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Interview vom 9. Mai 2020



CITY-Frontmann Toni Krahl stellt ihn bei Konzerten immer als den "General" vor, dabei hat Schlagzeuger Klaus Selmke so gar nichts militärisch Anmutendes an sich. Aber er sagt bei jedem Auftritt auch immer, dass der "General" Geburtstag habe, so dass auch hier eine kleine Übertreibung zu vermuten ist. Klaus ist Mitbegründer der Band CITY und hatte zusammen mit Fritz Puppel im Jahre 1971 die Idee dazu.001 20200520 1598005473 Seitdem ist er - mit einer kurzen Unterbrechung - dabei und hat mit den Kollegen so ziemlich alle Höhen und Tiefen, die eine Rockband durchlaufen kann, hautnah miterlebt. Hits im Ausland, Hits im Inland, Konzerte vor zig Tausend Leuten, große und kleine Streitereien, "geheime" Produktionen im Studio, personelle Wechsel und nicht zu vergessen, die für alle Künstler aus der ehemaligen DDR zu tiefen Einschnitten führende Wende im Land. Zuletzt war er gesundheitlich angeschlagen, so dass er bei einer Hand voll Konzerte am Schlagzeug vertreten werden musste. Nun meldete er sich vor ein paar Tagen aber mit einem Video unter der Überschrift "Klaus allein zu Haus'" zurück, mit dem er sich mit seinen Band-Kollegen - jeder für sich und aus den eigenen vier Wänden - in der Corona-Zwangspause bei den Fans meldete und ein Lebenszeichen funkte. Die Corona-Zwangspause haben Klaus und wir ebenfalls dafür genutzt, mal ein paar Haltestellen seiner Karriere-Route abzufahren und zu schauen, was er schon so alles mit und bei CITY erlebt hat. Unser Kollege Christian traf sich mit dem "General" und die beiden plauderten ganz entspannt über ein äußerst beeindruckendes Musikerleben, das auch abseits der Trommelschläge Spannendes zu bieten hat ...




Immer wenn man Dir auf einem Konzert begegnet, hast Du Geburtstag. Zu Deinen laut Ausweis bereits erlebten 70 Lenzen kommen inzwischen ja noch einige dazu. Hat sich damit schon ein Team von Wissenschaftlern beschäftigt, um herauszufinden, wie alt Du nach all diesen zusätzlichen Geburtstagen inzwischen wirklich bist?
Also damit sind Wissenschaftler überfordert. Aber ich sage es mal so: Wir sind jetzt seit 48 Jahren auf Tour. Wenn man einen Durchschnitt von einhundert Auftritten pro Jahr nimmt, früher waren es sogar jedes Jahr an die zweihundert Gigs, in den letzten Jahren wohl etwas weniger, dann bin ich ungefähr viertausend Jahre alt.

Also quasi der Methusalem unter den Schlagzeugern.
Ja, das ist wohl so.

Ist dieses Ritual tatsächlich daraus entstanden, dass Ihr Euch in den 70ern mit CITY bei den Veranstaltern so freie Getränke und was zu Futtern "erschlichen" habt?
Ende der 70er durften wir ja schon die Mauer durchqueren. Und damals fanden die Konzerte in riesigen Diskotheken statt, die an den Rändern der Städte lagen. Das war beispielsweise in Bremen, Osnabrück oder Hamburg der Fall. Dort gab es - im Gegensatz zu Konzerten im Osten - üblicherweise ein Standard-Catering, zu dem eine Flasche Whisky gehörte. Toni Krahl hatte dann irgendwann mal die Eingebung, dem Veranstalter zu sagen: "Klaus hat Geburtstag". Er hatte nie gesagt: "Klaus hat HEUTE Geburtstag", sondern einfach nur "Klaus hat Geburtstag". Daraufhin ließ der Veranstalter sich natürlich nicht lumpen und legte nach. Nun liegt es ja in der Natur des Menschen, was einmal geklappt hat, immer wieder zu probieren. Dadurch hatten wir die kuriosesten Erlebnisse, denn die Leute wussten ja nicht, was dahintersteckte. Wir spielten zum Beispiel sehr oft im Norden der Bundesrepublik und hatten dabei meistens Hamburg als Ausgangspunkt. Da schliefen wir in der Regel in einem preisgünstigen Hotel auf der Reeperbahn und fuhren von dort zu unseren Muggen. Als wir nun in der "Fabrik" in Hamburg spielten und der Chef dort mitbekam, dass ich Geburtstag habe, flitzte der extra los, um Champagner und solches Zeug zu besorgen. Manchmal wurde das schon regelrecht peinlich. Aber da mussten wir durch. Es ist also alles richtig an dem Mythos. Und der Grund war, dass die Veranstalter zu wenig hinter der Bühne hinterlegt hatten. Ich selber trank ja damals noch gar nicht, fing dann irgendwann später mit Bier an. An harte Sachen ging ich aber niemals ran.

Du warst in den 60ern, als die Beatwelle aufkam und einmal über den Globus schwappte, ein Teenager. War diese Welle mit Bands wie Beatles und Stones auch bei Dir der Auslöser dafür, Musiker werden zu wollen?
Als es Mitte der 60er Jahre mit dem Rock'n'Roll losging, war ich fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Mich interessierte das aber zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht.

Wer waren damals Deine Favoriten? Die Pilzköpfe oder die Jagger-Truppe?
Wie gesagt, es ging bei mir alles später los. Das Musikvirus packte mich erst im Herbst 1967. Nun muss man wissen, ich bin eigentlich Elektroniker durch und durch. Bis heute. Ich habe schon als Zehnjähriger Dinge entworfen und habe mit zwölf mein erstes Radio gebaut. Für mich gab es wirklich von früh bis spät nur Elektronik. Alles andere, auch die Musik, kam in meiner Kindheit und meiner gesamten Schulzeit überhaupt nicht vor. Bei einem Ernteeinsatz 1967 traf ich dann auf zwei Jungs, von denen der eine Gitarre spielte und der andere ein kleines Schlagzeug mit hatte. Und das, was der Schlagzeuger da machte, faszinierte mich auf Anhieb! Das Virus Musik hatte mich also gepackt, ich wollte das Schlagzeugspielen unbedingt lernen. Deine Frage nach den STONES oder BEATLES kann ich mit einer Neigung zu den Stones beantworten, die waren für mich einfach etwas frecher. Vor allem mochte ich aber THE WHO, die richtig verrückt waren. Natürlich war ich noch ganz weit weg vom Können dieser Musiker, aber man hat es sich dennoch interessiert angehört und angeschaut. In meiner Kindheit wohnte ich in Berlin-Adlershof, wo dann auf dem Marktplatz immer mal kleine Bands auftraten, die die BEATLES und ähnliches nachspielten, was uns faszinierte und wo wir immer zusahen. Es ging dann auch los mit DAVE DEE, DOZY, BEAKY, MICK & TICH, die ebenfalls so richtig abgingen. Meine Mutter nähte mir Hosen aus Kordsamt mit tausend Taschen und weitem Schlag, was ein Zeichen dafür war, dass es nun für mich mit der Musik losging.

Also gab bei Dir eher die Begegnung mit Livebands den Ausschlag für Dein Interesse an der Musik als die Bands aus UK?
Ja, ich denke schon. Zumal ich mich ja wirklich vorher nie für Musik interessierte. Es gab damals im Osten in den 60zigern ein kleines Transistorradio, das sogenannte "Sternchen" vom VEB Sternradio, was aber für einen Schüler normalerweise unerschwinglich war. Da ich aber nun schon ein paar Jahre Erfahrungen mit Elektronik, mit Schaltungen und all so was hatte, baute ich mir so ein Radio selber. In den sogenannten Bastelläden gab es die Einzelteile zu kaufen und mein Radio war am Ende vom original nicht mehr zu unterscheiden. Als ich das Teil dann zum ersten Mal einschaltete, lief da zwar irgendwelche Musik, aber wie gesagt, interessierte mich das nicht die Bohne.

Du sagtest eben, 1967 ging Dein Interesse an der Musik los. Wann hast Du angefangen Schlagzeug zu spielen und wie bist Du zu diesem Instrument gekommen?
Also im Herbst 1967 gab es diesen erwähnten Ernteeinsatz in den Kartoffeln. Das war okay, denn man konnte sein Lehrlingsgeld aufbessern. Abends saß man dann am Lagerfeuer und hörte diesen beiden Jungs zu, von denen der eine eine echte Elektrogitarre samt Verstärker hatte und der andere eine Snare, Hihat und Becken. Das begeisterte mich. Im Keller meiner elterlichen Wohnung richtete ich mir dann so im Oktober/November desselben Jahres eine kleine Ecke ein, stellte mir einen alten Stuhl schräg hin und konnte dann auf der Stuhllehne die HiHat nachmachen. Das Kissen diente mir als Trommel. Da mein selbstgebautes Radio ziemlich leise war, baute ich mir noch einen Verstärker dazu und begann von da an gezielt Musik zu hören und diese nachzuspielen. Ich hatte seinerzeit in der Schule drei Freunde, Detlef, Rainer und Norbert, die schon eine kleine eigene Band hatten. Die fragten mich, ob ich bei ihnen mitmachen wollte. Also fingen wir an zu proben und fingen an, die BEE GEES nachzuspielen, da Norbert ganz gut singen konnte.

Wo hattest Du denn Dein erstes richtiges Schlagzeug her, wie bist Du da rangekommen?
Na ja, zuerst habe ich ja nur rhythmisch geübt. Das war ganz wichtig, denn um zu testen, ob ich überhaupt in der Lage bin, den Rhythmus zu fühlen und zu halten, brauche ich mir nicht gleich ein ganzes Schlagzeug zu kaufen. Diesen Fehler machen nämlich viele. Man kann auch einfach nur an einem Tisch sitzen und üben. Wenn man dann das Gefühl hat, es macht mir Spaß und klappt ganz gut mit dem Rhythmus, kann man über ein eigenes Schlagzeug nachdenken. Wir hatten damals eine Zeitschrift namens "Wochenpost", da standen im hinteren Teil Anzeigen drin. Und da hatte einer für 50 DDR-Mark ein zusammengewürfeltes Schlagzeug verkauft. Ich habe das Ding gekauft, erstmal auseinandergebaut, gereinigt und neu angestrichen. Ich habe ja sowieso jedes Gerät, welches ich in meinem Leben gekauft habe, immer erstmal nach meinen Vorstellungen umgebaut. Das mit diesem Schlagzeug passierte im Dezember 1967.

Wir reden ja die ganze Zeit über Dich als Schüler und Teenager. Hast Du nach der Schule noch einen "richtigen" Beruf erlernt und womöglich darin auch gearbeitet, oder war sofort die Musik da?
Wie schon mehrmals erwähnt, war ich fasziniert von der Elektronik. Ich kann bis heute im Schnellverfahren jede Schaltung lesen. Die Schule selber interessierte mich nicht sonderlich, fiel mir aber relativ leicht. Nach der 10. Klasse wollte ich dann Fernsehmechaniker werden, aber da kam man nur mit Beziehungen ran. Also drängelte ich meine Mutter, damit sie sich kümmert. Es gab damals in Adlershof das Kabelwerk Adlershof, das als Ausbildungsberuf unter anderem "Elektromechaniker" auf der Liste hatten. Ich hatte Glück und bekam den Ausbildungsplatz, musste statt der üblichen drei Jahre auch nur zweieinhalb Jahre lernen. Parallel dazu ging ich aber auf die Abendschule, um dort mein Abitur zu machen, weil ich eventuell Elektronik studieren wollte.

Kannst Du Dich noch an Deinen ersten öffentlichen Auftritt als Drummer erinnern? Wann und wo war das?
Der erste öffentliche Auftritt war mit der nach bzw. während der Schulzeit entstandenen schon erwähnten Band. Die hatte den Namen BANG CLUB in Anlehnung an die sehr populäre Sendung Beat Club. Wir hatten bereits eigene Instrumente und Verstärker, und spielten Anfang 1969 zu Frauentagsfeiern und Firmenfesten in den Fabriken meiner Freunde unsere ersten Gigs. Aber das war alles inoffiziell und nicht öffentlich, aber immerhin vor Publikum. Unser erster öffentlicher Auftritt mit BANG CLUB war dann im Artur Becker Club in Köpenick, so Ende Juli 70, später auch dort mit CITY. Mein erster professioneller Auftritt fand dann im Herbst 1970 statt.

Mit der gleichen Kapelle?
Nein. Ich habe gleich nach dem Ende meiner Lehrzeit im Kabelwerk gekündigt und eine Stelle als Kamera-Assistent beim DDR-Fernsehen in Adlershof angenommen. Die Kamera selber konnte ja damals an sich nichts weiter machen als scharfstellen und der Kameramann gibt über Kopfhörer die Anweisungen wie "nach oben, nach links, nach rechts". Aber solche Sachen wie das Einmessen, den Weißabgleich, leichte Reparaturen oder bestimmte technische Bedienungssachen werden vom Kamera-Assistenten in anderen Räumen erledigt. Das war für mich ein Traumjob. Im Herbst 1970 hatte ich das Glück, durch meinen Bruder, der mich empfohlen hatte, in eine Band mit dem Namen TEAM 66 zu kommen, die schon relativ viel Auftritte hatte. Nun durfte man damals allerdings nur Musik machen, wenn man einen Abschluss hatte, also ein Staatsexamen oder ein Spezialstudium. Ansonsten durfte man nur nebenbei als Musiker arbeiten, weshalb viele Musiker früher irgendwelche Alibijobs gemacht hatten. Wir hatten aber schon den Titel "Ausgezeichnetes Tanzorchester der DDR" und konnten demzufolge richtige Auftritte spielen. Wir bekamen pro Auftritt jeder 50 Ostmark, was viel Geld war, denn als Kamera-Assistent oder Verkäuferin hattest Du gerade mal 350 Mark im Monat in der Tasche. Wenn Du also fünf bis sechs Muggen im Monat spielen konntest, kamst Du in etwa auf dasselbe Geld. Das war natürlich ein guter Zuverdienst und ermöglichte die eine oder andere Investition zum Beispiel in Musikequipment, was aber exorbitant teuer war, weil alles aus dem Westen kam. Im Juli 1970 kündigte ich den Job als Kamera Assistent und begann meine Ausbildung als Musiker, was an der angesagten Musikschule Friedrichshain gut ging, weil an einem Tag die Praktische- und an einem anderen Tag die Theoretische Ausbildung stattfand. Die Zeit bei Team 66 ging bis in den August 1971, da löste sich die Band auf. Im August 1970 lernte ich eine zehn Jahre ältere Frau kennen, deren Ex-Mann ein sehr bekannter Radio-Journalist war. Über diese Beziehungen bekam ich einen Job als Musikredakteur beim Rundfunk und hatte wieder eine gute Einnahmequelle. Ich war zum damaligen Zeitpunkt der jüngste Musikredakteur, den der DDR-Rundfunk hatte. Natürlich versuchte man, mich mittels Sprach- und Politschulungen ins Gefüge einzupassen, woraufhin ich dann aber 1972 wieder die Reißleine gezogen habe, natürlich auch wegen der CITY Band Gründung. Und dann kam im September 1971 Fritz Puppel, der ab und zu als Gitarrist bei TEAM 66 spielte, zu mir in die Radaktion und fragte mich, ob ich Interesse hätte, mit ihm eine Band aufzumachen. Das war quasi der Beginn von CITY. Wir mussten zunächst natürlich Musiker suchen. Fritz hatte da beispielsweise einen Freund, Ingo Döring, der Chemiker war und Bass spielte. Damit war der Anfang getan. Es gab außerdem noch den Keyboarder von TEAM 66, der zwar nicht besonders toll war in seinem Spiel, der andererseits aber noch die wichtige Verträge von TEAM 66 hatte, aber vor allem auch ein Auto mit Anhänger. Wenn man eine Band gründet, braucht man nämlich zwei Dinge: eine Anlage, damit Du überhaupt gehört wirst und Du brauchst ein Transportmittel, um diese Anlage zu den Konzerten zu transportieren. Und nicht zu vergessen, man braucht auch Muggen. Was nutzt es einer Band, wenn sie nur für ein oder zwei Gigs im Jahr gebucht wird? All diese Dinge brachte der Klaus Witte mit, weshalb wir ihn für etwa ein Jahr in der Band behielten und uns dann von ihm trennten, weil wir es inzwischen selber ganz gut im Griff hatten.

Jetzt sind wir schon mitten im Jahr 1972, als CITY gegründet wurde ...
Na ja, wir begannen bereits im Oktober 1971 mit den Proben. Irgendwann einmal musste jeder auf einem Zettel notieren, welche Namensvorschläge er für unsere Band einbringt. Von unserem Bassisten Ingo Döring kam dann der entscheidende Input. Ingo schlug vor, dass wir uns CITY nennen. Das kann sich jeder gut merken, das Wort gibt es überall auf der Welt, CITY steht für Hektik und Betriebsamkeit, da ist also immer was los. Und so nannten wir uns zur Gründung CITY BAND BERLIN. Der Zusatz "Berlin" war im Osten wichtig, denn wenn etwas aus Berlin kam, musste es schon mal gut sein. Am 5. Februar hatten wir dann im ABC-Club den ersten öffentlichen Auftritt mit der CITY BAND.

Fritz und Du waren also die Gründer der Band und Ihr wolltet Rockmusik machen. War das die eigentliche Idee hinter der Gründung von CITY oder hattet Ihr darüber hinaus noch höhere Ziele?
Das Hauptziel war natürlich, überhaupt Musik zu machen. Anfangs beschränkte sich das auf das Querbeet-Nachspielen bekannter Songs und Gruppen. Wir hatten mit Frank Pfeiffer einen Sänger, der optisch eine Wucht war und aussah wie Mick Jagger und sich wie verrückt verkaufen konnte. Allerdings konnte der weder richtig singen noch konnte er Englisch. Er sang also immer irgendwelchen Kauderwelsch, was aber niemanden wirklich interessierte. Und durch diese ganze Euphorie, die er mit seinen Auftritten im Saal erzeugte, tat er dann so, als würde er nach den Auftritten mit uns, seinen Bandkollegen, auf Englisch reden. Das war schon ziemlich abgefahren. Das waren also unsere ersten zwei Jahre, die wir zum Sammeln von Erfahrungen nutzten. Dann kam jedoch der Punkt, an dem Fritz und ich uns sagten, wir wollen nicht bis in alle Ewigkeit Fälschungen von Rembrandt-Bildern abliefern, sondern wir wollen künftig eigenes Material erschaffen. Dazu war unser bisheriger Sänger nicht zu gebrauchen, denn der konnte nur nachsingen. Und auch unser Bassist Ingo Döring passte nicht mehr so recht ins Gefüge. Er war ja Diplom-Chemiker, hatte beruflich gut zu tun und wollte lediglich an den Wochenenden mit der Musik etwas Spaß in sein Leben bringen. Also trennten wir uns auch von ihm. Das war gegen Ende 1973. Nachdem wir bis dahin schon ein paar Instrumentalstücke geschrieben hatten, begannen wir ab 1974, uns ernsthaft mit dem Schreiben eigener Songs zu befassen.

Wie ging es dann weiter?
Fritz war zu dem Zeitpunkt bereits mit seinem Gitarren-Studium fertig und war jetzt als Lehrer an der Musikschule Friedrichshain tätig. Über 90% aller bekannten DDR-Musiker haben diese Spezialschule für Tanz- und Unterhaltungsmusik in Friedrichshain besucht. Das war eine ganz hervorragende Einrichtung. Vor allem fiel dort dieser ganze Polit-Scheiß weg. Man hatte nur an zwei Tagen pro Woche praktischen Unterricht und Theorie und konnte an den Wochenenden seine Konzerte spielen. Natürlich gab es aber auch immer mal Prüfungen, das gehörte dazu. Ich hatte das Glück, einen sehr guten Lehrer zu haben, und zwar den Solo-Pauker der Staatsoper. Als ich bei ihm vorspielte, meinte er zu mir, ich wäre talentiert, aber was man heute so spielt, könne er mir nicht beibringen. Aber er kann mich in den klassischen Techniken unterrichten und mich das Notenlesen lehren, was mir am Ende für alle Stilrichtungen nützen wird, die ich später spielen werde. Und genauso war es auch, wofür ich ihm heute noch dankbar bin. Fritz war, wie gesagt, inzwischen dort als Gitarrenlehrer angestellt und hatte einen Sänger zu unterrichten, der als Nebenfach Gitarre lernte. Das war Emil Bogdanow. Nun brauchten wir aber auch noch einen Bassisten. Und Emil kannte gerade jemanden, der frei war. Ein Bulgare namens Georgi Gogow. Wir vier trafen uns und erspielten uns in unserem Proberaum in Adlershof die nötigen Dinge, um festzustellen, es klappt ganz gut mit uns.

Der Sänger Emil Bogdanow war bei CITY ja eigentlich nur ein kurzes Intermezzo, denn er war nur ein knappes Jahr dabei und wurde dann durch Toni Krahl ersetzt.
Ja, das stimmt, Emil blieb nur etwas länger als ein Jahr bei CITY. Ich glaube, bis Mai 1975. Er war ja auch schon 25 oder 26. Da Emil immer noch bulgarischer Staatsbürger war, musste er dem Ruf folgen, in Bulgarien seinen Wehrdienst abzuleisten. Da kannten die keine Gnade und keine Ausreden. Dazu musste er nach Sofia fahren. Die Route führte damals noch über Jugoslawien, wo er einfach ausstieg und mit dem Zug nach Schweden flüchtete. Wir erfuhren das erst vier Wochen später und auch nur rein zufällig. Ich wohnte nur ein paar Straßen von Emil entfernt und ging ab und zu mal bei ihm vorbei, um zu hören, ob es Neuigkeiten von ihm gab. Eines Tages war ich mal wieder bei ihm, seine Frau war noch arbeiten. Es juckte mich in den Fingern und ich öffnete seinen Briefkasten, wo ein Brief an seine Frau drin lag. Kriminellerweise nahm ich den Brief mit, öffnete ihn über Dampf und konnte lesen, dass er gut in Schweden angekommen sei, brachte aber den Brief wieder zurück, damit seine Frau ja auch Bescheid wissen sollte. Es war also alles schon geplant. Emil hat aber nie wieder, auch später nicht, in irgendeiner Form Kontakt zu uns aufgenommen. Erst nach der Wende gab es kurz mal einen Kontakt. Das fanden wir irgendwie befremdlich, denn wir mussten ja als Band Planungen anstellen.

Hatte seine Flucht denn für Euch als Band noch irgendwelche Konsequenzen oder Nachspiele?
Das weiß ich nicht mehr genau. Aber ich glaube, da kam nichts mehr nach. Emil war eben einfach weg. Seine Frau hatte wahrscheinlich schon eher Probleme. Wir waren nun jedenfalls auf der Suche nach einem neuen Sänger. Toni spielte zu der Zeit ja in der College Formation, in der er unter anderem auch "Mr. Sexmachine" war, also James Brown imitiert und Soul gesungen hatte. Auch konnte er sich nicht wirklich mit der CITY-Musik anfreunden, die ja nur wenig mit Soul zu tun hatte, sondern ziemlich eckig und kantig war. Trotzdem redeten wir miteinander. Wir hatten ein riesiges Pfand in der Hinterhand, mit dem wir wuchern konnten, denn wir durften 1974 bereits eine Single im einzigen Plattenstudio der DDR aufnehmen. Das war das AMIGA-Studio in der Brunnenstraße. Es war ein riesiges Glück, dass wir dort Fuß fassen konnten, denn andere Bands haben es selbst nach Jahrzehnten nicht geschafft, da reinzukommen. Die Single hieß "Der Spatz", die Rückseite "Die Frau des Seiltänzers", noch mit Emil Bogdanow als Sänger. Jetzt war eine zweite Single angesagt, was Toni natürlich toll und verlockend fand. Dadurch konnten wir ihn überzeugen, bei uns einzusteigen. Bevor es zu der zweiten CITY-Single kam, erspielten wir uns erstmal gemeinsam unser Programm. Auf der ersten Single mit Toni waren dann die beiden Nummern "Es ist unheimlich heiß" und "Der Tätowierte".

Ihr habt also ein Liveprogramm entwickelt, wodurch ganz viele eigene Titel entstanden sind. Hinter vielen Songs der damaligen Zeit stehen als Komponisten die Namen aller CITY-Musiker. War es tatsächlich so, dass Ihr die Lieder zusammen im Studio entworfen habt oder war das mehr eine Art Win-Win-Geschichte für alle Beteiligten?
Es war in der Tat so, dass wir alle unsere Anteile an den Songs hatten. Der eine mehr, der andere weniger, aber das, was mir vielleicht an den Anteilen der Kompositionen fehlte, machte ich durch viele technische Dinge im Studio wieder wett. Bis zur Wende machten wir eigentlich immer alles gemeinsam und teilten auch alles gleichberechtigt. Wir besprachen und lösten in der Regel alles im Team. "Am Fenster" war allerdings zum größten Teil Emil Bogdanow zu verdanken. Ihm fiel auch das Grundriff zu dem Song ein und er brachte auch den Text von Maria Rauchfuß mit.

Ab 1978 gehörte CITY auch zu den Bands, die in der BRD auftreten durften. Kannst Du Dich noch an Deine erste Reise in den Westen erinnern? Wo war das genau, wo seid Ihr aufgetreten?
Das waren zwei Abende im Kant-Kino in Westberlin. Seinerzeit war das einer der angesagtesten Liveclubs der Stadt. Natürlich waren wir total gespannt, wie das Publikum auf uns reagieren würde. Interessant war folgendes: Bis Mitte der 80er Jahre erhielten wir den Pass immer erst, wenn wir losfuhren und mussten ihn nach der Rückkehr gleich wieder abgeben. Und damit wir im Westen beim ersten Auftritt am 16. Mai 78 nicht gleich auf Shoppingtour gehen, durften wir unsere Pässe erst ab 17 Uhr im Gesundheitsministerium abholen. Auf der anderen Seite der Mauer wartete dann RIAS-Reporter Olaf Leitner auf uns, der war damals richtig angesagt. Als wir dann zum ersten Mal durch Westberlin fuhren, dachte ich so bei mir: Das sieht ja auch nicht anders aus als bei uns im Osten. Nur die erste Etage wirkte sehr bunt durch die vielen Geschäfte und der Autoverkehr war auch deutlich stärker. Gegen halb sechs kamen wir dann im Kant-Kino an, guckten uns kurz im Klub um und ich hatte schon die Hosen voll. Es folgte der Soundcheck und dann ging es auch bald los. Der Laden war ausverkauft, was nicht verwunderte, denn im Westen Berlins hat man ja Ostradio hören können. Das Konzert selber war ein unglaublich starkes Erlebnis.

Das ist jetzt für mich etwas verwunderlich, denn ich hörte bisher immer nur, dass der Osten Westradio gehört hat und sich im Gegenzug der Westen nur wenig für den Osten interessiert hatte. Dann hast Du also mit CITY in Westberlin eine ganz andere Erfahrung gemacht.
Die Leute kannten viele unserer Songs. "Am Fenster" zum Beispiel erschien ja 1978 und erreichte auch in der BRD hohe Platzierungen. Wir wurden also tatsächlich gehört. Ich denke mal, in der Nordhälfte Deutschlands, so ab Kassel aufwärts, waren die Menschen an der DDR-Musik durchaus interessiert. "Am Fenster" wurde im Westen sehr viel gespielt, die Platte wurde überall verkauft, der Titel war auch drüben ein grandioser Erfolg.

Die ganzen Erfolge, aber auch die Krisen der Gruppe CITY sind ja hinlänglich bekannt. Ihr habt in den 70ern und 80ern eine wahrhaft turbulente Zeit hinter Euch gebracht. Du selbst hast bis zur Wende, also ungefähr 18 Jahre, in der Band mitgespielt. Was waren für Dich bis zum Fall der Mauer die absoluten Highlights in der Bandgeschichte?
Da komme ich erneut auf "Am Fenster" zurück. Keiner wollte die Nummer ursprünglich haben. Unter anderem deshalb, weil sie mit über 7 Minuten viel zu lang war. Selbst unsere Plattenfirma, die uns ja eigentlich wohlgesonnen war, meinte, das sei nicht Mainstream genug, das würde nicht in die Zeit passen. Wir sollten etwas anderes machen, mit anderem Rhythmus und so. Und mit einer Geige drin ... das würde eh keine Sau interessieren. Die Geige stammt übrigens von mir. Wir hatten das Gefühl, da fehlt irgendwie noch ein spezielles Instrument. Ein Naturinstrument, so was in der Art. Joro war bei uns als Bassist angestellt, aber keiner wusste, dass er auch Geige spielt. Erst jetzt beim Erspielen im Proberaum 1974 rückte er damit heraus, dass er eine jahrelange Geigenausbildung mitbringt. Kurz zuvor hatte ich von meinem Onkel drei Geigen geerbt. Die lagen unter meinem Bett rum, weil ich damit gar nichts anfangen konnte. Ich suchte davon eine aus, das war so eine nachgebaute Stradivari. Die brachte ich mit und wir spielten drauf los. Und Joro, so denke ich heute noch, hat alles, was er jemals auf der Geige gelernt hat, in diese Aufnahme gelegt. Wir waren völlig geplättet. So entstand also unser größter Hit "Am Fenster". Trotzdem wollte kein Mensch das Stück haben. AMIGA nicht, der Rundfunk nicht und auch das Fernsehen zeigte kein Interesse. Und 1976 hatten wir mal wieder einen vierstündigen Studiotermin. In diesen vier Stunden musste also alles fertig und abgegessen sein. Wir überredeten kurzerhand unseren Tonmeister Helmar Federowski, noch eine Stunde ranzuhängen, denn wir wollten auf dem Schnürsenkel, also ohne Overdubbing und solchen Schnickschnack, "Am Fenster" aufnehmen. Wir hatten nämlich eine Bulgarien-Tournee vor uns und wollten "Am Fenster" dort im Fernsehen spielen. Wir wurden uns einig und konnten die Nummer mitschneiden und bis heute ist das die einzig gültige Version, mit allen darin enthaltenen Fehlern. Alle späteren Versuche, das Lied nochmal neu aufzunehmen, scheiterten, denn wir erreichten nie wieder dieses Flair und diese Atmosphäre wie damals. Wir kamen dann aus Bulgarien zurück und Wolfgang Martin, der damals eine Wertungssendung beim Rundfunk moderierte und mit dem wir befreundet waren, meinte zu uns, wir sollen ihm das Band mal mitgeben, er würde es mal in seiner Sendung spielen. Damals schrieb man ja noch Postkarten an die Radiostationen, und so kam es, dass jede Menge Postkarten an den Sender geschickt wurden mit der Bitte, die Nummer nochmal zu spielen. "Am Fenster" wurde in der Folgezeit rauf und runtergespielt. Für uns war das mit dem Hintergrund, dass niemand das Lied haben wollte, natürlich ein riesiges Erlebnis, was da passierte. Jetzt kamen sie nicht mehr daran vorbei, da die breite Masse "Am Fenster" unbedingt hören und haben wollte. Plötzlich spielten wir in Pankow beim "Fest an der Panke" vor zehntausend Leuten im strömenden Regen, noch dazu mit einer aus dem Westen geborgten Anlage. Das war unvorstellbar, aber sehr schön. Die dazugehörige LP erschien ja dann im Westen 1978 sogar früher als in der DDR und die sich anschließenden Konzerte waren ebenfalls unvergesslich. Ein weiteres großes Erlebnis hatten wir in Lissabon, wo wir vor sage und schreibe 180.000 Menschen spielten, die uns überhaupt nicht kannten. Das war eigentlich ein Festival für lateinamerikanische Künstler. Wir waren, soweit ich mich erinnern kann, um 19 Uhr dran und wurden vom Publikum großartig aufgenommen, auch wenn niemand unsere Lieder kannte. Auch die Feier am Brandenburger Tor, anlässlich dem Jubiläum 10 Jahre Mauerfall im November 1999 vor 50.000 Leuten, zusammen mit den Scorpions und Lindenberg bleibt unvergesslich.

Aber mit "Am Fenster" habt Ihr ja anderen Bands eine Menge voraus, denn so eine Geschichte dazu kann nicht jeder erzählen und außerdem hat ein solcher Hit dann für Dich auch eine ganz andere Wertigkeit, oder?
Ja natürlich. Das war einfach ein Geschenk. Und dass die Leute den Titel auch heute noch mögen, ist wirklich toll.

Jetzt mal abgesehen von dem Zoff mit Joro Anfang der 80er Jahre und dem damit einhergehenden Bruch bei CITY - auf welche Momente hättest Du in all Deinen Jahren, die Du mit CITY verbracht hast, liebend gerne verzichtet?
Na ja, es liegt ja in der Natur des Menschen, sich auch mal zu streiten. Und der Zoff mit Joro kam ja hauptsächlich dadurch zustande, dass er im Westen von vielen Kritikern und Journalisten hoch gelobt wurde. Er war der "Ritchie Blackmore auf der Geige", der "Teufelsgeiger" usw. Irgendwie muss ihm das zu Kopf gestiegen sein. Wir wollten jedenfalls nicht mehr so viel auf Mugge gehen, sondern für uns war es das Wichtigste, das nächste Album zu machen. Für Joro führte da aber zunächst kein Weg hin, so dass es ein echt schweres Stück Arbeit war, bis wir das zweite Album "Der Tätowierte" im Kasten hatten. Joro wollte eben vor allem live spielen. Man muss wissen, wir hatten im Osten ja nur kleine Gagen. Als wir z.B. dieses Konzert in Pankow vor zehntausend Fans spielten, hatten wir als gesamte Band am Ende gerade mal eintausend Ostmark verdient. Klar, später änderte sich das dann etwas, aber es war zu jeder Zeit weit weg von den großen Erfolgen der heutigen Zeit, wo man richtig Geld verdient. Das hatten wir damals nicht, das war aber auch nie unser vorrangiges Ziel. Diese Unvernunft von Joro, immer mehr und noch mehr zu muggen, gipfelte dann sogar in den Aussagen, er brauche bessere Musiker, wir seien nur Durchschnitt, er wolle einen besseren Gitarristen und einen Keyboarder haben. So kam es Anfang der 80er zu dieser erweiterten Besetzung mit Gisbert "Pitti" Piatkowski und Ritchie Barton, die wir sehr gut fanden aber gar nicht haben wollten und brauchten, und zu der wir durch die Plattenfirma gezwungen wurden. Dadurch machte CITY plötzlich eine ganz andere Musik. Ich habe ja überhaupt nichts dagegen, dass man den Mainstream bedient und sich so wie ich nebenbei in einer Jazzband austobt. Aber wenn eine Band wie CITY, die unter bestimmten Voraussetzungen bekannt wurde und eine eigene Stilistik hatte, auf einmal Heavy Metall-ähnliche, schnelle Songs spielt, dann führte das zwangsläufig dazu, dass immer weniger Leute kamen und viele Fans schon während der Konzerte den Saal verließen. Irgendwann wurde der Bruch zwischen uns dann zu groß, aber Joro zog allein die Reißleine und verließ die Band irgendwann von selbst. All das hätte nicht sein müssen und das könnte ich durchaus aus unserer Vita streichen. Danach, also von 1982 bis 1990 hatten wir ja mit Manne Hennig ein absolut gutes und harmonisches Verhältnis, tolle Songs geschrieben und es gab wieder ein richtiges Band-Gefühl.

Nach der Wende bzw. kurz davor hast Du CITY verlassen. Das 1990er Album "Keine Angst" hat stattdessen Ingo Politz eingetrommelt. Warum bist Du damals bei CITY ausgestiegen?
Ich will es mal so formulieren: Demokratie ist gut, aber Demokratie hat auch seine Grenzen. Ich hatte im Keller meines Hauses ein für unsere Zwecke recht brauchbares Studio mit eigener Schlagzeugkabine, einem Regieraum usw. Wir haben uns damals jeden Tag von 13 bis 19 Uhr getroffen und versucht, neue Songs zu schreiben. Auch wenn es nicht immer gleich gut funktioniert hat, so haben wir doch ständig an neuen Songs gearbeitet, Riffs entworfen, Ideen entwickelt. Aber irgendwann passiert das, was sich in der Malerei zum Beispiel so äußert, dass der eine den Himmel eher grünlich sieht, der zweite möchte ihn aber lieber gelb malen, der dritte hingegen blau. Und natürlich denkt jeder, er hat Recht. Auf diese Art erschöpfte sich das irgendwann. Ich für meinen Teil beschloss dann unter großen persönlichen Qualen, die Band zu verlassen, deren Gründungsmitglied ich war und die mir immer noch sehr am Herzen lag. Aber ich hatte das Gefühl, wir waren am Ende, wir befanden uns in einer Sackgasse. Ich kam auch mit unseren Texten nicht mehr klar. Ich bin von Natur aus Optimist, gucke nach vorne. Da brauche ich keine Selbstmördertexte oder andere düstere Themen. Deshalb musste ich für mich einen Weg finden, mich selber zu verwirklichen und etwas Eigenes zu machen. Nach zwei schlaflosen Nächten teilte ich den anderen dann mit, dass ich aussteige. Zumal ja nach dem Mauerfall ohnehin ungewiss war, wie es mit CITY weitergehen würde, denn die Menschen hatten erstmal ganz andere Interessen und Wünsche. Ich wusste, wenn wir in dieser Zeit um 1990 herum ein Album herausbringen, müssen wir das selber finanzieren. Ich hätte also einen Beitrag zu etwas geben müssen, von dem ich nicht mehr überzeugt war. Nachdem ich das alles ausgesprochen hatte, fühlte ich mich richtig erleichtert und konnte mich anderen Dingen widmen.

Was hast Du denn in der Nachwendezeit gemacht? Hast Du Dich beruflich umorientiert oder bist Du der Musik treu geblieben, nur eben woanders?
Ich war ja mit vielen verschiedenen Fähigkeiten gesegnet, habe unter anderem bei CITY die Buchhaltung gemacht und dafür eigene Programme entwickelt. Ich habe mich mit Design befasst, aber auch mit Architektur. Also wollte ich erstmal eine eigene Firma aufmachen und in aller Ruhe beobachten, wie sich das mit der Musik weiterentwickelt, um vielleicht irgendwann wieder einzusteigen. Die eigene Firma wurde dann eine Werbeagentur. Ich hatte in Pankow-Buchholz eine eigene alte Villa mit einer Doppelgarage. Silvester saß ich mit einem Freund aus Hannover zusammen, der meinte, wir bräuchten im Osten jetzt etwas, um Dokumenten-Werbung zu gestalten und zu verschicken. Kopiergeräte gab es ja im Osten nicht, die waren verboten. Also baute ich in die große Garage ein Ladenfenster und eine Ladentheke rein, kaufte mir drei große, professionelle Kopiermaschinen, stellte an der Hauptstraße ein Schild auf und war gespannt, ob überhaupt mal jemand am 1. März1990 in meinen Laden kommen würde. Morgens gegen 9:00 Uhr wollte ich öffnen und sehe vor dem Laden schon eine riesige Menschenschlange stehen. Mir blieb fast das Herz stehen. Wir haben dann kopiert, kopiert, kopiert. Nach drei Tagen war mir das zu langweilig, so dass ich meine Nachbarin fragte, ob sie nicht das Kopieren übernehmen wolle. Ich zahlte ihr ein paar hundert Ostmark dafür und widmete mich selber ab sofort den eigentlichen Inhalten. Zum Beispiel schaute ich mir die Dokumente an, die die Kunden kopierten und stellte fest, dass manche Sachen nur so vor Rechtschreibfehlern und ganz schlechter Optik strotzten. Also bot ich an, das in Ordnung zu bringen und das Ganze etwas auszugestalten. Ich holte meinen Atari-Computer aus dem Studio, der auch schon über hervorragende Grafikprogramme verfügte. Damit gestaltete ich dann die verschiedenen Schreiben, entwickelte Logos usw. Vor allem aber musste ich mich nie um Kunden bemühen, denn die kamen von alleine zu mir. Das war natürlich sensationell. Meine Frau betreibt die Agentur, Jetzt seit 20 Jahren unter dem Namen WEBCOMMERZ übrigens bis heute weiter. Diese gut laufende Agentur ermöglicht es mir zum Glück, nicht von der Musik abhängig zu sein, genauso bin ich aber nicht von der Agentur abhängig, wenn die mal nicht mehr funktioniert.

Während Du berufliche Erfolge feiern konntest, stürzte parallel dazu eine ganze Szene in ein tiefes Loch. Die Medien schwiegen die bekannten und beliebten Bands aus der DDR tot, im Fernsehen fanden sie nicht mehr statt, die Veranstalter gingen pleite, die Auftrittsmöglichkeiten waren weg. Hast Du das beobachtet und verfolgt, was die ehemaligen Kollegen machen, oder warst Du so mit Dir und Deiner Firma beschäftigt, dass Du das alles gar nicht mitbekommen hast?
Dazu war ich viel zu sehr in die Musik eingebunden. Das hat mich also sehr interessiert und ich war auch bei der "Keine Angst" Record Release Party dabei. Wir hielten immer Kontakt miteinander. Das diese von Dir geschilderte Entwicklung einsetzen würde, war klar. Wir hatten in der DDR ungefähr 4.800 Bands, davon waren 180 Profibands. Und es war im Osten so, dass Deine Gage nicht von den Einnahmen an der Kasse abhängig war, denn Einnahmen und Ausgaben hatten nichts miteinander zu tun. So hatte man uns das erklärt. Das Kultur-Ressort hatte ein bestimmtes Budget und nach diesem Budget wurden die Bands eingekauft. Ob nun drei Leute vor der Bühne standen oder dreitausend eine Karte gekauft hatten, spielte keine Rolle. Dadurch war klar, dass nach der Wende viele Bands keine Chance mehr hatten, zu überleben. Leider gingen damit auch viele gute und sehr gute Bands den Bach runter. Die breite Masse erreichten lediglich KARAT, PUHDYS und CITY. Und für die gut Bürgerlichen vielleicht noch SILLY.

Was hast Du damals empfunden, als Du hörtest, dass Bands, die vorher vor zigtausend Leuten gespielt haben, plötzlich keine Leute mehr anziehen?
Ich bin ein offener und ehrlicher Mensch, deshalb sage ich es mal mit der brutalen Wahrheit: wenn das so war, dann hat es nicht gereicht. Entweder waren die Songs nicht gut genug oder die gesamte Erscheinung der Band passte nicht. Bands wie ELECTRA oder die STERN-COMBO MEISSEN hatten ja nie die Erfolge aufzuweisen, die wir mit CITY hatten. Und nach der Wende konzentrierten sich die Leute vor allem auf die Dinge, die ihr Leben begleitet haben. Uns haben wirklich viele gesagt, wir hätten ihre Jugend geprägt. Auch KARAT haben mit ihren vielen starken Liedern jederzeit die breite Masse erreichen können. Und die PUHDYS sowieso. Viele der anderen Bands blieben aber nicht in den Köpfen und Herzen der Menschen haften. Da fehlten irgendwelche Berührungspunkte oder die Erinnerungen an die Bands waren nicht emotional genug. Das ist halt der Lauf der Dinge. Was aber früher gut war, kommt in der Regel auch heute noch gut an. Nur machen viele den Fehler, auch heute noch DDR-mäßig zu denken. Das machten wir mit CITY nie, wir dachten immer nach vorne und haben ganz aktuelle Musik gemacht. Auch ich persönlich interessiere mich nur wenig für das, was gestern war, sondern ich bin immer gespannt auf morgen und übermorgen. Dafür spricht auch, dass wir nach der Wende mehr Platten produziert und verkauft haben als zu DDR-Zeiten. Wir passten auch unsere Programmstruktur an, um dem Publikum live etwas bieten zu können und nicht einfach nur kleinkunstmäßig auf der Bühne zu stehen und keine Performance zu machen.

1997 erschien das CITY-Album "Rauchzeichen" und die Band meldete sich mit der einst erfolgreichen Besetzung zurück, also mit Dir und Joro. Wie kam es zu Eurer Rückkehr?
Das Datum stimmt nur in Bezug auf das Erscheinungsjahr des Albums. Alles andere hatte natürlich einen viel längeren Vorlauf, denn schon 1992 fragte mich Toni, ob ich mir vorstellen könnte, wieder mit Joro auf einer Bühne zu stehen. Nein, das konnte ich erstmal nicht. Dennoch trafen wir uns, also Toni, Fritz, Joro und ich, eines Abends mal einfach so zum Quatschen. Bei der Gelegenheit erwähnte Toni, dass eine Band namens THE INCHTABOKATABLES, die zu der Zeit sehr angesagt waren, im Berliner Tränenpalast eine große Party anlässlich ihres einjährigen Bestehens machen wollten und dass die Jungs uns gerne dabei hätten, um mit uns gemeinsam "Am Fenster" zu spielen. Der Gedanke gefiel uns, also trafen wir uns im Probenraum. Nun denkt man ja, dass man nach so einer langen Zeit der Trennung Mühe hat, wieder zusammenzufinden und die alten Lieder zu spielen. Aber es klappte wunderbar und der Auftritt wurde ein grandioser Erfolg. Das Publikum feierte uns ohne Ende, was erstaunlich war, da es sich ja bei dem Publikum um eine ganz andere Generation handelte. Jedenfalls entschieden wir uns nach diesem Abend weiterzumachen. Wir gingen also bereits 1992 wieder auf Tour, zuerst allerdings noch mit einem anderen Keyboarder, nämlich Wolfram Werner, und hatten wieder gute Konzerte.

Wenn man über Klaus Selmke spricht, ist nicht nur das schnelle Altern wegen der vielen Geburtstage ein besonderes Merkmal, sondern auch die Art und Weise, wie Du Dein Instrument spielst. Du sitzt fast ebenerdig und verzichtest auf einen Hocker. Wie kam es denn dazu?
Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass ich nicht wirklich ebenerdig sitze, sondern leicht erhöht. Es gibt Fernsehaufzeichnungen, wo ich das tatsächlich mal gemacht habe, aber das war dann höchstens mal für einen einzigen Titel. Ansonsten funktioniert das nicht, denn Du kannst Dich ja nirgendwo abdrücken. Wie es dazu kam? Anfang der 70er Jahre hatte ich noch ein richtiges DDR-Schlagzeug. Das war alles ziemlich wackelig. Da ich sehr groß bin und immer auf eine gute Körperhaltung achtete, musste ich die Beckenständer ziemlich hoch schrauben. Dadurch brachen aber ständig die Schrauben weg. Auch hatte ich wie jeder Schlagzeuger zunächst einen üblichen höhenverstellbaren Dreibeinhocker, der aber oft umfiel, weil alles ständig wackelte und nicht sonderlich stabil war. Ich stellte den Hocker dann mal auf die tiefste Stellung ein und empfand das schon als etwas stabiler und angenehmer. Irgendwann fiel mir die Kiste auf, in die Fritz seine Marshall-Verstärker packte, denn die war deutlich tiefer. Aber am Ende baute ich mir meine eigene Kiste zusammen. Über so etwas machte ich mir aber keine ernsthaften Gedanken, denn das waren einfach nur praktische Erwägungen. Als wir in Hamburg im angesagten "Logo" unsere ersten Westkonzerte hatten, war nicht etwa unser Sänger Toni auf der Titelseite des Hamburger Abendblattes, sondern ich. Da wurde geschrieben, dass ich eine ungewöhnliche Haltung hätte, aber das Ganze in den Kontext gesetzt: "Der ist ganz schön runtergekommen". Da wurde mir das alles erst bewusst und ich begann, das tiefe Sitzen regelrecht zu trainieren und kam bis auf eine Höhe von 20 Zentimeter. Und wenn ich dann eine Decke drüberlegte, hatte der Betrachter das Gefühl, ich würde ebenerdig sitzen. Ich fühlte mich in dieser Position jedenfalls pudelwohl. Es erzeugte so ein bisschen das Feeling, als säße man in einem Rennwagen und man ist mitten drin im Geschehen. Natürlich hatte ich dadurch auch einen speziellen Schlagzeug-Aufbau, was dazu führte, dass niemand anderes mein Schlagzeug spielen wollte oder konnte.

Du sagst zwar, für Dich ist es bequem, aber wenn ich das so höre, dann sind zwanzig Zentimeter doch ganz schön niedrig. Geht das nicht auf Dauer ins Kreuz? Bereitest Du Dich speziell auf die Konzerte vor?
Nein. Ins Kreuz geht es nur, wenn Du beim Spielen nach vorne gebeugt bist. Ich hingegen habe eine sehr aufrechte Körperhaltung. Für mich ist das sehr bequem, ich hatte nie Probleme. Sonst hätte ich das schon längst geändert.

Mit CITY gab es in den letzten zwanzig Jahren unter verschiedenen Überschriften so einige Zusammenschlüsse von Bands, deren Wurzeln in der DDR lagen. Zuerst war da die Ostival-Tour, dann Ostrock in Klassik und zuletzt gab es für mehrere Spielzeiten die Rock Legenden. Genießt Du diese Rundreisen mit den anderen Kollegen oder spielst Du lieber eigene Konzerte mit CITY?
Ich glaube, ich kann da für alle Kollegen sprechen, dass wir das sehr genießen, weil das eine große Abwechslung für alle ist. Die 2016er Tour der Rock Legenden war ja bekanntlich äußerst erfolgreich. Wir bekamen für die Konzerte im Mai, Juni und Juli, beim Auftritt in der ausverkauften Waldbühne das Goldene Ticket von Semmel Concerts. Das Ganze beinhaltet natürlich auch große Bühnen, viel Technik, drei Schlagzeuge. Es war wirklich spannend, was da ablief. Vor allem auch die Gespräche mit den Kollegen waren interessant. Es war eben nicht der normale Alltag, sondern eine willkommene Abwechslung, die allen sehr gut getan hat.

Durch die aktuelle Corona-Krise wurden die aktuellen Konzerttermine ja auf das nächste Jahr verschoben. Ich nehme trotzdem an, dass Du Dich auf die nächste Runde freust?
Theoretisch freue ich mich darauf. Nun sind wir gespannt, ob und wie das alles weitergeht.

Nun stecken wir alle in der sogenannten Corona-Krise. Es darf kein Konzert stattfinden, weder drin noch draußen. Und wenn man nicht gerade eine Kernfamilie ist, darf man sich auch nicht zusammensetzen. Für die Arbeit einer Band ist das natürlich alles andere als ideal. Was macht CITY gerade? Wie versucht Ihr, diese Zeit so schnell wie möglich vorbeiziehen zu lassen?
Man trifft sich nicht. Vor zwei Wochen haben wir mal eine Videokonferenz abgehalten. Mittlerweile versuchen wir mit kleinen Videobotschaften den Kontakt aufrecht zu halten, aber da muss man aufpassen, denn so langsam finde ich diese Videobotschaften schon fast inflationär. Wenn man das zu oft wiederholt, schläft auch irgendwann mal der Zweck und der Gedanke dahinter ein. Ansonsten macht jeder von uns irgendwie sein Ding und wir hoffen, dass wir uns irgendwann mal wieder treffen können.

Sprecht Ihr denn auch darüber, wie es mit CITY weitergeht? Seid Ihr vielleicht sogar dabei, eine neue Platte zu besprechen?
Ja, das ist geplant, aber was willst Du über diese Dinge sprechen, wenn die Zukunft völlig offen ist? Wenn schon das Oktoberfest abgesagt wird … Auch die Leute überlegen wahrscheinlich in Zukunft, ob sie sich überhaupt noch zwei Tickets für hundert Euro oder noch mehr leisten. Da ist es natürlich extrem schwer, eine Prognose zu stellen. Wir müssen abwarten und können erst dann wieder Plane schmieden, wenn Licht am Horizont ist, was aber für die Künstler derzeit nicht zu sehen ist. Es wird zwar gerade überall versucht, ein bisschen aufzuweichen. Wir Künstler haben es aber schon deshalb schwer, weil es nach den Ausgaben geht und nicht nach den Fehleinnahmen. Das ist natürlich eine absurde Herangehensweise, die sehr, sehr viele Musiker unglaublich hart treffen wird.

Eine abschließende Frage noch. Du hast vorhin erzählt, dass Dein Anteil bei einem neuen Album nicht ganz so groß ist. Bist Du denn trotzdem noch in den kreativen Prozess mit eingebunden? Steuerst Du vielleicht sogar Songideen bei oder überlässt Du das den Kollegen und beschränkst Dich auf die Arrangements?
Das ist bei uns so wie bei anderen Bands heutzutage. Wir proben natürlich zusammen im Studio, das ist klar. Aber die Songs schreiben sowohl Toni als auch Fritz und manchmal liefert man uns auch Songideen. Die werden dann im Studio bearbeitet, ohne das alle anwesend sein müssen. Ich zumindest bin in den seltensten Fällen direkt dabei.

Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Gerne. Hört nicht auf, die Musik zu lieben! Auch wenn es im Moment etwas schwerer fällt. Und versucht, sobald es wieder möglich ist, Konzerte zu besuchen, weil die Musiker gerade mit viel geringeren bis gar keinen Einnahmen auskommen müssen. Denen muss geholfen werden durch unsere Solidargemeinschaft. Und das klappt am besten, indem ihr wieder in die Konzerte geht.



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Pressematerial CITY, Universal