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Einen großen Hit zu landen, mit dem viele Menschen einen Künstler in Verbindung bringen können, das gelingt nicht vielen Musikern. Hartmut Schulze-Gerlach, alias Muck, hat so einen Song im Gepäck. "Hey, kleine Linda" heißt er, und der ist bis heute in der gleichen Liga angesiedelt wie z.B. die "Jugendliebe" oder "Alt wie ein Baum". Bemerkenswert dabei ist, dass es gleich die erste Single von Muck war. Im Jahre 1979 war das, und wenn man heute die Menschen im Lande fragt, was sie mit Hartmut Schulze-Gerlach in Verbindung bringen, dann sagen viele zuerst "Muck und die Single 'Hey, kleine Linda'" und anschließend sofort die TV Sendung "damals war's". Und damit sind wir mitten im Thema. Hartmut Schulze-Gerlach war in den letzten 40 Jahren nämlich nicht nur Musiker, sondern auch Radio- und TV-Moderator.003 20130418 1249710554  Anfang der 80er ging's für ihn los. "Sprungbrett" hieß das TV Format, in dem Hartmut jungen Künstlern über das Fernsehen eine Chance gab, "groß raus zu kommen". Nach der Wende blieb er seinem Heimatsender treu, aus dem inzwischen der mdr geworden war. Auch dort gab es wieder Arbeit für ihn, denn seit 1993 moderiert er sehr kurzweilig und sehr sympathisch die Retro-Show "damals war's".  Hartmut Schulze-Gerlach stand schon etwas länger auf unserem Zettel. Wir haben immer auf die passende Gelegenheit gewartet. Ein neues Album lässt aber schon längere Zeit auf sich warten. Als wir aber gelesen haben, dass der gebürtige Dresdner mit seiner aktuellen TV Sendung in diesem Jahr den 20. Geburtstag feiert, hatten wir den Grund, auf den wir schon so lange gewartet haben. Logisch, dass nicht nur "damals war's" und "Hey, kleine Linda" Themen im Gespräch zwischen Christian und Hartmut Schulze-Gerlach waren...
 

 

Die Musik begleitet Dich ja scheinbar schon Dein ganzes Leben lang. Wie und wann habt Ihr zueinander gefunden, was war der Auslöser?
Da gab es keinen Auslöser, ich bin offensichtlich so geboren worden, das steckte in mir drin. Als es mit meinem "normalen" Leben losging, habe ich schon gesungen und versucht, überall rumzuklimpern. Das floss einfach so aus mir raus. Deshalb habe ich auch nie eine Musikschule von innen gesehen, bin also völliger Autodidakt. Mal abgesehen davon, dass meine Eltern dafür sorgten, dass für zwei Jahre eine Klavierlehrerin zu uns nach Hause kam. Bei der bekam ich Klavierunterricht und habe ein bisschen Harmonielehre von ihr gelernt. Das war es aber auch schon, alles andere kam von selbst.


War Dein Werdegang ähnlich dem anderer Musiker, also mit eigenen Bands in der Jugend und Beatmusik aus dem Radio?
Natürlich, ganz genau. Es war damals die absolute Beatzeit, wir spielten alles nach, was gerade aktuell war. BEATLES, ROLLING STONES, HERMAN'S HERMITS, DOZY BEAKY MICK AND TICH und solche Sachen.

002 20130418 1581549127Wann hattest Du Deine erste eigene Band?
Das müsste fünfzig Jahre her sein. Ja, 1965 hatte ich meine erste eigene Band, da war ich siebzehn. Vorher bin ich aber schon in anderen Bands rumgetingelt.

Du hast den Beruf des Betonbauers erlernt, stimmt das?
Richtig. Das war in der Zeit, als ich schon Musik gemacht habe. Das war damals halt so, zuerst lernte man etwas Vernünftiges. Betonbauer war gerade im Angebot. Man weiß ja in dem Alter noch nicht so genau, was man will.

Anschließend hast Du, so steht es jedenfalls geschrieben, verschiedene andere Jobs gemacht. Gab es in dem erlernten Beruf keine Arbeit oder hattest Du keinen Bock darauf?
Doch, die Betriebe hätten sich alle Finger nach einem ausgebildeten Facharbeiter geleckt. Aber ich wollte das nicht, denn da hätte ich überhaupt keine Zeit mehr für die Musik gehabt. Diese anderen Jobs habe ich auch nur gemacht, weil man als Amateurmusiker ja arbeiten gehen musste. Es gab ja bei uns die Arbeitspflicht und wenn man eine Weile nicht gearbeitet hätte, dann hätte der ABV vor der Tür gestanden. Deshalb habe ich alle möglichen Jobs gemacht, vom Hafenarbeiter über Briefträger bis hin zum Tankwart.

Irgendwann begann dann Deine professionelle Musikerlaufbahn. Wie wird man vom Betonbauer zum Profimusiker?
Wenn man immer dran bleibt und einen glücklichen Moment erwischt, klappt das irgendwann. Von einer Band kam ich nach Berlin zum GERD MICHAELIS CHOR. Eine Musikerin, mit der ich früher zusammengespielt hatte, RENI BAPTIST, die wohnte in Berlin und stieg beim GERD MICHAELIS CHOR ein.004 20130418 1737585484  Das war zu einer Zeit, als im Westen die LES HUMPHRIES SINGERS ihre große Zeit hatten. Das Gegenstück im Osten war der GERD MICHAELIS CHOR. Die brauchten noch einen Sänger, also schrieb RENI mir eine Karte, denn Telefon hatten wir ja nicht. Ich bin da hin gefahren, stieg ein und fortan war ich Profi.

Vorher warst Du doch aber bei der PETER-BAPTIST-COMBO. Zwar nicht sehr lange, aber das war doch Deine erste richtige Profistation?
Das war zwar eine Profiband, aber ich war immer noch Amateur, denn ich hatte noch keinen Berufsausweis. Den Ausweis habe ich auch später nie bekommen, das war nicht nötig. Wir waren dann schon im Fernsehen. Zu Zeiten der Weltfestspiele 1973 in Berlin waren wir ganz oft zu sehen, hatten einen Hit nach dem anderen, da wurden wir nicht mehr nach solchen Dingen gefragt. Ich war also so eine Art Seiteneinsteiger. Hat auch keiner gemerkt.

Du hast schon sehr früh begonnen, eigene Songs zu schreiben. Hast Du damit schon während Deiner Zeit bei Peter Baptist angefangen?
Das habe ich sogar schon vorher in meiner eigenen Band begonnen. Die Band hieß DIE BORGS und zwar deshalb, weil wir das Geld für die Anlage geborgt hatten.

Weißt Du noch, welches der erste Song war, den Du geschrieben hast? Und wurde der auch mal für eine Platte verwendet?
Lieder geschrieben hatte ich schon viele, aber der erste Song, der beim Rundfunk aufgenommen wurde, hieß "Nimm Dir Zeit für den Wind". Da war ich beim ROSENAU-SEPTETT in Dresden und der DDR-Rundfunk nahm dieses Lied auf. Das lief dann auch sehr erfolgreich im Radio. Das war noch vor meiner Zeit bei GERD MICHAELIS und auch vor der bei der BAPTIST-COMBO.

005 20130418 2040405358Insgesamt warst Du knapp zwei Jahre beim Gerd Michaelis Chor. Woran erinnerst Du Dich besonders gerne?
Vor allem an das erste Jahr. Das war so grandios, da ging es von Null auf Tausend. Ich kam aus der Provinz nach Berlin und wurde sofort ins Rampenlicht geworfen. Wir verdienten viel Geld, waren ununterbrochen im Fernsehen zu sehen und wir waren für die Jugend damals das Aushängeschild mit Liedern, wie "Singt auf allen Straßen" oder "Solidarität". Das waren zwar keine direkten politischen Songs, aber die Songs sollten zeigen, wie schön es die DDR-Jugend doch hatte. Dadurch waren wir eben auch pausenlos im DDR-Fernsehen, in allen Sendungen, die es gab, von "rund" über "Ein Kessel Buntes" bis hin zu großen Fernsehsendungen in Polen und der CSSR. Das ging bis zu einer großen sechswöchigen UdSSR-Tournee. Wir hatten sogar Auftritte in West-Berlin, bei der SEW, der Sozialistischen Einheitspartei West-Berlins. Es war für mich eine unglaubliche Zeit aus dem Nichts bis dahin. Das hatte uns natürlich sehr geprägt. Wir haben das sehr genossen, waren alle jung, unverheiratet, hatten keine Pflichten, nur Spaß am Leben.

Du hattest vorhin schon mal die LES HUMPHRIES SINGERS angesprochen, zu denen Ihr das Gegenstück wart. Ihr habt ja auch die Songs der LES HUMPHRIES SINGERS gesungen...
Ja, zum Beispiel "Mexico". Ihre größten Hits haben wir bei Konzerten nachgesungen. Im Fernsehen natürlich nicht, da haben wir nur die eigenen Sachen gemacht. Das war auch das Jahr, als ich meinen ersten großen eigenen Hit hatte, nämlich "Isabell". Da war ich also schon als Solist innerhalb des GERD MICHAELIS CHOR zugange.

In einer solchen Formation mit Sängerinnen und Sängern steckt man ja in einem recht engen Korsett. Fühlt man sich auf Zeit da nicht ziemlich eingesperrt?
Nein, in dem Fall war das nicht so. Da das alles ziemliche Profis waren, haben wir in dieser Zeit unheimlich viele Sachen für andere Künstler als Backgroundchor eingesungen. Aber im Grunde genommen waren wir einfach eine Vereinigung von Solisten. Jeder Musiker und Sänger wird Dir bestätigen, dass es Spaß macht, im Satz zu singen, sich auf den anderen einzustellen und daraus einen Satzgesang zu formen, der dann auch schön klingt. o006 (der Gerd Michaelis Chor) Da muss man sich unterordnen, aber das macht man einfach gerne, weil es musikalisch ist. Natürlich reicht einem das irgendwann nicht mehr und deshalb ging es ja auch zwei Jahre später auseinander. Unter anderem deshalb.

Stimmt es, dass Du mit dem GERD MICHAELIS CHOR Deine erste richtige Plattenproduktion hattest? Kannst Du Dich daran erinnern?
Klar, das Lied "Isabell" gehörte zu dieser ersten Plattenproduktion. Das war auch das erste Mal, dass ich als Solist eine Plattenaufnahme gemacht habe. Wobei das aber so neu nun auch nicht für mich war, da ich ja vorher schon mit anderen Bands für den Rundfunk Titel eingespielt hatte. Das waren ja ähnliche Studios.

Deine Mitwirkung beim GERD MICHAELIS CHOR dauerte bis 1975, dann hast Du die Gruppe verlassen und Dich als Solist selbständig gemacht. Was waren die Gründe?
Das lag unter anderem daran, dass der Chor auseinander brach, weil eine der Hauptsängerinnen, Beate Barwandt, plötzlich und unerwartet an einem Gehirnschlag gestorben war. Das war auch noch die Freundin des Chefs und durch ihren Tod ging es so drunter und drüber, dass ich ausgestiegen bin. Wenig später brach der Chor dann ganz auseinander.

Nun geht man ja nicht aus einer solchen Band raus und hat sofort eine neue, eigene Karriere. Wie ging das mit Dir dann weiter?
Es war für mich relativ einfach, weil ich in den zwei Jahren mit dem Chor alle wichtigen Leute und auch alle wichtigen Studios kennengelernt hatte, die es in der DDR gab. Außerdem waren die Studios alle in Berlin. Es gab also den Rundfunk, das Fernsehen und die Plattenfirma AMIGA. Die hatten alle ihre Studios. Ich kannte nicht nur diese Studios, sondern ich wusste, wie man aufnimmt, ich kannte die großen Dirigenten, wie z. B. Martin Hoffmann. Ich schrieb auch die ersten Arrangements für den Chor und war dadurch so involviert, dass ich mich einfach hingesetzt habe, einen Song geschrieben habe und mit diesem Song zu AMIGA gefahren bin. Die haben sich das angehört und meinten: "Der gefällt uns, den nehmen wir auf." So relativ einfach war das, weil ich sie kannte und sie kannten mich. Ich wusste ja auch, was bei denen so ankommt. So ein bisschen Selbstzensur war auch dabei, denn ich wusste, welche Stellen man lieber weglässt, damit man da ein Lied reinkriegt.

Welcher Song war das?
Das war "Hey kleine Linda".

Das war nicht nur Deine erste Single, sondern auch Dein bis heute bekanntestes Stück. Heute ist es ein echter Evergreen. Die Komposition war von Dir, der Text von WOLFGANG BRANDENSTEIN. Was war zuerst da, Text oder Musik?
Bei mir ist immer zuerst die Musik da. So ist das übrigens bei den meisten Songschreibern. Später habe ich die Texte dann selbst geschrieben, aber hier war es noch WOLFGANG BRANDENSTEIN, ein guter Freund von mir, der unheimlich viel für andere Leute Texte schrieb. Ich selbst habe ja dann für alle möglichen Leute Songs geschrieben und für sie war meistens WOLFGANG BRANDENSTEIN der Texter.

Hast Du die Songs beim Rundfunk oder bei AMIGA aufgenommen?
Sowohl als auch. Der Rundfunk hatte natürlich mehr Kapazitäten, die hatten insgesamt vier Studios. Die mussten ja keine Platten pressen, sondern da reichte es, wenn es aufgenommen wurde und dann wurde es halt gespielt. Und bei der Platte musste immer, wenn nicht genug Vinyl da war, gewartet werden. Noch schlimmer war es mit dem Papierkontingent für die Cover. Trotzdem habe ich dort ziemlich viele Platten für ANDREAS HOLM, HAUFF & HENKLER usw. aufgenommen. Ich war irgendwann so drin, dass ich mein Geld nur dadurch und durch Fernsehen verdient habe. Ich habe in diesen Jahren überhaupt keine Veranstaltungen und keine Muggen gemacht.

Das war ja bei Dir überhaupt ein Glücksfall, denn Du sagst es ja gerade, wegen der Materialknappheit war es nicht jedem Künstler möglich, eine Platte aufzunehmen. Aber Du hast Dich selbständig gemacht und ruck zuck waren Deine Single und ein Album draußen.
So ist es. Aber natürlich lässt sich so etwas nicht planen. Das lief dann richtig gut. Ich habe zeitweise pro Tag um die eintausend Autogrammwünsche bekommen. Pro Tag! Das ging sogar so weit, dass meine Platte nachgepresst wurde, was ja bei uns damals sehr selten der Fall war. Dadurch wurden von meinem ersten Album in der DDR 320.000 Stück verkauft. Es hätten auch noch mehr verkauft werden können, aber dann war Ende der Fahnenstange.

009 20130418 1426192686Aber so etwas, wie eine Goldene Schallplatte gab es nicht oder?
Nein, das wäre ja dann auch, gemessen an der Einwohnerzahl, dreifach Platin gewesen. Aber ich habe mir davon dann ein Haus gebaut, was aber jetzt auch wieder weg ist.

Wann hast Du denn selbst gemerkt, dass "Hey kleine Linda" ein Riesenhit ist, schon beim Schreiben oder erst, als es passierte?
Ich fand das eigentlich schon immer gut. Allerdings habe ich mich eines Tricks bedient, denn es dauerte ja immer so unheimlich lange, ehe das endlich als Platte raus kam. Wir haben vorab so eine Art Grobmischung gemacht. Die richtige Mischung sollte erst später passieren und die Platte sollte auch erst Monate später erscheinen. Ich lud dann alle Regisseure, Redakteure, Fernsehleute und alle, die ich sonst noch so kannte, zu einer Party ein. Wir haben schön gefeiert und irgendwann habe ich die Grobmischung des Songs aufgelegt und gesagt: "Hier, das ist mein neuestes Lied". Da haben alle große Ohren gekriegt. Es gab damals eine Riesenshow, bei der auch immer Westleute dabei waren, nämlich "Die Burgparty" aus Halle. Da waren z.B. gleich in der ersten Sendung SMOKIE dabei und andere, die wir sonst nie zu Gesicht kriegten. Der Regisseur dieser Show sagte: "Am Sonnabend ist die Sendung. Wenn Ihr jetzt das Lied fertig mischt, kannst Du damit in die Sendung kommen." Wir sind dann in der Nacht mit dem Toningenieur heimlich bei AMIGA eingestiegen und haben das Lied fertig gemischt, er und ich. Das wäre natürlich alles schief gegangen, wenn die Sendung, in der das Lied dann lief, sofort gelaufen wäre. Aber nein, die Sendung lief eben erst zwei Monate später, das war damals so üblich. Da wurde vorher noch geschnitten und was weiß ich, was alles gemacht wurde. Bis dahin kam dann auch die Platte raus, so dass es keiner gemerkt hat. Ab diesem Zeitpunkt lief es dann wirklich so extrem, dass ich für mich sagen konnte: Okay, das läuft jetzt gut!

Ein Jahr später erschien auch Dein Debütalbum als Solist. So, wie Du das alles erzählst, war das ja für Dich eine ganz intensive Zeit. Wie hast Du das selber alles wahrgenommen? Merkt man das alles in dem Moment, in dem es passiert oder erst später?
Nein, ich merke das alles erst jetzt im Nachhinein, was das für mich für eine Riesenzeit war. Natürlich, man merkt es schon. Aber dass man nun plötzlich Fernsehliebling und Nummer 1 in der Melodie & Rhythmus ist... Klar, man hat sich gefreut und einfach weitergemacht. Wie man eben in diesem Alter so ist. Es ist schön, aber nun lass uns mal weitermachen.

Nicht genug damit, dass Du Deine eigenen Songs geschrieben hast, sondern Du hast auch noch für andere Musiker gearbeitet. Sind die auf Dich zugekommen oder wie war das?
Teils, teils. Anfangs kamen die zu mir, aber später dann bin ich auf sie zugegangen. Die haben meine Songs aber auch ganz gerne genommen. Wenn man schon Erfolg hat, wie z.B. Andreas Holm, der ja bereits sehr bekannt war, dann bekam man ja von allen möglichen Leuten Lieder geschrieben. Da er und ich uns nun schon gut kannten, nahm er natürlich auch meine Lieder, wenn sie ihm gefielen. Das war relativ easy. Das war anders, als heute, wo es richtige Clans gibt, die sagen: Wir schreiben jetzt für diesen Mann und diese Plattenfirma. So was gab es damals nicht. Lied war Lied und wenn es gut war, wurde es genommen.

In den Achtzigern wurde aus dem Sänger MUCK dann der Moderator HARTMUT SCHULZE-GERLACH. Wie bist Du zum Fernsehen gekommen und wer hatte die Idee zu Deiner Sendung "Sprungbrett"?
Also beim Fernsehen war ich ja ohnehin schon ununterbrochen als Sänger. Und ich habe ja nicht nur für andere geschrieben, sondern auch für viele Fernsehsendungen die Arrangements gemacht, zum Beispiel für den "Kessel Buntes". Dadurch war ich da total involviert, das war überhaupt kein Ding. Aber ich wollte schon immer gerne was sprechen. Beim Rundfunk oder noch lieber als Moderator beim Fernsehen, das hatte mich schon immer gereizt. Und da meine Mutter Schriftstellerin ist und ich mir einbilde, die deutsche Sprache ziemlich perfekt zu beherrschen und meine Stimme sich ganz gut dafür eignet, dachte ich mir, das muss ich jetzt mal machen. Nun war das aber nicht ganz so einfach. Viele Leute beim Fernsehen meinten, der Schlager-Heinz soll mal bei seinen Leisten bleiben und das andere den gelernten Conferenciers überlassen, wie das eben damals so üblich war. Dann hatte ich aber in Evelin Matt, die den "Kessel Buntes" erfunden hatte und ohnehin eine große, wichtige Frau beim DDR-Fernsehen war, eine Gönnerin gefunden, die meinte: "Okay, wir probieren das." Sie machte dann heimlich Probeaufnahmen mit mir und spielte das ihren Kollegen beim Fernsehen vor. Daraus entstand dann "Sprungbrett". Das war übrigens ihre Idee. Ich hätte auch alles andere moderiert, selbst "Du und Dein Garten", das war mir egal. Hauptsache, ich kam vor die Kamera und konnte sagen: "Hallo, hier ist HARTMUT SCHULZE-GERLACH, heute geht es um dies und jenes". Das hat mir schon immer gefallen und das geht mir heute noch so.

In dieser Sendung hast Du einigen Künstlern zu landesweitem Erfolg verholfen, so z.B. LINDA FELLER oder OLAF BERGER. Habe ich noch wichtige Namen vergessen?
Damals war JÖRG HINDEMITH einer der Leute, auch DIE PRINZEN hatten ihren ersten Fernsehauftritt bei mir, damals noch als HERZBUBEN. Mir fallen schon noch ein paar ein. Aber das war nicht alles mein Verdienst, sondern da gab es ein paar Redakteure, die sich darum gekümmert haben, Leute ranzuschaffen, die man in der Sendung zeigen konnte.
 
Hattest Du selber auch Einfluss darauf, wer da auftrat?
Ja durchaus. LINDA FELLER zum Beispiel habe ich entdeckt.

Mit LINDA FELLER und Dir gab es ja Jahre später noch eine gemeinsame Plattenproduktion. Scheinbar riss der Kontakt zwischen Euch nie ab. Gibt es noch andere Künstler, die über Deine Show bekannt wurden und mit denen Du heute noch in Kontakt stehst?
Mit vielen von ihnen bin ich wirklich freundschaftlich verbunden. Auf jeden Fall mit OLAF BERGER, wir machen manchmal sogar Muggen zusammen. Mit LINDA FELLER haben wir zwei gemeinsame Touren gemacht und ein gemeinsames Album raus gebracht. Viele andere sehe ich immer mal wieder. Es war eine schöne Zeit, die hat auch nie abrupt oder böse geendet, es verlief sich einfach im Sande. Und bei LINDA ist es so, dass ich sie entdeckt habe und ich halte sehr viel von ihr, so dass es sich immer wieder anbot, mal etwas Gemeinsames zu machen.

Du hast aber in den Achtzigern auch weiter als Musiker gearbeitet und sogar Platten veröffentlicht. Ließ sich die Aufgabe beim Fernsehen so einfach mit dem Job als Musiker verbinden oder stand man sich da manchmal auch selber im Weg?
Nö, eigentlich nicht. Das ließ sich schon leicht miteinander verbinden. Solange man, wie ich, keine größeren Veranstaltungen oder gar Tourneen macht, war das schon machbar, ansonsten hätte die Zeit gar nicht gereicht für alles.  Aber da ich nur in den Studios und zu Hause am Klavier unterwegs war, ging das. Fernsehen für mich und für andere, Songs schreiben für mich und für andere, das war ja irgendwie alles ein und dasselbe Thema. Das konnte ich rund um die Uhr machen und das tat ich auch sehr gerne. Es stellte sich später nur heraus, dass sich der Sänger MUCK und der Moderator HARTMUT SCHULZE-GERLACH nur schwer miteinander vereinbaren ließen. Wenn ich also als Moderator eine gute Sendung mache, heißt das noch lange nicht, dass ich auch nur eine CD mehr verkaufe, weil das getrennte Lager sind.
Du sagtest auch, dass es keine Live-Konzerte von Dir als Solist gab. Hast Du überhaupt jemals live gespielt?
Ja, vorher schon. Bevor es mit dem Erfolg losging, also in meinen Bands. Als MUCK jedenfalls nie. Es gab aber Ausnahmen. Da sind wir zum Beispiel mal nach Schweden zu einem Festival gefahren. Da habe ich dann, um mich einzujazzen, da ja alles live war, mal zehn oder zwölf Muggen mit dem LOTHAR STUCKART ORCHESTER gespielt. Aber ansonsten eigentlich nicht, nein. Erst nach der Wende fing das alles wieder an.

Damit bist Du der erste unter all den Musikern, die wir hier interviewen, der nur Platten und Fernsehen gemacht hat. Erstaunlich!
Na gut, darin habe ich aber hauptsächlich meine Aufgabe gesehen. Es ist ja eigentlich ein Fulltime-Job, wenn man Songs schreibt oder als Moderator arbeitet. Ich hatte deshalb auch kaum Zeit für Muggen. Und wenn ich jetzt auf Tournee gehe, muss ich das ständig in Einklang bringen mit den Aufzeichnungsterminen meiner Fernsehsendung.

Dann kam die Wende. Für viele Ost-Künstler gab es keine Arbeit mehr, während Du hingegen weiter Platten veröffentlicht hast. 1990 noch als MUCK die Single "Ich bin immer noch hier", dann unter dem Pseudonym THOMMY RAIKER die Single "Angie". Hatte Dein Namenswechsel etwas mit der veränderten Situation auf dem gesamtdeutschen Musikmarkt zu tun?
Ja natürlich. "Ich bin immer noch hier" kam direkt zur Wendezeit raus und hatte noch ziemlichen Erfolg. Ich weiß nicht, ob Du das Lied schon mal gehört hast?


Ja, ich kenne es, aber das ist schon eine Weile her, dass ich es gehört hab'.
Das Lied ist ja eine Persiflage auf die ganzen Leute, die plötzlich mit dieser Goldgräberstimmung unterwegs waren. Ich bin halt immer noch hier, die anderen sind schon sonst wo. Es war mehr ein Spaßsong. Danach war erst mal Schluss. Die Kulturhäuser machten dicht, das Fernsehen machte dicht und die Leute aus dem Osten wollte man nicht mehr hören. Die hatten uns vierzig Jahre lang zwangsvorgesetzt bekommen, da wollten sie jetzt erst mal andere hören. Die wollten überall hinfahren, wollten ein Westauto haben und wir Künstler waren zunächst abgemeldet. Aber ich konnte das absolut verstehen, denn das war völlig logisch. Nun gab es Kollegen von mir, die haben stattdessen einen Jeansladen aufgemacht oder etwas völlig anderes, aber das war in meinen Augen verkehrt. Wenn man weitermachen will, muss man die Zeit irgendwie rumkriegen. Und das habe ich getan. Ich habe mich hoch verschuldet, habe Demos produziert und bin damit hausieren gegangen. Dann habe ich festgestellt, ich würde gerne deutschlandweit oder sogar international was machen wollen. Nur passte da der Name MUCK nicht. Und HARTMUT SCHULZE-GERLACH war viel zu lang für einen Sänger. Ich dachte mir, jetzt musst Du Dir aber mal einen Namen ausdenken, denn als Vierzigjähriger kannst Du nicht im Westen als Neuling unter dem Namen MUCK auftreten. Das ist auch schon der einzige Grund für den Namenswechsel. Nicht etwa, um den Namen MUCK zu verleugnen, sondern ich wollte einen Namen, der sich einprägt. Ich habe dann eine Hamburger Plattenfirma gefunden, die unter dem Pseudonym THOMMY RAIKER eine Platte mit mir produziert haben.

Aber das Album selbst kam dann unter HARTMUT SCHULZE-GERLACH raus, oder?
Genau, dann war die Zeit reif dafür. Es hatte ja nicht lange gedauert, bis die Ossis alle wieder zurückkamen. Man sagte: "Ach so sieht es in Thailand aus, ach so sieht es hier und da aus, aber nun lass uns mal wieder nach Hause gehen." Plötzlich haben sie sich auch alle wieder erinnert. Ich machte im Osten zwei, drei Fernsehsendungen als THOMMY RAIKER und die Leute haben das tierisch abgelehnt. Die sagten: "Das ist doch nicht THOMMY RAIKER, das ist doch MUCK!" Die kannten mich natürlich. Deutschlandweit lief es nun nicht so doll, von internationalem Erfolg mal ganz zu schweigen, also sagte ich mir: "Okay, reißen wir das Ruder wieder rum". Von da an hieß ich wieder HARTMUT SCHULZE-GERLACH, habe aber einige dieser Songs weiter verwendet, weil die gar nicht so schlecht waren.

Es gab auch Musiker, die uns erzählten, dass sie gerade in dieser Wendezeit auch beschimpft wurden. HERBERT DREILICH zum Beispiel wurde in der Öffentlichkeit beschimpft, weil er als KARAT-Sänger Privilegien hatte, die andere nicht hatten.
Wenn man da an die Falschen gerät, kann das schon mal passieren. Ein paar Idioten gibt es eben immer. Ich wurde auch immer mal verdächtigt, bei der Stasi gewesen zu sein, weil ich durch den Westen gegurkt bin. Solche Stimmen kommen schon mal auf, aber das war eigentlich nicht die Regel. Die haben uns schon richtig gesehen, wir waren ihre Künstler. Ich denke, 99 Prozent der Menschen haben uns nach ihrer kurzen Auszeit wieder sehr wohlwollend betrachtet. Nach der Wende habe ich mal ein Lied geschrieben, das heißt "Die Mädchen von Radebeul". Das ist auch so ein Lied an alle, die in der ganzen Welt verstreut sind und genau so war es ja auch. Die sind alle abgehauen, um zu gucken, wie es anderswo in der Welt ist und kurze Zeit später waren sie wieder da. Dann ging es für uns auch wieder richtig bergauf, weil sich die Leute besannen, dass unsere Musik doch gar nicht so schlecht war.

Ja, das war wirklich eine ganz verrückte Zeit. Das dürfte auch einmalig gewesen sein. 1990 interessierte das keinen mehr, 1993 dann dieser "Ostival-Hype".
Das stimmt. Nur schwappte das auch wieder ein bisschen in die falsche Richtung zurück. Alle sagten: "Ach war das schön damals!". Nein, das war es natürlich nicht! Aber ein Jahr später normalisierte sich das. Wir waren halt die Künstler ihrer Jugendzeit, deswegen gehören wir nach wie vor zu den Leuten. Das ist bis heute so geblieben und das ist schön.

In diesem Jahr feierst Du 20-jähriges Jubiläum mit "Damals war's"...
Wir feiern aber erst in zwei Jahren, denn in den ersten zwei Jahren hieß die Sendung ja anders. Aber im Prinzip stimmt es, ja. 1993 bin ich eingestiegen. Das war mein Wiederanfang als Moderator, weil ich einfach nicht locker gelassen habe. Ich bin zu jedem Redakteur gelaufen, habe beim neugegründeten MDR, bei dem ich ganz viele Leute noch kannte, so lange gebohrt, bis sie durch Zufall jemanden für diese Sendung brauchten.

"Damals war's" ist ja eine sehr spezielle Sendung. War das Deine Idee?
Nein, absolut nicht. Eigentlich fühlte ich mich auch noch zu jung für eine Retro-Show. Aber es hat sich als Glücksgriff herausgestellt. Ich war jung genug, um nicht wie Willi Schwabe mit einer Lampe auf dem Dachboden daher zu kommen und ich war alt genug, um all die Sachen zu kennen, über die ich spreche. Deshalb kam es sehr authentisch rüber, wenn ich etwas über diese Zeit erzählte. Das war genau die richtige Mischung und dadurch klappte es so gut. Es gab die Sendung ja vorher schon mit zwei anderen Moderatoren, aber da war die Einschaltquote fast Null. Dann haben wir sie aus dem Tal rausgeholt und es hat funktioniert.

Hast Du Dich als Moderator beworben oder wurdest Du angesprochen?
Sowohl als auch. Ich habe immer gebohrt: "Lasst mich doch mal was machen, ich hätte gerne dieses oder jenes". Da das alles aber in den Umbruchzeiten geschah, wusste natürlich keiner so genau, wo es hingeht. Dann wurde jemand für diese Sendung gesucht und wir sagten: "Okay, das machen wir".

Du sagtest ja eben, der MDR steckte damals noch in den Kinderschuhen. Wie hast Du die Entwicklung des Senders, der ja nun schon viele Jahre Dein Arbeitgeber ist, miterlebt?
Das ist genauso gelaufen, wie es gut war. Anfangs waren da noch so ein paar abgetakelte West-Verantwortliche, die man anderswo rausgelobt hatte. Es wurde aber nach und nach immer besser, weil dann Leute eingesetzt wurden, die sich auch mit den Menschen und den Gegebenheiten in Mitteldeutschland auskannten. Einer der wichtigsten Leute war eben Udo Foht, aber auch viele andere. Mein Redakteur Hans-Jürgen Ender, der Chef der journalistischen Unterhaltung war, aber leider letztes Jahr verstorben ist, der hat die Sendung zu dem gemacht, was sie heute ist. Der Sender hat sich also Stück für Stück richtig positiv entwickelt. Und es tut uns allen unheimlich in der Seele weh, wenn ein paar schräge Geschichten das alles kaputt zu machen scheinen.

Du sprichst es an. Das ist so eine komische Art der Selbstreinigung, die der MDR immer wieder betrieben hat. Irgendwann kam raus, dass irgendein Moderator mal von der Stasi angesprochen wurde. Das ging natürlich gar nicht, also wurde er entfernt, egal wie gut der Mann auch war. Ist das der richtige Weg?
Dazu habe ich eine zweigeteilte Meinung. Moderatoren müssen in einem solchen Fall weg vom Fenster, denn die haben mit ihrem Gesicht und ihrem Habitus eine Vorbildwirkung. Wenn die mal freiwillig sowas unterschrieben und Leute bespitzelt haben, dann können die auf keinen Fall weitermachen. 001 (HSG) Es gibt ja viele weitere Beispiele, die gehen dann in die Redaktion und arbeiten dort weiter, werden aber nicht abgeschlachtet. Doch vor der Kamera ist es nicht gut, deshalb ist es für mich okay, wie dort reagiert wurde. Ich sage es noch mal, wir haben eine riesige Vorbildwirkung, weil die Leute uns lieben. Wir sind als Moderatoren sehr oft am Abend in ihrem Zuhause und da gibt es bei vielen so eine Art Ritual. Wenn ich auf dem Bildschirm erscheine und sage: "Herzlich willkommen, liebe Zuschauer", dann antworten tatsächlich viele Zuschauer und sagen "Hallo MUCK!" oder "Auch Ihnen ein herzliches Willkommen, Herr HARTMUT SCHULZE-GERLACH" oder so. Das machen die einfach so aus Spaß. Wir sind also praktisch ein Teil dieser Familien und wenn wir da nur ein bisschen Dreck am Stecken haben, ist das einfach nicht gut.

Dann lass uns zurück zu "Damals war's" kommen. Das ist ja eine Retrosendung mit einem Rückblick auf bestimmte Jahre und Geschehnisse und deren kulturelle Höhepunkte, aber nicht nur für die DDR, sondern gesamtdeutsch und über unsere Grenzen hinaus. Aber dennoch gibt es immer den Themenschwerpunkt "Ost". Empfinde ich das nur so oder ist das so beabsichtigt?
Ich denke, das empfindest Du nur so, weil wir die einzige Sendung sind, die auch speziell ganz bestimmte Dinge herauspicken. Das fällt natürlich mehr auf, als wenn die Meldung kommt: "Willy Brandt weihte dieses und jenes Denkmal ein...". Das fällt deshalb mehr auf, weil man solche Dinge nur sehr selten gehört hat. Nimm zum Beispiel Themen, wie die Ehepaare in der DDR, die einen zinslosen Kredit erhielten, damit sie Kinder kriegen oder sich ihre Wohnung einrichten konnten. Das sind solche Dinge, die sehr putzig sind, deshalb ragen die heraus und man merkt sich sowas leichter. Ansonsten ist es so, dass wir manchmal ganz schön zu tun haben, genügend Ost-Themen in die Sendung rein zu kriegen, weil wir zu manchen Jahren in den Archiven zu wenig finden und müssen daher schon ganz schön knüppeln, um das hinzubekommen. Eigentlich ist die Sendung so aufgeteilt, dass wir ein Drittel internationale, ein Drittel West- und ein Drittel Ost-Themen haben.

Trotzdem wirkt es so, dass die Kulturszene in der DDR nicht vergessen werden soll, was bei anderen Sendeformaten nicht der Fall ist. Die "Chartshow" auf RTL beispielsweise sorgt ja dafür, dass eine komplette Szene totgeschwiegen wird, als hätte es die nie gegeben. Ärgert es Dich als Künstler, dass Deine Wurzeln dermaßen stiefmütterlich behandelt werden?
Nein, das ärgert mich nicht, weil ich sehe, dass es denen sowieso egal ist. Das ist, wie bei den Castingshows. Es geht dabei ja nie um irgendwas Bestimmtes, nicht um die jungen Leute, nicht um die Lieder. Es geht nur darum, eine Show zu machen, die die Leute einschalten. Das ist der einzige Grund. Deshalb habe ich mich auch nie über solche Sachen geärgert. Lass die doch machen. Es bringt uns eh nicht weiter, wenn da plötzlich einer meint, das 1976er Album von MUCK, das war aber wirklich genial... Das geht mir ehrlich gesagt am Arsch vorbei.

Ich persönlich empfinde es als Ärgernis, dass bei solchen Sendungen immer nur von den Media Control-Charts ausgegangen wird, in denen die Ost-Künstler ja gar nicht drin waren. Trotzdem gab es auch dort immer einen "Hit des Jahres", einen "Musiker des Jahres"...
Also ich muss diese Leute jetzt auch mal ein kleines bisschen in Schutz nehmen. Das hat ja auch alles einen Grund, warum die das so machen. Die senden nämlich bei den Retro-Charts nur das, wovon sie glauben, dass die Leute am Fernseher das auch gerne sehen und hören und vor allem auch kennen. Und siebzig Prozent der Deutschen kannte uns damals nicht, dafür waren sie viel zu weit weg und haben auch unsere Sender gar nicht gesehen. Wenn Du denen jetzt was von "Isabell" oder "Hey, kleine Linda" erzählst, dann gibt es da nur einen verschwindend kleinen Teil, der sagt: "Ach ja...!". Darum ging es eben. Es könnte ja passieren, dass viele dann wegschalten, wenn sie Sachen vorgesetzt kriegen, die zwar so stimmen, die sie aber gar nicht kennen. Es ist zwar schade, aber die Songs gehen ja nicht verloren.

Auf keinen Fall, dafür werden wir schon sorgen. Heute werden Dich die Leute sicher als Hartmut Schulze-Gerlach ansprechen. Passiert es trotzdem noch, dass jemand MUCK zu Dir sagt?
(lacht) Ja, alle. Na ja, es kommt darauf an, wo. Bei meinen Veranstaltungen freue ich mich immer, wenn mal jemand kommt und zu mir sagt: "Guten Tag, Herr SCHULZE-GERLACH!" Da kriege ich eine stolz geschwellte Brust, weil mich doch freut, dass einem mit 65 Jahren nicht mehr jeder auf die Schulter haut und sagt: "Hey MUCK!" Natürlich ist das dann auch schön, denn es ist ja liebevoll gemeint. Ich habe mich mit dem Namen arrangiert. Die Leute finden das auch gar nicht so putzig, für die bin und bleibe ich halt MUCK. Ich meine, Frank Schöbel ist auch ein bescheuerter Name, aber man denkt nicht mehr darüber nach. So ist das eben auch bei MUCK. Wobei ich im Westen fast ausschließlich als Herr SCHULZE-GERLACH angesprochen werde. Sie kennen mich eigentlich nur als Moderator und manchmal wundern sie sich dann auf Veranstaltungen, dass ich auch singe, denn diese Vergangenheit von mir kennen sie halt nicht. So hält sich das alles die Waage. Und ich freue mich auch sehr, dass ich durch die Moderationsgeschichten aus der "Nur Schlager"-Ecke ein bisschen raus bin.

Du sagst, Du bist live immer noch aktiv. Dein letztes Lebenszeichen in Form eines neuen Albums ist allerdings schon zwölf Jahre her. Ist die Musik-Karriere des Album-Künstlers HARTMUT SCHULZE-GERLACH damit beendet oder wird es noch mal etwas Neues geben?
Also ich reiße die Welt mit meinen 65 Jahren nicht mehr ein, das weiß ich. Aber ich schreibe hin und wieder noch Sachen und das letzte Album ist zwei Jahre alt. Das waren Winter- und Weihnachtssongs unter dem Namen "Brennendes Herz" und mit dem Untertitel "Songs für coole Tage". Ich habe jetzt mein eigenes Label und mache das nun eben auf diese Art, damit ich auch mal was anzubieten habe, sowohl den Medien, als auch auf Tourneen.

o018 (die 70er) Deine Songs haben über all die Jahre eine sehr zeitgemäße und hohe Qualität gehabt. Gab es zu DDR-Zeiten eigentlich auch Überlegungen, mit Deinen Songs als Solokünstler in der BRD aufzutreten und dort einen zusätzlichen Markt zu erschließen?
Diese Überlegung hätte schon von mir selbst kommen müssen oder von jemandem, der ständig zwischen Ost und West pendelte, denn aus dem Osten selbst kamen solche Überlegungen nie. DIE PUHDYS hatten z.B. ihren Harry Jeske, der sich um sowas kümmerte. Harry Jeske war einer der cleversten Leute überhaupt. Bei KARAT war es dann Henning Protzmann, der das Organisatorische gemacht und die Fäden zwischen Ost und West gezogen hat. Offiziell sagte keiner: "Mach doch mal...". Und deswegen... Ich hatte auch viel zu viel zu tun und da ich sowieso keine Live-Veranstaltungen machte, musste ich auch nicht unbedingt im Westen auftreten. Zumal ich einen Pass zu Hause hatte, da konnte ich ja eh fahren, wann und wohin ich wollte.

Schade, es wäre mal interessant gewesen, was draus geworden wäre. Gerade mit "Hey kleine Linda"...
Na gut, wenn es drüben rausgekommen wäre, hätte es klappen können. Das war schon die Zeit dafür. Ich hatte bei "Hey kleine Linda" zwei Gruppen von Fans. Die eine Gruppe waren Kinder und die andere Gruppe waren Soldaten, wegen der Story des Liedes.

Wenn Du jetzt mal auf Deine sehr lange Karriere zurückblickst - was sind für Dich die schönsten Momente, an die Du gerne zurückdenkst?
Das kann ich nicht sagen. Das ist durchgehend. Für mich war immer gerade das, was ich neu gemacht habe, das Schönste. Am prägendsten für mich war die Zeit im GERD MICHAELIS CHOR und zwar deshalb, weil ich als ein Niemand aus dem "Tal der Ahnungslosen" nach Berlin kam und mit dem Katapult nach oben geschossen wurde. Das merkt man sich natürlich besonders. Das liegt einfach daran, dass es eben aus dem Keller steil nach oben ging. Ansonsten immer das, was neu war. Zum Beispiel bin ich zu tiefsten DDR-Zeiten mal nach Schweden zu einem Festival gefahren. Oder bei minus 26 Grad nach Tampere in Finnland, wo vorher noch niemand aus der DDR war. So gab es immer wieder neue Sachen, die mir unheimlich viel Spaß gemacht haben. Und bei den Liedern war es ähnlich, da war es immer das Nächste, das Neueste. Das hörst Du wahrscheinlich von vielen Musikern, daran hängt das Herz immer am meisten. Man merkt dann zwar schnell, das ist nicht wirklich immer das Beste, aber man hängt trotzdem daran, weil die Entstehung immer noch so lebendig ist.

Gibt es denn im Umkehrschluss Momente, an die Du gar nicht gerne erinnert wirst?
Nö, nö, wirklich nicht.

Du bist also ein sehr glücklicher Künstler...
Na ja, ich bin einfach Realist. Natürlich gab es schon verquere Situationen und Fehler, die ich gemacht habe. Hätte ich diese Fehler nicht gemacht, wäre ich nicht an dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Dann wäre ich ganz woanders und das will ich auch nicht. Das Leben ist, wie es ist und es lohnt sich überhaupt nicht, darüber nachzudenken.

Damit sind wir fast am Ende, aber eine Frage habe ich noch: Welche Frage hat man Dir in einem Interview noch nie gestellt, obwohl Du sie gerne mal beantworten möchtest.
(lacht) Eigentlich wurden mir alle Fragen schon gestellt. Das ist gefährlich, wenn man ein Mikrofon bekommt und in Talkshows oder Interviews der Menschheit was Wichtiges sagen darf oder soll. Dieser Gefahr unterliegt man schnell, ich möchte dieser Gefahr aber lieber nicht unterliegen. Also, es gibt schon ein paar Dinge, zwar weniger meinen Beruf betreffend, sondern eher, was die Welt an sich betrifft. Zum Beispiel diese furchtbar verqueren Religionen, die Menschheit, die Kriege usw. Gerade wir, die das Glück hatten, in einer glücklichen Zeit geboren worden zu sein, also die Gnade der späten Geburt hatten... Es gibt da also wirklich ein paar Dinge, die ich noch nie gefragt wurde, aber das sind so riesige Dinge, die ein abendfüllendes Gespräch ergeben würden. Und das will auch keiner wissen! Ich hatte schon mal Ansätze dazu, wenn ich in Talkshows verkündet habe, dass ich Atheist bin. Das ging immer irgendwie schief. Es gibt so eine Weisheit, die lautet: Wenn man Dinge sagt, die richtig und gut für die Welt sind, dann nicken alle, denn das kannten die schon. Und wenn man etwas sagt, um die Dummen etwas klüger zu machen, erreicht man sie nicht, denn wenn sie es kapieren würden, wären sie ja nicht dumm. Das ist alles höchstkompliziert, also lasse ich das Thema weg und erfreue mich an der Sonne.

Wie lange willst Du uns noch mit "Damals war's" erfreuen?
Ich mache das schon gerne noch ein Weilchen weiter. Es hängt sehr viel davon ab, wie ich rüber komme, ob ich noch gut aussehe und auf keinen Fall so alt wirke, wie ich es dann vielleicht bin. Das darf auf keinen Fall sein. Deshalb gibt es auch bestimmte Kopfbewegungen und Diktionen in der Sprache, an denen Du alte Leute erkennst. Und wenn das bei mir losgeht, höre ich auf.

Ich drücke Dir und auch uns die Daumen, dass das noch lange hin sein wird. Möchtest Du abschließend noch ein paar Worte an unsere Leser loswerden?
Eigentlich haben wir alles gesagt. Höchstens noch, dass man nicht alles so verbissen sehen soll, dann läuft das schon.


Interview: Christian Reder
Datum: April 2013
Bearbeitung: tormey, mb, cr
Fotos: Pressematerial, Hartmut Schulze-Gerlach privat


 

   
   
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