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Interview vom 6. Oktober 2022



Wir wissen nicht, ob Marek Arnold mit seinem wohl auffälligsten äußeren Erkennungsmerkmal bei der Wahl zur kleidsamsten Strickmütze Deutschlands gute Chancen hätte, nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen, aber auf dem Feld, das er seit den 1990er Jahren ertragreich bestellt, nämlich dem der progressiven Rockmusik, hat er dies mehr als eindrucksvoll getan. Mit seiner ersten Band TOXIC SMILE feierte er Anfang des neuen Jahrtausends große Erfolge im Ausland. Nach weiteren Projekten und Gastbeiträgen bei anderen Kollegen kam er 2010 zur Stern-Combo Meißen und bildete für knapp zwei Jahre das kreative Doppel mit Thomas Kurzhals. Als er und zwei weitere Kollegen die "Combo" verließen kam u.a. der Mann neu dazu, mit dem Marek seit nunmehr fast acht Jahren schon gemeinsam Musik macht: Manuel Schmid. Mit "Zeiten" wurde 2018 ein erstes gemeinsames Album heraus gebracht. Etwa zwei Jahre später - und damit schließt sich der Kreis nahezu vollständig - schraubten die beiden fleißig am neuen STERN MEISSEN-Album "Freiheit ist …", obwohl Arnold ja schon lange da "raus" war. Und jetzt gerade in diesem Monat wurde mit "Ziele" das neue Album der beiden Musiker in die Regale gut sortierter Tonträger-Märkte gestellt. Marek ist Musiker, Texter, Komponist, Produzent, Arrangeur, Musiklehrer und überhaupt ein Tausendsassa auf dem Gebiet Musik. Es scheint, als begegne man ihm oder seinem Namen bei gefühlt jeder zweiten ProgRock-Produktion, und das Gefühl trügt bei näherer Betrachtung auch nicht. Eigentlich müsste man ein Wochenendseminar anbieten, um das bisherige Wirken und Werkeln des gebürtigen Meeraners halbwegs abzubilden, aber wir beschränken uns an dieser Stelle mit einem Interview, das unser Kollege Christian kurz vor der Veröffentlichung von "Ziele" mit Marek Arnold führen konnte ...




Ihr habt ein neues Album rausgebracht. Wenn ich sage "Ihr", dann meine ich damit Manuel Schmid und Dich. Darüber wollen wir uns heute ein bisschen unterhalten. Ist das jetzt ein pandemisches Produkt oder hat es damit gar nichts zu tun?
Beides. Es war durchaus klar, dass es irgendwann mal ein Nachfolgealbum geben wird, ohne dass wir dafür einen Zeitplan gesetzt hätten. Aber es kamen halt ein paar Sachen zusammen. Nun hatte ja die für Musiker furchtbare Corona-Zeit für uns zumindest einen Vorteil, nämlich, dass man etwas mehr Zeit hatte für die Studioarbeit. Ich habe damals gleich die erste Welle genutzt, um bei mir zuhause ein Studio einzurichten und dieses akustisch nach meinen Vorstellungen zu optimieren. Nachdem das dann stand, hatte es für mich den großen Vorteil, dass ich in der zweiten und dritten Welle die Zeit hatte, hier sitzen zu können und viele neue Entwürfe zu fertigen. Ich habe in dieser ganzen Corona-Zeit sehr viele neue Songs geschrieben und auch gleich aufgenommen, wobei mir das eben Geschilderte natürlich sehr geholfen hatte. Dadurch hatte ich eine ganze Menge fertiges Material, das ich Manuel anbieten konnte. Er konnte dann sehr schnell entscheiden und auswählen, was davon brauchbar wäre, wo er vielleicht noch andere Visionen einbringen wollte usw. Das schaffte uns natürlich eine Menge Vorlauf und eine große Auswahl an Songs, aus denen wir schöpfen und wählen konnten. Ohne all diese Vorarbeiten hätten wir sicherlich noch mindestens ein Jahr länger gebraucht.


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Ist das denn generell Eure Arbeitsweise, dass Du eine Lied-Idee hast und Manuel da den Text draufsetzt oder funktioniert das manchmal auch umgekehrt?
Ganz so pauschal kann man das nicht umschreiben. Diesmal haben wir ja beispielsweise Joachim Krause als Texter dabei, ich selber habe auch einige Texte geschrieben. Es ist eher, so, dass die Entstehung neuer Songs recht variabel unserer Zeit und Lebenssituation unterliegt. Wenn ich an unsere Zusammenarbeit bei STERN MEISSEN denke, da habe ich ein paar Kompositionen und Texte beigesteuert aber Manuel das Album natürlich geprägt. Beim letzten gemeinsamen Album "ZEITEN" waren auch Songs dabei, die noch aus TOXIC SMILE-Zeiten stammten und die er einfach mal singen wollte. Wir haben uns also Gedanken gemacht, wie wir diese Sachen umarrangieren können. Beim nächsten Album wiederum kann es durchaus umgekehrt sein, dass also Manuel sagt, er hat hier noch fünf Ideen für neue Songs in der Schublade. Ich denke, das ist immer ein bisschen der jeweiligen Zeit geschuldet, in der so ein Album entsteht. Und diesmal war es eben so, dass ich bereits viel Songkonstrukte halb oder ganz fertig hatte, mit denen wir arbeiten konnten, was uns unendlich viel Zeit gespart hat. Die Sache mit den Texten teilen wir uns gerne auf. Bei den Titeln unseres neuen Albums war es so, dass ich schon während des Komponierens einige Textideen hatte, die ich dann natürlich gleich eingefügt habe. Dann gab es aber auch die eine oder andere Nummer, wo Manuel spontan sagte, das würde er gerne übernehmen, weil er dafür schon ein paar Ideen hat. Am Ende setzen wir uns dann immer gemeinsam hin und überprüfen die Texte, was oft dazu führt, dass noch ein paar Zeilen oder Worte ausgetauscht werden. Genauso läuft es bei den Kompositionen, da überarbeiten wir abschließend gemeinsam die fertigen Songs und oft hat dann Manuel noch eine zündende Idee, wie man die Arrangements noch etwas gefälliger gestalten kann. Das hat sich über die Jahre bei uns gut eingespielt.

Du warst Anfang der 2010er Jahre bei der STERN-COMBO MEISSEN und Manuel ist aktuell in der Band tätig. Wenn man sich nun Euer gemeinsames Album anhört, hört man zwangsläufig viele Parallelen zur Musik der STERN-COMBO heraus. Hätte das nicht auch ein Album der STERN-COMBO MEISSEN sein können?
Ganz klares Jein. Ich hatte ja eben erwähnt, dass Manuel und ich schon beim letzten STERN-COMBO-Album zusammengearbeitet hatten und ich fünf oder sechs Titel dazu beitragen durfte. Das, was wir bereits beim Album "Lebensuhr" vorhatten, als wir drei Neuen in die Band kamen, nämlich mehr die alte STERN MEISSEN-Ausrichtung wiederzubeleben, ist leider nur bei zwei, drei Songs gelungen, während die Ausrichtung des gesamten Albums doch eher durchwachsen war. Diesmal war es anders, denn da waren Manuel und ich uns von Beginn an einig, wohin sich das Album entwickeln könnte und was wir selber eigentlich wollen. Manuel brachte mich auch dazu, diese alten Soundmuster und Traditionen wieder vorzuholen. Das machte mir selber großen Spaß, denn da komme ich ja auch her, selbst wenn ich seinerzeit mehr mit Progressive Rock und Progressive Metal sozialisiert wurde. Aber der klassische Art-Rock liegt mir halt doch sehr am Herzen, was sich auf unsere Arbeit an der Platte übertragen hat. Zumal ja durch den deutschsprachigen Gesang die Parallelen zum ostdeutschen Art-Rock auf der Hand liegen. Man darf hierbei auch keinesfalls die Wirkung von Manuels Stimme unterschätzen. Seine hohe Stimme in Verbindung mit den lyrischen Texten, das unterstützt ja von vornherein diese Ausrichtung.

Du hast einen bestimmten Sound in Deiner Musik, das lässt sich nun mal nicht leugnen und das ist auf den besagten drei Titeln des "Lebensuhr"-Albums auch deutlich zu hören. Und auch auf dem neuen Album ist das so. Deshalb kam in mir der Eindruck hoch, dass es tatsächlich auch ein Album der STERN-COMBO sein könnte.
Ja, wahrscheinlich hast Du Recht, auch wenn das sicher nicht auf jeden einzelnen Titel zutrifft. Das Ganze ist sehr Keyboard-lastig, was schon eine Menge ausmacht. Aber irgendwie liegt das auch nahe, wenn wir in dieser Kombination ein Album einspielen, zumal wir ja beide in unseren Studios die Möglichkeit haben, mit Keyboards zu arbeiten. Im Vergleich zur STERN-COMBO ist es aber natürlich nicht ganz so opulent und sinfonisch angelegt, sondern durchaus etwas akustischer, denn wir müssen ja immer im Hinterkopf behalten, dass wir die Stücke auch zu zweit auf die Bühne bringen können. Trotzdem muss die eigentliche Komposition gut sein im Sinne von Song-orientiert. Also die Songs müssen sich auf ein kleines Besteck runterbrechen lassen.


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Foto: Levin Staudte


Auf dem Album hört man aber ein großes Besteck. Es ist instrumental ziemlich breit aufgestellt. Wer hat denn da alles mitgewirkt?
Ein paar der Songs, die vorher bereits in englischer Sprache auf den CYRIL-Alben erschienen sind, haben wir mit CYRIL eingespielt. Des Weiteren sind Ulf Reinhardt am Schlagzeug und ganz verstärkt Martin Fankhänel an der Gitarre dabei, die beide zu meiner Band SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR gehören. Gemischt wurde das Album von Martin Schnella, mit dem ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeite und der früher auch mal bei SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR dabei war. Nicht vergessen möchte ich natürlich Peter Rasym, der bei zwei Songs seinen wunderbaren Fretless-Bass beigesteuert hat. Das ist das Kernteam, mit dem wir gearbeitet haben.

Beim Namen Peter Rasym fällt mir gleich wieder ein Begriff ins Auge, der eigentlich tot ist, den es nicht mehr gibt: Ostrock. Wie siehst Du das, würdest Du dieses Produkt denn noch als Ostrock bezeichnen?
Nein, den Begriff Ostrock würde ich hier nicht verwenden. Ich empfinde dieses Wort schon immer als etwas unglücklich, wenn es um die Sachen geht, die wir in unseren Konzerten spielen. Für mich verbindet sich die Assoziation zum Ostrock eher mit den PUHDYS. Klingt jetzt blöd, weil ja Peter Rasym direkt bei uns mitspielt, aber musikalisch waren wir ja dann doch mehr dem Art-Rock zugewandt. Na gut, vielleicht lehnen wir uns letztlich dann doch ein bisschen an den Ostrock an und wollen diesen so ein bisschen in die heutige Zeit überführen. Es war einfach eine bestimmte Art des Komponierens, gerade wenn man den Vergleich zu anderer deutschsprachiger Musik hat. Die Songs aus dem Osten hatten eine ganz andere Anlage. Es gab interessante harmonische Wendungen, Taktarten spielten durchaus eine Rolle. Das hatte natürlich viel mit der hervorragenden Ausbildung der DDR-Musiker zu tun, denn ohne diese entsprechende Ausbildung durfte man ja gar keine Musik machen. Wichtig war, es musste nicht immer alles auf reine Kommerzialität ausgelegt sein oder anders ausgedrückt, unsere Bands und Musiker unterlagen nicht pausenlos den Zwängen des Marktes. Diese Zwänge gab es zwar auf anderen Gebieten, aber das ist ein anderes Thema. Auf jeden Fall bietet diese Musik viele Freiheiten für uns Musiker, sich auszutoben und zu beweisen, was wir gerne fortführen und in die heutige Zeit übertragen möchten. Es gibt wohl auch nicht mehr allzu viele, die das in dieser Musikrichtung machen.

003 20221020 1597293263Die Parallele mit der guten Ausbildung ist ja bei Dir und Deinen Musikerkollegen auch gegeben.
Sicher, ich denke schon, dass wir alle solide ausgebildet sind. Aber eine gute musikalische Ausbildung führt ja nicht zugleich zum Erfolg. Umgekehrt kann man sagen, dass es unendlich viele Autodidakten gibt, die auch großartige Musik machen. Aber ich behaupte mal, es ist für die Art Musik, die wir machen, durchaus zuträglich, schon mal eine Musikschule von innen gesehen zu haben.

Du hast gerade gesagt, wenn Ihr das Album live auf die Bühne bringen wollt, müsst Ihr die Arrangements etwas runterbrechen. Wie bringt Ihr diese Songs, die ja nun auf dem Album mit kompletter Bandbegleitung eingespielt wurden, auf die Bühne? Wie klingt das Ganze dann?
Wir arbeiten natürlich mit dem Equipment, welches wir auf der Bühne zu stehen haben. Die Keyboard-Sequenzen sind zwar nun alle bei mir im Studio entstanden, aber auf der Bühne spiele ich zu 90 Prozent Saxophon. Man muss sich also diese Gedanken zu jedem einzelnen Song machen. Es wird Songs geben, die wir live nicht spielen können, weil das einfach nicht umsetzbar ist in der kleinen Besetzung. Ich denke da z.B. an "Ich fliege", was besonders atmosphärisch und mit Loops versehen daherkommt, weshalb es sich schlecht herunterbrechen lässt. Der Titel lebt eben von den elektronischen Sounds und den Hallräumen usw. Aber es gibt andere Songs, bei denen das ohne weiteres funktioniert. Hier denke ich zum Beispiel an "Ankunft", den finalen Song des Albums. Das ist ja wieder eine ursprünglich mit kompletter Bandbesetzung eingespielte CYRIL-Nummer, die wir auf Konzerten vierhändig am Klavier vortragen. Manuel begleitet sich dabei also klassisch am Klavier, während ich diese ganzen Sequenzen, die den Song verdichten, zusätzlich einspiele. Aber wie gesagt, das muss für jeden Song einzeln probiert werden. Es gibt Songs, wo es gut funktioniert, wenn ich die zweite Stimme auf dem Saxophon spiele oder irgendwelche Gegenbewegungen mit dem Saxophon umsetze. Es ist also wirklich ein Abwägen von Song zu Song.

Du hast das Zauberwort Loops ja eben schon genannt, zusätzlich gibt es ja noch weitere Tricks und doppelte Böden, die man einbauen kann. Grundsätzlich arbeitet Ihr mit so etwas aber nicht, oder?
Live jedenfalls nicht. Obwohl wir jetzt mal für einen einzigen Song probiert haben, ein paar Drum-Loops drunter zu mischen, weil der Song das irgendwie brauchte. Allerdings sind wir uns noch nicht sicher, ob wir das beibehalten wollen. Für den einen Song passte es, aber irgendwie fühlt es sich für uns live dann doch etwas fremd an, da wir normalerweise live alles selber spielen und auf Einspieler jeder Art verzichten. Es wird sich bei den nächsten Gigs herauskristallisieren, was geht und was nicht und ob wir dann vielleicht lieber auf den einen oder anderen Titel verzichten, weil wir ihn live nicht umsetzen können. Wir sind also noch in der Findungsphase, was aber nicht schlimm ist, denn das Album kommt ja jetzt erst raus. Bisher haben wir mal ein bis zwei Songs live vorgestellt. Wenn es dann im nächsten Jahr richtig losgeht mit den Liveterminen, werden wir uns vorher nochmal ganz konkrete Gedanken über die Präsentation der Songs machen.

Wie sieht es denn bei Euch aus, was die Livetermine angeht? Ist es wieder so, wie es bis vor zwei Jahren mal war oder stockt das noch?
Wir hatten jetzt ein paar Monate, wo es super lief, wo wir gut unterwegs waren. Andererseits werden alle Musiker bestätigen können, dass jetzt wieder die Zeit kommt, wo die Veranstalter zögerlich werden und sich schwer tun mit dem Vergeben von Terminen. Niemand weiß ja, ob die Veranstaltungshäuser und Locations im Winter nicht wieder schließen müssen. Und für das nächste Jahr kann angesichts der Energiepreise sowieso noch keiner sagen, ob es die Veranstalter noch geben wird, ob das Publikum sich die Eintrittspreise überhaupt noch leisten kann usw. Im Moment sind also sowohl wir Musiker als auch die Veranstalter in einer ganz schwierigen Lage, was die Planungen für das kommende Jahr betrifft. Wir gehen aber mal fest davon aus, dass wir auf Tour gehen werden und ein paar Konzerte spielen können. Unter normalen Umständen wäre unser Kalender aber sicherlich schon deutlich voller. Jedenfalls kann man wohl damit rechnen, dass wir auf Grund der derzeitigen Lage unsere Konzerttermine ziemlich kurzfristig machen müssen. Eine Tour auf ein Jahr im Voraus zu planen, wie wir das aus der Vergangenheit kennen, ist also im Moment nicht möglich.


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Ihr Kulturschaffenden habt in den letzten zwei Jahren enorm gelitten. Ihr rauscht von einem Extrem ins andere. Erst unzählige Absagen wegen Corona, jetzt kommt die Energiekrise. Sagt man sich da nicht manchmal: "Wäre ich doch nur Maurer geworden und nicht Musiker!"
Nein. Für mich hätte diese Option zu keiner Zeit bestanden. Natürlich fragt man sich gerade in diesen Zeiten, ob sich der große Aufwand, den man jahrelang betrieben hat, überhaupt gelohnt hat. Man beschäftigt sich immer öfter mit dem Gedanken, was sein wird, wenn viele Menschen keine Möglichkeit mehr haben werden, sich Kultur leisten zu können. Oder wenn eine Menge Eltern überlegen, ob sie ihre Kinder noch auf eine Musikschule schicken. Das sind ja alles unmittelbare Auswirkungen der heutigen Situation. Ja, da kommen dann tatsächlich solche Fragen auf und man denkt darüber nach, ob man sich notfalls mit einem anderen Job als dem des Musikers über Wasser halten muss. Aber Deine eigentliche Frage, ob ich nicht lieber einen anderen Beruf hätte wählen sollen… Nein, das steht für mich überhaupt nicht zur Debatte. Wenn man uns spielen lässt, werden wir das jederzeit und überall tun. Und selbst, wenn alles nach hinten losgeht, war die Entscheidung für den Musikerberuf trotzdem hundertprozentig richtig, denn es gibt keinen schöneren Job.

Aber frustrierend ist das Ganze schon, denn in den Vorbereitungen für ein Album, ein Konzert oder eine Tournee steckt jedes Mal richtig viel Arbeit drin. Denken wir nur an die von Deutsche Mugge und Dir geplante Prog(c)tober-Tour vor zwei Jahren. Wie sauer ist man dann als Betroffener?
Du hast vollkommen Recht. Unsere geplatzte Tour ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass hier monatelange Arbeit und Vorbereitung im Sande verlaufen ist. Unsere Tour stand, alles war in Sack und Tüten und dann kam Corona. Na gut, wir haben uns gesagt, wir kriegen es hin, alles um ein Jahr nach hinten zu verschieben, aber dann fällt wieder alles wegen der nächsten Welle ins Wasser. Das war schon mächtig frustrierend. Nochmal verschieben war nicht möglich, weil es teilweise die angedachten Veranstalter nicht mehr gab oder Musiker sich andere Jobs gesucht haben, weil sie ja irgendwie Geld verdienen müssen.

Nochmal zurück zu Manuel und Dir. Ihr macht ja nun schon einige Zeit miteinander Musik und kanntet Euch auch schon, als Du noch bei der STERN-COMBO warst, Manuel aber noch nicht. Ist das richtig?
Na ja, teilweise. Ich hatte irgendwann mal einen Aufruf gestartet, in welchem ich nach einem bestimmten, ganz schwer erhältlichen Album von Stefan Zauner gesucht hatte. Bevor Zauner Sänger bei der MÜNCHENER FREIHEIT wurde, hat er Musik in Richtung Krautrock und Artrock gemacht und während dieser Phase entstanden zwei Solo-Alben von ihm. Eins davon fehlte mir in meiner Sammlung, und zwar "Prism & Views" aus dem Jahr 1978. Also machte ich einen facebook-Aufruf in der Hoffnung, dass irgendwer da draußen dieses Album besitzt. Und tatsächlich meldete sich daraufhin Manuel bei mir und sagte, er hätte das fragliche Album. Ich hatte Manuel zu der Zeit überhaupt noch nicht auf dem Schirm, aber er kannte mich durchaus wegen meiner Mitgliedschaft bei der STERN-COMBO. Vor allem gefielen ihm meine Songs auf dem "Lebensuhr"-Album. Nun wohnten wir ja gerade mal 20 Kilometer voneinander entfernt, weshalb Manuel sagte, er würde mich gerne mal in meinem Studio besuchen. So kam es zu unserer Bekanntschaft und das war gerade mal ein, zwei Monate, bevor ich bei der STERN-COMBO aufhörte. Für Manuel war das sicher eine etwas komische Situation, als er sich kurze Zeit später bei der Band beworben hatte. Und so vergewisserte er sich auch bei mir, ob ich böse wäre, wenn er seine Bewerbung durchzieht. Aber mal ehrlich, weshalb sollte ich ihm böse sein? Ich hätte keinen besseren für den Job gewusst als Manuel, was ich ihm auch so gesagt habe. Die Gründe für meinen Ausstieg bei der STERN-COMBO waren ja auch nicht musikalischer Natur, sondern da spielten andere Faktoren eine Rolle. Jedenfalls empfinde ich das als witziges Detail, wie und wann wir uns kennengelernt haben. Und seit 2013/14 arbeiten wir ja nun auch schon eng zusammen und arbeiten seit dieser Zeit gemeinsam an Alben usw.


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Du hast es erwähnt, es gab Gründe dafür, dass Du bei der STERN-COMBO raus bist. Hast Du Manuel nicht vor den "Gefahren" dort auf hoher See gewarnt?
Doch, natürlich. Also ich habe ihn insofern gewarnt, dass ich ihm ein paar Tipps gab, worauf er vielleicht ein bisschen achten sollte, damit er nicht dieselben Fehler macht, die wir damals gemacht haben. Aber letztlich ist Manuel ein erwachsener Mensch und muss seine Entscheidungen alleine treffen, was er ja auch hervorragend getan hat. Vielleicht hat es ihm ein bisschen geholfen, dass er schon ein paar kleine interne Dinge kannte. Auf jeden Fall freue ich mich für ihn, dass sein Einstieg so gut geklappt hat und es für die STERN-COMBO dadurch weitergehen konnte. Außerdem entstanden ja seitdem auch wieder großartige Sachen, das darf man nicht vergessen. Und dass ich inzwischen auch wieder im Hintergrund ein Teil des Ganzen sein darf, freut mich natürlich doppelt. Ich möchte auch mal betonen, dass mein Ausstieg seinerzeit in den Medien viel extremer und böser dargestellt wurde, als es wirklich war. Klar, es waren harte Entscheidungen, die ich damals getroffen hatte, weil es einfach in dieser Form nicht mehr funktionierte und weitergehen konnte. Aber dieses riesengroße Tamtam, was daraus gemacht wurde, war völlig unnötig und überzogen. Ich habe mich auch gerade mit Martin hinterher immer mal wieder getroffen und wir können bis heute miteinander reden, es gab zu keiner Zeit böses Blut.

Das glaube ich Dir, denn Du scheinst für mich nicht unbedingt der Typ zu sein, der den Streit sucht oder heftig auf den Tisch haut.
Das stimmt. Ich bin eigentlich sogar ein sehr harmoniesüchtiger Mensch. Es dauert auch sehr lange, bis ich mal an den Punkt gelange, wo ich sage, es geht hier nicht weiter. Ich versuche eher mit allen gut auszukommen und Lösungen zu finden, wenn es mal knirscht. Trotzdem gibt es manchmal Punkte, wo man für sich Entscheidungen treffen muss. Und genau das war damals der Fall.

Ich sehe jetzt das Folgende: Du bist man Manuel schwer beschäftigt, Ihr beide stellt ein echt kreatives Epizentrum dar. Du hast außerdem an dem Album der COMBO mitgewirkt. Kann man davon ausgehen, dass Du der heimliche (oder unheimliche) sechste Mann der STERN-COMBO MEISSEN bist?
Das geht vielleicht ein bisschen zu weit. Ich würde mir auch überhaupt nicht anmaßen, in eine solche Richtung zu denken. Man muss die klassische Live-Band einfach mal gesondert betrachten. Da steht eine super eingespielte Truppe mit hervorragenden Musikern auf der Bühne. Aber was die Arbeit an den Alben betrifft, so ist es bei fast allen Bands so, dass sich da kleine Teams zusammenfinden, die gut miteinander harmonieren und funktionieren. Ich gehe mal davon aus, dass dies auch die Motivation für Manuel war, mich zu fragen, ob ich an den Alben mitwirken möchte. Einfach, weil er weiß, dass wir gut miteinander können und dass ich Songs schreibe, die zur Ausrichtung der STERN-COMBO passen. Es ist also zwischen uns in gewisser Weise eine ergebnisorientierte Zusammenarbeit, ohne dass man meine Rolle dabei jetzt überwerten sollte. Die klassische Live-Band ist nämlich, wie ich schon sagte, selten gleichzusetzen mit dem Komponistenteams der Songs.

006 20221020 1604269222Aber es wäre doch eine Hammer-Story, wenn man sich die Geschichte der STERN-COMBO anguckt, oder?
Ach weißt Du, da gibt es in meinem Lebenslauf so einige nette Geschichten, bei denen man sich hinterher sagt, was für Zufälle da zusammengespielt haben, dass es so kam, wie es gekommen ist. Ich sehe diese Dinge aus rein musikalischer Sicht und freue mich sehr, dass ich weiter im Hintergrund bei den Jungs mitwirken kann, denn die Musik der STERN-COMBO, speziell die Frühwerke aus den Siebzigern, liegt mir sehr am Herzen, das hat mich geprägt. Damit habe ich mich immer ganz intensiv beschäftigt und ich hätte es jammerschade gefunden, wenn es die Band nicht mehr gegeben hätte. Selbst nach meinem Ausstieg hoffte ich sehr, dass es die Combo als Institution weiter geben würde. Man darf dabei auf keinen Fall die privaten Gründe mit dem Großen und Ganzen vermischen.

Manuel wird ja nicht müde zu erzählen, dass er durch den Plattenschrank seiner Eltern sozialisiert wurde, was das Musikalische betrifft. Er fand dort ein echtes Eldorado vor und entdeckte vieles für sich, so auch die STERN-COMBO MEISSEN. War das bei Dir ähnlich oder wie bist Du an die Musik gekommen?
Das war bei mir ein bisschen anders. Meine Eltern haben einen ähnlichen Plattenschrank, in dem auch die STERN-COMBO, LIFT usw. standen. Speziell mein Vater, der jetzt als Rentner wieder selber in einer Rockband spielt, hörte sehr viel Musik in diese Richtung. Ich war aber eher der typische Jugendliche, der schon aus Prinzip nicht die Musik seiner Eltern hören will. Stattdessen hatte ich früher eine HipHop-Phase, zu der ich heute sage, das war eben reine Revolution, das gehörte zu einem Jugendlichen dazu. Ansonsten war ich eigentlich eher auf einer fortlaufenden Suche. Auf der Suche nach dem, was ich bin, was ich hören will. So hörte ich eine Zeitlang SUPERTRAMP, fing dann irgendwann an, selber elektronische Musik zu machen in Richtung Jan Hammer oder Christopher Franke (TANGERINE DREAM). Als nächstes begann ich Saxophon zu studieren, musste mich dadurch zwangsläufig mit Jazz beschäftigen, obwohl mir das nie etwas gegeben hat. Das muss ich wirklich mal sagen, wenngleich mir klar ist, dass ich damit wohl der einzige Saxophon-Student war, der mit Jazz zumindest damals nichts anfangen konnte. Eines Tages schlug es dann bei mir ein, als hätte mich ein Holzhammer getroffen. Da hatte mir ein Freund einfach mal zwei Alben von DREAM THEATER gegeben. Und das war dieser berühmte Schlag auf den Kopf, ich war hin und weg von dieser Art Musik. Die erste Platte, die ich bewusst hörte, war "Awake", aber noch mehr hatte mich das 1992er Album "Images and words" gepackt. Diese Platte lief von da an bei mir gefühlt pausenlos und mir wurde dabei auch niemals langweilig, weil ich ständig etwas Neues entdeckte und raushörte. Dadurch wuchs ich nach und nach in diese Musik hinein und verstand, wie sie ihre Songs anlegten. Ich ging also eher den Weg rückwärts, kam vom ProgMetal und habe so nach und nach deren Ursprünge erkundet. Über Bands wie YES und GENESIS bin ich auf meinem Weg zum ProgRock dann aber doch auch wieder über die Bands gestolpert, die mein Vater im Plattenschrank hatte. Dadurch erkannte ich dann beispielsweise endlich, welch großartige Musik LIFT gemacht hat. Oder auch die STERN-COMBO mit ihrem Werk "Weißes Gold". Ich habe also quasi das Pferd von hinten aufgezäumt.

Du wurdest 1974 im sächsischen Meerane geboren. Von welchem Zeitraum reden wir hier? Wie alt warst Du, als Dich die Musik gepackt hat?
Da ich noch studiert habe, war ich wohl 19 oder 20. Du musst einfach gucken, wann genau die beiden Alben von DREAM THEATER rauskamen, das waren auch meine Anfänge. Und 1995/96 gründete ich ja dann schon TOXIC SMILE. Da machten ein paar Musikstudenten mit und ich hatte das große Glück, gleich auf so gute Musiker zu stoßen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht wirklich was auf den Tasten spielen, aber mir blieb ja nichts anderes übrig, denn auf dem Saxophon konnte man ja nicht ernsthaft Progressive Rock oder Progressive Metal spielen. Also musste ich mich ab sofort zielgerichtet und rund um die Uhr mit den Tasten beschäftigen. Da ich mich aber gerade in einer Art Fanatismus befand, gelang das recht gut. Glücklicherweise fand ich auch schnell gute Musiker um mich herum, so dass ich ab dem Jahr 2000 die Möglichkeit hatte, eigene Alben zu veröffentlichen. Zuerst mit TOXIC SMILE, aber danach auch mit vielen anderen Bands und Projekten.


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Du hast ja auch schon relativ früh die digitale Technik für Dich entdeckt. Ich las zum Beispiel mal irgendwo den Namen Atari ST. Das war ja ein recht angesagter Computer aus der Zeit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre. Wie bist Du denn da rangekommen? Das war ja für die damalige Zeit eher ungewöhnlich.
Ja, das kann man so sagen. Es gab zwar vorher schon Amiga und C 64, mit denen Musik gemacht wurde, aber ich bin über einen Freund an diese Dinge gekommen. Der hatte sich zuhause ein paar Synthesizer hingestellt und hatte auch einen Atari ST. Und immer, wenn ich bei ihm zuhause war, scharwenzelte ich um diesen Atari herum und war völlig fasziniert von dieser Technik. Also beschäftigte ich mich mit der Thematik. Und sobald es mir finanziell möglich war, habe ich mir einen eigenen Synthesizer gekauft. Zuerst fing ich an, elektronische Musik zu spielen und als mich später dann die "neue Musik" gepackt hatte, entwickelte ich darauf die ersten Skizzen für TOXIC SMILE. Dadurch habe ich mich auch immer mehr in Richtung Tonstudio entwickelt. Das war die Zeit, als die ersten PCs und richtigen Computer auftauchten und der Atari quasi ein Auslaufmodell wurde. Und wenn man dann plötzlich nicht mehr nur einen, sondern vier Synthesizer zur Verfügung hat, wächst man da zwangsläufig rein. Das war also ein ganz logischer Prozess, dass ich gelernt habe, in einem Tonstudio klarzukommen. Ich werde auch immer wieder gefragt, ob ich eine Ausbildung in Richtung Tontechnik gemacht habe, was ich damit beantworte, dass ich einfach zur passenden Zeit im passenden Alter und in der richtigen Lebensphase für eine Technik war, die sich gerade zu entwickeln begann.

Also bist Du auf diesem Gebiet ein Autodidakt?
Ja, das kann man so sagen. Ich habe vielleicht in mehrfacher Hinsicht das große Glück, ein gutes Gehör zu haben. Das hat mir in der Musik viele Türen geöffnet, da ich sehr viele Sachen sofort nachspielen und relativ leicht umsetzen kann. Und das, obwohl ich noch niemals ein besonders fleißiger Mensch war, was das Üben angeht. Meine Familie wird das bestätigen, denn zuhause wird mich noch nie jemand üben gesehen haben. Mir ist es halt immer ein bisschen zugeflogen, wofür ich auch dankbar bin. Ich denke, es war einfach der Vorteil meines angesprochenen guten Gehörs, dass ich beim Equalizer immer intuitiv an die richtigen Regler gefasst habe. Über die Jahre habe ich mir dann natürlich immer mehr Wissen angeeignet, aber die Anfänge waren rein autodidaktisch.

Deine Versuche in der elektronischen Musik waren demnach Deine ersten Fußspuren, die Du in der Musikwelt hinterlassen hast. Du hast sogar die Soundtracks für einige Filme beigesteuert.
Das stimmt, aber natürlich waren das nur kleinere Projekte, zum Beispiel für den Landkreis. Am Anfang meines Studiums habe ich sogar eine erste eigene CD veröffentlicht, das war praktisch mein erstes Lebenszeichen als Komponist. Diese Songs sind damals wirklich noch klassisch am Atari entstanden. So hat es bei mir seinerzeit alles angefangen. Wenn man jetzt die Brücke zum neuen Album schlagen will, dann kann man vielleicht am Titel "Ich fliege" so ein bisschen erkennen, wie ich mal begonnen habe mit der elektronischen Musik.

008 20221020 2086636421Das begleitet Dich also über die Jahre hinweg immer wieder.
Genau. Man ist sicher irgendwann in einer bestimmten Musikrichtung zuhause und das ist bei mir der ProgRock. Das hat sich mit der Zeit so ergeben. Eine Zeit lang habe ich für jemanden gearbeitet, der Fotograf und Videofilmer ist und der für seine Agentur Filme vertont. Für den habe ich mal eine riesige Bibliothek mit kurzen Musikstücken komponiert, die man loopen kann und somit sehr flexibel ist, um damit die Musik zu Filmen zusammenzustellen. Im Grunde entstand das alles so, wie man früher eben gearbeitet hat, wenn auch mit größeren technischen Möglichkeiten. Heute ist auch dank des Internet alles um ein Vielfaches einfacher geworden. Das trug auch dazu bei, dass im Laufe der Jahre so viele Alben erschienen, wo ich drauf mitwirke oder wo direkt mein Name draufsteht. Ich glaube, dieses neue Album ist mein fünfundsechzigstes! Der Ehrlichkeit halber muss ich sagen, die Hälfte der Alben sind Produktionen, bei denen mich irgendwer fragte, ob ich mal ein Saxophon einspielen kann oder ich vielleicht den einen oder anderen Song anders arrangieren könnte. Das sind eben heutzutage die neuen technischen Möglichkeiten, an Alben anderer Künstler mitzuwirken und sich da einzubringen. Das war vor zwanzig Jahren fast unmöglich.

Diese Masse an Aktivitäten, die Du vor Dir herschiebst, hat mich wirklich vor die Qual der Wahl gestellt, über welche Punkte ich nun mit Dir reden will. Weißt Du selber denn ungefähr, in wieviel Projekten und Bands Du mitgewirkt hast?
Wirklich nur ungefähr. Eigene Projekte, bei denen ich tatsächlich mehr gemacht habe als nur ein Saxophon-Solo einzuspielen, das dürften zwischen zehn und zwölf sein. Bei Bands, wo regelmäßig etwas kommt wie beispielsweise bei SAMURAI OF PROG, wo ich seit vielen Jahren auf den Alben mitspiele, kommen insgesamt bestimmt nochmal acht bis zehn dazu. Aber natürlich hängt das Herzblut vor allem an den eigenen Sachen. Wobei ich hierbei in der letzten Zeit auch ein kleines bisschen ausgedünnt habe, weil es einfach Überhand genommen hatte. Es gibt also aktuell SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR, CYRIL und das Projekt mit Manuel. Das sind die drei Sachen, die mir derzeit am wichtigsten sind und wo ich permanent dran arbeite.

Jetzt wird sich manch ein Musiker, der schon Probleme hat, für seine eine Band alles unter einen Hut zu kriegen, fragen, wie viel Marek Arnolds es eigentlich gibt. Bist Du Einzelkind, seid Ihr Drillinge, die alle Marek heißen, oder wie schaffst Du das alles?
(lacht) Zum einen hängt es wirklich damit zusammen, dass ich unglaublich viel Glück hatte und dadurch manche Dinge sehr schnell umsetzen kann. Wenn zum Beispiel jemand kommt und sagt: "Ich habe hier einen Text, kannst Du mir darauf mal einen Song schreiben?", dann kann ich quasi auf Knopfdruck kreativ sein. Ich gucke mir den Text an, setze mich zwei bis drei Stunden hin und in den meisten Fällen ist dann der neue Song fertig. Das ist eine große Gabe, die vieles einfacher macht, dessen bin ich mir bewusst. Außerdem muss man in seinem Leben eine gewisse Struktur haben. Ich habe ja so ganz nebenbei noch drei Kinder und einen Vollzeitjob an einer Musikschule, so dass ich mein Leben also im Griff haben und straff organisieren muss. Und nicht zu vergessen ist die Familie, die Dir den Rücken freihält und die beispielsweise weiß, dass sie am Wochenende grundsätzlich nicht mit dem Papa zu rechnen braucht, weil der sowieso unterwegs ist. Dafür gibt es dann aber jede Menge Freiräume, die ein Mensch mit festen Arbeitszeiten eben nicht hat. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um mich ganz herzlich bei meiner Familie zu bedanken, aber auch bei meinen Kollegen und meinem Chef in der Musikschule. Es ist unglaublich viel wert, wenn man sich gegenseitig aufeinander verlassen kann.

Wir halten fest, es gibt nur einen Marek Arnold und keine Drillinge, die unter dem gleichen Namen auftreten.
(lacht) Genauso ist es.


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TOXIC SMILE im Stadion von Seoul (Südkorea)


Von all den Bands, in denen Du aktiv warst oder bist, habe ich mir eine herausgesucht. Es ist Deine erste eigene Band, nämlich TOXIC SMILE. Wie und wann ist diese Band denn entstanden?
Ungefähr ein Jahr, nachdem ich für mich auf diese Musikrichtung gekommen bin, habe ich wie ein Wahnsinniger am Keyboard gesessen und versucht, meine eigenen Ideen irgendwie umzusetzen. Nein, eigentlich war es so, dass diese Ideen einfach da waren, aber leider musste ich feststellen, dass ich all das, was mir da durch den Kopf ging, überhaupt nicht spielen konnte. Als Saxophonist konnte ich das nicht umsetzen, aber mit meinem Zwei-Finger-Suchsystem kam ich auf dem Keyboard auch nicht weit. Also setzte ich mich und versuchte, mir das Ganze möglichst schnell und gut autodidaktisch zu erarbeiten, was wiederum für einigen Missmut bei meinen Professoren sorgte, da die es lieber gesehen hätten, wenn ich mich mehr dem Jazz angenähert hätte. Nun hatte ich mal wieder unverschämtes Glück, gleich super Musiker zu finden, die mir zur Seite standen und mir halfen, mir meinen Traum zu erfüllen. Und so konnte ich bereits 1996 TOXIC SMILE gründen. Klar, wir waren alle blutjung und unser 17-jähriger Schlagzeuger hatte noch nicht mal studiert. Wir haben praktisch bei Null angefangen, haben es aber bis Ende 1999/Anfang 2000 geschafft, unser erstes Album fertigzustellen. Danach haben sich die Ereignisse regelrecht überschlagen.

Ich nehme an, Du spielst damit auf den Major Deal an, den Ihr mit der BMG hattet. Dazu konntet Ihr einen Riesenfolg in Südkorea verzeichnen. Da kommt man ja im Traum nicht drauf! Erkläre uns bitte mal, wie Ihr überhaupt zu diesem Plattenvertrag mit der BMG gekommen seid und wie Eure Musik überhaupt nach Südkorea kam?
Ich beginne mal mit der zweiten Frage, denn die ist relativ einfach zu beantworten. Unser Schlagzeuger hatte damals eine koreanische Freundin, die in Leipzig Jazz-Piano studiert hat. Wir hatten unser Album fertig und das junge Glück flog im Anschluss zum ersten Mal zu ihren Eltern nach Seoul. Und er nahm einfach mal das Demo zu unserer Platte mit. Wie der Zufall manchmal so spielt, bekam er in Seoul die Möglichkeit, sich abends in einem Club mal ans Schlagzeug zu setzen und zu spielen. Den Leuten gefiel es, er räumte ziemlich gut ab und kam mit vielen Leuten ins Gespräch. Am Nachbartisch saß rein zufällig der Gitarrist einer Band, die bei der BMG unter Vertrag stand. Dem drückte unser Schlagzeuger das Demotape in die Hand, was dadurch ganz schnell bei dem BMG-Manager dieser anderen Band landete. Es dauerte nicht lange, bis bei unserem Kollegen das Telefon klingelte und der Manager sagte: "Wir müssen mal reden". Ich kürze den weiteren Verlauf mal ab, sonst dauert das zu lange. BMG stellte uns einen zweiten Gitarristen zur Verfügung, und zwar war das Ahn Hete, der vorher in einer sehr erfolgreichen koreanischen Band spielte. In der Story zum Album war später zu lesen, dass dieser Gitarrist mit uns gemeinsam die Band TOXIC SMILE gegründet hat und an der Entwicklung des Albums beteiligt war. In Wirklichkeit hatte er natürlich überhaupt nichts damit zu tun. Aber Ahn Hete kam dann nach Deutschland, man machte mit uns Promo-Fotos, spielte noch zwei Gitarrensoli auf dem Album neu ein und dann ging es auch schon darum, welchen Song wir als Single veröffentlichen wollten. Wir wählten eine Ballade, und zwar "Daydream" und als zweite Nummer ein Cover von "Owner of a lonely heart" von YES in unserer ProgMetal-Version. Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Wir stiegen in Seoul aus dem Flieger und standen plötzlich vor unserem eigenen, mit Plakaten beklebten Bandbus mit einer achtköpfigen Crew. Wir verstanden die Welt nicht mehr. Ein paar Tage später erfolgte noch eine Steigerung, denn da standen wir beim Seouler Metal-Fest mit SLAYER und SEPULTURA im Stadion. Das war alles völlig abgefahren, was wir da erlebten. Wir standen von früh bis spät im Hilton Hotel und führten Interviews, gaben vor unzähligen kreischenden weiblichen Fans Autogrammstunden, es war unfassbar. Wir stiegen sozusagen als Ossis in den Bus und kamen auf der anderen Seite als Stars wieder heraus.

011 20221020 1202907534… und in welchem dieser Momente wurdest Du zum Millionär?
(lacht) Millionär wurde ich höchstens in Sachen Erlebnisse und Emotionen. Ich möchte jetzt nicht bösartig werden, sondern ganz kurz und sachlich sagen, dass wir bis heute nie Geld gesehen haben. Unsere Anwälte, die wir deshalb kontaktierten, meinten nur, wir haben ohne Zweifel Recht und würden wahrscheinlich vor Gericht auch Recht bekommen. Aber vorher wären wir mit Sicherheit mehrfach pleite. Gerichtsstand war Seoul, wir hätten jedes Mal anreisen müssen… Die hätten uns alle gemacht. Immerhin haben wir Erfahrungen sammeln können, die vermutlich 99,9 Prozent aller Musiker niemals in ihrem Leben machen werden. Nach dem ersten Album zerschlug sich das sowieso alles, weil die Ansprüche, die man an uns stellte, die völlig falschen waren. Wir haben ProgMetal gemacht, waren aber mit der Crew unterwegs, die vorher mit Christina Aguilera und nach uns mit Usher zu tun hatten. Irgendwie hatte man an uns die Erwartung, dass wir ähnlich abräumen wie NSYNC, was aber niemals funktionieren konnte, weil wir ein gänzlich anderes Album am Start hatten. Wir schafften es immerhin auf Platz 4 der südkoreanischen Charts. Wenn man überschlägt, was die in dieser Zeit an Alben von uns verkauft haben müssen, dann komme ich auf 40.000 bis 45.000 Stück. Für ProgMetal-Verhältnisse wäre das natürlich damals wie heute eine gigantische Zahl gewesen.

Das ist eine interessante Geschichte, denn ich ging bisher davon aus, dass Ihr ein Demo zur BMG geschickt habt, die haben Euch daraufhin eingekauft und die Platte in Südkorea bekanntgemacht. Aber es war ja der umgekehrte Weg, denn Ihr seid über den Umweg Südkorea erst bekannt geworden.
Ich glaube auch, dass dieser klassische Weg mit dem Demo heute ein sehr seltener ist. Es ist vielmehr so, dass ungefähr 90 Prozent stattdessen über private Kontakte an ihre Plattenverträge kommen.

Wir haben ja hier bei Deutsche Mugge öfter Gespräche und Interviews mit jungen Musikern und daher weiß ich, dass es dieses Verschicken von Demos heute nicht mehr gibt. Aber zurück zu dem Album, welches 2001 erschien und den Titel "M.A.D." trug. Gibt es das noch, wird das noch aufgelegt?
Ja, es wurde tatsächlich wieder aufgelegt. Unser Label in Deutschland hat die Rechte daran erworben und hierzulande eine kleine Pressung davon aufgelegt. Allerdings war der Hype um uns mittlerweile verflogen. Bei mir kann man das Album definitiv noch erhalten, ich habe noch ein paar Stück davon. Dazu kommt, dass ich TOXIC SMILE seit 2018 auf Eis gelegt habe, so dass ich glaube, die Nachfrage nach dem Album wird sich in Grenzen halten.

Ihr habt dann noch einige Jahre fleißig weitergemacht, auch noch ein paar Platten aufgenommen, aber 2018, du hast es eben angesprochen, TOXIC SMILE… ja, was eigentlich? Aufgelöst? Oder pausiert die Band derzeit?
Ich will es mal so ausdrücken: die Wahrscheinlichkeit, dass wir zurückkehren, ist nicht allzu hoch. Aber komplett ausschließen wollten wir es auch nicht, deshalb entschieden wir uns, die Band vorläufig auf Eis zu legen. Dabei war unser nächstes Album schon fast fertig geschrieben, aber es war abzusehen, dass das alles nicht mehr zu schaffen war. Schon die letzten beiden Alben haben wir auf besondere Weise aufgenommen. Wir haben uns für eine Woche getroffen und in dieser Zeit nur gejammt und an den Songs gearbeitet. Unmittelbar danach ging dann die Rhythmusfraktion ins Studio und nahm ihre Parts auf. Der Rest wurde dann bei mir im Studio eingespielt. Dasselbe passierte dann ein halbes Jahr später nochmal für die zweite Hälfte des Albums. Auf diese Weise entstanden diese beiden Alben, weil wir es einfach nicht mehr hinbekommen haben, uns regelmäßig zu Probeterminen zusammenzufinden. Das hat also alles nicht mehr funktioniert. Zumal die Nachfrage nach den Alben ohnehin sehr überschaubar war und wir kaum mal die Möglichkeit bekamen, live zu spielen. Wir wissen ja alle, wie der Markt für anspruchsvolle Rockbands aussieht. Es gibt zwar weltweit eine sehr dankbare Klientel für diese Art Musik, aber die nun irgendwie zu vereinen oder wenigstens darauf aufmerksam zu machen, dass es ein neues Album gibt, das ist ohne eine gute Agentur oder ein Management kaum möglich. Spätestens hier mussten wir uns immer wieder die Frage stellen, ob das Ganze überhaupt noch Sinn macht. Es tut mir bis heute wirklich weh, denn TOXIC SMILE ist logischerweise die Band, an der mein Herzblut am meisten hängt.


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Foto: Bodo Kubatzki


Jetzt hast Du mir meine nächste Frage schon beantwortet. Ich wollte nämlich fragen, wie es sich anfühlt, wenn die erste eigene Band, noch dazu mit dieser Geschichte im Hintergrund, quasi einfach beerdigt wird.
Das ist wirklich kein schönes Gefühl. Es geht ja damit auch eine Ära zu Ende. Andererseits verlangt die Vernunft irgendwann, dass man ein Projekt, in welches man nur noch kostbare Zeit investiert, aber nur wenig Ertrag rausholt, vielleicht eines Tages dann doch beerdigt. Das tut weh, aber es hilft ja nichts.

Die Musik, die Du machst, ist ziemlich abwechslungsreich und tiefschürfend. Es ist eine wertige Musik, keine Frage. Und selbst wenn die Festivals voll sind mit Leuten, die sich für ProgRock interessieren, so hat diese Stilrichtung medial gesehen keine Chance. Glaubst Du, dass sich das irgendwann mal ändern wird? Und wenn ja, wie kann man das ankurbeln?
Es gibt eine ganz minimale Hoffnung, die ich schon seit vielen Jahren mit mir herumtrage. Und zwar hoffe ich, dass die Menschen irgendwann überdrüssig sind, sich diese völlig austauschbare Mainstream-Mugge reinzuziehen. Es klingt alles gleich. Wenn ich das Radio einschalte und einen beliebigen Song höre, überlege ich doch sofort, ob ich den nicht gerade schon mal gehört habe. Aber ich fürchte, dass sich diese Hoffnung als unberechtigt erweisen und das Niveau stattdessen immer weiter sinken wird. Musik an sich wird immer unbedeutender, somit sinkt auch der Wert der Musik. Das führt dazu, dass solche speziellen Richtungen wie ProgRock, Jazz usw. zu absoluten Spartenrubriken degradiert werden, die größtenteils nur noch von denen gehört werden, die diese Musik auch machen. Das sind wahrlich keine guten Aussichten. Aber was bleibt einem denn übrig, wenn es aus einem raus will? Man macht halt weiter. TOXIC SMILE war ja eher im ProgMetal-Bereich angesiedelt, was ich jetzt teilweise mit SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR weiterführe. Wenn ich dann aber ein Projekt habe wie jetzt mit Manuel, was schon fast in den Pop-Bereich drängt, dann macht mir das genauso viel Spaß. Man muss sich eine gewisse musikalische Vielfalt erhalten, darf aber nie die Hoffnung verlieren, dass seine eigentlich favorisierte Nische eines Tages doch noch ein paar mehr Leute erreicht.

Jetzt haben wir Dich als sehr sympathischen Menschen kennengelernt, der überhaupt kein böses Blut verbreitet. Aber nichtsdestrotz stelle ich Dir die Frage, ob Du diese Typen, die sich in den Top 10 der Singlecharts tummeln, überhaupt ernst nehmen kannst? Sind das für Dich Musikerkollegen oder einfach nur Industriearbeiter?
Das ist unterschiedlich. Ich wehre mich dagegen, alle über einen Kamm zu scheren, denn es gibt da durchaus hervorragende Leute. Es gab da beispielsweise mal eine Sendung von Jan Böhmermann, die hieß, so glaube ich, "Eier aus Stahl". Da hinterfragte der Böhmermann diese ganzen Schlagwörter, die in den heutigen Songs stattfinden und verwendet werden und stellte heraus, dass sich die Musikindustrie eigentlich ganz clever hinter den ganzen Schönlingen, die auf der Bühne stehen, versteckt. Max Giesinger wurde in dem Zusammenhang von Böhmermann gefragt, wie er denn seine Songs schreibt und der erklärte mit blumigen Worten, dass das natürlich nur funktioniert, wenn es aus einem herauskommt und wenn man selber dazu steht. Auf die nächste Frage, ob er die Songs alle selber schreibt, antworte Giesinger, das macht er zusammen mit einem Kumpel. Am Ende waren es dann acht Kumpels und komischerweise waren das genau die acht Kumpels, die auch die Songs für Tim Bendzko oder Mark Foster fabrizieren. Das ist ein regelrechtes Kombinat, welches wie am Fließband diese ganze aktuelle deutsche Musik schreibt und produziert. Das soll nicht heißen, dass das nichts taugt, aber irgendwie wird hier alles einer kompletten Industrie untergeordnet. Sicher können die alle gut singen und spielen vermutlich auch alle ein Instrument, aber hier geht jegliche Kreativität verloren. Man dient sich stattdessen dieser Industrie an und das finde ich echt traurig. Währenddessen ist ein Clueso, mit dem ich schon zusammengespielt habe, ganz anders aufgestellt und in die Szene reingewachsen, obwohl er sich ja im groben Sinne ebenfalls in dieser Musikrichtung bewegt. Dafür bewundere ich ihn wirklich. Das muss man erstmal hinbekommen, sich von dieser Industrie loszusagen, sein eigenes Label zu gründen und trotzdem kommerziell erfolgreich zu sein. Davor habe ich echten Respekt und viel mehr Achtung als vor dieser ewig gleich klingenden Deutschpop-Szene. Und über Schlager brauchen wir diesbezüglich gar nicht erst reden. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber so sehr ich die Talente einer Helene Fischer würdige und schätze, umso trauriger finde ich, was da bei ihr in musikalischer Hinsicht abgeht.


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Foto: Levin Staudte


Ich persönlich habe gar nichts gegen Schlager, aber wenn ich den heutigen Schlager mit dem der 80er Jahre vergleiche, gibt es da gewaltige qualitative Unterschiede. Früher standen wenigstens noch verschiedene Bands dahinter, die im Studio standen und für jeden Künstler einen anderen Sound entwickelt haben. Heute gibt es nur noch Produzenten, die sitzen am Mischpult und mischen ein und denselben Sound zurecht.
Ein positives Beispiel in dieser Hinsicht war z.B. Udo Jürgens. Man kann wie er großartige Schlager schreiben und entsprechend arrangieren, auch wenn es nicht meine Musik ist. Aber in seinem Fall habe ich größte Hochachtung davor, denn da steckt wirklich eine Leistung dahinter. Bei Helene Fischer bringt halt ausschließlich die Person den Erfolg. Sie ist unglaublich talentiert, kann tanzen, kann moderieren, sie hat eine wahnsinnig gute Stimme, aber auf welche Art und mit welcher Musik da Geld verdient wird, das stößt mich ab und tut mir in der Seele weh.

Aber damit schließt sich doch wieder der Kreis, denn so lange der Zuschauer und Hörer das nicht merkt, wird sich daran nichts ändern und die richtig guten Sachen bleiben in der Versenkung.
Das ist leider so. Und das Niveau der Zuschauer und der Zuhörer sinkt immer weiter, je mehr man sie damit berieselt. Es soll jetzt meine eigene Arbeit nicht hochjubeln, aber es ist ja durchaus messbar, wie viele Akkorde stattfinden, wie die Songs strukturiert werden, wie viel Zeit man in die Arrangements steckt. Das ist die eigentlich traurige Entwicklung in meinen Augen, weil damit Subkulturen aussterben und auf der anderen Seite solche Sachen wie Streaming und vor allem der Umgang mit dem Streaming gepuscht werden. Ich erinnere nur daran, dass wenigstens die ersten zehn Sekunden des Titels gespielt werden müssen, damit der Song gezählt wird. Abgerechnet wird beim Streaming pro Song, aber damit sich ein Lied überhaupt halbwegs rechnen kann, muss er mit dem Refrain beginnen, um die Leute über die ersten zehn Sekunden zu bringen. Und wenn der Song länger als zweieinhalb Minuten ist, gilt das auch schon als Mist, denn stattdessen könnte man ja schon den nächsten hören und damit Geld reinholen. Auf diesem Wege, mit diesen Bedingungen entfernen wir uns komplett davon, wofür man eigentlich Musik schreibt.

Bevor wir gleich eine Hand voll Antidepressiva zu uns nehmen müssen, lass uns lieber wieder über vernünftige Musik reden. Du bist ja dann 2010 zur STERN COMBO MEISSEN gekommen. Wie kam es denn dazu?
Das lief damals über Norbert Jäger. Und zwar hat Thoralf Koß, ein Musikjournalist und guter Freund von mir, vor langer Zeit mal ein Interview mit TOXIC SMILE geführt. Das war in der Anfangszeit der Band. Wir haben uns dadurch angefreundet und sind danach immer im Kontakt geblieben. Später schrieb er eine Story über SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR und ihr Konzeptalbum über religiösen Fanatismus. In dieser Zeit arbeitete ich mit Thoralf eng zusammen. Und fast zur selben Zeit hatte er Norbert Jäger interviewt und sich mit diesem ebenfalls angefreundet. Irgendwann meinte Thoralf mal zu mir, ich könne ja mal mitkommen, wenn er Norbert Jäger das nächste Mal besucht. Und so schlug ich eines Tages ehrfürchtig bei Norbert auf. Wir kamen auf Anhieb miteinander klar und verstanden uns prima. Norbert wirkte in der Folge auf einem TOXIC SMILE-Album mit und wir gaben sogar gemeinsame Konzerte. Als dann bei der STERN-COMBO einige Besetzungswechsel anstanden und zuerst der Part des Sängers neu besetzt werden musste, erinnerte Norbert sich an Larry B. als TOXIC SMILE-Sänger. Kurz danach mussten auch Bass und Keyboard neu besetzt werden und so wurden wir eben angerufen. Aber es war schon eine surreale Situation, als plötzlich Thomas Kurzhals am Telefon war und uns fragte, ob wir Interesse hätten, bei der STERN-COMBO mitzumachen. Du kannst mir glauben, das war eines dieser Telefonate, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst.


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Stern-Combo Meißen 2010 (Pressefoto)


Jetzt bist Du also in eine Band gekommen, in der unter anderem der besagte Thomas Kurzhals spielt, der ja für diese ganzen Adaptionen verantwortlich war, der auch sonst eine Menge komponiert hat und der quasi eine Zeit lang DIE COMBO war. Nun kommst Du als frischer junger Mann dazu und bringst jede Menge eigene Ideen mit. Wie hat das funktioniert?
Ich will das gar nicht unbedingt bis ins Detail ausschmücken. Am Anfang haben wir uns wirklich gut verstanden und haben auch gut miteinander harmoniert und gearbeitet. Da ging es aber auch meistens um die Nachlassverwaltung, es musste also geklärt werden, was wird weiterhin live gespielt, was ist vielleicht mal mit einem Saxophon machbar und solche Sachen. Die kreative Arbeit war hingegen schon schwieriger, weil ich zum damaligen Zeitpunkt die Vorstellung hatte, die Band in Richtung der STERN-COMBO und ihrer alten Werke lenken zu wollen und davon auch ein bisschen was auf dem Album unterbringen wollte. Thomas hatte sich aber zwischenzeitlich komplett verändert, er meinte nämlich, man müsse mit der Zeit gehen und lieber kurze, knackige Sachen mit eingängigen Melodien aufnehmen. Aus meiner Wahrnehmung reichte dadurch vieles von den neuen Stücken bis in den Schlagerbereich rein, was für mich nur schwer zu verdauen war. Derselbe Thomas Kurzhals, der diese wirklich großartigen Werke geschrieben hatte, wollte plötzlich ganz woanders hin. Das waren für mich einige der Gründe, weshalb am zum Schluss nicht mehr so reibungslos funktioniert hat. Auf der einen Seite hatte sich die musikalische Ausrichtung der Band total verschoben, nach außen hin wirkte es aber so, als hätten die "Neuen" das Album so rigoros verändert, dass es fast schon poppig klang. Das war durchaus eine unangenehme Situation.

Unsere Redaktion hat diese Phase damals hautnah miterleben dürfen. Nun muss man zur Ehrenrettung von Thomas Kurzhals sagen, dass seinerzeit noch Norbert Kaiser als Lieferant von neuen Texten im Hintergrund ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatte. Und jener Norbert Kaiser meinte damals nämlich, es müssen verschieden Dinge gangbar für das Publikum gemacht werden. In diese Richtung hat Thomas dann auch gearbeitet.
Ohne Frage, die Texte von Norbert Kaiser haben ja schon beizeiten eine Richtung vorgegeben, die ich vielleicht eher schon hinterfragt hätte. Da hätte man sich tatsächlich die Frage stellen können, ob man mit Hilfe dieser Texte wirklich eine bestimmte Gruppe von Fans ansprechen will. Man hat ja gesehen, wer vor der Bühne stand. Für mich war das immer schon eine Diskrepanz, unbedingt kommerzielle Songs zu schreiben und den großen Erfolg zu suchen, obwohl man doch eigentlich ein klar definiertes Publikum an seiner Seite hat. Das soll aber überhaupt kein Vorwurf sein. Auf jeden Fall hat aber unsere gemeinsame Zeit darunter gelitten. Thomas hatte bemerkt, dass ich immer wieder viele Ideen hatte und etwas beitragen wollte, aber an dieser Stelle war er dann wohl doch zu sehr Alphatier. Was man auch absolut verstehen kann, denn er war ja nun mal eine prägende Persönlichkeit innerhalb der Band und hat großartige Sachen geschrieben, vor denen ich auch heute noch auf die Knie gehe, wenn ich die höre. Von daher kann ich nachvollziehen, dass es für ihn ein schwieriges Arbeiten war, als da plötzlich jemand kam, der ebenfalls den Kopf voller Ideen hatte.

Aber ich glaube, das war bei dem Album nicht das einzige Problem, denn wenn man sich die "Lebensuhr" anhört, wirkt das aus heutiger Sicht, also rückwirkend betrachtet, wie ein musikalischer Hühnerhaufen. Es kommt mir vor, als hätten da mehrere Leute völlig entgegengesetzte Ideen, die sie in dem Album untergebracht haben. Es gibt keinen roten Faden, es wirkt alles komplett durcheinander. Und zu allem Überfluss kommt mittendrin das Lied von Reinhard Fißler, was in der Mitte des Albums wie ein totaler Fremdkörper wirkt.
Ja, ich hätte die Nummer von Reinhard auch lieber als Bonus gesehen. Genauso wenig verstehe ich den Song "Gelbe Elbe", da habe ich mich persönlich gefragt, ob eine solche Nummer unbedingt auf das Album gemusst hätte. Aber da gehen die Meinungen weit auseinander. Man muss jedoch dazu wissen, dass zu dem Zeitpunkt, als die Neuen in die Band kamen, bereits zwei Drittel des Albums fertig waren. Robert hat noch einen und ich 3 weitere neue Lieder beigesteuert. Die anderen Nummern haben wir nur noch teilweise bearbeitet, teilweise noch einmal neu eingespielt. Interessant ist ja, dass die meisten Lieder schon jahrelang in der Schublade lagen, denn dieses Album sollte ursprünglich schon 2009 kommen. Es wurden damals sogar schon T-Shirts mit der Ankündigung des neuen Albums gedruckt, aber als wir dann 2010 dazu stießen, waren viele Songs noch nicht einmal halb fertig. Deshalb tat es schon mächtig weh, immer wieder hören zu müssen, dass wir Neuen der Grund für die Verzögerung des Albums waren. Dabei haben gerade wir mit Hochdruck daran gearbeitet, dass die Platte endlich fertig wird und erscheinen kann. Also um es abzukürzen: ja, es gibt ein paar Nummern auf "Lebensuhr", auf die ich gut und gerne hätte verzichten können. Aber alles hat eben seine Zeit. Heute hätte ich mit Sicherheit ein anderes Selbstbewusstsein, damit umzugehen, während ich mich damals natürlich noch nicht getraut habe, den Mund aufzumachen.

Auf der anderen Seite war man doch sicherlich froh, nach 24 Jahren endlich wieder ein neues Album präsentieren zu können.
Richtig, das kam dazu, deshalb musste dieses Album auch irgendwann mal unter die Leute gebracht werden. In gewisser Weise war auch Martin froh, dass es wieder jemanden gab, der neue Vorschläge eingebracht hat. Und letztlich haben unsere vier neuen Songs ja dazu beigetragen, dass das Album fertiggestellt werden konnte. Trotz alledem hätte ich mir so ein Album wie das 2020 erschienene "Freiheit ist" eben schon damals gewünscht und vorgestellt. Deshalb bin ich froh, dass "Freiheit ist" am Ende dann doch noch genau das Album geworden ist, was wir eigentlich schon viele Jahre vorher machen wollten.


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Foto: Bodo Kubatzki


Ich vermute mal, "Freiheit ist" wird nicht das letzte STERN MEISSEN-Album gewesen sein, an dem Du beteiligt bist, oder?
Das ist natürlich schwer vorherzusehen. Das Album ist ja noch relativ frisch und in einer solchen Band ist die Arbeitsweise nicht so einfach. Man muss mal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Dann darf man nicht vergessen, der Tonträger-Markt hat sich sehr verändert. Bei der STERN-COMBO ist mittlerweile auch nur noch Martin Schreier aus der alten Riege dabei. Es gibt also dermaßen viele Unbekannte, dass man zur jetzigen Zeit noch nicht mit Bestimmtheit sagen kann, wie es weitergeht. Grundsätzlich gehe ich aber mal davon aus, dass es auch weiterhin Musik der Band geben wird. Und wenn man mich lässt, bin ich selbstverständlich auch gerne wieder dabei.

Wie geht es denn bei Dir weiter? Du hast das Projekt mit Manuel am Start, wo gerade das dazugehörige Album erschienen ist. Nun haben wir ja festgestellt, dass es bei Dir nicht dabei bleiben wird. Was liegt also sonst noch an?
Zum einen kommt ein neues SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR-Album. Auch hier gibt es eine extreme Verzögerung, denn das Album sollte bereits Anfang des Jahres erscheinen. Aber leider haben wir seit September 2021 auf die Texte gewartet. Jetzt sind die Texte fertig, so dass wir endlich an die Gesangs-Aufnahmen gehen können. Es sind wieder eine Menge Gastmusiker dabei, auch internationale, so dass ich frühestens Anfang bis Mitte nächsten Jahres mit der Fertigstellung rechne. Die neue CYRIL-Scheibe kam ja schon in diesem Jahr auf den Markt. Das für mich persönlich spannendste Projekt wird mein Solo-Album sein. Für das Art-Rock-Festival 2018 in Reichenbach durfte ich die Hymne schreiben und habe mir dank des Festivalorganisators Uwe Treitinger dafür viele Gäste geholt. Dieser Song kam damals richtig gut an und wurde auf den klassischen Art-Rock und Prog-Rock-Radiosendern immer wieder gespielt, so dass schon damals die Idee an mich herangetragen wurde, davon ein ganzes Album zu machen. Ich hatte einige Zweifel, fragte mich, wer sich so etwas denn anhören will, außerdem hatte und habe ich mit meinen Bands genug zu tun. Doch dann kam Corona. In dieser Zeit konnte ich eine Menge Ideen verwirklichen, viele neue Songs schreiben und dachte mir, jetzt habe ich gerade die Zeit dafür und auch genügend Songmaterial, also setzte ich mich hin und fing einfach an. Ich schrieb ein paar neue Songs, griff aber auch zwei ältere TOXIC SMILE-Lieder zurück, die ich ohnehin mal neu aufnehmen wollte. Einer der beiden ist bisher nur auf der Orchester-DVD drauf, und es wird der Longtrack unseres ersten TOXIC SMILE-Albums "M.A.D." dabei sein. Der Song heißt "Arirang". Den schrieb ich damals innerhalb einer Woche und er entstand unter totalem Stress, weil wir keine Zeit hatten, der Song aber unbedingt noch fertig werden musste. Ich finde schon immer, dass das ein klasse Song ist, aber es fehlte bisher einfach die Zeit, den mal richtig auszuarbeiten. Und nun wurde ich ein bisschen größenwahnsinnig. Ich habe zwar im Laufe der Jahre mit extrem vielen Leuten zusammengearbeitet aber entscheide jetzt für jeden Titel einzeln, wen ich gerne als Gast dabei hätte, unabhängig davon, ob ich sie persönlich kenne und ob ich sie überhaupt bezahlen kann. Zuerst bin ich an die Musiker und Freunde herangetreten, die ich schon kenne, habe aber dann auch Musiker angeschrieben, mit denen ich bisher noch keinen Kontakt hatte und hoffte darauf, dass sie das vorliegende Material gut finden und gegebenenfalls auch bezahlbar sind. Und wenn ich mir jetzt angucke, wen ich alles für dieses Album gewinnen konnte, gehe ich jeden Morgen vor Dankbarkeit in die Knie. Insgesamt sind es ca. 45 Musiker geworden, unter denen echte Größen zu finden sind. So hat zum Beispiel Derek Sherinian, der ehemalige Keyboarder von DREAM THEATER, ein Solo eingespielt. Des Weiteren ist Marco Minnemann dabei, der für mich zur Zeit weltbeste Drummer, ich konnte Adam Holzman gewinnen, der schon mit Miles Davis und in der Band von Steven Wilson gespielt hat.015 20221020 1394771431 Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, es sind so viele großartige Sänger, Bassisten, Gitarristen dabei. Mir fällt spontan noch Craig Blundell ein, ein Drummer, den man vielleicht auch kennt. Oder Sebastian Lanser von PANZER BALLET, ebenfalls ein toller Schlagzeuger. Ich vergesse immer wieder jemanden zu erwähnen, aber insgesamt ist es eine echt illustre Gesellschaft, zu der ich nur sagen kann: Wow!

Wann soll dieses Album auf den Markt kommen?
Ich bin gerade mit Martin Fankhänel, der auch hier wieder einen Großteil der Gitarren einspielt, in den letzten Zügen. Am Donnerstag kommt Manuel noch für einen Song vorbei, der auch ganz interessant klingt, denn der ist nur mit Saxophon, Flöten und Klarinette eingespielt, darüber liegt dann Manuels Stimme. Ich rechne damit, dass ich im November mit allen Aufnahmen durch bin, so dass die Songs anschließend zum Mixing gehen können.

Dann müssten wir uns also Anfang 2023 wieder unterhalten.
Das wäre sehr schön. Über dieses Album gibt es unglaublich viel zu erzählen.

Wir mussten ja schon dieses Mal ganz viele Dinge ausklammern, die Du gemacht hast, weil das Interview ansonsten noch zwei weitere Stunden gehen würde. Deshalb denke ich, dass wir uns zum Erscheinen des neuen Albums noch einmal zusammensetzen werden.
Einverstanden.

Hast Du noch ein paar abschließende Worte an unsere Leser?
Ich hoffe natürlich, dass die Leser es interessant finden, auch mal ein wenig hinter die Kulissen schauen zu können. Noch viel mehr hoffe ich, dass das Album gut bei den Leuten ankommt und dass sie es anerkennen, dass in diesen schwierigen Zeiten auch mal ein paar positive Vibes rüberkommen. Das würde ich mir wünschen. Und natürlich freue ich mich über jeden, der diese Art Musik verfolgt und vielleicht auch mal auf meine Homepage schaut oder mir auf facebook und Instagram folgt.



Interview: Christian Reder
Übertragung: Torsten Meyer
Fotos: Karla Kotzsch, Levin Staudte, Redaktion