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Interview vom 2. Oktober 2017



Es gibt Sängerinnen und Sänger da draußen, die könnten das Telefonbuch von Garmisch-Gelsenkirchen singen, und man würde vor Verzückung in die Knie gehen. Zwischen all den 08/15-Stimmchen im inzwischen unüberschaubaren Pop-Geschäft ragen sie weit heraus. Aber speziell bei den jungen Künstlern ist es heute mehr denn je so, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein müssen, um entdeckt und erfolgreich zu werden. Zu unübersichtlich ist die Szene und zu rar gesät sind die Plattformen, wo sie sich zeigen können. Eine Neuentdeckung auf dem Gebiet der tollen Stimmen ist die Sängerin ALINA, die zwar ohne Nachnamen dafür aber mit einem überragend gut justierten Instrument daher kommt.001 20171005 1462983378 "ALINA macht Pop mit Seltenheitswert", heißt es im Pressetext zu ihrem am 20. Oktober 2017 erscheinenden Debüt-Album, und da liegt der Verfasser dieses Textes völlig richtig. Inhaltlich und von der Qualität ihrer Musik, insbesondere aber ihres Gesangs, liegt die junge Frau weit über dem, was die Charts derzeit im Angebot haben. Alina ist wohltuend anders und ihre Lieder sind es auch. Darum bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Menschen von der Existenz der Künstlerin aber auch ihrer Lieder erfahren, denn es wäre die pure Verschwendung, wenn das, was sie da für uns vorbereitet hat, im Nirgendwo untergehen würde. Wir hatten Gelegenheit, kurz vor der Album-Veröffentlichung mit der Künstlerin ein paar Worte zu wechseln. Das Ergebnis findet Ihr jetzt hier ...




Hallo Alina
Hallo Christian, ich freue mich, dass Du Dir Zeit nimmst ...

Ein wunderbares Promo-Album ist der Grund! Was ich bisher gehört habe, gefällt mir ausgesprochen gut.
Ach cool ... geil! Ich hab' auch ein Lieblingsstück auf der Promo-CD ...

Okay, darüber reden wir gleich. Eine Frage vorab, damit die Leser Dich und Deinen bisherigen Weg besser einordnen können ... Vorausgesetzt, ich darf das fragen: Wie alt bist Du?
Na ja, darum mache ich natürlich ein kleines Geheimnis (lacht). Ich bin nicht mehr das allerjüngste Semester, ich brauchte ein bisschen länger für die Platte. Also sagen wir mal, so um die dreißig ... (lacht)

Alles klar. Wo bist Du geboren, wo ist Dein Zuhause?
Im Schwarzwald.

Als ich mich mit Dir und Deiner Biographie beschäftigt habe, fiel mir als erstes ein Satz auf, in dem es heißt, Du hättest Deine Inspiration im Plattenschrank Deiner Eltern gefunden. Erzähl mal: Was hast Du denn dort gefunden und was war - abgesehen von Mutter und Vater - der Auslöser dafür, sich intensiv mit Musik und Inhalten zu beschäftigen?
Ich habe tatsächlich viele Platten gehört, die wir damals rumstehen hatten, also noch richtig original mit Plattenspieler. Und da war eine meiner Lieblingsplatten von Alexandra, also der Künstlerin und Schlagersängerin aus den 60er Jahren. Ich weiß jetzt gar nicht mehr genau, wie das Album hieß. Als kleines Mädchen blieb ich an diesem Album richtig hängen, "Mein Freund, der Baum" oder "Illusionen" liefen rauf und runter. Letzteres war eines der Lieder, welches wir auch in der Familie liebten und beispielsweise bei Wanderungen im Wald anstimmten. Mitten im Wald diese dramatischen Melodien. Auch "Der Traum vom Fliegen" war immer eines meiner Lieblingslieder, in das habe ich mich sehr früh verliebt. Natürlich gab es aber auch viele andere Einflüsse. So kam später auch Mariah Carey hinzu, bis heute ein großer Einfluss, ich liebe sie sehr. Die haben wir dann auch immer im Auto auf CD gehört, das weiß ich noch. Später kamen weitere Einflüsse durch alles mögliche, durch meinen Bruder, durch Freunde, durch die Medien. Zum Musikmachen bin ich tatsächlich eher durch meine Familie gekommen, denn Musik stand bei uns sehr stark im Mittelpunkt. Meine Eltern hatten hobbymäßig eine eigene Band, in der sie Musik machten. Somit war das Verhältnis zur Musik stets sehr lebendig. Du musst Dir vorstellen: Wenn wir CDs, Platten oder Radio gehört haben, dann haben wir gleich mit performt. Es wurde laut mitgesungen, auch getanzt und sich irgendwie zur Musik ausgedrückt. Immer irgendwie ganz natürlich. Das bereitete mir sehr viel Spaß, es wurde gern gesehen und auch gefördert. Es wurde nie zu mir gesagt: "Du, sing' mal nicht" oder "Sei mal leise" - ich durfte immer inbrünstig mitsingen.

Du sagtest gerade, Du hast Alexandra gehört. Den Pressetext hatte ich noch nicht gelesen, sondern Deine CD gehört und gleich beim Song "Herzstreik" entdeckte ich gewisse Parallelen, das muss ich schon sagen ...
Wow, cool ... Das ist interessant, normalerweise sagen die Leute immer, dass dies bei "Kind sein" so wäre. Im Nachgang zum Schreiben dieses Songs erinnerte mich irgendwie auch an diese Zeit.

 Alexandra ist eine ziemlich schwere Kost für ein junges Mädchen, oder?
Ja, es wundert mich auch. Ich scheine schon immer eine Melancholikerin gewesen zu sein. Ich glaube auch, als Kind versteht man Melancholie oder Sehnsucht sehr gut. Kinder haben ja auch eine unglaubliche Tiefe, die man als Erwachsener vielleicht gar nicht so sieht oder versteht. Sie sind ja auch schon Menschen bzw. Persönlichkeiten. Mich sprach das irgendwie total an. Die in ihren Songs erzählten Geschichten, beispielsweise in "Der Traum vom Fliegen", fand ich einfach herzzerreißend. Nach "Mein Freund, der Baum", fing ich an, mit Bäumen zu sprechen und sie zu umarmen. (lacht) Ich war ganz traurig darüber, dass Menschen so etwas machen können, zum Beispiel Bäume fällen ...

Es ist zu lesen, dass ein Auftritt, den Du mit sieben Jahren hattest, ziemlich prägend war. Wo war das, zu welchem Anlass und was trugst Du denn dort vor?
Das war zum 40. Geburtstag meines Daddys, er feierte bei uns im Hinterhof mit der Familienband, von der ich eben sprach. Sie bestand aus meinen Eltern, meinem Opa und einem Freund der Familie, der Drumcomputer und Keyboard spielte. Da hatte ich als kleines Mädchen schon Ambitionen, mitzumachen und diese Feier war die erste Gelegenheit, gemeinsam mit dieser Familienband auf die Bühne zu gehen. Ich suchte mir "Let's Twist Again" aus, den wollte ich singen. Zu der Zeit konnte ich noch gar kein Englisch, dachte mir aber irgendein "Kauderwelsch" aus und war komplett angstfrei. Ich stürmte auf die Bühne, tanzte und sang, die Leute sind total ausgerastet. Es gab frenetischen Applaus und die konnten sich gar nicht mehr einkriegen. Das prägte sich natürlich ein, es war ein Aha-Erlebnis, bei dem ich dachte: "Wow, was ist denn hier los?"

Gab es in Deiner Jugend eigentlich auch eigene Bands oder Projekte, in denen Du gespielt oder gesungen hast?
Ja, auf jeden Fall. Mit 14 hatte ich meine erste richtige Band. Das war so eine Mischung aus Deutsch- Soul, Rock und Rap. Irgendwie machten wir also alles mit ganz coolen Jungs von der Schule, die alle schon älter waren, als ich. Das ging aber nicht mehr so lange, weil sie alle nach dem Abitur weggezogen waren und ich eben erst 14 war. Und dann habe ich später mit der Bigband der Schule sehr viel gespielt, half bei Soul-Projekten aus und war auch mal fest in der Band. Parallel hatte ich mit einem Freund, mit dem ich zur Schule ging, der Klavier spielte und auch musikalische Ambitionen hatte, Songs geschrieben und auch angefangen, bestimmte Sachen zu produzieren. Seit dieser Zeit war ich extrem aktiv, allerdings gab es kein Bandprojekt, welches sich bewährte oder durchsetzte. Ich muss auch sagen, ich bin überhaupt nicht der Band-Typ. (lacht)

Hat Alina eigentlich einen bürgerlichen Beruf nach der Schule erlernt oder stand für sie immer nur die Musik im Raum?
Eigentlich stand für mich die Musik immer im Raum, dann kam der große Bruch. Nach dem Abitur wandte ich mich von der Musik ab. Es begann die Zeit, in der ich noch mal etwas anderes machen wollte. Ich studierte also Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften an der Uni Konstanz und lebte dort vier Jahre. Gegen Ende der Studienzeit kam ich durch einige Umstände bzw. eher Zufälle wieder total zurück zur Musik.003 20171005 1616378933 Erst dann war mir richtig klar: "Okay, die Musik ist es komplett." Vorher hatte ich noch den einen oder anderen Zweifel, ob, wie und wo ich das schaffe. Gegen Ende des Studiums der Geisteswissenschaften gab es dann dieses Aha-Erlebnis, ich verfiel der Musik vollkommen und setzte alles auf eine Karte.

Deshalb sagtest Du anfangs also "... ich brauchte ein bisschen länger für meine erste Platte" ...
Ja, genau. Eigentlich bin ich kein "Spätzünder", sondern ein "Frühzünder" mit einem Bruch. Es war auch wichtig, sich mal komplett zu entfernen, Abstand zu nehmen und etwas anderes auszuprobieren. Dann aber richtig, denn ab diesem Zeitpunkt war es mein eigenes Ding. Ich bin ja aus dieser musikalischen Familie und irgendwann gab es dann auch diese gewisse Rolle "unser Kind, unser Goldkehlchen und trallala". Das hatte auch Seiten, die ich nicht mochte. Ich glaube, aus denen musste ich mich einfach befreien.

Apropos Goldkehlchen: Es hätte mit Deiner Karriere ja auch voll nach hinten losgehen können. Du hattest eine Stimmbandoperation, wie zu lesen ist, die Deine Karriere eigentlich schon hätte beenden können, bevor sie anfing. Wann war das und was war der Auslöser?
Die Operation war 2014 und eigentlich das Resultat einer sehr verbrauchenden und anstrengenden Zeit vorher. Nach meinem ersten Studium ging ich an die Pop-Akademie, weil ich dachte, dass das der einzige Ort für mich wäre, an dem ich viel lernen kann, an dem viel los ist und durch den Rahmen eines Studiums auch die finanzielle Situation etwas stemmbarer wäre. Dort hatte ich eine sehr intensive Phase, in der ich viele Jobs gleichzeitig, viele musikalische Dienstleisterjobs und so weiter hatte. Ob Backgroundgesang, stundenlange Auftritte bei Hochzeiten oder Auftritte bei Firmenveranstaltungen. Ob krank oder nicht, arbeitete ich nebenbei auch noch in einer Bar. Das war sehr verbrauchend und so waren es mehrere Jahre, in denen ich immer mehr in eine Stimmstörung reinrutschte. In Berlin kam dann das große Erwachen und das war natürlich eine echt schwierige Phase für mich. Da kam ich an meine Grenzen und stellte mir die Fragen: Was passiert eigentlich, wenn ich meine Stimme nicht mehr habe? Wer bin ich dann noch und was sind meine Perspektiven? Zu der Zeit war ich ja schon vier Jahre auf dem Weg, dass ich unbedingt nur Musik machen wollte. Es gibt noch eine schöne Geschichte: Noch vor der Operation begann ich mit einer Stimmtherapie und fuhr ein halbes oder dreiviertel Jahr lang vom Friedrichshain, in dem ich wohne, nach Charlottenburg zu meiner Stimmtherapeutin. An der Warschauer Brücke war stets umzusteigen. Dort wird schon ewig gebaut und ich musste also immer über eine durchhängende, stegartige Brücke herunter zur S-Bahn laufen. Von dieser Brücke aus kann man das Universal-Gebäude mit ihrem Emblem auf der Seite sehen. Ich weiß noch, als es mir so schlecht ging und ich so viele Ängste hatte, stand ich manchmal - wenn das Wetter schön war und ich von der Therapie zurück kam - dort und starrte tatsächlich dieses Emblem an und stellte mir vor, wie es wäre, wenn die mich irgendwann mal hören und mein Potential erkennen würden. Wenn also alles gut gehen würde quasi ... Das war noch vor der Operation und es ist krass, dass es nun drei Jahre später so gekommen ist. Das ist für mich wirklich das totale Wunder meines Lebens.

Nun hört man ja oft, dass eine solche Operation einiges verändert. Gab diese Operation Deiner Stimme vielleicht noch den letzten Kick oder hattest Du vorher schon so ein großartig klingendes Instrument?
Oh, vielen Dank für die Blumen! Meine Stimme war vorher auch immer sehr kräftig und witziger Weise auch trotz dieser Stimmstörung. Ich habe natürlich bemerkt, dass mir auf einmal viele Töne fehlten, in oberen Bereichen der Stimme eine gewisse Brillanz und Flexibilität verloren ging,004 20171005 1110440300 immer Heiserkeiten da waren und ich stimmlich insgesamt schneller verbraucht war. Ein Teufelskreis und wenn man das nicht behebt, wird es immer schlimmer. Ich hatte großes Glück mit dem Arzt, der mich an der Charité in Berlin operierte. Dieser Arzt genießt weltweit einen sehr guten Ruf und er sagte, "Also Frau Wichmann, Ihre Stimme ist auf sehr hohem Niveau." Meine Stimme war schon immer stark, aber nach der Operation und durch dieses komplette in die Feinheiten gehen und noch mal neu Lernen kam da nochmal was obendrauf. Ich habe aufgehört zu rauchen, zu trinken, habe ein tägliches Übungsprogramm durchgezogen. Ich arbeitete also sehr stark an meinem Instrument, bekam ein neues Körperbewusstsein und muss sagen, dass meine Stimme nie besser war, als nach dieser Zeit. Da gewann ich doch einiges hinzu, also Glück im Unglück sozusagen ...

Kommen wir doch mal zu Deinem Album, darauf ist unter anderem der Song "Nie vergessen" zu hören und der ist auch die aktuelle Single. Das ist ja eigentlich eher ein Anti-Lovesong, es geht in ihm um Trennung und hat einen eher traurigen Inhalt. Dennoch klingt die Nummer optimistisch und nach Aufbruch. Ist es eigenes Erleben und Verarbeiten von solchen Ereignissen oder einfach nur ein gutes Empfinden für die Gefühle anderer Menschen?
Mein Album ist auf jeden Fall autobiographisch, die meisten Geschichten sind meine eigenen Geschichten. Es gibt ein, zwei Songs auf dem Album, in denen es nicht nur um mich geht. Bei "Nie vergessen" ist es tatsächlich eine eigene Geschichte und rückblickend: Die Trennung von dieser Person und die Tatsache, dass es nicht geklappt hat, war sehr schmerzvoll. Irgendwann nach Jahren - das war in meiner Studienzeit in Konstanz - habe ich aber irgendwie verstanden, dass dieses Gefühl, so intensiv zu empfinden und jemanden so sehr zu lieben, auch ein wahnsinniges Geschenk im Leben ist. Es ist ein Geschenk, solch eine Erfahrung machen zu dürfen. Als ich das Lied schrieb, habe ich mir eine innere Haltung auferlegt, weil ich diesen Gedanken, es als Geschenk zu betrachten und als Schatz in sich zu tragen, total stark fand. Es ist so ein bisschen wie ein Mantra, wenn man einen Song schreibt. Die Gedanken und die Haltung vertiefen sich, indem man ihn auch immer wieder singt. Diesen Aspekt habe ich dabei nie vergessen.

Also autobiographisch. Dann kann ich ja davon ausgehen, dass Du Dir, wie man es in "Immer wenn es weh tut" hören kann, im Falle von Seelenschmerzen diese auch immer wegtanzt ...
Ja klar, auf jeden Fall. Es gibt Gott sei Dank auch diese Seite an mir, ich bin ja ein sehr expressiver Typ und ich liebe es, zu tanzen. Wie ich Dir vorhin erzählte, kommt das auch ganz tief aus meiner Kindheit und vom Umgang mit Musik in meiner Familie. Das ist für mich auch Lebenselixier und existenziell.005 20171005 1787774092 Ich erwische mich regelmäßig dabei, wenn ich zu Hause Musik konsumiere, wild herumzutanzen, einfach nur so für mich. Es ist auf jeden Fall toll, dass es nicht nur ein Lied auf dem Album gibt, welches das widerspiegelt und es ist natürlich auch ein schöner Lösungsansatz, also mit dem Schmerz in Aktion zu gehen, mit ihm zu tanzen.

Du verzichtest beim Schreiben Deiner Texte auf die heute marktgängigen "Horoskop-Formulierungen", die auf alles und auf jeden passen. Du triffst aber trotzdem genau den Punkt bei vielen Leuten, weil man sich in dem, was Du an Inhalten vermittelst, wiederfinden kann ...
Vielen Dank, das ist ein großes Kompliment. Das ist definitiv mein Ziel beim Schreiben. Ich bin jetzt auch nicht die sprachverliebteste Schreiberin. Es gibt Kollegen von mir, die viel mehr verliebt sind in gewisse Worte, den Klang von Worten oder noch in eine zweite und dritte Ebene. Das brauche ich nicht, mit dem Erzählten eine Verbindung mit dem Hörer einzugehen, ist mir wichtiger. Das soll natürlich nicht in plumpem und klischeebehaftetem Geschwafel rüberkommen, aber es ist die Essenz. Es muss grazil sein, es muss sprachlich was machen, aber es soll immer berühren. Die Worte sind für mich eher ein Gefäß für die Stimme, das Gefühl und die Geschichte dahinter. Danke, dass Du das so empfindest. Es ist ein sehr schmaler Grat, in der Pop-Musik hat man wenig Zeit und muss stets schnell zum Punkt kommen. Aber es soll ja auch schön klingen. Diesen schmalen Grat auszutarieren, ist eine sehr große Herausforderung und ist auch für mich immer die so genannte Challenge.

Da stellt sich mir die Frage, ob es ein Talent ist, so mit Worten umzugehen, oder ob Du einen Lehrmeister hattest ...
Beides, würde ich sagen. Man wird sicherlich mit einem gewissen Talent geboren, dann liegt es aber an einem selbst, wie weit man das ausfeilt. Bei mir war sehr lange die Stimme im Vordergrund, also das tonale und technische Arbeiten mit der Stimme. Die Sprache faszinierte mich zwar schon immer, aber ich habe mir das Songschreiben eigentlich gar nicht zugetraut. Sogar, als ich mit 14, 15 mit der Band und später mit dem einen angesprochenen Kollegen die ersten Songs geschrieben habe, sah ich mich immer mehr als Sängerin. Es liegt sicher auch daran, dass man in der Gesellschaft als Frau zu wenig in der Öffentlichkeit stehende Vorbilder hat, von denen man weiß, dass sie ihr eigenes Ding machen und auch ihre eigenen Songs schreiben. In Deutschland weiß zum Beispiel niemand, dass Mariah Carey ihre Songs selbst schreibt und auch co-produziert. Das weiß hier einfach niemand, weil sie nie so dargestellt wurde. Ich traute mir das also lange nicht zu und worauf ich hinaus will: Ich schrieb dann mit vielen Leuten zusammen - noch bevor die Songs für die Platte entstanden sind - und auf der Platte befinden sich so auch andere Co-Writer. Anfangs traute ich mir ziemlich wenig zu, mittlerweile bin ich so selbstbewusst geworden, dass ich merke, nein, ich brauche da gar niemanden dafür.006 20171005 1859254814 Das war aber ein Prozess, in dem ich auch viele tolle Begegnungen und Schreibpartner und viele lehrreiche Momente hatte. Auch wenn mal etwas nicht funktioniert, nicht zusammen passt oder der andere einen anderen Stil verfolgt, dann merkt man, welches der eigene Stil ist. Und das ist ja eigentlich immer so im Leben, jedes "Nein" führt Dich irgendwann mal zu einem "Ja". Hoffentlich ... (lacht)

In welchen Momenten schreibst Du denn Texte? Letztens hatte ich jemanden, der sich grundsätzlich dazu in die Küche setzt ... Viele Leute suchen sich ja besondere Momente, in denen sie ihre Texte schreiben. Ist das bei Dir genauso?
Nein, überhaupt nicht. Vielleicht kommt da noch eine gewisse Routine. "Die Einzige" habe ich zum Beispiel beim Wäschezusammenlegen geschrieben. Da kam mir ein Aha-Moment, schaltete mein Handy an und improvisierte a-capella. Der Text wollte wohl auch raus, eigentlich war er schon fertig und wartete nur auf den richtigen Zeitpunkt, bis ich bereit war, eben diese Geschichte zu erzählen. Es ist wirklich ganz unterschiedlich. Manchmal auch in der TRAM oder der U-Bahn - wenn es ganz unpassend ist - singe ich schon mal heimlich eine Formulierung oder eine Melodie, die mir gerade durch den Kopf jagt, auf mein Handy, um sie festhalten zu können. Mich küsst die Muse immer unverhofft.

Speziell der Song "Schönheitskönigin" sticht ins Auge bzw. Ohr, wenn diesen eine eh schon attraktive Frau singt und darin Selbstzweifel an ihrer eigenen Schönheit deutlich herausschreit. Richtet sich dieses Lied an all die Frauen im Land, die von einem völlig falschen Schönheitsideal ausgehen und sich deshalb nicht attraktiv finden können?
Erstens: Danke für die Blumen. Zweitens: Es richtet sich nicht nur an die Frauen, sondern auch an die Männer. Es richtet sich an jeden, der Zweifel mit sich trägt. Ich glaube, das ist ein viel universelleres Thema, als es nur auf Frauen und Figurprobleme zu reduzieren. Natürlich ist es auch ein wenig der Aufhänger, weil ich eben so bin, wie ich bin. Aber es hat eine viel größere Universalität und das ist mir auch wichtig, weil wir alle Selbstzweifel in uns tragen. Wir haben alle Tage, an denen wir in den Spiegel sehen und uns nicht ausstehen können. Dann finde ich schwierig, wenn man dann einfach nur sagt: "Ja, aber Du bist schön, so wie Du bist" oder "Nimm Dich doch an, so wie Du bist." Ich finde es stark, wenn man diese Zweifel auch beschreibt, weil genau das die eigentliche Tür öffnet für jeden, dem es genauso geht. Dann fühlt man sich auch verstanden. Und ich glaube auch, dass es dieses gesellschaftliche Problem gibt, will es auch nicht bestreiten und bin daher froh, dass dieser Song das anspricht. Aber Schönheit liegt auch im Auge des Betrachters, die Hoffnung stirbt also zuletzt, dass vielleicht doch jede eine Schönheitskönigin oder jeder ein Schönheitskönig sein kann. Das ist ein wenig die Dualität in diesem Song. Einerseits gebe ich zu, dass es so ist und auch darunter leide und andererseits wird es zwei oder drei Personen geben, die das anders sehen.

Der Song "Titan" hingegen könnte eine neue Siegeshymne á la "We Are The Champions" werden und überall dort dazu avancieren, wo es Wettkämpfe gibt, auch im Leben. In welchem Moment ist Dir dieser Text eingefallen? Er klingt ja ziemlich nach vielen Rückschlägen ...
Ja, bei dieser Nummer bin ich einem meiner Co-Schreibpartner sehr sehr dankbar, dass er mich fast dazu genötigt hat, so eine Art Lied zu schreiben. Mit Roland, mit dem ich diesen Song schrieb, wohnte ich zusammen, wir sind auch eng befreundet und er ist ein großartiger Musiker und Texter.007 20171005 1002990800 Er hat gerade ein englischsprachiges Projekt namens "Schwarz" und als wir zusammen wohnten, kamen wir nicht umhin, auch gemeinsam zu schreiben. Eines Abends kam ich zurück von einer Reise, hatte im Zug eine ganz verletzende Begegnung mit einer fremden Frau, die mich irgendwie auch blöd anging. Ich erzählte ihm davon und da ich so verletzt und auch traurig darüber war, sagte er: "So, nun schreiben wir mal so eine 'Survivor-Hymne'." Ich hatte darauf gar keinen Bock, weil ich noch völlig in meinem Schmerz verweilte. Er machte es aber so charmant, ich ließ mich drauf ein und bin unglaublich froh, dass es dieses Lied gibt. Es hilft mir auch persönlich, immer wieder aufzustehen und es ist immer wieder super, es auch live zu spielen. Ich finde, es ist uns ganz toll gelungen, das mit Streichern zu produzieren. Bei diesen Streicherläufen, die wir aufnehmen durften, denke ich übrigens auch immer wieder an Alexandra. Ich bin auf jeden Fall dankbar, dass es diese "Aufsteh-Hymne" gibt, denn die brauche ich selbst definitiv auch auf der Platte. ... (lacht)

Ich benutzte gerade schon den Ausdruck "Horoskop-Texte" und von denen sind ja so einige im Umlauf. Bei Dir sollte man allerdings schon die volle Aufmerksamkeit schärfen. Ist das für den Weg eines Pop-Stars heute nicht eher hinderlich, wenn man bedenkt, dass der sogenannte Mainstream-Musikgeschmack doch eher nur noch auf Konsumieren und kaum noch richtig auf Zuhören ausgerichtet ist?
Das heißt ja nicht, dass es für immer so bleiben muss und ich glaube schon, dass der Konsument echte Geschichten hören möchte. Egal in welchem Genre, ob es Musik ist, ob es Bücher sind oder ob es ein Bild ist, das ich betrachte. In dem Moment, in dem ich mich selbst erkenne oder mir etwas erzählt wird, was mich betrifft, höre ich immer zu, glaube ich. Also das würde ich einfach mal so stehen lassen.

Von den Inhalten zur Musik: Musikalisch ist Dein Album ziemlich breit aufgestellt. Mit wem hast Du die Lieder geschrieben oder sind die Kompositionen auch komplett aus Deiner Hand?
Ich arbeitete auf dieser Platte mit vielen tollen Leuten zusammen und es gibt wenige Songs, die nur aus meiner Feder stammen. "Kind sein" habe ich ganz alleine geschrieben, ebenso "Die Einzige", die ich zwar mit einem Gitarristen zusammen schrieb, aber das in einem intimen Moment letztlich doch allein entstand.008 20171005 1237617228 Ich arbeitete ganz unterschiedlich mit verschiedenen Leuten zusammen, manchmal mehr musikalisch, manchmal mehr textlich und manchmal in einer guten Mischung aus beidem. Es sind mir sehr nahestehende Menschen, mit denen ich die Songs schrieb. Wie schon gesagt, mit Roland, mit dem ich zusammen gewohnt habe und der mir auch sehr nah war, entstanden einige Tracks auf diesem Album. Das Stück "Immer wenn es weh tut" schrieb ich beispielsweise mit Ali Zuckowski und Martin Fliegenschmidt. Ali Zuckowski ist ja der berühmt berüchtigte Songwriter für alles aus den Jan Böhmermann-Videos, Max Giesinger usw. Ali ist ein großartiger Songwriter und ich hatte unfassbar viel Spaß, die Nummer mit den Jungs zu schreiben. Da müsste man wirklich über die einzelnen Songs sprechen, weil es von Lied zu Lied immer unterschiedlich war. Unterm Strich bin ich allerdings auch recht dominant in solchen Schreib-Sessions. Ich weiß meistens, was ich will, komme schon mit einer Idee oder Skizze dort bei einem Treffen rein oder habe schon ganze Strophen, Refrains oder Akkorde dabei. Und dann geht man in die Teamarbeit und sieht, wo man sich optimal ergänzt und auch das, was vielleicht noch neu in diesem Raum entsteht. Ich muss sagen, ich gehe selten in einen Raum mit jemanden und habe nichts vorbereitet. Das finde ich spannender und dazu zwinge ich mich auch. Ich bin eben einfach ein wenig zu dominant und weiß, was ich will und was ich nicht will. (lacht) Insofern habe ich schon sehr gern eine Idee, über der ich vorher schon brütete und dann kann ich auch loslassen ...

Das ist ja durchaus auch gut so ...
Darüber bin ich auch ganz froh. Rückblickend war total der rote Faden da, aber auf dem Weg dahin verliert man sich auch immer mal wieder und so ein Album zu machen, ist schon eine echt krasse Reise gewesen. Ich bin wirklich froh, dass das alles so zusammen gekommen ist. Und wenn man gar nicht weiß, was man will, das stelle ich mir schrecklich vor. Auch wenn man dann am Ende ein Album in den Händen hält, ich weiß nicht, ob man damit wirklich glücklich wird.

Du hattest das bei "Die Einzige" zu hörende Orchester angesprochen. Wem waren denn Kosten und Mühen für diese Produktion scheinbar egal, der Plattenfirma oder Dir? Normalerweise wird heute ja vieles mit dem Rechner gemacht ...
Ja, Du hast vollkommen recht. Deshalb bin ich auch umso dankbarer, dass das geklappt hat. Ich konnte im Meeting alle recht schnell davon überzeugen, dass wir dabei keine Abstriche machen dürfen. Wenn diese Platte eine gewisse musikalische Qualität und ein entsprechendes Standing haben soll,009 20171005 1530772494 dann braucht es auch echte Streicher. Irgendwie waren alle auch gleich von meiner Argumentation überzeugt. (lacht) Im Anschluss überließ ich es dann meiner Plattenfirma und meinem Management, sich etwas darüber zu streiten, wie wir das jetzt genau machen ... (lacht)

Ich nehme an, dass der nächste Schritt eine Tournee sein wird. Ist da schon etwas geplant?
Ja, es gibt schon eine Tour im November. Am 3.11. starten wir im Lido in Berlin, am 5.11. sind wir in Hamburg, am 7.11. in München und am 9.11. wird Tourabschluss in Köln sein. Du bist natürlich herzlich eingeladen ...

Hast Du für den Ausflug durch die Welt schon eine eigene Band und wenn ja, wer spielt da mit?
Ja, ich habe eine ganz tolle Band. Es war ein jahrelanges Zusammensuchen und Gott sei Dank auch ein Finden toller Leute. Der musikalische Direktor meiner Band ist zum Beispiel Johannes. Mit ihm arbeite ich seit fünf Jahren zusammen, er begleitete mich schon am Klavier, als noch kein Hahn nach mir krähte und ich die ersten Gigs spielen wollte. Er ist auch einer meiner besten Freunde und ich bin sehr froh, dass ich ihn habe. Mit meinem Bassisten schrieb ich "Nie vergessen", mit meinem Gitarristen "Die Einzige" und "Für mich schon Liebe". Ich muss sagen, ich habe eine wirklich tolle Band und wir wachsen nun auch immer mehr zusammen.

Das Album erscheint am 20. Oktober. Bis dahin ist zwar noch eine Weile hin, aber die Ereignisse werfen ja ihre Schatten schon voraus. Ich denke da an die PR-Aktion, in der Du gerade steckst. Bist Du da noch ganz entspannt oder steigert sich gerade die Aufregung bis ins Unermessliche?
Die Phase mit der Unermesslichkeit hatte ich schon. Das war im Frühjahr beim "PxP"-Festival auf der Berliner Waldbühne, da bin ich fast gestorben. Ich durfte in diesem Jahr dort auftreten und es war für mich das krasseste, mit all den großen Stars - auch Ikonen meiner Jugend - auf dieser Bühne zu stehen. Das hat mich eine Woche mit Bauchschmerzen und allem Pipapo gekostet.010 20171005 1771800412 Klar, wenn ich realisiere, was im Moment alles passiert, verliere ich auch schon mal kurz den Boden unter den Füßen. Aber ich merke auch, dass ich Schritt für Schritt in diese Rolle hinein wachse und das macht mir große Freude. Ich versuche, das alles zu genießen, denn es wäre schade, nur aufgeregt zu sein und Angst davor zu haben. Ich weiß ja, dass ich dafür gemacht bin und bei aller Dramatik: Es ist am Ende nur Musik.

Alina, ich wünsche Dir für das Album und für alles, was danach kommt, alles alles Gute und viel Erfolg, das haben Du und Deine Lieder nämlich absolut verdient.
Dankeschön!

Und ich freue mich auf Köln im November ...
Vielen Dank für das tolle Interview und danke, dass Du Dich jetzt schon mit meiner Platte auseinandergesetzt hast. Ich hoffe, dass Dir die acht weiteren Songs auch gefallen werden ...



Interview: Christian Reder
Bearbeitung: MB
Fotos: Pressematerial (Universal), Archiv Alina (u.a. Anke Vera Zink)



Bitte beachtet auch:
• off. Homepage von Alina: www.alinamusik.de






Videoclips:







 
 
 
 
 

   
   
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