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Interview vom 14. Juni 2019



Etwas über zwei Jahre ist es her, dass die Gruppe LUXUSLÄRM ihr letztes Konzert gab und die Musiker anschließend alle in verschiedene Richtungen gingen. Gitarrist Freddy Hau stieg in der neuen Band von Stephan Krähe (KRÄHE) ein, David Müller macht inzwischen unter dem Namen Batomae eigene Musik und auch die anderen Luxuslärmer fanden neue Beschäftigungen. Jini Meyer besuchten wir erst im vergangenen Jahr, als sie mit der Gruppe HEROcks singend auf der Bühne stand. Allerdings trug sie dort keine eigenen Lieder vor, sondern war wieder bei ihren Wurzeln angelangt: dem Covern. "Es wäre so schade, wenn sie keine eigenen Lieder mehr singen würde" und "Wenn diese Stimme aus der Musiklandschaft verschwindet, wäre das die reine Verschwendung" waren nur zwei Aussagen, die unsere Kollegen Christian und Torsten im Anschluss an dieses Konzert laut äußerten. Zu dieser "Verschwendung" wird es nicht kommen, denn Jini Meyer ist wieder da. Und zwar mit eigener neuer Band, in der es ein paar bekannte Gesichter gibt. Außerdem soll im August ihr erstes Soloalbum erscheinen, in das wir schon reinhören durften. Die Leute da draußen werden überrascht sein, was die junge Frau aus Iserlohn da im Studio eingespielt hat. Soviel sei an dieser Stelle schon verraten. Aber wie kam es zur Rückkehr mit eigenen und ganz neuen Songs? Wohin soll die Reise gehen und auf was dürfen sich ihre Fans freuen? Diesen und vielen anderen Fragen ging Christian vor ein paar Tagen in einem Gespräch mit der Sängerin nach und bekam spannende Antworten ...




Dein erstes Konzert mit neuer Band ist vor einigen Tagen über die Bühne gegangen. Ich habe es leider nur auf Fotos sehen können, war aus Zeitgründen nicht selber vor Ort. Der Platz vor der Bühne war gerammelt voll. Erzähl mal, wie war es? Und wie hat es sich dort auf der Bühne mit neuer Band angefühlt?
Das war wirklich eine unfassbare Erfahrung, nach zweieinhalb Jahren Abstinenz wieder mit eigenen Songs auf der Bühne zu stehen und trotzdem so viele bekannte Gesichter wiederzusehen, die so lange auf mich gewartet haben und die an dem Abend die Hütte abgerissen haben. Das gab mir ein tolles Sicherheitsgefühl, denn wir waren natürlich alle vorher meganervös und wussten nicht, was passieren würde. Man baut ja automatisch Druck auf, weil man denkt und weiß, jetzt beginnt ein neues Kapitel. Man will das auch nicht verkacken. Aber es war von Anfang bis Ende einfach nur toll. Das Wetter hat gestimmt, die Leute waren super drauf und wir haben uns tatsächlich nicht verspielt. Das war echt krass. Als ich von der Bühne ging, fragte mich die Fotografin, wie es denn für mich war. Und zum ersten Mal konnte ich es überhaupt nicht einschätzen, weil ich irgendwie noch so damit beschäftigt war, nach eventuellen Fehlern zu suchen. Irgendetwas musste doch schief gegangen sein, es konnte nicht alles gestimmt haben. Wir haben nach dem Konzert bis morgens um halb fünf mit der Band auf dem Balkon rumgesessen und merkten, wie wir immer lockerer wurden. Es fiel alles von uns ab und wir wussten, das war ein ganz toller und emotionaler Abend für alle.

War das nun ein reines Jini Meyer-Konzert oder fand es im Rahmen eines Stadtfestes statt?
Genau, es war ein Stadtfest, und zwar das Altstadtfest Lippstadt. Da habe ich die letzten fünf Jahre schon gespielt, aber immer in unterschiedlichen Formationen. Mal mit LUXUSLÄRM, mal mit COOFEE, CAKE & SUGAR, mal mit HEROcks, mal spielten wir Cover, mal eigene Sachen… Diesmal sagte die Veranstalterin: "Jini, egal was ist, Du kommst einfach mit irgendeiner Band". Ich hoffte natürlich, dass bis zum 1. Juni alles fertig ist, dass die Proben durch sind und wir dort auf dem Stadtfest unsere Premiere feiern können. Zu dem eigentlichen Konzert sei noch gesagt, dass ich zum ersten Mal seit zehn Jahren zu meinen Jungs gesagt habe: "Es war echt krass. Ich möchte genau das, was wir heute erlebt haben, morgen nochmal erleben." Ich wollte also direkt gleich noch einmal spielen.002 20190620 1835875359 In den letzten Jahren war es nämlich so, dass ich gesagt habe: "Boah, ein Konzert geschafft, Haken dran. Jetzt nur noch zwei Auftritte, dann ist das Wochenende geschafft." Das war schon beinahe ein pures Abarbeiten, das Abhaken einer Liste. Und jetzt merkte ich endlich wieder, ich habe Bock auf die Arbeit, auf Konzerte, das kannte ich wirklich schon seit zehn Jahren nicht mehr.

In den Anfangsjahren von LUXUSLÄRM spielte Henrik Oberbossel die Gitarre, bis er eines Tages ausstieg. Zuletzt habt ihr bei HEROcks zusammen auf der Bühne gestanden und nun ist Henrik wieder Gitarrist in Deiner neuen Band. Das klingt wie eine Familienzusammenführung.
Ja, das könnte man so sagen. Wir hatten tatsächlich sechs Jahre lang, nachdem die Jungs bei LUXUSLÄRM ausgestiegen waren und die Band sich neu formierte, keinen Kontakt mehr, weil einfach keine Gespräche geführt worden sind und keiner die Ambition hatte, Staub aufzuwühlen. Irgendwann sahen wir uns dann bei einem Projekt wieder, was wir im Harz zusammen gemacht haben. Da hatten wir natürlich viel Zeit miteinander zu sprechen, alles mal zu reflektieren und aufzuarbeiten. Seitdem ist Henrik tatsächlich wieder ein fester Teil meines Lebens, wir machen privat viel zusammen, er ist wie früher mein bester Kumpel. Das fühlt sich ganz toll an. Deshalb war für mich auch klar, wenn ich mal wieder etwas Eigenes auf die Beine stelle, dann ist Henrik auf jeden Fall dabei.

Offiziell stieg er ja damals aus, weil ihm der Trubel um LUXUSLÄRM zu viel wurde. Ich weiß natürlich nicht, inwieweit das stimmte. Aber was passiert denn nun, wenn Deine Solokarriere durch die Decke geht und ihr euch vor Terminen nicht mehr retten könnt. Ist er sich dieser latenten Gefahr bewusst?
Ja, schon. Aber das war ja seinerzeit auch nicht der wirkliche Grund für seinen Ausstieg. Die wirklichen Gründe haben wir ja nie bekannt gegeben, um die einzelnen Leute zu schützen. Von daher ist das also alles kein Problem.

Bei unserem letzten Interview Anfang 2018 am Rande dieses HEROcks-Konzerts sprachen wir auch über Freddy Hau, Henriks Nachfolger bei LUXUSLÄRM, und sein Mitwirken bei KRÄHE, nachdem sich LUXUSLÄRM aufgelöst hatte. Jetzt ist Freddy auch wieder bei Dir und steuert sein Talent auf den sechs Saiten zu Deiner Musik bei. Wie kam es dazu, dass Freddy KRÄHE verlassen hat und zu Deiner neuen Band gewechselt ist?
Ich habe mich entschieden, meine neue Band ohne Keyboarder zu besetzen. Bisher war in meinen Bands ja immer ein Keyboarder dabei. Jetzt wollte ich es aber ein bisschen rougher, ein bisschen erdiger haben, der Sound sollte etwas dreckiger werden. Deshalb wollte ich nach einiger Überlegung auch nicht nur einen Gitarristen, sondern zwei. Und da musste ich natürlich nicht lange überlegen, wen ich da nehme. Für mich ist Freddy einer der besten Gitarristen, die wir in Deutschland haben. Er ist unfassbar talentiert, was er bei KRÄHE nicht wirklich ausleben konnte. Dennoch ist er mit KRÄHE im Guten auseinander gegangen. Er hätte dort auch problemlos noch weiterspielen können, aber er braucht etwas, was ihn musikalisch richtig fördert und fordert, wo er sich austoben kann, wo er selber Songs schreiben kann.003 20190620 1249942844 Alles das macht er jetzt bei mir wieder und es fühlt sich für beide Seiten toll an. Henrik und Freddy haben sich ja nun bei der Zusammenführung der neuen Band zum ersten Mal gesehen, die kannten sich vorher gar nicht. Und es hat sofort geklappt, und zwar so gut, dass sie gleich am ersten Abend gemeinsam meine zweite Single "Frei sein" geschrieben haben. Es war auf Anhieb ein toller Vipe.

Es stand also schon vor Freddys Rückkehr fest, dass der Sound fetter wird und Du ein richtig lautes Album machen möchtest. Aber das war nicht der ausschlaggebende Grund, Freddy wieder "nach Hause" zu holen, oder?
Nein. Dass ich Freddy wieder zurückholen wollte, wusste ich von Anfang an. An einen anderen Gitarristen hatte ich auch überhaupt nicht gedacht. Und diese Kombi aus Freddy und Henrik war quasi meine Traumkombi.

Am Bass spielt bei Dir Stefan "Gudze" Hinz, den der eine oder andere vielleicht noch von den H-BLOCKX kennt. Woher kennst Du ihn, wie kam er zu Dir?
Stefan habe ich durch Freddy kennengelernt. Wir haben natürlich viel gebrainstormt, wer die Positionen am Bass und am Schlagzeug übernehmen könnte. In den letzten Jahren habe ich mit ganz vielen tollen Bassisten gespielt, aber irgendwie wollte ich mal etwas Neues. Es sollte jemand sein, mit dem ich noch nicht so eine riesige Vergangenheit habe und der etwas frischen Wind reinbringt. Und Stefan ist in jeder Hinsicht unfassbar, man kommt an ihm einfach nicht vorbei. Du weißt ja, wie viel ich mich auf der Bühne bewege, und Stefan bewegt sich mindestens genauso viel. Er hat unglaublich viel Energie und er hat bei den Proben ganz viel zu den Arrangements beigetragen. Deshalb war ich wirklich froh, dass er mir zugesagt hat. Natürlich sind die H-BLOCKX nach wie vor seine Band, aber er hat eben großen Bock, auch bei mir mitzuspielen. Es fühlte sich von Anfang an sehr gut an mit ihm, er passte gut in die Familie. Stefan ist einfach ein zurückhaltender und netter Mensch, was ich sehr zu schätzen weiß, denn ich arbeite viel lieber mit solchen Menschen als mit irgendwelchen Egomanen.

Fehlt noch die Position am Schlagzeug. Wer sitzt da und trommelt?
Das ist Sven Zumbrock. Den kenne ich schon seit den Anfangszeiten von LUXUSLÄRM. Und zwar spielte der bei PEACH BOX. Das war die Band unseres damaligen Bassisten David Müller. Unseren ersten Gig mit LUXUSLÄRM spielten wir damals in einem Contest gegen PEACH BOX und gewannen das Ding. Da sah ich Sven zum ersten Mal. Zwischenzeitlich half er dann bei HEROcks auch mal am Schlagzeug aus. Jetzt sahen wir uns wieder und haben uns sofort blendend verstanden. Das Krasse an Sven ist, er kann die Energie transportieren, die ich live brauche. Da muss wirklich jemand an den Drums sitzen, der richtig ackert. Dann aber im Studio so präzise zu spielen, wie es nötig ist, das kann eben auch nicht jeder. Sven kann beides. Irgendwann rief ich ihn dann mal an, erzählte ihm von meinen Plänen und fragte ihn, ob er Lust hätte mitzumachen. So kamen wir zusammen.

In den neuen Songs ist zwar in einem Song ein Keyboard zu hören, aber Du sagtest ja eben, im eigentlichen Line Up der Band gibt es kein Keyboard. Wird das dauerhaft so bleiben oder ist das erst mal nur eine vorübergehende Entscheidung?
Für mich wird das zunächst so bleiben, weil wir in der jetzigen Besetzung gut aufgestellt sind und einen guten Sound fahren. Es gibt aber tatsächlich eine einzige Nummer auf dem Album, nämlich "Herz bleibt Trumpf", wo so eine "Schweineorgel" im Hintergrund zu hören ist. Das werden wir live einfach mitlaufen lassen, weil es essentiell zum Song dazu gehört, aber alles andere können wir selber spielen. Und "Ich lass dich los", was auf der Platte eine Klavierballade ist, spielen wir live mit zwei Akustikgitarren. Es ist also alles machbar. Ich finde es sowieso wichtig, dass man live flexibel bleibt.

Es ist ja sowieso cool, wenn es live anders klingt als auf CD.
Absolut! Vor allem ist es auch für die Fans total aufregend, wenn es nicht alles 1:1 übernommen wird. Bei meinen Bands war es aber wohl ohnehin schon immer so, dass man die Energie, die wir auf der Bühne haben, niemals vollständig auf CD einfangen kann.

Du kommst gerade frisch aus dem Studio, wo Du Dein erstes Soloalbum aufgenommen hast. Wie wird die Scheibe heißen und wann kommt das Album in den Handel?
Das Album wird "Frei sein" heißen. Dafür habe ich mich ganz bewusst entschieden. "Frei sein" war ja auch meine zweite Single nach "Ein letztes Glas". Der Titel demonstriert wunderbar mein derzeitiges Gefühl, also sich freigestrampelt zu haben von alten Dämonen oder einfach nur von der Vergangenheit. Jetzt sehe ich zu, dass ich meinen eigenen Weg gehe, deshalb passt dieses "Frei sein" so schön. Die Überlegung, die CD genauso zu nennen, lag also nahe. Ab dem 16. August wird das Album im Laden stehen und an diesem Tag gibt es dann im Werkhof Hagen-Hohenlimburg auch gleichzeitig mein Release-Konzert mit über vierhundert Leuten. Da wird die Hütte richtig abgerissen.

Willst Du dieses Album in Eigenregie, sprich mit selbst angeschubster Promotion und eigenem Label in die Welt tragen oder hast Du einen Plattenvertrag bei einem Label unterschrieben?
Wir machen eigentlich alles selbst. Der Michael, mein Soundmann von LUXUSLÄRM, hat mich monatelang immer wieder angeschrieben und bekniet, irgendetwas zu machen. Er sagte immer, das wäre so verdammt schade, wenn ich nichts Neues mehr machen würde. Micha hat das Studio, in dem wir aufgenommen haben und er hilft mir in allen möglichen Belangen. Na gut, wir haben keine Radiopromotion, das können wir uns halt nicht leisten. Aber wir machen Werbung auf meinen Portalen, wir verteilen Flyer, schreiben die ganzen Veranstalter an. Da ist es natürlich wirklich toll, jemanden wie Michael an der Seite zu haben, der mir mit echter Manpower hilft. Nichtsdestotrotz haben wir eine richtig kleine und schnuckelige Plattenfirma an unserer Seite, die heißt Sireena Records. Deren Chef namens Tom ist mittlerweile ein alter Hase im Showgeschäft und der möchte uns wirklich unterstützen. Das kann man nicht vergleichen mit den Plattendeals bei Universal & Co., wo man erst mal viele Blätter unterschreiben muss, sondern das ist einfach nur eine Unterstützung, dass ich meine CD pressen kann, dass ich auch finanziell in der Lage bin, etwas an den Start zu bringen.

Wird es denn auch eine Vinylausgabe geben?
Ja klar, zumal Sireena Records ja bekannt dafür ist, sehr vieles auf Vinyl herauszubringen. Gerade auch für ältere Bands werden viele Sachen nochmal neu auf Vinyl gepresst. Ich habe gegenüber Tom leichte Zweifel angemeldet, ob meine Zuhörer auch Interesse an Vinyl haben würden, aber er fand das megacool und meinte, wir machen auf jeden Fall eine kleine Auflage als Vinyl, dann haben wir es auf jeden Fall für den Liebhaber im Angebot.

Das klingt alles so, als wenn man komplett neu anfängt, als würde sich eine junge Band von unten nach oben kämpfen.
Ja, das kann man so sehen. Es ist quasi wieder "from the beginning". Das Gute ist, dass ich damit egomäßig überhaupt kein Problem habe. Es ist eher umgekehrt, ich habe den Ehrgeiz, es tatsächlich noch einmal nach oben zu schaffen. Ich habe zwei Jahre ganz intensiv darüber nachgedacht, hatte sehr viele Tiefphasen, in denen ich dachte, diesen Stress tue ich mir definitiv nicht mehr an. Diesen ganzen Druck, diese Erwartungshaltung, die vielen Termine usw ... Nein, das wollte ich nicht mehr. Aber ich gebe Michael Recht, ich brauchte im Endeffekt etwas, was mich endlich wieder aus diesem Loch herauszieht. Zumal ich in dieser Zeit auch noch eine Trennung hinter mir hatte, die ebenfalls nicht gerade schön war. Ich brauchte etwas, woran ich mich festhalten kann und hatte irgendwann die Kraft zu sagen: "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, jetzt sitzt Du nicht mehr auf der Couch und weinst, sondern kriegst Du Deinen Arsch wieder hoch und machst ab jetzt wieder Mucke!" Diese Therapiestunde für einen selbst, wie ich das immer nenne, gab mir unendlich viel Halt. Das Album ist also meine eigene Therapie.

Du hast ja nun beide Arten der Albumveröffentlichung miterlebt. Anfangs hast Du mit LUXUSLÄRM alles komplett alleine und in Eigenregie gemacht, dann seid Ihr zu einer Company gewechselt. Würdest Du diesen Wechsel zu einer großen Company noch einmal machen oder verzichtest Du in Zukunft lieber darauf?
Normalerweise bin ich kein Fan davon. Das war ich schon damals nicht. Ich wurde seinerzeit aber überstimmt, doch das trage ich natürlich mit, denn ich habe ja auch mit unterschrieben. Nur hat es mir persönlich nichts gegeben. Da sitzen dreißig Leute am Tisch, jeder weiß es besser, alle schmeißen dir ihre Visitenkarten hin. Der eine ist für Radio zuständig, der andere für TV, am Ende weiß man gar nicht mehr, wer denn nun wofür da ist. Es ist ein ultragroßes Geschäft, was da gesponnen wird. Und ja, es war sehr interessant, das mal mitzumachen und zu erfahren, wie so etwas abläuft, aber im Moment kommt das für mich nicht in Frage. Andererseits habe ich in den letzten fünfzehn Jahren gelernt, niemals nie zu sagen. Doch für den Moment ist das wirklich ausgeschlossen, weil ich unter anderem mit Sireena Records total glücklich bin und überhaupt erst einmal sehen will, was denn nun passiert. Eigentlich will ich derzeit nur live spielen und Mucke machen. Mir geht es nicht um irgendwelche Chartplatzierungen. Ja, das war früher mal interessant und aufregend, aber heute ist das nicht mehr mein Ziel.006 20190620 1138316253 Natürlich muss ich mit der Musik meine Brötchen verdienen, aber primär geht es im Augenblick für mich darum, den Spaß an der Musik und den Liveauftritten wiederzufinden. Der kommerzielle Erfolg steht dabei für mich nicht an erster Stelle.

Ich habe ja eben schon von diesem fetten Sound gesprochen. Beim Hören der Songs stechen die lauten Gitarren ja tatsächlich richtig ins Ohr. Bewirbst Du Dich mit den neuen Stücken als legitime Nachfolgerin von Doro Pesch als Deutschlands härteste Musikerin?
Das ist witzig, dass Du das sagst, denn das habe ich jetzt schon des Öfteren gehört, dass man da Parallelen zu Doro erkennt. Das ist zunächst natürlich ein süßes Kompliment für mich, weil Doro natürlich über Jahrzehnte hinweg DIE Rocklady Nr. 1 in Deutschland ist. Aber wirkliche Gemeinsamkeiten sehe ich nicht. Wir sind beide blond, sind beide Sängerinnen, aber ansonsten macht jeder von uns seine eigene Mucke. Und Doro macht am Ende doch eine ganz andere Musik als ich. Unabhängig davon möchte ich selbstredend in diese Kerbe reinschlagen, weil ich weiß, dass das in Deutschland nicht so viele Sängerinnen können. Es gibt hier echt viele, die im Pop oder im Singer/Songwriter-Bereich gut sind, aber es gibt nicht ganz so viele Ladies, die ein bisschen mehr Eier haben und mit den Männern mithalten können. Deshalb belege ich in dieser Sparte gerne einen Platz, aber ich mache mir überhaupt keine Gedanken zu werden wie Doro Pesch oder sonst wer. Ich will jetzt endlich mal Jini werden, das ist meine erste Aufgabe.

Zwischen all den lauten Tönen befinden sich mit Songs wie "Ein letztes Glas" oder "Ich lass Dich los" auch leise Momente. Auch wenn beides Balladen sind, unterscheiden sich diese Nummern doch deutlich von den Balladen anderer Künstler, wo man immer wieder über das schablonenhafte, gleichklingende Prinzip stolpert, was einen auch schnell langweilt. Was ist Deine Rezept, eine Ballade so in Szene zu setzen, dass sie beim Hörer auch ankommt?
Ich mache mir gar nicht so viele Gedanken darum, wie das letztlich ankommen wird. Bei einer Ballade wie "Ich lass Dich los" kommt es darauf an, eine Art Therapie für einen selbst zu entwickeln. Es geht darin ja auch um den Verlust meiner Beziehung, was für mich ganz schlimm war. Ich habe einfach drauflos geschrieben. Das Schöne war hier, dass an dem Song ein Freund von mir mitgeschrieben hat, der sofort verstand, wie ich mich gefühlt habe. Die Musik mache ich dann übrigens nicht selber, denn das kann ich gar nicht. Da bin ich also immer auf meine Gitarristen und die anderen Mitmusiker angewiesen. Bei mir ist es generell so, dass erst die Musik da ist und dann der Text kommt. Erst muss also der Move, der Vipe da sein und da packe ich dann meinen Text rauf. Ich konstruiere nicht, wie könnte ich jetzt beim Zuhörer am besten landen, sondern das ist eher eine Gefühlssache. Und bei diesem Song spürte ich sofort, das war genau mein Thema.

Also höre ich heraus, man muss selber erst ein tiefes Tal durchschreiten, um glaubhaft eine Ballade rüberbringen zu können.
Ich weiß nicht, ob das wirklich so sein muss. Es gibt bestimmt auch Leute, die das einfach so können oder die gut schauspielern können. Ich jedenfalls muss immer erst böse auf die Schnauze fallen, um solche Texte schreiben zu können. Ich könnte auch niemals für andere Leute die Texte schreiben, weil ich mich gar nicht so tief in deren Geschichte rein denken und einlesen kann. Deshalb klingt es bei mir auch immer sehr ehrlich und authentisch. So wie ich mit Dir gerade spreche, so versuche ich auch zu singen.

Du hast gesagt, auf die Charts schielst Du nicht mehr. Das ist nicht weiter tragisch, denn das ist ja eh alles verlogen, machen wir uns nichts vor. Aber es geht ja auch um eine Wahrnehmung von außen. Mit Liedern wie "Am Ende des Tages", "Herz bleibt Trumpf" oder "Frei sein" würde man ja den inneren Frieden im "Fernsehgarten" stören und bei Andrea Kiewel möglicherweise ein Knalltrauma verursachen. Auch im WDR-Radio müsste man erst noch einen Kanal erfinden, um Deine Songs spielen zu können. Welche Chancen rechnest Du Dir mit den Songs für Einsätze in Funk und Fernsehen aus oder gehörst Du in dieses Auslaufmodell gar nicht mehr rein?
Nein, das ist für mich alles nicht mehr interessant, das habe ich alles schon erlebt und mitgemacht. Wir waren ganz oft im "Fernsehgarten", wo ich dann zum Playback meine Lippen bewegen musste. Das ist nicht mehr meine Welt. Sollte es dann doch mal wieder zu einem Fernsehauftritt kommen, freue ich mich darüber natürlich sehr, weil ich dadurch viele Menschen erreiche. Aber ich forciere das nicht mehr wirklich. Ich bettel nicht um etwas, was ich so gar nicht brauche. Mir geht es in erster Linie um das Livespielen und dass ich meine eigene CD in den Händen halte. Kommt etwas nebenher, dann mache ich das sehr gerne, aber wie gesagt, der Focus steht mittlerweile woanders. So eine Radio-Promo-Schweinetour, sich überall vorstellen müssen, nein danke. Ich habe das alles hinter mir und würde es vielleicht auch irgendwann mal wieder machen, weil es eben dazu gehört, aber das wird dann frühestens 2020 passieren. 2019 schaue ich erst einmal, dass ich meine eigene Tournee gut spiele und ein paar Leute erreiche.

Du hast in Deinen Liedern immer wieder die Stärken in den Menschen wachgerufen, die abseits der Norm unterwegs sind. Sei es vom äußeren Erscheinungsbild oder von der inneren Einstellung her. "Es ist okay" ist wieder so ein Lied, in dem Du Menschen Mut machen willst. Ist das ein Thema, welches nie an Aktualität verlieren wird?
Ich bin ja seit einiger Zeit schon fleißig auf Instagram & Co. unterwegs, weil das für mich das Portal ist, wo ich die Menschen auf dem Laufenden halte und informieren kann. Es ist wirklich krass zu beobachten, was einem gerade auf Instagram vorgegaukelt wird. Sei es, wie ein perfektes Gesicht auszusehen hat, oder wenn es um perfekte Zähne oder die perfekte Figur geht. Dabei fiel mir auch auf, dass diese Fotos, auf denen ich lächele, viel mehr likes bekommen haben als die Bilder, auf denen ich nicht lächele. Darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Klar, die Leute wollen immer das Positive und ein Lächeln im Gesicht, aber das Leben besteht nicht nur daraus. Ich habe meinen Followern zu erklären versucht, dass jeder mal einen Scheißtag hat, auch ich, und dass man eben nicht immer top aussieht und nicht immer Bock hat zu lächeln. Das war für mich dann ein schöner Ansatz zu sagen, es ist okay, auch mal Schwächen zu haben und diese zu zeigen. Es ist okay, nicht immer so zu sein, wie die Presse es gerne hätte und wie die es ihren Lesern vorgaukeln möchten. So entstand dieser Song. Es ist eine schöne Popnummer, die auch live super funktioniert, weil sie einen schönen stampfenden Beat hat und alle mitklatschen können. Und hier steht im Gegensatz zu den meisten anderen Popsongs der Text ganz klar im Fokus.

Was ist denn der "Schmetterlingseffekt"?
Ich glaube, das ist für jeden etwas anderes. Für mich ist es der Gedanke, dass am Ende der Welt jederzeit etwas passieren kann. Mit einem Flügelschlag kannst Du einen Hurrikan auslösen. Dasselbe machen ja Menschen manchmal auch mit einem. Also dieses Gefühl, was wäre, wenn wir diesen oder jenen Weg anders gewählt hätten. Deshalb finde ich den Schmetterlingseffekt auf Menschen bezogen ganz toll, weil man sagen kann: "Weil Du einmal mit dem Flügel gewackelt hast, bringst Du meine ganze Welt ins Wanken". Das gefiel mir. Dann bekam ich Hilfe von Tänzer, einem ganz lieben Freund, der auf der Platte gerappt hat. Mit ihm zusammen habe ich diese Nummer geschrieben. Für mich ist der "Schmetterlingseffekt" eine Outstanding-Nummer, die ganz anders klingt als die anderen Songs. Wir haben den Titel auch live gespielt und er kam super an. Wir haben da eine Menge Atmosphäre rein gemacht und fanden es richtig schön, Das war mal etwas ganz anderes und hat irgendwie das auch meinen Horizont erweitert, mal mit einem anderen Genre zusammenzuarbeiten.

Ich habe Dir aufmerksam zugehört und mitbekommen, Du hast von einer weiteren Liebespleite gesprochen. "Herz bleibt Trumpf" behandelt auch so ein Thema. Früher gab es so etwas ja nicht. Da hat man mit Anfang 20 geheiratet, dann Kinder gekriegt und fertig war die Lebensplanung. Heute läuft das alles etwas anders und man rauscht durchaus mal in eine solche Liebespleite hinein. Ist das Deine eigene Erfahrung oder eher die Erfahrungen aus Deinem Umfeld?
Das ist die eigene Erfahrung. Es zieht sich durch mein ganzes Album, dass die Texte sehr persönlich sind. Bei "Herz ist Trumpf" ist es so, dass ich den Männern, mit denen ich zusammen war und die mir weh getan haben, sagen möchte: es ist egal, wie sehr ihr mich verletzt habt - ich glaube einfach weiter daran, dass Herz Trumpf bleibt. Ich glaube weiter an die große Liebe, an Vertrauen, an Treue, eben an solche Werte von früher. Da bin ich vielleicht etwas oldschool, aber an diese Dinge glaube ich halt. Und deshalb ist "Herz ist Trumpf" bewusst aus dieser Trauer heraus entstanden.

"Sommer 2010" ist ein weiterer Song, den ich noch erwähnen möchte. Es geht da um zwei unterschiedliche Biografien, um Entwicklungen, die unterschiedlich gelaufen sind. An wen richtet sich denn dieses Lied und um wen geht es darin?
Das ist für meine beste Freundin Anna, die ich im Sommer 2010 kennengelernt habe und die tatsächlich ein komplett anderes Leben als ich führt. Sie ist die Einzige, die mir wirklich immer ganz, ganz ehrlich zur Seite gestanden hat und die auch mal echte Kritik äußert. Sie ist sehr reflektiert und ist die stärkste Frau in meinem Umfeld. Anna hat nicht nur ihren eigenen Friseursalon, sondern sie hat auch unfassbare Power im Hintern, was ich sehr bewundere. Und ich dachte mir, nach zehn Jahren Freundschaft wäre es doch mal an der Zeit für einen solchen Song. Mir war das auch schon vorher klar, dass diesmal auf dem Album ein solcher Song dabei sein würde. Und tatsächlich war das Lied auch schon nach einer halben Stunde fertig geschrieben. Freddy und Henne haben sich mit zwei Akustikgitarren hingesetzt und ich wusste sofort, was ich sagen will, hätte sogar noch 38 weitere Strophen schreiben können. Aber letztlich habe ich mich auf die jetzt vorhandenen zwei beschränkt. Anna hat Rotz und Wasser geheult, als sie das zum ersten Mal gehört hat. Sie konnte es gar nicht glauben, dass man für sie mal einen Song schreibt. Das war ein Volltreffer.

Wir haben jetzt die Inhalte der Lieder nur kurz angerissen, aber Du hast ja schon erwähnt, dass es ein sehr persönliches Album geworden ist. Ich hatte leider noch nicht genug Zeit, es mir ganz intensiv anzuhören. Worum geht es in dem Album sonst noch? Welche Botschaften transportierst Du mal laut und mal leise?
Es geht ganz viel um dieses Freiheitsgefühl. Außerdem geht es ganz viel um das Auf und Ab in der Liebe, aber ich singe auch von den Tiefen im Leben. Ich nenne das immer die Dämonenphase, die man durchlebt und aus denen man gar nicht so ohne weiteres wieder herauskommt. Da ist z.B. "Lass das Licht an" sehr interessant. Es geht aber auch ums Feiern, wie in "Ein letztes Glas". Es geht um ganz viele positive Dinge im Leben, die man nicht vergessen sollte, aber auch um Schwächen, die man zeigen sollte. Insgesamt ist es ein sehr erdiges Album geworden, obwohl ich eigentlich immer etwas blumige Texte schreibe. Ich bin also kein cooles Mädchen, was in den Charts rauf und runter läuft. Ich liebe die E-Gitarren, ich liebe die Soli, ich liebe zu verstehende Texte, die sich anhören, als würde ich direkt mit Dir sprechen. All das zeichnet das Album aus: es ist ehrlich, authentisch, selbst erlebt.

Lass uns vom Inhalt zur musikalischen Umsetzung kommen. Gibt es irgendeine Inspirationsquelle, die Dich auf diese Schiene gebracht hat oder ist dieser doch recht kräftige und harte Sound erst beim Einspielen der Lieder entstanden?
Nein, das steckte schon immer in mir drin, aber ich durfte das bei LUXUSLÄRM nie richtig ausleben. Das ging nur live. Es hieß immer, ich solle die Platten nur soft und möglichst poppig einsingen. Das ging so lange, bis ich mich eines Tages dagegen gewehrt habe. Ja klar, ich kann soft singen und ich kann auch Balladen, aber das ist nicht mein Naturell. Ich bin quirlig, ich habe Power im Arsch und ich habe eine Stimme, die ich ganz weit nach oben ziehen kann. Warum darf ich das nicht auch mal auf ein Album packen? Deshalb war es von Anfang an klar, dass dieses Album genau in diese Richtung gehen wird und ich aber trotzdem meine unterschiedlichen Facetten zeigen kann.

Ich möchte mal kurz anmerken, dass die Art und Weise des Vortrages eine absolute Stärke der Platte ist. Das habe ich vorher bei Dir noch nie in dieser Form gehört, dass Du von total relaxt bis hoch zur absoluten Power so durchhämmerst. Das ist schon beeindruckend.
Dankeschön. Wie gesagt, früher war das alles anders gewünscht. Nun kann man sich fragen, warum habe ich das mitgemacht? LUXUSLÄRM war doch schließlich meine Band. Nun, ich habe mir viel zu viel diktieren und vorschreiben lassen und konnte mich dadurch musikalisch gar nicht austoben und ausleben, wie ich es zum Beispiel jetzt kann. Heute habe ich überhaupt keine Barrieren, ich könnte jetzt sogar einen Jazzsong machen. Verstehst Du, was ich sagen will? Deshalb hat es auch ein Weilchen gedauert, als ich im Studio war und den ersten Song geschrieben habe. Da war noch ganz viel Wut in mir und der erste Song war dann auch richtig Käse. Ich sagte mir, das hat doch alles keinen Sinn und ich wollte alles wieder hinschmeißen. Und dann war ich auf einem Konzert von Beth Hart, die eine ganz tolle Sängerin ist. Die Frau hat mich so berührt und fast zum Weinen gebracht. Ich dachte mir, das gibt es doch gar nicht! Die sitzt da an ihrem fucking Klavier und trifft mich mit jedem Ton, den sie singt, voll ins Herz. Sie war tatsächlich der Anstoß dafür, dass ich mir am nächsten Tag ein E-Piano bestellt habe und darauf eine Woche später meinen ersten Song geschrieben habe, das war "Ein letztes Glas". Damit fing alles an. Man braucht eben manchmal einen Arschtritt oder eine gewisse Inspiration. Zumindest ich brauchte das, denn aus eigener Kraft habe ich das nicht geschafft.

Du bist ja jetzt in einer Phase, wo man probiert, wo man guckt, wo geht es hin, was macht man. Dem ersten Konzert vom 1. Juni folgt das nächste Konzert erst am 25. Juli. Da sind also fast zwei Monate dazwischen. Wo genau werdet Ihr das spielen und wird sich bis dahin am Liveprogramm schon etwas verändert haben?
Tatsächlich ist gerade noch ein neuer Gig dazu gekommen, und zwar am 5. Juli bei "Bochum total". Da spiele ich zu einer richtig coolen Hauptzeit und da freue ich mich riesig drauf. Aber ansonsten, das ist richtig, geht es am 25. Juli weiter. Das Programm werden wir aber definitiv so weiterspielen, denn wir haben festgestellt, dass wir überhaupt nichts ändern müssen. Selbst die Reihenfolge der Songs, die man ja ansonsten gerne mal ändert, war perfekt. Auf jeden Fall lassen wir die Setliste zumindest mal den Sommer über so, wie sie ist. Bei "Bochum total" können wir leider nicht so lange spielen wie z.B. in Lippstadt, deshalb nehmen wir in Bochum die Akustiknummer raus. Zumal "Bochum total" ja ein eher lautes Festival ist, wo diese Akustiksongs untergehen würden. Wir passen also unsere Setliste immer den Gegebenheiten und der Zeit an, die uns zur Verfügung steht. Im Normalfall spielen wir aber diesmal zweistündige Konzerte, in denen auch ein paar alte LUXUSLÄRM-Nummern dabei sind, die mir immer noch etwas bedeuten. Sonst würde es ja auch nicht für ein zwei Stunden-Programm reichen.

Der Record Release Party wird sich eine komplette Tour anschließen. Wie weit sind denn die Planungen für die Tour schon fortgeschritten? Ich habe gelesen, erst einmal werdet ihr nur in kleinen Clubs spielen, vermutlich um zu schauen, wie die Nachfrage ist.
Das stimmt, aber wie Du schon gesagt hast, man fängt wieder klein an. Dass ich nicht sofort in die "Große Freiheit" gehe, ist wohl jedem klar. Ich wollte stattdessen lieber in kleine Clubs, die ich vielleicht sogar voll bekomme. Das ist mir natürlich lieber, als in einer Halle für zweitausend Menschen zu spielen, aber es kommen am Ende nur eine Handvoll Zuschauer. Diese Wohlfühlatmosphäre war mir von Anfang an wichtig. Und ich liebe ohnehin diese Clubkonzerte, die ich auch jederzeit einem Festivalauftritt vorziehen würde. Die Stimmung ist in einem Club viel intimer, viel intensiver, viel privater, denn die Leute kommen ja nur deinetwegen. Die Planung ist schon durch, wir haben die Tour für dieses Jahr festgelegt und auch für 2020 ist der Tourplan bereits komplett fertig. Letzteres gebe ich aber noch nicht bekannt, weil die Leute natürlich erst mal in die jetzigen Konzerte gehen sollen. Wir haben für diese zwei anstehenden Tourneen ein Riesenprogramm, aus dem wir schöpfen können. Ein paar Sachen werden wir für die Tour sicher noch ein kleines bisschen umarrangieren. Grundsätzlich steht aber alles schon fest.

Es wird sicher noch eine ganze Weile brauchen, bis Deine Vergangenheit mit LUXUSLÄRM in den Hintergrund treten wird und Deine aktuelle Karriere im Mittelpunkt steht. Trotzdem hast Du, wie eben gesagt, ein paar Songs von LUXUSLÄRM ins Programm eingebaut. Kommst Du einfach nicht daran vorbei, diese Nummern zu singen oder ist Dir sogar ein echtes Bedürfnis, einige Songs Deiner alten Band live präsentieren zu können?
Darüber habe ich tatsächlich lange nachgedacht und habe natürlich versucht, in dieser Phase LUXUSLÄRM aus meinem Leben und meinen Gedanken zu streichen. So nach dem Motto: das ist Vergangenheit, jetzt mache ich etwas Neues. Nichtsdestotrotz habe ich mir überlegt, es sind ja MEINE Songs, ich habe die geschrieben, da steckt immer noch ganz viel Herzblut von mir drin und ich lasse mir diese Lieder nicht nehmen. Deshalb habe ich gesagt, die Nummern, die mir wirklich etwas bedeuten, die wirklich voll meins sind, also beispielsweise "Liebt sie dich wie ich", müssen mit rein. Es wäre für mich undenkbar, die Songs nicht zu spielen. Außerdem freuen sich die Fans natürlich total, nochmal die alten Nummern zu hören. Für die Zukunft ist es natürlich angedacht, dass man das mit der Zeit immer mehr davon rausnimmt und ich stattdessen mehr von meinen eigenen, neuen Liedern spiele. Im Moment sind es ja erst elf eigene Titel, mit denen man aber kein Konzert vollkriegt. Also fülle ich das mit einigen LUXUSLÄRM-Songs. In fünf Jahren wird das aber schon ganz anders aussehen.

Wenn man sich von einer Band getrennt hat und nun Soloarbeit macht läuft man Gefahr, dass einem die Leute sagen, das fällt Dir auf die Füße. Und Kritiker könnten Dir vorwerfen, Du coverst Dich selbst. Was entgegnest Du diesen Leuten?
Ach weißt Du, das bin ja trotzdem ich, das ist ein Teil meiner Vergangenheit. Das kann man nicht einfach abschütteln, genauso wie man eine Beziehung nicht einfach mal so abschütteln kann. Diese Narben gehören fest zu einem. Ich versuche ja wirklich vieles von dem, was ich negativ gesehen habe, ins Positive zu drehen. Deshalb stehe ich dazu, dass diese Songs immer zu mir gehören werden, dass sie ein Stück meiner Seele sind und solange ich damit klar komme, sind mir sämtliche Kritiker egal. Ich gebe da wirklich nichts mehr drauf, ob ich mich nun nach Kritikermeinungen selber covere. Das dürfen die gerne schreiben. Ich bin jedenfalls mit mir im Reinen.

Jetzt kommen ein paar Fragen, bei denen Du auch gerne sagen darfst, Du möchtest die nicht beantworten. Bei LUXUSLÄRM gab es ja dieses berühmte Team, bestehend aus Dir, Jana Krämer, Jan Zimmer und Produzent Götz von Sydow. Ihr wart, wenn ich richtig informiert bin, eine GbR und die Schaltzentrale der Band. Ist von diesem äußerst effizienten und erfolgreichen Quartett überhaupt noch etwas übrig? Gibt es noch Kontakt untereinander oder gar Hilfe für die aktuelle Arbeit?
Nein, da ist kein Kontakt mehr vorhanden. Außer zu Jan, mit dem ich mich wieder richtig gut verstehe. Wir arbeiten in der Musikschule zusammen, haben ein paar gemeinsame Covergigs gespielt, das ist also alles in Ordnung.

Gibt es bei Dir inzwischen ein neues Team dieser Art und bist Du heute der alleinige Chef, der den Hut aufbehält und nicht mehr in die Runde weitergibt?
Also ich bin tatsächlich mehr Herzensmensch und Musiker als Geschäftsfrau. Trotzdem lerne ich gerade sehr viel, weil ich ja alles selbst entscheide. Da bin sehr froh, dass ich den Michael Danielak habe, der den Sound für mich macht. Mit dem habe ich jetzt wieder eine GbR gegründet und wir beide rocken das alles. Ich habe mich entschieden, das Team so klein wie möglich zu halten und Entscheidungen selber zu treffen, ohne dass mir rein gelabert wird.012 20190620 1631132134 Das ist alles sehr entspannt und es wird nichts über meinen Kopf hinweg entschieden, wie es früher oft war. Jetzt bin ich halt selber Geschäftsfrau und Chefin. Natürlich ist das eine völlig neue Erfahrung, die ich gerade mache, aber diese Erfahrung bringt mich echt weiter. Es tut mir auch gut, mal nicht nur die Musikerperspektive zu sehen.

Es ist vielleicht eine doofe Frage, aber die bietet sich förmlich an, wenn Du schon ein früheres und ein später dazu gestoßenes Mitglied der LUXUSLÄRM-Kapelle dabei hast. Stand denn jemals die Idee an, vielleicht eines Tages doch wieder unter dem Namen LUXUSLÄRM Musik zu machen? Etwa mit neuen Musikern und einem neuen Team? Oder war das überhaupt und zu keiner Zeit einen Gedanken wert?
Doch, es war durchaus ein Gedanke, den ich aber schon nach einer Woche wieder verworfen habe, weil LUXUSLÄRM für mich wie ein dickes Buch ist, was ich zugeklappt habe und was jetzt im Schrank steht. Ich kann natürlich immer wieder in das Buch rein gucken und ein paar Kapitel lesen oder eben ein paar der alten Songs auch heute noch live spielen. Aber generell habe ich mich dafür entschieden, mit den Menschen und der Band abzuschließen. Außerdem gäbe es da rechtlich ganz viel zu klären. Im Übrigen ist es so: wenn ich mal gegen eine Beziehung oder gegen eine Band entschieden habe, dann doch bitte richtig und konsequent. Lieber mache ich unter meinem eigenen Namen und mit neuen Songs weiter. Dann bin ich auch niemandem etwas schuldig.

Ich frage mal ganz ohne Hintergedanken und nur für all die Leser, die gerne mal einen Ratgeber zur Hand nehmen: passen Liebe und Arbeit zusammen? Oder sollte man innerhalb einer "Arbeitsgemeinschaft" Beziehung und Beruf lieber trennen?
Das kommt immer auf den Menschen selber an. Bei Jan und mir hat das 13 Jahre lang richtig gut funktioniert. Wir hatten zusammen die Musikschule, wir haben zusammen gelebt, wir waren mit LUXUSLÄRM auf Tour, wir waren im Hotelzimmer zusammen… Wahrscheinlich erwarten jetzt alle die Antwort: Das sollte man auf keinen Fall tun! Aber das ist Blödsinn, denn wie gesagt, hat es bei uns ganz toll und lange geklappt. Ich glaube, das ist wirklich vom einzelnen Paar abhängig, ob man das zusammen rocken kann, ob man sich egomäßig zurücknehmen kann, Kompromisse eingehen kann. Wenn man für sich diesen Partner gefunden hat, ist das auch überhaupt kein Problem. Für mich würde ich jetzt sagen, da ich das alles einmal erlebt und durchgemacht habe und das Ende nicht so glücklich war, würde ich es zukünftig wahrscheinlich nicht forcieren, jemanden aus meiner Band oder meinem ganz nahen musikalischen Umfeld als Partner in Betracht zu ziehen. Aber da spielt ja wieder der Faktor Liebe eine große Rolle, denn wer weiß schon, wo die Liebe hinfällt?

Die Hauptsache ist doch, dass man glücklich wird, alles andere ist Nebensache.
Das stimmt total. Es hat ja auch seine Zeit gebraucht, bis ich das verstanden habe und meinen Hintern wieder hochgekriegt habe, um das zu machen, was meine Leidenschaft ist. Jetzt bin ich sehr glücklich und sehr frei, kann morgens aufstehen, ohne Bauchschmerzen zu haben. Das ist ein ganz tolles Gefühl von Freiheit. Womit wir wieder beim Ausgangsthema wären ...

Welche Wünsche hast Du an das Album und an Deine Fans da draußen?
Wünsche? Das Einzige, was ich mir wünsche ist, dass ich mit meinen Songs, die ja doch sehr privat und intim und ehrlich sind, irgendwie die Menschen erreiche und berühren kann. Das war schon immer meine Aufgabe und der Grund, warum ich Musik mache. Deshalb wäre es sehr cool, wenn möglichst viele dieses Album hören, dabei in meine Seele schauen und sich vielleicht sogar damit verbunden fühlen. Und vielleicht fühlt sich dann manch einer inspiriert, sich das Ganze auch noch live anzugucken. Was meine Fans angeht ... Man darf ja nicht vergessen, dass ich zweieinhalb Jahre komplett von der Bildfläche verschwunden war, ganz viele meiner damaligen Fans aber immer noch da sind, mich unterstützen, auf Instagram Werbung für mein Album machen, in meine Konzerte kommen, dort irgendwelche Fahnen schwenken ... Das ist schon krass und gibt mir das Gefühl, nicht vergessen zu sein. Und ich merke, die Leute sind geil auf neue Mucke. Das finde ich echt spannend, das ist wie ein neues Baby für mich.

Dafür wünsche ich Dir ganz viel Erfolg.
Danke sehr!



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: tormey
Fotos: Christian Reder






   
   
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