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Thomas Rühmann ist vielen Fernsehzuschauern als Dr. Heilmann aus der TV-Serie "In aller Freundschaft" bekannt. Dass er nach getaner Arbeit den weißen Kittel auszieht und sich auch als aktiver Musiker betätigt, dürfte aber vielleicht nicht ganz so vielen Leuten bekannt sein. Im Januar geht der 58-jährige Rühmann mit seiner Band auf Tour. "Falsche Lieder" heißt das Programm, in dem er Texte von Wenzel mit anderen Liedern verbindet. Über das "Jung & Young"-Programm hatten wir bereits berichtet, jetzt kommen die "Falschen Lieder". Diese Tour haben wir zum Anlass genommen, den musizierenden Schauspieler endlich zu uns einzuladen, um über seine Ausflüge in die Musik, seine Karriere als Schauspieler und über sein tolles Projekt "Theater am Rand" in Zollbrücke zu sprechen. Unser Kollege Christian traf dabei auf einen aufgeschlossenen Mann, dem man in vielen Momenten des Gesprächs seine Aufgeschlossenheit für verschiedene Richtungen der Kunst und seine Begeisterung für bestimmte Dinge anmerkte. Leider lässt sich diese Stimmung an dieser Stelle und in schriftlicher Form nur sehr schwer übertragen, aber wir hoffen, dass es uns trotzdem gelungen ist ...
 



001 20131220 1995456634Hallo Thomas, im Januar bist Du auf Tour mit einem neuen Programm. Du und Deine Band werden Lieder von Hans-Eckardt Wenzel spielen. Warum fiel Deine Wahl auf Wenzel und seine Lieder?
Wenzel hat mich schon immer interessiert. Er ist meine Generation, und er ist der Dichter, der mir beigebracht hat, was Lieder in einem anrichten können. Er ist eigentlich mein Lehrmeister in Sachen Kunst und Ästhetik.

Nach welchen Kriterien hast Du die Lieder ausgewählt, die Du in Deinem Programm live spielen möchtest?
Das Programm heißt ja "Falsche Lieder". Wenn ich jetzt ein Programm zu Wenzel mache und ich singe darin auch noch seine Lieder in seinen Fassungen, dann mache ich es so, wie er. Darum habe ich mir gedacht, "Das Programm muss anders sein". Es ging darum, Musik zu finden, die mir unter die Haut geht und wo möglicherweise Wenzels Texte drauf passen. Ich habe mich im weitesten Sinne in der Independent-Rockszene der Welt umgeschaut und habe dort ganz wunderbare Musik gefunden, die genau das erfüllt und bei der Wenzels Texte drauf sitzen, manchmal ohne dass man sie verändern muss. Lambchop, The National, Tunng, Mumford & Sons. Es sind also Wenzels Texte zur Musik anderer Bands. Man erfährt dadurch seine Poesie neu und anders.

Wenn man Lieder verändert oder Texte hernimmt und sie musikalisch anders arrangiert, muss man sich ja mit dem Texter bzw. Komponisten in Verbindung setzen. War das bei Dir auch so?
Ja, das habe ich gemacht. Wenzel sagte dann, "Schick mir bitte mal ein paar Proben. Mich interessiert, was das ist" und als er das gehört hatte, hat er mir grünes Licht gegeben.

Wird er auch eins Deiner Konzerte besuchen?
Er wäre im vorigen Jahr fast im Postbahnhof Berlin dabei gewesen, aber dann kam er leider vom Norden nicht runter. Vielleicht klappt es ja in diesem Jahr.

Wird es bei Deiner Tour im Januar bei Wenzel-Liedern bleiben oder nimmst Du auch wieder den einen oder anderen Song von Neil Young mit ins Programm?
Ja, natürlich, aber mit Texten von Wenzel. Zum Beispiel "Turmbau zu Babel" auf Neil Youngs "Ordinary People". Wobei es auch "neue falsche Lieder" geben wird. Diesmal sind es fünf Songs, unter anderem auf Mumford&Sons. Dabei ist auch ein Text von Peter Rühmkorf und einer von Theodor Kramer.

Du wirst nicht allein auf der Bühne stehen. Wer spielt in Deiner Band und wie ist diese Band entstanden?
Mit Rainer Rohloff, dem Gitarristen, habe ich schon das Programm "Jung & Young" gemacht. Es war also logisch, dass er wieder mit dabei ist. Den Pianisten Peter Schenderlein hat mir ein Schauspielkollege wärmstens ans Herz gelegt. Ihn kennt man von "Rumpelstil" und er hat auch schon im "Theater am Rand" gespielt, so wie auch der Bassist Lexa Thomas. Und der Schlagzeuger, Gören Eggert, ist der Schlagzeuger aus der Band meines Bruders, der MARTIN RÜHMANN BAND. Wir haben auch schon Konzerte zusammen gespielt. Ich weiß, was sie können. Sie kennen Wenzel als Künstler gut und haben sofort "Ja" gesagt.

Kommen wir noch mal auf die Songs zurück. Du sagtest, Du hast Dir Songs anderer Bands und Solisten angehört und danach ausgewählt, welche dieser Kompositionen zu Wenzels Texten passen. Wie genau findet man denn die Komposition zu einem völlig anderen Lied, die dann auf einen fremden Text passt und wie entsteht dann das "falsche Lied" daraus?
Ich habe zum Beispiel Bon Iver gehört und dachte sofort, "Was ist denn das? So eine Rockmusik habe ich noch nie erlebt!" Ich höre also diese Platte und da ich Wenzels Texte alle im Kopf habe - zumindest ganz viele -, legten sich seine Worte wie von selbst auf die Musik. Wenn ich also bei einem Lied merke, "Das könnte funktionieren", setze ich mich hin und dann beginnt die Arbeit, diesen Text in den Song bzw. das Arrangement einzulegen. Da fällt manchmal eine Strophe weg. Aber wenn eine Strophe von Wenzels Text besonders wichtig ist, dann wird der Originaltitel auch mal verlängert. So einen Song singe ich der Band dann vor oder schicke ihnen das musikalische Material. Die Musiker schauen, wie es bei Bon Iver gespielt wird, und dann treffen wir uns und es beginnt die Arbeit am Arrangement. Grundsätzlich ist das Arrangement dann so, wie es Bon Iver spielt, aber wir sind andere Musiker. Das endgültige Ergebnis ist dann schon sehr an uns angepasst. Es kann also durchaus sein, dass jemand, der Bon Iver gut kennt, sich wundern wird, dass das von Bon Iver ist, was wir spielen. Das heißt, der Titel erfährt durch uns noch einmal eine Metamorphose. Es ist ein kreativer Umgang mit musikalischem Material.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Du erst seit 2011 als Musiker mit eigenen Live-Programmen auftrittst ...
In so konzentrierter Form ja. Das stimmt. Ich habe aber vorher auch schon am Theater immer wieder zur Gitarre Lieder gesungen, nur noch nicht mit einer Band. Aber auch mit der MARTIN RÜHMANN BAND habe ich vorher schon viele Konzerte gespielt. Wahrscheinlich kam daher die Lust auf eine eigene Band.

Warum hast Du so lange mit dem Start Deiner Musikerkarriere gewartet?
Bei Coelho steht ungefähr, "Es hat jetzt 10 Jahre gedauert. Es ist gut, sonst hätte es 20 Jahre gedauert". Ich bin in manchen Dingen einfach ein Spätzünder (lacht). Dadurch hat man immer etwas vor sich.

Besser spät, als nie ...
Genau!

005 20131220 1860461796Du hast gerade erwähnt, dass es auch früher am Theater schon Momente gab, in denen Musik eine Rolle spielte. Sprechen wir an dieser Stelle doch etwas über Deinen Werdegang. Du bist ja nach der Schulzeit nicht gleich Schauspieler oder Musiker geworden, sondern hast an der Karl-Marx-Universität zu Leipzig Journalismus studiert, richtig?
Ja. Ich wollte, weil ich früher in der Schule sehr gerne Aufsätze geschrieben habe, Journalist werden. So ist das mit 16 oder 17, wenn man sich einen Beruf vornimmt. Erst später stellt sich heraus, ob es der richtige oder der falsche war.

Das war also konkret Dein Berufswunsch?
Ich habe das Studium begonnen und nach einem Jahr wurde ich von einem Freund mit zu einer Studentenbühne genommen. Die spielten gerade das Stück "Guevara oder Der Sonnenstaat" von Volker Braun und fragten mich, ob ich mitspielen möchte. Ich sagte, "Gut, spiele ich mit." Ich hatte vorher noch nie etwas mit Theater zu tun gehabt. Und ab diesem Moment begann parallel zum Studium etwas zu wachsen. Und irgendwann merkte ich, dass das Studium doch nicht so toll war (lacht) - es war natürlich auch sehr ideologielastig. Ich spielte in diesem Theater immer größere Rollen. Irgendwann kam dann der Moment, in dem ich sagte, "Ach, ich versuch' das einfach mal." Ich habe mich daraufhin in Berlin an der Schauspielschule beworben, habe die Aufnahmeprüfung gemacht und es hat sofort geklappt.

Ich habe die Frage auch deswegen gestellt, weil Du ja der Sohn eines Schulleiters bist. Nun wissen wir ja alle, wie Eltern in Bezug auf die Zukunftsplanungen ihrer Kinder so sind - früher wahrscheinlich noch schlimmer, als heute. Wie fanden es denn Deine Eltern, dass Du das Studium an den Nagel gehängt und Dich in die künstlerische Richtung verändert hast?
Mein Vater war in der Frage sehr tolerant. Er hatte ja auch die Theateraufführungen gesehen, in denen ich mitgespielt habe. Vielleicht hat er meine mögliche Begabung gespürt. Wir waren sieben Kinder zu Hause, fünf Mädchen und zwei Jungs und er meinte irgendwann, "Naja, warum sollte von den Rühmanns nicht mal jemand einen künstlerischen Beruf ergreifen?" Das war sein einziger Satz dazu. Schwieriger war es mit den Leuten, die mich schon vermittelt hatten. Der damalige Direktor der Berliner Schauspielschule, Hans-Peter Minetti, hat mich dann da rausgeboxt.

004 20131220 1605032931Gab es in Deiner Jugendzeit schon Berührungspunkte mit Musik oder kam das erst später?
Die Musik war schon immer ein Teil des Lebens. Ich hatte als einziger dieser großen Familie ein eigenes Zimmer. Das war so ein winziger schlauchförmiger Raum und da saß ich - meiner Erinnerung nach - viele Nachmittage und Abende lang und habe Songs zur Gitarre geübt. Als ich Schauspielstudent wurde, gab es auch schon ein paar Projekte, die wir als Studenten machten, wo ich sehr viel mit der Gitarre gemacht und auch gesungen habe. Zum Beispiel Wenzels herrliches "Lied vom Wilden Mohn". So ist das langsam immer ernster geworden.

Um in der DDR Berufsmusiker werden zu können, brauchte man eine gewisse Qualifikation, also ein Studium und eine Einstufung. Wie war das im Schauspielfach? Hast Du für die Schauspielkarriere noch ein weiteres Studium machen müssen, also war das Pflicht?
Ja, klar. Ich habe an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" drei Jahre studiert und bin "Diplom-Schauspieler" (lacht).

Nach einigen Jahren am Theater hattest Du Deine erste Fernsehrolle in dem TV-Fünfteiler "Luther". Eine Spielfilmreihe mit einer riesigen Besetzungsliste, u. a. auch der von Dir eben schon erwähnte Hans-Peter Minetti ...
Stimmt, der hat da auch mitgespielt ...

Du spieltest darin die Rolle des Valentin Böhm. Wie kam es dazu, dass Du die Rolle bekommen hast?
Zu dem Zeitpunkt war ich noch Student und an meiner Schauspielschule unterrichtete der Regisseur Kurt Veth, der diesen Fünf-Teiler gemacht hat. Und Kurt Veth hat junge Leute für diesen Film gebraucht. Darum besetzte er für den Film die Leute, mit denen er zu tun hatte. Er kannte uns, mochte uns und hat uns geschätzt. Wir waren ein sehr mobiles Studienjahr und wir haben für DDR-Verhältnisse ziemlich selbstbestimmte Projekte gemacht. Eins dieser Projekte nannte sich z. B. "Schlampampe". Wir sind mit einem Theaterwagen, den uns eine LPG zur Verfügung gestellt hatte, von Mühlhausen nach Eisenach gezogen und haben ein Harlekin-Stück auf den Dorf-Angern gespielt. Ich glaube, dass "Schlampampe" auch der Ursprung für das war, was wir später mit dem "Theater am Rand" gemacht haben. Diese Selbstbestimmtheit, alles von der Pike auf selbst zu entscheiden, was man tut, das habe ich dort gelernt und das haben wir später mit dem "Theater am Rand" fortgesetzt. An anderer Stelle, in anderen Zeiten, in einem anderen Jahrhundert.

Welche Erinnerungen an den Dreh und die Zeit während der Produktion sind Dir am stärksten in Erinnerung geblieben und was war das damals für den jungen Theater-Darsteller Thomas Rühmann für ein Gefühl, einen Film für das Fernsehen zu drehen?
Na ja, das war sehr ungewohnt und wenn ich mir das heute angucke (fängt an, zu lachen) bin ich relativ erschrocken (lacht weiter). Ich finde das wirklich nicht gut, was ich dort gemacht habe. Ich hatte damals einfach noch keine Erfahrung damit, wie intensiv, wie kräftig, wie leise, wie naturhaft man vor der Kamera sein muss. Ich finde, ich war damals mit starken Anfängerfehlern behaftet. Einmal hatte ich beim Dreh ein sehr "schönes" Erlebnis. Mit dem Berliner Ensemble machten wir gerade eine Aufführung. "Blaue Pferde auf rotem Gras" von Schatrow, eine Art "Vor-Perestroika-Aufführung". Für damalige Verhältnisse war das ein sehr brisantes Stück über Lenin. Von dort aus wurde ich mit einem Kollegen, einem Mitstudenten, abgeholt und zusammen im Auto nach Prag gefahren, denn dort drehten wir für den "Luther"-Film. Wir fuhren die Nacht durch. Irgendwann fragte mich der Kollege, "Hast Du Deinen Text für morgen eigentlich gelernt?" Ich dachte aber, ich hätte keinen. Ich schaute dann ins Drehbuch und ich hatte tatsächlich doch Text. Es waren höchstens sechs Sätze, die ich zu sagen hatte, und ich habe in der kurzen Zeit auf der Fahrt versucht, mir diese sechs Sätze draufzudrücken. Es war aber eine gebundene Sprache, so ein bisschen stilisiert. Ich hab's also versucht und habe gemerkt, ich krieg's aus lauter Angst nicht rein. Dann kam der Moment der Aufnahme und ich hatte eine Kompletthemmung (lacht). Für mich war das ganz grausig. Ein richtiges Trauma, an dem ich noch Jahre zu tragen hatte. Inzwischen ist es Gott sei Dank überwunden ... Ich sag's jetzt mal ganz hart: Die haben damals jedes Wort einzeln mit mir drehen müssen (lacht). Im Film sieht man es nicht. Nur ich sehe die Angst in meinen Augen ...

006 20131220 1626931548Beim Film gibt's ja - anders als beim Theater - keine Souffleusen ...
Ne, gibt's eben nicht! Manfred Krug hat sich seinen Text immer auf Zettel schreiben lassen. Das habe ich auch, aber ich war so angstbehaftet, dass ich selbst die Schrift auf dem Zettel nicht lesen konnte (lacht).

In der Bundesrepublik gab es auch eine Verfilmung des Luther-Themas. Die bundesdeutschen Kritiker lobten die DDR-Produktion und kritisierten gleichzeitig die bundesdeutsche Fassung. Hat man davon - insbesondere vom eben erwähnten Lob aus dem Westen - in der DDR etwas mitbekommen?
Nein, davon weiß ich nichts. Aber das ist ja auch mal schön. Aber würde man das heute auch noch so bewerten? (lacht)

Man weiß es nicht ... Es gab in der Folge viele weitere Produktionen, in denen Du mitgewirkt hast. Einige Folgen der Polizeiruf 110-Reihe stehen ebenso in Deinem Lebenslauf, wie eine Tatort-Folge und diverse Serien-Rollen. Dazwischen immer wieder Engagements beim Theater. Was machst Du lieber? Theater oder Film- bzw. Serienproduktionen?
(überlegt etwas) ... Ganz hart: Ich mache lieber "Theater am Rand". Das hängt aber damit zusammen, dass das ein so selbstbestimmtes Unternehmen ist. Und Selbstbestimmtheit ruft in einem Energien ab, die man eigentlich nicht für möglich hält. Das vermag Theater und vor allem ein so besonderes Theater, wie das "Theater am Rand". Trotzdem bin ich sehr froh, dass ich durch die vielen Fernsehproduktionen endlich dieses Handwerk erlernt habe und gewissermaßen angstfrei vor die Kamera treten kann. Und natürlich das Geld verdiene, mit dem wir uns so ein freies Theater leisten können.

Eine der bislang erfolgreichsten Rollen, die dazu auch noch eine ganz lange Zeit Deiner Karriere andauert, ist die Rolle des Dr. Heilmann in der ARD-Serie "In aller Freundschaft". Kannst Du vielleicht kurz erzählen, wie Du diese Rolle bekommen hast?
Das war so, wie bei Freischaffenden immer: Es gab wieder ein gähnendes schwarzes Loch (lacht). Es passierte nix. Ich dachte, "Au, au ... wenn das so weiter geht, muss ich mir für den Herbst was anderes ausdenken." Und just, als das Loch am tiefsten war, kam das Angebot von "In aller Freundschaft". Zumindest erst mal die Einladung zu Probeaufnahmen. Also bin ich da hin und die erste Partnerin bei den Probeaufnahmen war dann auch Hendrikje Fitz, die in der Serie meine Ehefrau spielt. Wir sind dann von Anfang an durch alle Gremien gegangen und offenbar haben wir in der Konstellation Mann/Frau gefallen. Und so bekamen wir die Rollen des Ehepaars Heilmann. Das war ein großer Glücksfall, das muss man so sagen.

Es ist immer wieder zu hören und zu lesen, dass das Darsteller-Team von "In aller Freundschaft" inzwischen wie eine große Familie ist. Stimmst Du dem so zu oder empfindest Du das anders?
Ich bin da ein bisschen vorsichtiger. Es ist eher wie ein Theater-Ensemble - das finde ich irgendwie ehrlicher, es so zu nennen, denn wir sind ja untereinander nicht alle befreundet oder innig zueinander. Es gibt Kollegen, mit denen ist man befreundet, so wie ich mit Dieter Bellmann und Hendrikje Fitz, und dann gibt es Kollegen, zu denen man ein sehr achtungsvolles Verhältnis hat, wie im Theater auch, wo man auch nicht mit allen Kollegen auf "Du" ist. Darum würde ich es eher so bezeichnen ...

Nach 15 Jahren nicht mit jedem Kollegen per "Du"? Echt?
Ich muss mal kurz überlegen ... Nein. Sogar mit dem verantwortlichen Redakteur beim mdr bin ich inzwischen per "Du". Mit dem war ich viele Jahre auf "Sie". Irgendwann haben sie mich in die Kneipe eingeladen und mich betrunken gemacht. Und dabei wurde das "Du" besiegelt (lacht).

In wie weit wird man selbst zum Arzt, wenn man diese Rolle über eine so lange Zeit spielt?
Null, null, null ... Auf so eine Frage kann ich keine vernünftige Antwort geben (lacht).

Also fängt man nicht zu Hause an, wenn der eigene Nachwuchs kränkelt, Diagnosen zu stellen?
Nein. Darum sagte ich auch "null". Ich weiß darüber nix. Ich weiß nicht mehr, als jeder andere Mensch, der nichts mit der Medizin zu tun hat. Das ist ein so großes Wissensfeld und die richtigen Kollegen müssen dafür so lange studieren und Weiterbildungen machen ... Wenn man sich hinstellen und sagen würde, "Ich weiß durch meine Rolle als Arzt jetzt was über Medizin", wäre das einfach peinlich.

Ich erinnere mich da an eine Szene, in der mehrere Ärzte, u. a. auch Du in Deiner Rolle, in einer geselligen Runde gesessen und sich Platten aus der Jugendzeit aufgelegt haben. Zu sehen war da "Mont Klamott" von SILLY. Entsprach das tatsächlich dem Geschmack von Euch Darstellern oder war der Drehbuchautor Fan von SILLY?
Wenn ich mich jetzt so erinnere, war es der Geschmack des Drehbuchautors. Dr. Heilmann fand SILLY damals gut, wobei seine Ostherkunft in der Serie nur ganz schwach thematisiert wird. In dem Falle stimmt es aber mit mir privat auch überein. Für mich persönlich war SILLY damals die wichtigste Band zu Ostzeiten.

010 20131220 1039017455Daran schließt sich auch meine letzte Frage zu dem Thema an: Wieviel Einfluss kann man als Darsteller auf seine eigene Rolle nehmen? Gibt es Mitspracherecht bei den Drehbüchern?
Nein, direkt bei den Drehbüchern nicht. Aber ich habe z. B. nächste Woche einen Termin mit den Dramaturgen. Die wollen sich mit mir gemeinsam hinsetzen und über die Rolle, die Vergangenheit und die Zukunft sprechen. Dabei hat man dann sehr wohl die Möglichkeit, Anregungen zu geben. Man muss dabei auch erwähnen, dass die Dramaturgen immer wieder wechseln. Die, die neu dazu kommen, haben die 600 bisherigen Folgen natürlich auch nicht alle gesehen. Die Leute, die wirklich wissen, was von Anfang an gelaufen ist, werden immer weniger (lacht). Dann muss man den Dramaturgen manchmal sagen, was es alles schon gab.

Ja, bei Dir war der Flugzeugabsturz, die Leukämie ... das ist alles schon da gewesen.
Das gab es alles schon. Diese Hauptsachen werden sie vielleicht noch kennen, aber die ganzen Details bestimmt nicht. Aber bei diesem Gespräch geht es hauptsächlich darum, wie es weitergeht.

Welche Rolle würde Dich reizen oder anders gefragt: Welche Rolle oder in welchem Film möchtest Du gerne noch spielen?
Ein richtig guter Western würde mich reizen. Aber wenn, dann müsste das schon einer von Quentin Tarantino sein. Also wenn der mich fragen würde, würde ich - ohne das Drehbuch zu kennen - sagen: "JA!"

Womit wir wieder im Heute wären. Wie gut oder schlecht lässt sich die Schauspielerei mit Deiner neuen Betätigung als Musiker unter einen Hut bringen? Kollidiert da möglicherweise zeitlich das eine mit dem anderen?
Die Fernsehproduktion stöhnt zwar schon, aber es funktioniert. Wenn ich jetzt komplett auf dem "freien Markt" der Schauspieler wäre, würde ich eine Tour, wie die im Januar, die über einen ganzen Monat geht, möglicherweise gar nicht so einfach planen können. Sowohl meine Musik, als auch meine Theatertermine kann ich wunderbar mit der Fernsehproduktion besprechen. Da versucht man, sich auch gegenseitig entgegen zu kommen.

Ich nehme an, Du steckst mit Deiner Band derzeit in den Vorbereitungen zur Tour im Januar.
Ja.

Wie bereitet Ihr Euch vor?
Wir haben fünf neue Titel im Programm und für diese fünf Titel gibt es drei Probentage. Kurz vor der Tour, etwa zwei Tage davor, treffen wir uns alle hier bei mir zu Hause. Da ist genug Platz. Wir werden alles aufbauen und dann geht's los.

Hast Du schon eine Idee, was als nächstes kommt? Da wir ja nur den Osten bespielen, würden wir in Zukunft gerne das Tor aufstoßen und auch in der großen, alten Bundesrepublik aufschlagen.

Wird es vielleicht sogar ein Programm mit eigenen Liedern von Dir geben?
Nein. Ich bin kein Erfinder. Ich kann mit Material gut umgehen. In diesem Falle sind es Wenzels Verse in Verbindung mit Musik von anderen. Das bringe ich zusammen und zwar in einer ganz speziellen Variante, aber ich bin niemand, der selbst Lieder schreiben kann. Mein Bruder macht das ganz wunderbar, aber ich kann das nicht. Es ist aber auch erleichternd zu wissen, dass man etwas nicht kann, denn dann muss man es auch nicht von Zeit zu Zeit immer wieder versuchen und dabei schmählich scheitern (lacht).

Wenn man ein Interview mit Thomas Rühmann macht, dann darf man - wie ich finde - auf keinen Fall das "Theater am Rand" im Dorf Zollbrücke vergessen. Du hast es in diesem Gespräch ja auch schon ein paar Mal erwähnt. Kannst Du unseren Lesern kurz erzählen, wie es dazu kam, dass dieses Theater gegründet wurde und was man bei Euch erleben kann?
Tobias Morgenstern, mit dem ich das Theater zusammen gegründet habe, und ich kennen uns inzwischen auch schon an die 20 Jahre. Tobias wohnt draußen in Zollbrücke und hat dort ein altes Fachwerkhaus. Im Jahre 1998 probierten wir bei ihm zu Hause unser Programm "Accordion Mystery". Irgendwann kamen wir auf die Idee, dass sein Wohnzimmer, wie ein kleines Portal ist und dass man es für eine Aufführung gut nutzen könnte. Also haben wir in seinem Wohnzimmer ein kleines Theater eingebaut. Dieses Zimmer ist zweigeteilt, auf der einen Seite kam die Bühne hin, auf der anderen war Platz für das Publikum. Der Gedanke dahinter war, "Wir spielen es hier, denn hier merkt's keiner." Das ist praktisch die Gründungslegende. Und so war es auch. Da wir nicht wussten, wer kommen und sich das anschauen würde, haben wir gesagt, "Komm, dann sollen die Leute selbst entscheiden, wie viel Eintrittsgeld sie dafür geben möchten." Damit war dann auch gleich dieses herrliche "Austritts-Prinzip" gegründet, nämlich dass das Publikum am Ende der Vorstellung den Eintritt in der Höhe bezahlt, das es ihm wert ist. Ohne zu wissen, was das später anrichten würde. Jedenfalls ist das Theater so entstanden und wir haben dort sieben Jahre lang unsere Aufführungen gemacht. Später dann auch in einer anderen Variante, denn wir haben das Haus mehrmals umgebaut. Tobias Morgenstern hat uns also sieben Jahre lang bei sich zu Hause ausgehalten. Danach sind wir irgendwann raus auf die Wiese gegangen und haben dort verschiedene Freibühnen aufgebaut und haben wahrscheinlich unbewusst ausprobiert, wo später das eigentliche Theater mal hinkommen würde. Im Jahre 2006 haben wir praktisch den Quantensprung gemacht. Morgenstern hat das Theater selbst konstruiert, selbst erfunden und er hat es selbst gestaltet. Wir hatten zwar auch einen richtigen Architekten, aber die Idee kam von Ralf. Wir haben dann losgelegt und innerhalb eines Jahres die Grundkonstruktion gebaut, haben in der Zeit aber trotzdem gespielt - in welcher Bauphase wir uns auch immer befunden haben.
 
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Wenn Du "Wir" sagst, meinst Du, dass Ihr das selbst gebaut habt?
Nein, das mussten schon richtige Fachleute machen. Die Zimmerer des Oderbruchs haben das gemacht. Im Laufe der Jahre haben wir das Gebäude immer mehr komplettiert. Es stellte sich auch immer mehr heraus, dass das Theater nicht nur ein Theater ist, sondern - ich sag das jetzt mal im positiven Sinne - dass es eine Ganzheitlichkeit hat, also dass der ökologisch Gedanke immer mehr zugenommen hat. Wir haben z. B. Toiletten für 20.000 Besucher im Jahr, die kein Wasser brauchen - Trockentrenntoiletten nennt man die. Wir haben gerade auch ein hartes Jahr der Investitionen hinter uns, denn wir haben uns ein Bühnenhaus mit einem Solarturm gebaut. Dort steht jetzt ein sehr eindrucksvolles Gebäude mit einer großen Kuppel. Und oben auf der Kuppel steht so etwas, wie ein metallener Turm; der sieht so ein bisschen aus, wie der Schornstein der Titanic. Auf der einen Seite fällt dort Sonnenlicht hinein, das Sonnenlicht wärmt Kollektoren und die Wärme wird über Ventilatoren nach unten unter die Bühne geführt. In der Bühne selbst sind Luftschläuche, die den ganzen Korpus der Bühne erwärmen. Das ist praktisch unser zusätzliches Heizungssystem und da steckt eine ganze Menge ökologische Vernunft dahinter. Das ist der letzte Stand. Jetzt hat das Theater äußerlich die Form, die es haben soll, aber es wird baulich noch weitergehen, weil wir noch einen kleinen Restaurant-Trakt bauen wollen. Es wird also weiter eine Baustelle bleiben, aber eine Baustelle, auf der man es sehr gut aushalten kann. Die Leute haben es warm und wir können das ganze Jahr über spielen. Nur im Januar nicht, denn da gehe ich mit "Falsche Lieder" auf Tour.

Das "Theater am Rand" hat sich ganz gut etabliert und wird vom Publikum angenommen. Glaubst Du, dass diese Idee in Berlin, Leipzig, Dortmund oder Hamburg auch so gut funktioniert hätte?
Tja, wir sind auch schon durch Süddeutschland gefahren, durch die liebliche Pfalz und haben uns dann gefragt, "Könntest Du Dir vorstellen, dass hier unser Theater ist?" und wir waren uns einig, "Nein, das muss irgendwo da draußen sein!" Es muss dort draußen sein, dort am Rand. Die Oder ist 150 Meter entfernt, Zollbrücke ist ein Ort mit 19 Einwohnern, der Himmel ist so hoch, wie an der Nordsee, es gibt unvergleichliche Sonnenuntergänge, einen Sternenhimmel, wie man ihn vielleicht noch in der Ägäis findet ... es ist einfach ein besonderer Ort (Man merkt Thomas die Verbundenheit und die Liebe zu dem Landstrich förmlich an, wenn er erzählt, Anm. d. Verf.). Wahrscheinlich hätte man früher eine Kirche dahin gebaut, aber wir haben ein Theater gebaut.

Du hast die Idee, dass die Leute erst am Ende der Vorstellung ihren Eintritt entrichten müssen und dabei selbst entscheiden dürfen, was ihnen der Abend wert war, gerade schon beschrieben. Funktioniert diese Idee oder gibt es auch Abende, an denen in der Kasse kaum was drin ist?
Ja, es gibt Unterschiede, z. B. wenn es kalt ist und die Leute frieren. Dann zahlen sie nicht so gut, weil sie deswegen ein bisschen sauer sind. Das verstehen wir aber auch.015 20131220 2021012339 Das war jetzt im September und Oktober der Fall, als wir aufgrund des Baus vom Dach das Theater noch nicht fest verschließen konnten. Das war eine komplizierte Phase. Aber grundsätzlich bezahlen die Leute und sie bezahlen gut. Wenn man eine Veranstaltung mit 200 Besuchern hat, kann man einfach mit einer bestimmten Größe rechnen. Bei 200 Leuten geht das. Wenn nur 50 reingehen würden, würde das die Möglichkeiten stark begrenzen, die Künstler zu bezahlen. Wir haben ja auch sehr viele Gastspiele.

Diese Gastspiele kosten ja Gage. Wenn man u. a. auch keinen Vorverkauf hat, ist so was doch schwer zu kalkulieren, oder?
Doch, wir können das. Diese 200 Plätze sind einfach kalkulierbar.

Eine Frage zum Abschluss: Wird es von Thomas Rühmann demnächst auch eine CD geben?
Das kriegt man leider rechtemäßig nicht hin. Wenzel hätte da sicher nichts dagegen, aber mit Sicherheit Neil Young, mit Sicherheit auch Bon Iver, mit Sicherheit Lambchop, mit Sicherheit Mumford&Sons ... Dass man diese Musiker und Bands anschreibt und um Erlaubnis bittet, fremde Texte auf ihre Musik zu setzen, das wird nicht gehen. Uns wurde von sehr verantwortungsvollen Leuten geraten, uns nicht auf diesen steinigen Weg zu begeben. Wir sind deshalb eine Band, die man nur live erleben kann und das finde ich eigentlich auch nicht schlimm. Vielleicht fällt uns irgendwann mal was anderes ein. Wenzel hat nichts dagegen, wenn man mit seinem Texten anders umgeht. Vielleicht müssen die Musikerkollegen mal ran und vielleicht nehmen wir mal einen Text, den ich wunderbar finde und z. B. Roloff komponiert darauf eine andere Melodie.

Ich danke Dir für die Zeit und die Antworten auf meine Fragen. Möchtest Du am Ende dieses Interviews noch ein paar Worte an unsere Leser richten?
Ja, vielleicht noch ein paar Worte zum Programm. "Falsche Lieder" ist nicht reine Rockmusik, es ist auch nicht reine Weltmusik und es ist auch keine Schwermetall-Musik. Aber es ist von allem etwas vorhanden. Jeder, der Musik toll findet, kommt dabei sehr wahrscheinlich auf seine Kosten.
 


Interview: Christian Reder
Bearbeitung: mb, cr
Fotos: Thomas Rühmann privat, Thorsten Murr, Rüdiger Lübeck, Sandy Reichel


 

   
   
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