich habe es genossen, mit den Jungs von STERN MEISSEN zusammenzuspielen und beispielsweise Leute wie Andreas Bicking kennengelernt zu haben. Ich bin dankbar für diese Zeit, in der ich mich als Musiker sehr entwickeln konnte. Bei den GITARREROS wurde mir aber bewusst, dass es nicht mehr die für mich passende Richtung war, die STERN MEISSEN eingeschlagen hatte. Es ist mir zu poppig geworden und mir wurde klar, dass ich musikalisch gesehen woanders hin wollte und musste. Und just kam das Angebot, bei SILLY einzusteigen. Die wollten diesen kraftvollen Sound der GITARREROS ein Stück zu sich herüberziehen und so kamen die Angebote für mich und auch für Jäcki, der ja noch bei PANKOW Bass spielte, zustande.

War SILLY dann für Dich eine neue Herausforderung oder stand in erster Linie die Möglichkeit im Raum, mit Deiner neuen Liebe zusammenarbeiten zu können?
Das war unabhängig voneinander. Das Album "Bataillon d'amour" wurde im Frühjahr 1986 veröffentlicht und hat mich schwer beeindruckt. Da hätte ich schon sehr gerne mitgewirkt, was aber zum damaligen Zeitpunkt noch nicht der Fall war. Der Sound, die Produktion an sich, die Art der Musik, all das hat mich unglaublich fasziniert. Als ich dann gefragt wurde, ob ich einsteigen will, konnte ich mein Glück kaum fassen. Und die Liebe zu Tamara, die Du in Deiner Frage mit angesprochen hast, entwickelte sich ja gerade erst. Es war immer eine Nähe da während der Zeit bei den GITARREROS und aus dieser Nähe wurde dann Stück für Stück immer mehr.


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SILLY, v.l.n.r.: Junck, Barton, Danz, Fritzsching, Reznicek & Hassbe (Foto: Ute Mahler)



Es ist ja allgemein bekannt, dass Tamara und Du ein Paar wart und genauso bekannt ist die Tatsache, dass Tamara vorher mit Deinem neuen SILLY-Kollegen Ritchie Barton liiert war. Viele Leute fragen sich bis heute, wie diese Konstellation mit dem Ex und gleichzeitig mit dem neuen Partner zusammen in einer Band so hervorragend funktioniert hat. Wie habt Ihr das hinbekommen?
Es war natürlich keine leichte Zeit. Weißt Du, das hatte viel damit zu tun, dass die Liebe zur Musik und zur Band irgendwie über allem stand. Das war so eine Art ungeschriebenes Gesetz. Wäre die Band krachen gegangen, hätte Tamara das nie mitgemacht. Vor allem ist es Ritchie zu verdanken, dass der das irgendwie hingekriegt hat. Und auch Tamara muss man danken, dass sie Wege gefunden hat, es für alle erträglich zu machen und am Ende das höhere Ziel, die Band am Leben zu erhalten und nach vorne zu bringen, immer Vorrang hatte. Das war vor allem Tamaras Verdienst.

Eine schöne Entwicklung war ja, dass Ihr beide dann sogar noch Kumpels wurdet.
Das waren wir vorher eigentlich auch schon, was aber dann zwischendurch verständlicherweise etwas getrübt war. Letzten Endes hat es dann aber doch gehalten. Es ist ja nun mal so, dass Beziehungen auch mal auseinandergehen und an anderer Stelle wieder zusammenwachsen. Aber insgesamt schweißen solche Zeiten, in denen wir gemeinsam viele Höhen und Tiefen erlebt haben, enorm zusammen.

Du hast bei SILLY nicht nur die Gitarre gespielt, sondern beim Erstellen neuer Songs auch schnell eigene Ideen beigesteuert. Was war der erste SILLY-Song, an dem Du als Komponist aktiv beteiligt warst?
Das war "Über ihr taute das Eis". Ritchie und Tamara hatten so einen Vierspur-Kassettenrekorder, der bei SILLY als Demo-Equipment fungierte. Den habe ich mir genommen, dazu einen kleinen Rhythmuscomputer und ein paar Gitarren plus Jäckis Bass, der da irgendwo rumstand. Mit all dem habe ich rumgespielt und die Nummer als Demo eingespielt. Es folgten danach noch weitere Lieder aus meiner Feder, aber "Über ihr taute das Eis" war meine erste Arbeit für SILLY.

Was mich als Fan zu allen Zeiten so angezündet hat, war dieser geniale Sound, der SILLY schon in den 80er Jahren ausgezeichnet hatte und der über allem anderen stand. Deshalb war SILLY für mich eine der geilsten Bands der DDR und später des gesamten Deutschlands. Was glaubst Du, woher kam dieser geniale Klang in der Musik, wer hatte dieses unglaubliche Fingerspitzengefühl, einen solchen Sound herauszukitzeln?
Das ist eine Geschichte, die aus mehreren Bausteinen besteht. Auf der einen Seite sind es natürlich die musikalischen Ideen, die innerhalb der Band entstanden und die zu den Grundbausteinen der Songs wurden. Gepaart war das Ganze mit den tollen Texten von Werner Karma und später von Gundermann und Tamara. Nur aus dem Zusammenspiel von Komposition und Text können große Songs werden. Wenn das eine kongeniale Einheit ergibt und wenn beides stark genug ist, hat ein Lied die Chance zu funktionieren. Zumindest gilt das so für Silly. Und der dritte Baustein, der unbedingt dazugehört und passen muss, sind die Musiker. Gute Musiker, die ihr Handwerk verstehen und auch mal den Kopf frei haben, neue Dinge zu entwickeln. Natürlich muss man dabei an erster Stelle Tamara nennen, die ja eine unglaubliche Stimme hatte und die die Inhalte der Lieder einzigartig transportieren konnte. Ein weiterer Baustein, dass Alben wie "Mont Klamott", "Liebeswalzer" und "Bataillon d'amour" so erfolgreich wurden, war der damalige Produzent Helmar Federowski. Helmar hatte es einfach verstanden, die Band so klingen zu lassen, wie sie sich selber hören wollte. Er war ein top Typ und ein großer Soundmann und Produzent. Helmar gab eine Menge vor, was wir dann über die Jahre versucht haben zu erhalten oder weiterzuentwickeln. Klar, unser Sound hat sich im Laufe der Jahre verändert, denn wir sind ja nicht stehengeblieben und wollten auch nichts aus den alten Zeiten reproduzieren. Stattdessen wollten wir uns etwas an den Zeitgeist annähern, ohne uns dabei zu verraten. Ich behaupte mal, man hört es auch heute noch heraus, wenn ein SILLY-Song läuft.


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Ritchie Barton und Uwe Hassbecker (Foto: Karin Rocholl)



SILLY gehörte damals auch zu den Bands, die im Westen auftreten durften. War das für Dich das erste Mal, dass Du in die BRD reisen durftest oder was das vorher schon mal der Fall?
Ich war bereits im zarten Alter von 17 Jahren zweimal mit Uschi Brüning in Westberlin. Wir sind tatsächlich mit einem Wolga der Künstleragentur über die Grenze gefahren. Ich glaube, das war der Checkpoint Charlie. Das Konzert selber war im Quartier Latin und bei zweiten Mal in "Huxleys Neue Welt" in der Hasenheide. Das waren die beiden Male, wo ich staunend durch Westberlin gegangen bin. Mir klappte wirklich die Kinnlade runter vor Staunen. Ich hatte vorher alles Geld zusammengekratzt, was ich auftreiben konnte, tauschte das in Westgeld um und kaufte mir davon in Westberlin eine Gitarre. Ich tigerte den ganzen Tag durch die Musikläden, bis ich ein passendes Stück fand. Eine Les Paul-Kopie war das. Danach durfte ich eine lange Zeit nicht mehr in den Westen. Warum und weshalb, weiß ich nicht. Wir haben natürlich auch intern hin und wieder mal darüber geredet, ob wir die Chance nutzen würden, im Westen zu bleiben, aber ich für meinen Teil hätte niemals meine Eltern hier im Stich gelassen. Außerdem liebte ich mein Zuhause, mein Umfeld, meine Heimat. Deshalb kam das für mich damals nicht in Frage. Aber vielleicht ist irgendeine dieser internen Unterhaltungen doch mal nach draußen und an die falschen Ohren gedrungen. Jedenfalls war immer ich einer der Gründe, weshalb später STERN MEISSEN nicht im Westen spielen durfte.

Das hat sich dann bei SILLY wieder geändert?
Jäcki und ich kamen zu einem Zeitpunkt zu SILLY, als das "Bataillon d'amour"-Album schon fertig war. Die Platte erschien ja auch im Westen bei der CBS und die hatten bereits für den Herbst 1986 eine Promotion-Tour mit vielen Fernsehauftritten und anschließender Club-Tour geplant. Die Künstleragentur der DDR war mit eingebunden, denn es ging ja schließlich um Devisen, die durch uns verdient wurden. Der Deal war, dass wir Künstler einen Großteil des Westgeldes, das wir für unsere Auftritte im Westen erhielten, an die Künstleragentur abführen mussten. Nun hatten wir den Sommer über fleißig geprobt und die besagte Promotion-Tour mit den Fernsehauftritten stand kurz bevor. Leider hatte ich bis einen Tag vorher keinen Reisepass. Das Generalkomitee für Unterhaltungskunst meinte dazu nur lapidar: "Ihr fahrt doch nur zum Fernsehen, da braucht ihr den Hassbecker doch nicht". Die Antwort meiner Bandkollegen war: "Entweder wir fahren alle oder wir fahren gar nicht". Damit wäre die komplette Tour und somit auch die Devisen, die wir mitgebracht hätten, ins Wasser gefallen. Von einem auf den anderen Tag bekam ich meinen Reisepass und wir konnten nach Mainz fliegen. Übrigens von Westberlin aus mit der Pan Am, was normalerweise gar nicht ging. Wir mussten uns dazu am Flughafen erstmal westdeutsche Pässe ausstellen lassen, was man im Osten natürlich nicht wisse durfte. Das war also alles total verboten, aber wir haben es einfach gemacht. Die Sendung, zu der wir flogen, lief übrigens beim ZDF. Und dort machten wir unsere ersten Erfahrungen mit Zensur im Westen. Ich konnte es nicht glauben, dass es so etwas gibt. Es handelte sich um eine Vorabendsendung, in der wir auftreten sollten und der Chef vom Dienst für diesen Abend hatte unsere Probe gesehen. Geplant war, dass wir den Titel "Bataillon d'amour" spielen, aber da bekam der weiche Knie. Er meinte, "Sex mit Kindern" könne man dem ZDF-Publikum in einer Vorabendsendung nicht zumuten. Als Alternative wählte man dann die B-Seite der Single aus, das war "Schlohweißer Tag". Dass es bei dieser Nummer wirklich etwas schlüpfrig zur Sache ging, hatte er nicht verstanden. So spielten wir in dieser ZDF-Sendung also "Schlohweißer Tag". Das ist für mich bis heute eine einschneidende Erinnerung geblieben.

Um noch einmal auf diese Reise in den Westen zurückzukommen: viele Musiker von damals erzählen, dass sie für sogenannte "Bildungsreisen" abseits der eigenen Konzerttätigkeiten Reisepässe erhielten, um sich in Westberlin Muggen von anderen Künstlern anzugucken, auch von großen internationalen Acts. Wurde Dir dieses Privileg auch zuteil?
Ja, nach dieser Promotion-Tour schon. Wir hatten eine kleine Agentur im Westen, mit der wir zusammengearbeitet hatten. Offiziell mussten die mit der Künstleragentur der DDR zusammenarbeiten. Wenn es dann um die Verträge ging, gab es immer zwei Verträge, nämlich einen offiziellen und einen inoffiziellen. Bei der offiziellen Variante waren die Honorare niedriger. Hier wurden die Erlöse nach den vereinbarten Prozentsätzen aufgeteilt. Währenddessen waren die inoffiziellen Verträge eine Art "schwarzer" Vertrag, bei dem ein größerer Anteil des Honorars an uns ging als ursprünglich vorgesehen. Wir versuchten dann regelmäßig irgendwelche Aktivitäten zu organisieren, auch wenn diese in Wirklichkeit gar nicht stattfanden. Ich rede hier von Promo-Terminen, Presseveranstaltungen und ähnliches. Jedenfalls waren unsere Termine so gelegt, dass wir ständig im Westen zu tun hatten und unsere Reisepässe gar nicht mehr abgeben konnten. Einige dieser Fake-Termine nutzten wir, um zu Konzerten anderer Bands zu gehen. Klar, hin und wieder schauten die Verantwortlichen im Osten durchaus nach, was wir da treiben und ob das alles mit rechten Dingen zugeht, aber wir konnten das immer gut und glaubwürdig vertreten.


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Tamara und Uwe (Foto: Thomas Böhme)



Diesen ganzen Zirkus kann man sich heute als junger Musiker gar nicht vorstellen. Das klingt wie aus einer fernen Welt.
Ja, es war eine ferne Welt. Man war es gewohnt, im Osten ständig zu improvisieren. Die Mangelwirtschaft war ja auf allen Ebenen zu spüren. Wir mussten also mit vielen Tricks arbeiten, wir waren jung und frech und haben einfach alles ausgelotet.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Speziell ab Mitte der 80er gab es ja in der DDR ein munteres Kreuz und Quer, was die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Bands betraf. In diesem Zusammenhang fiel mir kürzlich mal wieder eine Platte in die Hände, auf der Du mit Inka zu sehen und zu hören bist. Du hast also auf ihrer LP mitgewirkt, Du hast bei Petra Zieger mitgespielt, Du hast bei Quaster mitgemacht… Wie sind denn solche Zusammenarbeiten entstanden? Entwickelten die sich aus eigenen Kontakten der Musiker untereinander, z.B. bei den GITARREROS, oder war sogar AMIGA mit im Spiel, die festlegten, wer für wen im Studio arbeiten soll?
Das war auch schon vor den GITARREROS der Fall. STERN MEISSEN hatte ja ein eigenes Studio, das gehörte Martin Schreier. Und ich selber interessierte mich schon immer extrem für Studioarbeit. Also wie kriegt man diesen und jenen Sound hin, das wollte ich wissen. Als ich zu STERN MEISSEN kam, übernahm Lothar Kramer immer mehr das Studio. Der verstand wirklich eine Menge von diesen Dingen und ich versuchte ihm immer ein bisschen über die Schulter zu gucken. Und natürlich kamen hin und wieder auch andere Leute in dem Studio vorbei, um ihre Sachen zu produzieren. So eines Tages auch Arndt Bause, der große Schlagerkomponist. Der versuchte von jeher, immer möglichst hochkarätige Musiker für seine Studioarbeit zu finden und so spielten auch früher schon Leute wie Jäcki, Frank Hille oder Jürgen Ehle bei Arndt Bauses Aufnahmen mit. Über die Arbeit im Studio kam er dann auch mal auf mich und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mal ein paar Gitarren einzuspielen. Das war irgendwann Anfang der 80er Jahre. Von da an spielte ich regelmäßig bei seinen und anderen Produktionen mit. Angefangen hatte das bei einer Studio-Aufnahme von Helga Hahnemann. Kurze Zeit später fand ich mich bei der kompletten Schlager- und Popszene des Ostens wieder, ob in den Rundfunk-, Amiga-, oder in Privatstudios. Im Laufe der Zeit gab es dann weitere gut funktionierende Studios. Harry Jeske beispielsweise baute sich im Keller so ein Studio auf. Hauptsächlich ging es ja bei diesen Arbeiten für andere darum, Geld zu verdienen. Geld für bessere Instrumente, die ja zum Kurs 1 zu 5 oder noch höher utopisch teuer für uns waren. Harry, der ja mit den Puhdys schon regelmäßig in den Westen reisen konnte und ein Geschäftsmann war wie er im Buche steht, hat mich manchmal direkt in Naturalien, sprich mit Instrumenten oder Verstärkern bezahlt. Andere Komponisten oder Interpreten zahlten teilweise ganz ordentlich und aus eigener Tasche. Dadurch bekamen sie natürlich auch gute Musiker ran.



Hassbe "im Dienst" bei Inka



Heutzutage sind solche Optionen im Schlagerbereich ja gar nicht mehr üblich. Da wird einfach auf den Knopf gedrückt und die Instrumente werden am Computer erzeugt.
Na ja, die Art Musik zu machen, hat sich nicht nur im Schlager verändert. Mit "auf den Knopf drücken" ist es übrigens auch dabei nicht gemacht. Es gibt aber eben nicht mehr so viele echte Rock- und Popbands. Wobei diese Entwicklung sich gerade auch im Popbereich teilweise als sehr gruselig erweist. Da gibt es fast nur noch einen Einheitsbrei, vieles klingt gleich. Die Radiostationen und auch Plattenfirmen sind an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. Aber das ist eben der Zeitgeist, oder leider ein Teil davon.

Wie habt Ihr Gerhard Gundermann kennengelernt? An dessen Album warst Du ja auch beteiligt, oder?
Ja, das stimmt. Aber wir haben Gundermann nicht nur produziert, das ging noch ein Stückchen weiter. SILLY war im Prinzip seine Band, als 1992 sein Album "Einsame Spitze" entstand. Gundermann hatte damals keine eigene Band, weil er sich von den Musikern der WILDERER, mit denen er vorher zusammenspielte, getrennt hatte. Er kam dann auf uns zu und fragte, ob wir mit ihm etwas Neues probieren wollten, was für uns auch total interessant klang. Wir lernten uns kennen, als rund um unser Album "Februar" die Beziehung zu Werner Karma in die Brüche ging. Werner und wir als Band hatten irgendwie die gemeinsame Basis verloren. Es gab unterschiedliche Auffassungen über die Texte und das Ganze stand einfach nicht mehr auf den Füßen, auf denen es hätte stehen sollen. Nach diesem plötzlichen Verlust mussten wir natürlich neue Texter suchen. Wir bekamen über Uwe Hoffmann, der unser Produzent in Westberlin war, Kontakt zu Rio Reiser und Carlo Karges, dem NENA-Gitarristen, der auch Texte schrieb. Aber das war alles nicht die Sprache, die wir wollten und brauchten. René Büttner von AMIGA hatte dann die zündende Idee, mal mit Gundermann zu reden, der ja damals schon als Liedermacher unterwegs war. Tamara und Gundermann trafen sich in ihrer Wohnung am Gendarmenmarkt, saßen stundenlang zusammen und schrieben die Texte, die am nächsten Tag in Westberlin eingesungen wurden. Das war eine ziemliche Hauruck-Aktion, denn die Musiken waren ja alle schon eingespielt, wir hatten bloß keine gültigen Texte mehr, bis auf zwei, drei Ausnahmen, die uns von Werner geblieben waren. So lernten wir uns 1988 kennen.

Diese neue Zusammenarbeit setzte sich dann 1992 fort, als Ihr, wie Du eben schon erwähntest, an Gundermanns Album "Einsame Spitze" aktiv mitgewirkt habt.
Genau. Aufgenommen haben wir das Album gemeinsam mit Lothar Kramer im Studio von Martin Schreier. Herbert Junck saß dabei am Schlagzeug, Jäcki spielte Bass, Gundi und ich haben Gitarre gespielt und Ritchie bediente die Keyboards.


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Silly vor dem Brandenburger Tor (Foto: Karin Rocholl)



Stimmt es, dass Du auch für DIE ÄRZTE tätig warst?
Nur partiell. DIE ÄRZTE waren oft in den Preußen Tonstudios von Uwe Hoffmann, der für das SILLY-Album "Februar" der Produzent war. Gleichzeitig hat Uwe auch DIE ÄRZTE produziert. Wir waren mit SILLY insgesamt sechs Wochen lang im Studio anwesend, um unser Album aufzunehmen und DIE ÄRZTE tauchten eben auch ab und zu mal dort auf. So lernten wir uns kennen. Das nächste SILLY-Album "Hurensöhne" nahmen wir ebenfalls bei Uwe auf und ich war zwischendurch sowieso öfter da und habe für viele von Uwes Produktionen die Gitarren eingespielt. Irgendwann kam auch mal die Anfrage, ob ich für ein ÄRZTE-Album ein paar Geigen einspielen könnte, was ich natürlich gerne getan habe. Das war es auch schon mit den ÄRZTEN. Es gab aber viele andere Sachen, wie zum Beispiel ein Ulla Meinecke-Album, an dem ich mitgewirkt habe. Ich habe also das fortgeführt, was ich zu DDR-Zeiten begonnen hatte.

Jetzt sind wir thematisch schon in der Nachwendezeit angekommen … Aber wie hast Du denn persönlich 1989 die Wende erlebt? Nicht beruflich, sondern rein privat.
Es war damals einfach nicht mehr auszuhalten. Wir waren als Musiker ja nun immer wieder mal im Westen, aber darüber konnten wir unseren Freunden oder auch der Familie überhaupt nichts mehr erzählen, weil dann sofort die Stimmung zu kippen drohte. Die Menschen waren satt bis oben hin, hatten die Schnauze gestrichen voll, fühlten sich eingesperrt. Wir dagegen hatten bei unseren Fahrten in den Westen viele schöne Erlebnisse und natürlich auch einige nicht so schöne, denn wir merkten schnell, dass auch da nicht alles Gold ist, was glänzt. Es war jedenfalls unmöglich, mit Freunden und Familie Erfahrungen und Erlebnisse zu teilen. Die Zeit war überreif für eine große Veränderung. Natürlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass es bis zum Fall der Mauer gehen würde. An dem Abend waren wir zuhause, Tamara hatte gerade etwas zu essen gemacht, als plötzlich im Fernsehen die Bilder kamen. Wir konnten es nicht glauben, was wir sahen, also zogen wir uns an und liefen zum Checkpoint Charlie. Dort stellten wir uns in die Schlange zu den anderen erwartungsvollen Menschen und liefen über den Grenzübergang, den wir sowieso fast wöchentlich benutzt hatten. Die Grenzer kannten uns natürlich. Einer von denen, der uns sonst eigentlich immer sehr wohlgesonnen war, guckte richtig bitterböse zu uns und blaffte uns an: "Na da habt Ihr uns ja eine schöne Scheiße eingebrockt!" Wir feierten dann auf Westberliner Seite mit den vielen Leuten ganz ungezwungen die Öffnung der Mauer und sind irgendwann wieder zurück nach Hause. Ab dem nächsten Tag war dann alles anders, alles neu.

Anders ist das Stichwort, denn das vielzitierte Loch, in welches viele Musiker und Bands nach der Wende fielen, schien Euch nicht unbedingt erwischt zu haben. Ich hatte den Eindruck, bei SILLY ist es etwas anders gelaufen, oder täusche ich mich da?
Da täuschst Du Dich gewaltig, denn es ging uns ähnlich. Nicht nur Musiker oder Künstler hatten mit der neuen Situation zu kämpfen, sondern vor allem die Menschen als solche. Niemand fand sich mehr zurecht, jeder Tag war neu, ständig gab es andere Informationen, wie es weitergehen würde. Ich will mich gar nicht darüber beschweren, es war ja auch eine spannende Zeit. Lange war ungewiss, ob die DDR nun als Land bestehen bleibt. Die Mehrheit der Leute schien eine Wiedervereinigung anzustreben. Währenddessen wurden ja selbst die noch funktionierenden Bereiche und Betriebe Stück für Stück abgewickelt. Man kann sogar sagen, das Land DDR wurde gnadenlos verscherbelt. Man musste sich erstmal zurechtfinden, da ging es uns nicht anders wie den anderen Menschen. SILLY hat anfangs überhaupt nicht mehr im eigenen Land gespielt, aber wir hatten das Glück, dass wir gute Verbindungen ins Ausland hatten. Vorher waren wir oft zu Gast auf Festivals in Skandinavien und das ist uns geblieben. Wir konnten trotz des Mauerfalls wenigstens diese längerfristigen Verträge abarbeiten. Selbst in Amerika hatten wir ein paar Auftritte, aber hier in Ostdeutschland war Totenstille. Es gab keine Veranstalter mehr, alles war zusammengebrochen, das System war jetzt ein komplett anderes. Dazu kam, dass die Leute auch gar kein Interesse mehr an den Ostbands hatten. Jetzt konsumierten sie das, was ihnen jahrzehntelang verwehrt wurde, vor allem auch im kulturellen Bereich. Es dauerte ein paar Jahre, bis das Bewusstsein nach oben kam, dass die Bands im Westen auch alle nur mit Wasser kochen. Die logische Folge war, dass man sich nun wieder an das erinnerte, womit man groß geworden war und was ein großer Teil ihres früheren Lebens war. Für uns ging es etwa 1992 wieder langsam los.


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SILLY live (Foto: privat)



Um diese Zeit herum entdeckte ich zufällig das "Hurensöhne"-Album. Ich arbeite damals unter anderem als DJ und konnte feststellen, dass die Menschen in den Discos und Klubs total begeistert waren von Eurer Musik. Das empfand zumindest ich so, dass SILLY jetzt als gesamtdeutsche Band wahrgenommen und akzeptiert wurde.
Na ja, es war schon ein sehr steiniger Weg. Alles, was medial aus dem Osten kam und wie wir eine DDR-Vergangenheit hatte, hatte es doppelt schwer. In den Medien fasste man uns nur ganz vorsichtig und mit spitzen Fingern an. Im Radio hatten wir gar keine Chance, obwohl auf "Hurensöhne" Songs dabei waren, die durchaus im Radio hätten laufen können. Mir fällt da spontan "Bye bye" ein. Eigentlich hatten wir immer nur einzelne Unterstützer, die uns mochten und die auch immer versuchten haben, uns ein bisschen zu helfen. Einer von denen hat mit uns sogar ein Video gedreht, nämlich das zum Song "Bye bye". Aber wie gesagt, in der Radiolandschaft war kein Platz für uns. Die Ostsender wurden abgewickelt, bei DT64 wurden wir bis zu deren Ende auch nicht mehr wirklich gespielt. Bei den "neuen" Sendern herrschte null Interesse an allem, was aus der ehemaligen DDR kam. Es wurde alles in einen Sack gesteckt und mit dem Knüppel draufgehauen.

Dann habt Ihr Euch mühselig und mit ganz viel Schweiß und Tränen wieder in eine Position gebracht, in der die Leute wieder von SILLY sprachen.
Wir nahmen unser Schicksal irgendwann selber in die Hand. Tamara kümmerte sich um eine neue Plattenfirma, bei der es sich um den Nachfolger von AMIGA handelte. Das war auch eine ganz kuriose Geschichte. Ein Autohändler und Kulturmäzen hatte den Katalog von AMIGA aufgekauft. Der stellte einen dänischen Geschäftsführer, der was vom Plattengeschäft verstand, namens Jorgen Larsen ein. Larsen versuchte das Ganze wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. SILLY hatte nach der Wende zunächst noch einen halben Vertrag mit Ariola, was aber den Bach runterging. Etwa 1990 haben sie mit uns eine Art Testproduktion in den Maffay-Studios gestartet, bei der Carl Carlton und Bertram Engel die Produzenten waren. Mit den beiden haben wir uns super verstanden und wir waren auch mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Wir hatten uns drei Songs vorgenommen, und zwar "Loch im Kopf", "Kriminelle Energie" und "Rot wie Mohn". Zu unser aller Überraschung sagte uns Ariola aber im Anschluss: "Eure Texte versteht in Deutschland keiner". Das muss man sich mal reinziehen! Daraufhin haben wir uns von den Herren in München verabschiedet. An diesem Punkt waren wir gezwungen, uns neue Partner zu suchen und fanden die DSB.

Im Vertrieb lief es dann aber trotzdem weiterhin über Ariola, richtig?
Nein. Den Amiga-Katalog inclusive Neuprodukte von DSB hat dann ein paar Jahre später die BMG aufgekauft, wo ja bekanntlich Jörg Stempel jahrelang gearbeitet hat. Daraus wurde dann später Sony/AMIGA. Wir mussten uns also wieder neue Partner suchen und sind bei SPV gelandet. Unabhängig davon haben wir uns nach und nach studiotechnisch selbstständig gemacht. "Hurensöhne" war ja noch in den Preußen Tonstudios entstanden, mehr oder weniger unter eigener Regie und mit Hilfe von unserem Freund Hofmann. Jetzt merkten wir, dass wir so weit sind, uns auch mal selber an eine Produktion ranzutrauen. Nun gab es neben dem Lafayette ein Kabarett namens Kartoon. Dort konnten wir kostenlos die Kellerräume für unsere Proben nutzen. Das war natürlich super und so bauten wir nach und nach unser Studioequipment in dem Keller auf. Um technisch auch wirklich up to date zu bleiben und vor allem unabhängig zu werden, schafften wir uns mit der Zeit immer mehr Technik für unser Studio an. Durch die zunehmende Digitalisierung wurde manche Anschaffung auch einigermaßen erschwinglich und so waren wir schon bald in der Lage, unsere Sachen selber zu produzieren. Das war ein Riesenglück für uns, denn dadurch war es möglich, auch mal den Moment festhalten zu können. Wir konnten also ohne den Druck arbeiten, den man sonst in angemieteten Studios hat. Wir konnten uns die Zeit nehmen, die nötig war, um Dinge auszuprobieren, zu tüfteln und zu experimentieren. So haben wir beispielsweise nachts in dem großen Treppenhaus des Gebäudes unsere Schlagzeuge aufgebaut, um den natürlichen Hall für die Aufnahmen zu verwenden. So entwickelten wir Schritt für Schritt das "Paradies"-Album. Und dann kam die furchtbare Nachricht mit Tamaras Krankheit.


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Uwe mit Tamara auf der Bühne (Foto: Herbert Schulze)



Hatte sich die Krankheit vorher bereits abgezeichnet oder war die Diagnose ein plötzlicher Paukenschlag?
Ich weiß nicht, wie lange vorher Tamara etwas geahnt hat, aber es wird einen Grund gegeben haben, weshalb sie den Arzt aufgesucht hat. Dieser Arzt wohnte in der Wohnung über uns und war ein Ultraschall-Spezialist. Das war auch der einzige Arzt, zu dem Tamara Vertrauen hatte. Möglicherweise spürte sie schon etwas, hat das aber vor sich her geschoben. Jedenfalls ging sie zu dem Professor und der hat dann sofort gesehen, was los ist. Sie wurde natürlich umgehend zu den entsprechenden Fachärzten überwiesen. Wir steckten zu dieser Zeit mittendrin in den Arbeiten zum neuen Album, nahmen gerade für den Titel "Köter" die Bläsersätze auf, als Tamaras Anruf mit der schrecklichen Nachricht kam.

Mal abgesehen davon, dass das Erscheinen des "Paradies"-Albums ein freudiges Ereignis war, wurde 1996 alles von Tamaras Tod überschattet. Was aber viele gar nicht wissen: kurz darauf starb auch Deine Mutter. Für Dich war das eine richtige beschissene Zeit.
Das kann man so sagen. Mir haben diese Ereignisse regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen. Von der Diagnose bis zu Tamaras Tod verging etwa ein Jahr. Anfangs hatten wir noch Mut und Hoffnung, dass wir das alles wieder hinkriegen. Wir wollten auf jeden Fall das Album fertig kriegen, obwohl Tamaras Behandlungen und Operationen parallel dazu liefen. Das war ihr ganz wichtig und niemand sollte wissen, wie schwer sie erkrankt war. Nun war Tamara ein Mensch, der niemanden an sich ranlassen wollte, speziell keinen Pflegedienst. Also versuchten wir im engsten Kreis, diese Aufgabe irgendwie zu übernehmen. Aber je kränker sie wurde, umso schwieriger wurde das natürlich für uns, doch es gab keine Alternativen. Zum Glück gab es Freundinnen und Freunde, ohne deren Hilfe das nicht möglich gewesen wäre. Allen voran Geli Weiz, Abini Zöllner und Uta Siegel, die als junge angehende Ärztin unglaubliches auf sich genommen hat. Auf jeden Fall war es eine schlimme Zeit, zumal wir alle noch jung an Jahren war. Wer so etwas einmal selbst erlebt hat, wird verstehen, dass einen diese Erinnerungen nie mehr loslassen. Mir persönlich hat das Ganze sehr viel Leichtigkeit genommen. Einen Monat nach Tamara starb dann Tamaras Mutter ebenfalls an Krebs, die wir parallel zu Tamara auch noch gepflegt hatten. Etwa eineinhalb Jahre später wurde nun auch noch meine Mutter krank und war kurze Zeit später auch nicht mehr da. Da ging es mir verständlicherweise richtig schlecht und ich brauchte eine relativ lange Zeit, bis ich all das einigermaßen verwinden konnte.

Hast Du für die Leute, denen es vielleicht gerade genauso geht wie Dir damals, ein paar Worte, wie man damit umgeht, um wieder irgendwie ins Leben zurückzufinden?
Das ist schwer zu erklären. Man sollte irgendwann erkennen, dass das Leben wertvoll ist, auch wenn man das im Moment vielleicht nicht erkennen kann, und dass das Leben für einen selber auf jeden Fall weitergeht. Der Tod gehört nun mal zum Leben dazu, das ist der Lauf der Dinge. Das habe ich dadurch gelernt. Das eigene Leben aber ist viel zu wertvoll, um es aufzugeben, auch wenn sich geliebte Menschen aus der Welt verabschiedet haben. Man hat keine Zeit, keinen Tag zu verschenken. Sowohl Tamara als auch meine Mutter hätten es sich unbedingt gewünscht, dass es für uns weitergeht.

Inwieweit war das Danzmusik-Studio, das Du zusammen mit Ritchie betreibst, für Dich sowas wie eine Therapie und Gelegenheit, den Kopf wieder frei zu kriegen?
Genau das war unsere Therapie. Wir haben uns danach in Arbeit gestürzt, um uns auch ein Stück weit zu betäuben. Wir haben zu dieser Zeit viel produziert. Wenn ich mich recht erinnere, war das erste Album nach Tamaras Tod eins mit Gundermann, danach kam CITY. Vielleicht war es auch umgekehrt, ich weiß es nicht mehr genau, auf jeden Fall hat uns das aufgefangen. Und ja, fairerweise muss man erwähnen, dass uns die Studioarbeit natürlich auch ernährt hat. Zwar gingen die Plattenverkäufe nach Tamaras Tod wieder in die Höhe, aber wir konnten nicht mehr auftreten, wir hatten ja keine funktionierende Band mehr. Realistisch klingende Lösungen waren keine in Sicht. Wir konnten uns ohnehin nicht vorstellen, mit irgendjemand anderem weiterzumachen, schon gar nicht gleich und sofort. Insofern war es ein großes Glück, dass wir uns seinerzeit für den Aufbau dieses Studios entschieden hatten. Dadurch waren wir unabhängig und waren in der Lage, uns zu ernähren. Die Jungs von CITY hatten dann im Nachgang zu ihrem bei uns produzierten Album "Rauchzeichen" die Idee, eine gemeinsame Tour unter den Namen "Tour d'amour - Das Beste von CITY & SILLY" zu machen, was sich als ganz hervorragende Idee erwies, denn das holte uns gewissermaßen aus dem Tal heraus und wieder ein wenig auf die Bühne.


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Joachim Witt und Hassbe (Foto: privat)



Eine weitere Sache, die Euch ein bisschen nach oben und vor allem zurück auf die Bühne gebracht hat, war Euer Mitwirken bei Joachim Witt. Er hatte sich Euer "Bataillon d'amour" ausgeliehen und kurz darauf wurdet Ihr Mitglieder seiner Begleitband. Wie kam es denn dazu?
Der fand das Stück toll und hat es zusammen mit APOCALYPTICA für sein Album "Bayreuth 2" aufgenommen. Er wollte uns seine Version vorspielen und dazu trafen wir uns in Berlin in seinem Hotel am Potsdamer Platz. Etwas später trafen wir uns noch einmal und bei der Gelegenheit erzählte er uns, er stellt gerade eine neue Band zusammen und ob wir nicht Lust hätten, da mitzuspielen. Ritchie und ich fanden das toll. Wir fuhren also mit unseren Instrumenten nach Hamburg, fingen an zu proben und lernten nun auch die anderen Musiker kennen. Beispielsweise Jörg Sander, der seit Jahren Gitarrist in Udo Lindenbergs Band ist. Es war eine klasse Band und eine tolle Erfahrung, es machte echt Spaß. Und vor allem konnten wir endlich mal wieder unabhängig von SILLY auf der Bühne stehen und auch mal völlig andere Musik spielen. Selbst das "Bataillon d'amour" in der Version von Joachim Witt war ja gänzlich anders als das Original von SILLY. Im weiteren Verlauf, wenn ich das noch schnell erzählen darf, haben wir unser Studio in der Nähe von Hoppegarten neu aufgebaut, weil wir aus den Räumen des Kabaretts raus mussten. Wir überlegten, ob wir uns stattdessen irgendwo in einer Fabrik einmieten, aber da bestand natürlich immer das Risiko, dass wir wieder eines Tages auch da rausfliegen. Oder nehmen wir Geld in die Hand und bauen das Studio in die Scheune in Hoppegarten, wo vorher Tamaras Eltern gewohnt haben? Da wir immer ein Studio und auch immer eine Möglichkeit zum Proben brauchen würden, war letzteres auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Somit steht seitdem unser Danzmusik-Studio am Stadtrand von Berlin.

Nochmal zurück zu Joachim Witt …
Ach ja. Wir spielten also in seiner Band. Und da wir unser eigenes Studio hatten und er ja auch immer erst etwas anmieten musste, sind wir für eine seiner nächsten Produktionen zu uns ins Studio gegangen. Daraus wurden dann tatsächlich mehrere Alben, die er bei und mit uns produzierte.

Mit einem Mann wie Joachim Witt auf der Bühne zu stehen, ist ja schon eine tolle Sache. Aber was war das für ein Gefühl, als dann plötzlich "Bataillon d'amour" gespielt wurde, aber am Mikrofon nicht Tamara, sondern Joachim stand. Was ging da in Dir vor?
Ach, das weiß ich gar nicht mehr. In jedem Fall war es anders, sehr anders. Ich kann mich nur noch erinnern, dass wir in einer tollen Band mit vier Cellisten und drei Gitarristen spielten und das ein enormes Brett war. Und das Ganze war dank Joachim jedes Mal eine Art Inszenierung, angefangen beim Licht bis hin zum tollen Sound. Für uns war das Ganze echt schräg, so kann man das wohl am besten beschreiben. Insgesamt haben wir fünf Jahre lang zusammengearbeitet.

Über das Comeback von SILLY im Jahr 2005 haben wir ja schon in früheren Interviews ausführlich gesprochen. Eine Frage dazu sei mir aber trotzdem gestattet: Würdest Du heute alles nochmal genauso machen mit SILLY & Gäste, mit dem Zeitpunkt und der Menge an teilnehmenden Sängerinnen und Sängern?
Das kann ich Dir nicht sagen. Man lernt ja mit den Erfahrungen und durch jede Erfahrung, die man nicht gemacht hat, hat man auch irgendetwas verpasst bzw. nicht gelernt. Das Schicksal hat uns durch die Zeit geführt und ich bin glücklich, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist. Die Sache mit SILLY & Gäste war ja damals der erste vorsichtige Versuch, mit SILLY wieder auf die Bühne zu gehen. Es war sicher ein riesiger logistischer Aufwand, da es durch die Menge an Teilnehmern auch jedes Mal wechselnde Besetzungen waren. Und ja, es war aus heutiger Sicht eine Art Gemischtwarenladen, aber um das herauszufinden, mussten wir das erst einmal gemacht haben. Irgendwann danach wussten wir natürlich, dass es so nicht weitergehen kann. Anna Loos stieß dann zunächst als Quereinsteigerin zu uns, was sich aber ganz schnell als die richtige Wahl herausstellte.


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On Stage (Foto: privat)



Hat Anna Loos Euch damals wirklich durch ihre stimmlichen Qualitäten überzeugt oder war es mehr die Überlegung, mit einer durch ihre Schauspielerei deutschlandweit bekannte Frau wie Anna mehr Erfolg zu haben als beispielsweise mit einer Anja Krabbe, die einige SILLY-Songs ja ganz nah am Original gesungen hat?
Anja hätte definitiv gut zu uns gepasst, aber als es um die Entscheidung ging, hatte Anja noch eine eigene Band, mit der sie gerade erst ein Album fertiggestellt hatte. Das wollte sie natürlich nicht aufgeben, aber sie war schon ein wenig hin- und hergerissen. Ursprünglich spukte uns ohnehin die Idee durch den Kopf, möglicherweise mit zwei Sängerinnen neu durchzustarten, aber dazu meinte Anna Loos, wenn sie zusagt, möchte sie es allein machen und das war richtig so. Die Schauspielerei hat bei unserer Entscheidung keine Rolle gespielt. Ich glaube auch, dass ihr Erfolg als Schauspielerin nach dem Erfolg unserer gemeinsamen Alben wieder zusehends Fahrt aufgenommen hat.

Lass uns nochmal kurz auf die musikalische Familie Hassbecker zurückkommen. War es eigentlich der Wunsch Deines Sohnes Daniel oder Deiner, dass er 2005 als Dauergast in seines Vaters Gruppe einstieg?
Gute Frage. Er spielte ja schon vorher für uns. Daniel ist eben ein guter Musiker und er hat sich im Laufe der Jahre zu einem exzellenten Multiinstrumentalisten entwickelt. Es gibt heutzutage nicht so viele gute, zuverlässige und flexible Musiker wie ihn, was lag da näher, als ihn zu fragen? Ob das nun letztlich sein Wunsch war oder meiner, kann ich Dir echt nicht beantworten.

Zu der Zeit war er ja noch mit der Gruppe MARIANNENPLATZ unterwegs.
Da gab es noch andere Bands, in denen er gespielt hat. Zum Beispiel hatte er mal mit dem Sänger von DIE LETZTE INSTANZ, dem Holly Loose, eine Band, die auch bei uns im Studio aufgenommen haben. Wir hatten also schon immer auf musikalischer Ebene viel miteinander zu tun und als wir dann jemanden brauchten, was lag da näher, als ihn zu fragen?! Ich habe ja insgesamt vier Kinder und Daniel ist nicht der Einzige, der Musik macht. Mein Sohn Leo ist mehr oder weniger im Studio aufgewachsen und ist mit seinen jetzt bald 25 Jahren ein hervorragender Trommler und Producer geworden. Er unterstützt uns seit ein paar Jahren hervorragend, wenn wir neue Songs produzieren. Natürlich hat er auch eigene Projekte. Stück für Stück geht der Staffelstab weiter...


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On Stage (Foto: Thomas Jörgensen)



Wir sprachen vorhin über die GITARREROS und die ganze Geschichte drumherum. Ihr habt ja mit SILLY in den 2010er Jahren zunächst mit "Ostrock in Klassik" und später mit den ROCK LEGENDEN ähnliche Erfahrungen gemacht. Ließ sich das miteinander vergleichen?
Nein, das war etwas komplett anderes. "Ostrock in Klassik" war eine Geschichte mit mehreren Bands und einem großen Orchester auf der Bühne, wobei jede Band mehrere ihrer Songs gemeinsam mit dem Orchester spielte. Es gab maximal einen Anfangssong und einen Titel zum Schluss, bei dem alle zusammen auf der Bühne standen, das hatte aber mit den GITARREROS überhaupt nichts zu tun. Trotzdem war es ohne Frage eine ganz besondere Erfahrung. Währenddessen waren die ROCK LEGENDEN schon eher eine Sache der Gemeinsamkeit. Nach zwei oder drei Verschiebungen konnte die Tour ja nun in letzten Jahr endlich stattfinden, auch wenn leider ein paar der ursprünglich geplanten Konzerte ausfielen. Das Konzept der ROCK LEGENDEN, dass nämlich jeder mal bei jedem mitspielt, ist zumindest ansatzweise mit den GITARREROS zu vergleichen. Das fand ich schön. Ich durfte ja bereits 2017 oder 2018 mit Maschines Band diese Tour mitmachen und war schon damals begeistert. Das hat großen Spaß gemacht.

Du nimmst mir gerade wieder meine nächste Frage weg, denn ich wollte jetzt auf Maschine und seine neue Band zu sprechen kommen. Früher war diese Band ja viel größer, aber von all dem, was seinerzeit mit dem "Neubeginner"-Album angestoßen wurde, bist nur noch Du übriggeblieben. Oder gibt es doch noch immer eine große Band?
Auch bei den ROCK LEGENDEN gab es rund um Maschine diese große Band. Das ist natürlich alles nicht so einfach, weil alle diese Musiker ja auch eigene Bands haben oder viel anderweitig beschäftigt sind. Nun kam auch noch Corona dazwischen und machte das Ganze nicht einfacher. Eine so große Band aufzustellen und am Leben zu halten, das ist schon eine große Aufgabe. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Kostenfaktor. Was Maschine und ich jetzt zu zweit auf die Bühne bringen, passt gut in die Zeit. Das kann man auch mal verschieben und ist auch vom technischen Aufwand her überschaubar und bezahlbarer. Letztlich muss man sich auch immer vor Augen halten, dass wir alle nicht jünger werden. Ich glaube, dieses kleine und intime Konzept, welches wir aktuell anbieten, steht uns und funktioniert auch. Wir spielen die Songs auf das Wesentliche reduziert und plaudern zwischendurch aus dem Nähkästchen. Das ist ein echt unterhaltsamer Abend.

Maschines neues Album ist ja nun mit Platz 4 in den Deutschen Albumcharts durchaus erfolgreich gestartet …
Ja, das stimmt und ich habe mich wirklich sehr darüber gefreut. Unsere Live-Aktivitäten pushen das auch noch mal deutlich und die Orte wo wir spielen werden immer größer als ursprünglich angedacht. Beim Album war ich übrigens diesmal nicht dabei. Ich glaube das Album sollte sehr persönlich werden und genauso wie er es haben wollte. Insofern hat er fast alle Instrumente selber gespielt. Für mich ist das kein Problem. Es ist sein Album und wir sind nicht miteinander verheiratet. Aber bevor Du fragst: Live sind wir nach wie vor ein Team.


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Hassbe und Maschine (Foto: Dana Barthel)



Wir sind jetzt also einmal quer durch Dein Leben gelaufen. Gibt es trotzdem noch irgendeinen Punkt in Deiner Karriere, den wir vergessen haben zu erwähnen, der aber unbedingt benannt werden sollte?
Lass mich überlegen… Na ja, vielleicht noch dieses… Wir standen ja nun schon viele Jahre in freundschaftlicher Konkurrenz zu CITY und haben einen langen parallelen Weg beschritten, zum Teil auch gemeinsam. Und deshalb war es mir eine Ehre, sie bei einzelnen Konzerten auf ihrer Abschiedstournee begleiten zu dürfen. Das war eine super Geschichte und ein Triumphzug für CITY zum Abschied. Es hat echt Spaß gemacht zu sehen, wie sie von den Fans vom ersten bis zum letzten Ton abgefeiert werden und wieder einen Stand als Band erreicht haben, den sie verdient haben. Dass ich dabei sein durfte, hat mich riesig gefreut.

Für viele ist das eine ganz traurige Sache, dass das Kapitel CITY nun Geschichte ist. War es denn hinter der Bühne auch ein trauriger Abschied nach dem letzten Konzert in der Mercedes Benz Arena?
Natürlich sind da auch Tränen geflossen und nicht nur da... Ich denke, am Ende wird die Freude über das Erreichte überwiegen. Das war ja außerdem eine ganz bewusste Entscheidung. Auf jeden Fall ist es der richtige Weg, so aufzuhören wie CITY es getan haben, ganz oben auf dem Sockel stehend.

Hauptsache SILLY denkt nicht auch schon ans Aufhören. Wie wird es bei Euch weitergehen?
Wir spielen ab dem Frühsommer wieder Konzerte, die Planungen dafür sind gerade in Arbeit. Es gibt derzeit wöchentliche Termin-Updates und wir werden sicherlich bald mit den endgültigen Daten rausrücken. Im Frühjahr fangen wir dann an zu proben und ich freue mich sehr darauf.


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Hassbe mit Ritchie und Jäcki (Foto: Dana Barthel)



Arbeitet Ihr auch schon an neuem Material?
(lacht) Ja, auch das. Ich bin gerade am Sichten neuer Ideen und skizziere immer mal wieder was. Wir werden sehen, wann wir soweit sind, damit ins Studio zu gehen.

Wer wird denn für SILLY texten?
Das ist noch geheim …

Uwe, ich danke Dir für dieses lange und ausführliche Gespräch.



Interview: Christian Reder
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Dana Barthel, Thomas Jörgensen, Herbert Schulze, Ute Mahler, Karin Rocholl, Thomas Böhme, Redaktion, Uwe privat





   
   
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