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Interview vom 14. Oktober 2019



Von Anfang bis Ende November 2019 geht PANKOW auf Tour. Dreizehn Konzerte in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind geplant. Deutsche Mugge sprach mit Jürgen Ehle, dem Gitarristen und Komponisten der Band, über PANKOW und andere Projekte, über 30 Jahre Mauerfall, über Musik von damals und heute und über das, was die Fans im November erwartet.



Jürgen, wie geht es dir?
Danke der Nachfrage, mir geht es gut. Aktuell haben meine Frau und ich gerade die vierte Konzert-Saison auf unserer eigenen Sommerbühne erfolgreich abgeschlossen. Das kleine, robuste, selbst entworfene und selbst gebaute Veranstaltungszelt steht in unserem Garten und hat Platz für knapp 80 Zuschauer. Die Bühne soll zwar zuallererst ein Podium für uns selbst sein, gelegentlich haben wir aber auch befreundete Kollegen zu Gast, mit denen wir früher schon einmal auf der Bühne oder im Studio zusammengearbeitet haben. In den letzten 40 plus Jahren sind da einige zusammengekommen, und es waren längst noch nicht alle da. Aber auch bei solchen Gastspielen stehen meine Frau und ich dann jedes Mal für zwei bis drei Songs mit auf der Bühne. Zu einer Sommer-Saison gehört bei uns übrigens immer auch ein Benefizkonzert, jeweils zur Hälfte zugunsten einer Tierschutz- und einer Organisation, die Menschen in Not hilft. Diese Konzerte verbinden wir immer mit einem erweiterten Familien- und Freundeskreistreffen, das dann gerne auch mindestens drei Tage in Anspruch nehmen darf. Im November geht es auf unserer Wohnzimmerbühne mit unseren "Hausschuh-Konzerten" weiter, wo wir bis zu 50 Gästen Platz bieten können. Die Saison beginnt diesmal mit zwei Konzerten von Ben Sands aus Nordirland. Für diejenigen Leser, die die Sands Family kennen: auch die Brüder Tommy und Colum haben schon bei uns gastiert. Um dieses Thema jetzt abzuschließen, und weil wir ja auch noch über PANKOW sprechen wollen: Das Abschlusskonzert der Sommer-Saison im vergangenen Jahr hat übrigens Ex-PANKOWer Rainer Kirchmann mit seiner Band gegeben, ein Abend an den ich mich gerne erinnere, weil wir eben nicht nur tolle Musiker zu Gast haben, sondern auch ein Publikum, das wirklich zuhören und sich auch für eine Künstlerin oder einen Künstler begeistern kann, die oder der nicht allen im Raum Anwesenden gleichermaßen bekannt ist.001 20191014 1528010591 Auch ansonsten bin ich ganz gut ausgelastet und immer wieder mal auf Tour. Ich begleite zum Beispiel den Schauspieler, Sänger und Theaterdirektor Thomas Rühmann seit 2015 bei seinem "Sugar Man"-Projekt und habe auch als Komponist zwei Stücke zu seinem Debüt-Album beigetragen. Dieser kleine Auftrag hat mich tatsächlich ein bisschen berührt, denn es waren Texte von Wenzel, die ich da vertonen sollte, und es ist inzwischen mehr als 40 Jahre her, dass Wenzel und ich zusammen Songs geschrieben haben. Schon 2014 hat meine musikalische Zusammenarbeit mit der Band von Andreas Dresen angefangen, zunächst noch mit dem, wie ich denke, allseits bekannten und überaus beliebten Axel Prahl als zweitem Sänger, inzwischen aber mit dem großartigen Alexander Scheer, dem Hauptdarsteller in Dresens so erfolgreichen GUNDERMANN-Kinofilm. Diese Band schafft es, so gut wie jedes Konzert vor ausverkauftem Haus zu spielen, was für mich nicht gerade alltäglich ist. Eine Besonderheit dabei: Neben Nikolai Ziel am Schlagzeug bin ich der einzige Profi-Musiker in der Band, was sich am Anfang ganz schön fremd für mich angefühlt hat. Allerdings, seit wir mehr und mehr Konzerte geben, wird die Band immer besser, und der Spaß an der Arbeit steht meinen anderen Projekten in keiner Weise mehr nach. Übrigens haben wir seit diesem Jahr auch zwei PANKOW-Songs im Repertoire, ein Anlass für Andreas, bei jedem Konzert die bevorstehende PANKOW-Tour anzukündigen. Ich bin gespannt, ob sich das auswirken wird. Und last but not least: ich bin mit Scarlett O', meiner Frau, mit den verschiedensten Liederabenden immer wieder landauf und -ab auf den deutschen Kleinkunstbühnen zu erleben, wobei uns gelegentliche Ausflüge auch schon Konzerte in Nordirland, London und in der Schweiz beschert haben.

Hast du noch Lampenfieber?
Ich denke, jeder der auf eine Bühne geht, hat auch mal Lampenfieber. Es ist nur so, dass man sich im Laufe der vielen Jahre eine Routine zulegt, die einem dann im besten Falle hilft, mit dem Lampenfieber umzugehen, was wiederum nicht allen Kollegen gleichermaßen gelingt. So richtig schlimmes Lampenfieber hatte ich aber noch nie. Als Musiker auf Tour verbringt man ja viel Zeit mit Warten. Die Ankunft am Spielort, der Aufbau, der Soundcheck, das Essen, der Auftritt ... immer wird auf irgendetwas gewartet. Das sind so Gelegenheiten, wo sich auch Lampenfieber oder falsche Erwartungen - oft ohne Grund - breit machen können. Und dann musst du irgendwann rausgehen, voll da sein und die Leute mitreißen! Das Kuriose dabei ist: Mit den ersten Tönen ist auch das Lampenfieber meistens schon verklungen ...

Nach meiner Definition bedeutet Revolution die Verwirklichung einer Utopie - oder zumindest das Streben danach.


007 20191014 1109599326Überall wird 30 Jahre Mauerfall gefeiert. Damals war euer Album "Aufruhr in den Augen" aktuell und "Langeweile" war überall zu hören - welche Gedanken bewegen dich, wenn du an Mauerfall und Wiedervereinigung denkst?
Der Begriff von der "friedlichen Revolution" hat sich ja in Windeseile etabliert. Dass der Umsturz friedlich vonstatten ging, ist und bleibt ganz sicher ein Grund zu feiern und dafür allen in dem damaligen Spannungsfeld friedlich agierenden Kräften dankbar zu sein. Revolution würde ich es lieber nicht nennen. Nach meiner Definition bedeutet Revolution die Verwirklichung einer Utopie - oder zumindest das Streben danach - und das Erreichen eines neuen und nie dagewesenen Zustandes. Tatsächlich aber haben wir doch unsere ureigenen Utopien aufgegeben, um uns an ein bereits vorhandenes Rechts- und Gesellschaftssystem anzuschließen. Wer heute von Alters- oder Kinderarmut, von Pflegenotstand, von Vertreibung und Entwurzelung als Folge von Gentrifizierung, von den Auswirkungen von Personal- und Fachkräftemangel sowie ökonomischen Zwängen in sozialen und medizinischen Einrichtungen betroffen ist, wer sich im Niedriglohnsektor abstrampelt, wird wenig Grund zum Feiern haben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Menschen sich wirklich "frei" fühlen. Eine würdige Gedenkveranstaltung haben wir mit PANKOW vor fünf Jahren, im November 2014, in Tschechien erlebt. Wir waren zu den jährlichen Memory of Nations Awards, Gedächtnis der Nationen, in das Nationaltheater Prag eingeladen. Es geht bei diesen Awards um Erinnerungen an den Kampf Einzelner gegen Diktatur, um Freiheit und Menschenrechte und um Schicksale in der Emigration. Einmal im Jahr werden verdiente Persönlichkeiten aus Tschechien, der Slowakei, Polen, Ungarn, den USA und Deutschland ausgezeichnet und ihnen der Heldenpreis verliehen. Die Veranstaltung wird von ausgewählten Bands und Solokünstlern aus den teilnehmenden Ländern begleitet, die mit ihrem Wirken diese Werte vertreten. So kam es dazu, dass ich einem Helden meiner Jugend, Gábor Presser von Locomotiv GT, einfach mal so die Hand schütteln und John Cale, den Mitbegründer von Velvet Underground aus nächster Nähe erleben durfte. Aus Tschechien nahm die Prager Band Pražský Výběr teil und aus der Slowakei der Pianist Marián Varga mit der Sängerin Jana Kirschner. Die Veranstaltung wurde in mehreren Ländern live im Fernsehen übertragen, die Berichterstattung in Deutschland war leider marginal. Selbstverständlich hat PANKOW zu diesem Anlass "Langeweile" gespielt.

Meinesgleichen und ich wollen Menschen mit Musik und Inhalten berühren - und ich selbst will davon auch berührt werden.


003 20191014 1083344194Wie siehst du die musikalische Entwicklung der letzten 30 Jahre?
Ich habe den Eindruck, dass für die Mehrheit hierzulande Rock- und Popmusik überwiegend zur Tapete für gute Laune verkommen ist. Sie ist als Stimme im gesellschaftlichen Diskurs ziemlich unwichtig geworden und hat kaum noch den Identifikationswert, den sie früher hatte. Man konsumiert Fließbandprodukte. An den Rändern der Gesellschaft, immer dort, wo Extreme vertreten und propagiert werden, sieht das allerdings - und ich muss sagen, leider - ganz anders aus. Wiederum: Meinesgleichen und ich wollen Menschen mit Musik und Inhalten berühren - und ich selbst will davon auch berührt werden. Es entsteht doch nach wie vor großartige, wunderbare ganz neue Musik, nur erfahre ich inzwischen - wenn überhaupt - eher zufällig davon, im Internet, durch Freunde oder die eigenen Kinder. Und die Mehrzahl dieser Künstler werde ich weder im Radio hören, noch im Fernsehen sehen, weil der Sendeplatz für die nächste Casting-, Talk- oder Quiz-Show gebraucht wird. Auch Weltstars, meine alten Helden wie Ry Cooder, Springsteen, Mark Knopfler oder Mick Jagger, haben sich in den vergangenen Jahren in Songtexten immer wieder mal ganz explizit politisch geäußert, ohne dass hierzulande davon besondere Notiz genommen wurde, so ist zumindest mein persönlicher Eindruck.004 20191014 1299265694 Umso mehr bin ich dafür dankbar, dass ich immer noch Gelegenheit habe, ein Publikum anzusprechen, das zuhören kann und will, wenn auch manchmal in einem kleinen bis sehr kleinen Rahmen. Denn wie schon gesagt, vor ein-, zwei- oder mehreren Tausend Zuschauern aufzutreten, ist für mich inzwischen eine Ausnahme geworden. Allerdings sind für mich ganz persönlich die kleinen Konzerte, bei denen ich ganz nah am Publikum bin, oft emotional aufgeladener als die auf den großen Bühnen, und sie wirken, wenn ringsum alles gestimmt hat, auch deutlich länger in mir nach.

Im vergangenen Jahr wart ihr mit PANKOW in Russland.
Ja, in Jekaterinburg, am Ural. Das wurde uns von der Friedrich-Ebert-Stiftung vermittelt, die zusätzlich noch ein Rahmenprogramm mit Gesprächen und Begegnungen für uns zusammengestellt hatte. Es war eine schöne Erfahrung, eins von diesen kleinen Abenteuern, die wir nur deshalb erleben, weil es diese Band gibt. Die Ural Music Night ist ein Festival aller möglichen Musik-Stile und -Formen, das in einer einzigen Nacht, auf einhundert in der Stadt verteilten Bühnen, bei freiem Eintritt stattfindet, und wofür jeweils eine der kürzesten Nächte des Jahres ausgesucht wird. Beim Abschlusskonzert geht dann bereits die Sonne wieder auf. Das Publikum wird mit Taschenspiegeln ausgerüstet und reflektiert damit das Licht der aufgehenden Sonne auf die große Hauptbühne. Was für eine schöne Idee, was für ein schöner Effekt!

Wie kam eure Musik an? Vermutlich kannte euch kaum jemand vorher.
Das Publikum war bemerkenswert offen und interessiert. Das war einfach nur angenehm. Ich denke, den Meisten hat es wirklich gefallen. Ich war ja in den 80ern mehrfach in der UdSSR auf Tournee, unter anderem auch mit PANKOW. Die Begeisterung mag damals ähnlich groß gewesen sein, das Lebensgefühl heute ist definitiv ein anderes, ohne dass ich jetzt deswegen in Euphorie verfalle. Ich habe einen langen Spaziergang durch die Stadt gemacht, die Veränderungen sind enorm. Unfassbar: Es gibt ein turmförmiges Hochhaus, das tatsächlich nach dem russischen Liedermacher Wladimir Wyssozki benannt ist. In den 80ern durften seine Lieder nicht im Radio gespielt werden. Heute überragt er, symbolisch ausgedrückt, die ganze Stadt. Aber als wir dann einmal mit dem Bus über Land gefahren sind, hat mich doch einiges stark an früher erinnert.

Wir hatten das Glück, den Nerv von vielen damals jungen Leuten zu treffen.



Zur anstehenden Tour könnt ihr euch darauf verlassen, dass euch das Publikum kennt. Warum ist man heute Fan von PANKOW?
Ich denke, für die meisten unserer Konzertgäste ist es vor allem die Musik, mit der sie sich in ihren jungen Jahren identifizieren konnten. Songs, zu denen sie damals eine Beziehung hatten und deshalb auch heute noch haben. Wir hatten einfach das Glück, das Zeitgefühl der 80er und den Nerv von vielen damals jungen Leuten zu treffen. Wer uns treu geblieben ist, kennt aber selbstverständlich auch vieles oder vielleicht sogar alles, was die Band seit ihrem Bestehen bis heute so produziert hat, und bringt auch schon mal die eigenen, inzwischen erwachsenen Kinder mit ins Konzert. Ich erlebe, wenn ich darauf angesprochen werde, eigentlich fast immer nur Leute, die entweder sehr gut oder überhaupt nicht darüber informiert sind, welchen Weg PANKOW nach 1989 gegangen ist.

Ist ein neues PANKOW-Album in Sicht?
Aktuell ist nichts in Arbeit. Wir sehen uns auch nur sehr, sehr selten. Alle in der Band sind außerhalb von PANKOW gut beschäftigt, und es ist schon schwierig, den richtigen Zeitraum und die Termine für eine Tour festzulegen, weil wir uns dafür ja allesamt von anderen Verpflichtungen freihalten müssen. Es ist auch nicht einfach, Songs zu schreiben, wenn man pausenlos in anderen Projekten tätig ist. Jedenfalls fehlen mir dann die nötige Muße und der kontinuierliche Austausch mit den Kollegen. Ich will, solange es um die Band geht, doch vor allem die Gemeinsamkeiten ausloten, musikalisch wie inhaltlich. Das hat bei PANKOW - Streit und Frustration natürlich inbegriffen - immer ganz gut funktioniert, ist der Umstände halber aber zunehmend schwieriger geworden.

Ein Abend voller Rock and Roll!


Welche Setlist wird es im November geben?
Wir haben selbstverständlich unsere Evergreens im Programm - "Inge Pawelczik", "Rock'n'Roll im Stadtpark", "Gabi" und Co., aber interessanter für uns selbst ist immer, worauf wir eigentlich sonst noch Lust und Laune haben. Wir werden ein paar Songs spielen, die wir lange, zum Teil bis über 20 Jahre, nicht mehr im Repertoire hatten. Songs aus "Am Rande vom Wahnsinn" und sogar einen aus "Vierer Pack". Wobei, die Proben beginnen erst Mitte Oktober und haben auch nochmal ihre ganz eigene Dynamik ... Auf jeden Fall gibt es einen Abend voller Rock and Roll!

Gibt es Auftrittsorte, auf die du dich besonders freust?
Klar, Leipzig und Dresden waren schon immer eine Hochburg für PANKOW. Das Berliner Kesselhaus wird bestimmt ein guter Ort für das Abschlusskonzert. Aber spannend ist und bleibt es überall, die Zeiten ändern sich, und wir wissen nie so genau, was da auf uns zukommt.



Interview: Thorsten Murr
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressematerial, Thorsten Murr



 


   
   
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