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Purple Schulz

lp05 20130215 1587709001 lp06 20130215 2018660503 lp07 20130215 1758201897 lp08 20130215 1598565201
 

Mit seinem Album "So und nicht anders" macht seit geraumer Zeit ein Mann von sich Reden, der seit nunmehr 40 Jahren musikalisch unterwegs und aus der deutschen Musikszene nicht wegzudenken ist: Purple Schulz. Mit eben diesem Album und einigen musikalischen Perlen seines künstlerischen Schaffens geht Purple Schulz ab dem 15. Februar 2013 mit seinem Kollegen Schrader auf Tour. Bis jetzt stehen an die 30 Termine im Kalender und wer Purple Schulz kennt, weiß, dass ganz sicher noch einige hinzukommen werden. Die Premiere am 13. Februar in der Kölner "Psychiatrie" war übrigens ein voller Erfolg, wie er uns heute kurzerhand mitteilte...001 20130215 1506115153 Wer ist dieser Purple Schulz, wo liegen seine musikalischen Wurzeln und welche waren seine künstlerischen Stationen? Was bedeuten ihm die Inhalte seiner Songs, sein soziales Engagement und was verbindet ihn mit Anne Haigis oder auch Tamara Danz? Wie veränderten sich die Medien, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit großen Plattenlabels, was denkt er über die aktuelle Radiolandschaft und was muss ein Künstler in Sachen Promotion unternehmen? Höchst interessante und spannende Themen, über die sich Purple Schulz Ende Januar unmittelbar im Anschluss an eine Probe für das kommende Live-Programm ausführlich mit unserem Kollegen Mike Brettschneider unterhielt. Aber lest selbst...


 

Im vergangenen Oktober veröffentlichtest Du mit "So und nicht anders" Dein erstes Studioalbum nach 15 Jahren. Woran lag es, dass es so lange brauchte, bis Du es der Musikwelt und Deinen Fans präsentieren konntest?
Ich habe mich in den letzten 15 Jahren überwiegend der Arbeit mit anderen Künstlern gewidmet und habe mit sehr sehr viel verschiedenen Musikern und Musikerinnen zusammen gearbeitet, habe zwischendurch Kabarett gemacht, zwei Kinder-Musicals geschrieben und war eigentlich ständig mit anderen Sachen beschäftigt. Ich war auch permanent unterwegs, habe mit der Band gespielt und auch mit meinem Duo-Programm, damals mit Josef Piek. Dann habe ich mich im November vorletzten Jahres, also 2011, von Josef Piek getrennt und dann platzte wohl der Knoten in meinem Kopf und dieses Album entstand. Dann fing ich praktisch an, ab Anfang 2012 das Ding hier unten zu Hause aufzunehmen.

 

Nun war es nicht nur Dein erstes - wenn man es so nennen möchte - Soloalbum, sondern Du fungiertest auch erstmals als Produzent. Worin besteht der Unterschied zu den bisherigen Veröffentlichungen?
Es stimmt, es ist schon mein erstes Solo-Album. Als ich 1983 anfing mit "Purple Schulz & die Neue Heimat" und anschließend "Purple Schulz", war es ein Trio, also das "Verliebte Jungs"-Album wurde von einem Trio gemacht. Dieter Hoff, der Schlagzeuger, hat uns dann 1987 verlassen und seit dieser Zeit habe ich eigentlich jedes Album zusammen mit Josef Piek gemacht. Nun war es diesmal wirklich das allererste Mal, dass ich die komplette Verantwortung selbst übernahm und es auch selbst produzierte. Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, dass es sich tatsächlich um mein erstes Soloalbum handelt.

 

War das schwierig?
Ja, das war schon auch ein bisschen Neuland für mich. Zwar jetzt nicht ganz Neuland, weil ich ja schon lange genug in dem Geschäft dabei bin, aber es ist natürlich immer sehr angenehm für einen Künstler, wenn er die Verantwortung für gewisse Arbeitsprozesse abgeben kann, denn so kann er sich besser auf seine künstlerische Performance konzentrieren. Irgendwann kam ich an einem Punkt an, an dem ich merkte "Ey, das geht gar nicht, dass ich hier zwischen Regie und Aufnahme immer hin- und her renne" und da hatte meine Frau den blendenden Einfall, noch einen Toningenieur mit ins Boot zu holen und der war dann eine der ersten großen Jugendlieben meiner Tochter, nämlich der Michael Nebel. Obwohl da eine ganze Generation dazwischen liegt, haben wir uns prächtig verstanden, wir haben den gleichen Humor, wir denken oft die gleichen Sachen, wenn wir etwas hören und so war es eine phantastische Zusammenarbeit und ein wirklicher Glücksgriff für mich.

 

Die Single "Wir haben alle was zu sagen" nahmst Du bereits 2008 mit Deinem Sohn Ben auf...
"Wir haben alle was zu sagen", das habe ich mal mit meinem Sohn als Single rausgebracht, das ist richtig. Das war 2008. Eigentlich war das mehr ein Lehrstück, eine Art Gesellenstück mit meinem Sohn. Aber ich fand den Titel vom Text her sehr sehr passend für das Wahljahr 2013 und darüber hinaus. Und es ist auch ein Song, der erstaunlicherweise immer seine eigene Zielgruppe gefunden hat. Als ich mit meinem Sohn Ben diesen Text geschrieben habe, hatten wir immer diese überfüllten Flure auf den Arbeitsämtern im Kopf, das war unser Bild, welches wir beim Schreiben hatten. Aber dann kamen ganz viele Behinderteninitiativen und meinten, das trifft eigentlich auch unsere Situation und das fand ich spannend. Wir stellten dieses Stück damals auch vielen Initiativen zur Verfügung und so mache ich das auch heute noch. So ist es auch mit dem "Fragezeichen" passiert, welches in den zahlreichen Pflegebereichen einen enormen Anklang gefunden hat und dort jetzt teilweise schon als Schulungs- bzw. Sensibilisierungsvideo zum Thema Demenz eingesetzt wird, um Angehörigen zu vermitteln, was da eigentlich gerade passiert.

 

Auf das Thema "Fragezeichen" kommen wir auf jeden Fall noch mal zurück. Weißt Du, über welchen Zeitraum hinweg die Ideen zu den übrigen Songs Deines neuen Albums entstanden?
Also ein paar der Songs waren schon fertig, drei oder vier waren auch textlich fertig. Es sind natürlich in den 15 Jahren auch Songs entstanden, denn es ist ja nicht so, dass ich in dieser Zeit gar nichts gemacht hätte, aber die anderen Songs, die haben ihre Texte tatsächlich erst seit dem Januar letzten Jahres bekommen. Da begannen wir wirklich, daran zu arbeiten und wenn ich sage "Wir", dann meine ich meine Frau und mich. In diesem Sinne ist das nämlich auch unser Debütalbum, welches wir erstmals zusammen schrieben. Sie war zwar immer von Anbeginn meiner Karriere dabei, war stets eine meiner größten Kritikerinnen, aber jetzt haben wir zum ersten Mal richtig viel zusammen geschrieben.

 

Du sagst, viele Texte des Albums entstanden in Zusammenarbeit zwischen Dir und Deiner Ehefrau Eri. Wie verlief dieser Prozess und ist es nicht viel schwieriger, mit einer sehr vertrauten Person an Texten zu arbeiten, als mit Leuten, zu denen man keine so enge Bindung hat?
Also ich fand es gerade einfach. Weil wir uns so vertraut sind, weil wir ziemlich ähnlich ticken, fand ich das total klasse. Eben weil wir beide die gleiche Stoßrichtung haben. Wir wissen, wir wollen dann auch wirklich dasselbe und das macht es uns einfach, die richtigen Worte zu finden.

 

Okay, unter Eheleuten kann das ja durchaus auch unterschiedlich sein...
Ja ganz sicher, das kann auch anders laufen. (lacht) Wir haben bereits 1999 "Mit dem Rücken an der Wand" zusammen geschrieben, das war eine tolle Erfahrung und das griffen wir wieder auf. Meine Frau ist Therapeutin und eine sehr aufmerksame Beobachterin. Davon kann ich nur profitieren.

 

Die Vermutung, dass "Purple Schulz" mittlerweile so was wie ein kleines Familienunternehmen ist, liegt nahe. Ich denke dabei auch an die beiden Videoclips zu "Ich hab Feuer gemacht" oder "Fragezeichen", in denen auch Mitglieder Deiner Familie zu sehen sind. Liege ich mit dieser Vermutung eher falsch oder richtig?
Ja, da liegst Du (überlegt kurz...) ein bisschen richtig... Aber ein Familienunternehmen, das wäre für mich jetzt die Kelly Family. Aber es ist tatsächlich so. Mein Sohn Dominik lebt noch hier im Haus und ist ein begnadeter Gitarrist und Filmer. Dadurch haben wir hier natürlich ganz viele Möglichkeiten und wir können sehr schnell Dinge umsetzen, das ist schon richtig. Und wenn ich wirklich mal mit einem Text nicht weiter komme, kann ich auch eine Mail an meinen Sohn Ben schicken, der 15 Kilometer weiter hier in Köln wohnt und dann ist auch er zur Stelle. Also wir helfen uns da schon sehr, halten zusammen und das ist auch klasse. Weil jeder seine Stärken, Fähigkeiten und Talente hat, die muss man einfach nutzen.

 

Mit Sicherheit spielt dabei auch das generationsübergreifende Moment eine wichtige Rolle...
Natürlich, das ist klasse und ich als "alter Sack" (lacht) kann davon nur profitieren, denn da kommen auch ganz frische Impulse...

 

Es ist wohl mehr, als überholungsbedürftig...
Also zum einen natürlich: Wenn man schon drei Kinder durch dieses Bildungssystem - mehr oder weniger - bekommen hat, dann ist man hochmotiviert, darüber einen Song zu machen, das ist schon mal das eine. Fakt ist weiterhin, die Songs entstehen bei mir ganz anders, als bei vielen anderen Kollegen. Bei mir ist oft erst die Musik da und die gibt mir so die gewisse Grundstimmung und bei "Ich hab Feuer gemacht" war es dann tatsächlich so, als ich den Song mit meiner Frau hörte, sagte sie "Das wäre eigentlich eine wunderbare Musik für meine Geschichte." Nämlich die Geschichte, die sie ihren Schülerinnen auch immer erzählt. Meine Frau doziert auch gleichzeitig in der Erwachsenenbildung und da ist das eigentlich genau ihr Thema und sie kam dann auch oft an mit diesem wunderbaren Film "Cast Away - Verschollen", in dem Tom Hanks sich auf der Insel auf die Brust schlägt und sagt "Ich hab Feuer gemacht". Der Text war eigentlich ihre Idee, wir haben ihn gemeinsam umgesetzt, aber das Thema war schon ihre Idee. Aber es ist auch mir immer ein großes Verlangen gewesen, darüber mal etwas zu schreiben, weil ich finde, unser Bildungssystem ist einfach grauenhaft, es ist wirklich ein Grauen.

 

Kommen wir noch mal zum Song "Ich hab Feuer gemacht". Er beschäftigt sich mit dem Menschen, mit seiner Natur als denkendes und kreatives Wesen, den man seiner Natur folgen lassen sollte. Was war für Dich der Grund, einen solchen Song zu schreiben, der ja auch ein bisschen Kritik an unser Bildungssystem birgt?
Ja, es ist unglaublich, dass Lehrer mit Methoden von vorgestern die Jugend auf morgen vorbereiten wollen, das kann nicht funktionieren. Und man sieht ja auch immer wieder, zu welchen Konflikten das Thema Schule innerhalb von Familien führt. Und das geht schon mal gar nicht. Ich finde, Lernen muss vor allem auch etwas mit Spaß zu tun haben und Kinder lernen so gerne. Kinder lieben es, zu lernen, Kinder machen das gerne, aber man darf es ihnen nicht vergellen. Und genau das ist es, was Schule macht.

 

Musikalisch betrachtet hast Du beim Arrangement dieses Songs auf das Element der Weltmusik zurückgegriffen. Eine - wie ich finde - ausgezeichnete Idee. Ist diese Zutat in dem Song ein Hinweis auf unser aller Wurzeln oder was war der tiefere Sinn?
Mir ging es darum, dass wir am Ende zurückkommen zu den Wurzeln und etwas ganz archaisches passiert. Deshalb habe ich auf der Album-Version auch Sabine van Baaren mitsingen lassen, sie sollte diesen Solo-Gesang machen. Sie ist eine Heilsängerin und kommt aus einer ganz anderen Ecke und das macht es mir für mich wieder wahnsinnig interessant, weil sie da hinten in ihrer fiktiven Sprache singt und das finde ich total klasse.

 

Und diese Emotionen kommen in diesem Song entsprechend rüber...
Ja. Ich finde auch, wenn man Kindern Musik vermitteln will, dann fängt man ja immer beim Rhythmus an und deshalb gehörte für mich hinten einfach so ein Teil dran.

 

Ein Song, der auch Mut macht und dazu ein äußerst gelungenes Video...
Bei "Fragezeichen" war es so, dass mich einfach die Erinnerung an meinen Vater dazu brachte. Bevor mein Vater starb, hatte er sich schon geraume Zeit davor mehr oder weniger verabschiedet. Und ich habe mich immer gefragt, "Wo ist er jetzt? Wie nimmt er das alles wahr, was um ihn herum passiert? Was ist jetzt seine Wirklichkeit?" Und das Problem ist ja, dass wir als Angehörige sehr schnell ungeduldig werden gegenüber dem Betroffenen. Ich finde es eben sehr wichtig, dass man sich erst mal in die Situationen seines Gegenübers hineinversetzt, das ist mir grundsätzlich wichtig. Da war es mir ein ganz starkes Anliegen, einfach mal zu gucken, was mag denn da eigentlich vorgehen in einem Menschen, der davon betroffen ist. Weil: Jetzt einfach eine Geschichte zu schreiben über eine vergessliche Frau, das wäre mir zu wenig gewesen. Davon gibt es auch schon genug, da muss ich nicht noch die vierte oder fünfte Nummer abliefern. Für mich besteht der Reiz darin - und das merke ich jetzt vor allem bei dem neuen Album - mich mit Themen auseinanderzusetzen, die es so nicht gibt in der Pop-Musik, wie wir sie aus dem Radio kennen. Für mich ist das ganz wichtig, denn ich gehöre jetzt zu der Generation der zwischen 40- bis 65-jährigen, die mit Pop-Musik groß geworden sind, die auch leidenschaftlich gern Pop-Musik hören, aber im Prinzip nur noch geballte Langeweile vorgesetzt bekommen von den Format-Radios. Ich möchte nicht wegen dieser Format-Radios auf Pop-Musik verzichten. Pop-Musik ist eine tolle Sache, weil sie wahnsinnig vielseitig sein kann, so wie uns das die BEATLES Ende der 60er schon vorgemacht haben. Es ist alles möglich in der Pop-Musik und das ist das tolle an ihr. Damals, als ich mit der Pop-Musik groß wurde, behandelte sie meine Themen. Und zwar die Themen eines jungen Mannes. Das waren der Liebeskummer, die Trennung vom Elternhaus, die Rebellion... das waren meine Themen damals und da fühlte ich mich abgeholt. Aber jetzt bin ich eben 56, bald 57, und ich möchte noch immer Musik mit meinen Themen hören, weil Musik ja auch Trost spenden kann. Womit ich jetzt auch ganz viele Erfahrungen mit dem neuen Album mache, weil da viele Stücke drauf sind, zu denen ich wirklich unfassbar tolle Briefe und Mails bekomme. Das ist unheimlich schön, ein sehr sehr schönes Gefühl, eine ganz andere Art von Erfolg, als irgendwo in den Airplay-Charts ganz oben zu stehen.

 

Auch ein musikalisch interessanter Kontrast... Damit gleich zur zweiten Auskopplung. Mit "Fragezeichen" packst Du ein Thema an, das nicht alltäglich im Musikgeschäft ist. Es geht um Alzheimer bzw. um Demenz. Es wird die Welt und das Geschehen im eigenen Leben aus der Sicht eines Kranken geschildert. Gab es einen besonderen Grund, warum Du dieses Thema für einen Deiner Songs gewählt hast?
Da muss ich allerdings dazu sagen, im Gegensatz zum Video zu "Feuer gemacht" - das haben wir ja an den beiden heißesten Tagen des letzten Jahres gedreht und zwar mehr oder weniger ohne Plan, weil wir hier noch voll bei der Mischung für die Produktion waren, denn wir wollten einen Abgabetermin einhalten - war es bei "Fragezeichen" ganz anders. Meine Frau hat sich wirklich sehr gut um das Script gekümmert und auch die Regie geführt. Und so waren wir einige Leute mehr am Set und konnten uns dem Thema wirklich widmen und haben das Video dennoch sehr schnell gedreht. Das ist schon toll, wenn man sich die Arbeit aufteilen kann. Ich glaube, das "Feuer"-Video haben wir zu dritt gemacht und beim "Fragezeichen" waren wir dann schon - na gut - zu viert... (lacht)


Also auch nicht so viel mehr...

Aber wir hatten, wie schon gesagt, den großen Vorteil, dass meine Frau praktisch ein Drehbuch schrieb und das war doch schon etwas ganz anderes...

 

Die PUHDYS haben auf ihrer aktuellen CD "Es war schön" ebenfalls dieses Thema in einem Song behandelt. Das Stück heißt "Ein Lied, das nicht vergisst". Kennst Du das?
Nein.

 

Dann eine kleine Empfehlung, bei Gelegenheit einfach mal reinhören.
Okay.

 

Bleiben wir beim Thema Video-Clip. Es gibt im TV inzwischen so gut wie kein Format mehr, das auf solche Clips zurückgreift und sie sendet. Für wen macht man als Künstler heute noch Videoclips?
Ja, da hast Du recht, das ist wirklich völlig verrückt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir 1987 eine Single hatten, die war irgendwo maximal auf Platz 60 in den Charts und trotzdem hatte ich mit ihr 27 Fernsehauftritte. Und man muss das vor dem Hintergrund sehen, es gab damals hier im Westen (damals sprach man ja noch von West und Ost) nur die ARD, das ZDF und die Anfänge von RTL. Das war es dann aber auch. Und trotzdem 27 Sendungen, in denen man mit einem Song auftrat, der in den Charts überhaupt nicht hoch kam. Das ist schon völlig verrückt. Ja, für wen macht man das heute? Heute macht man das eigentlich für Youtube und dann muss man natürlich powern und posten ohne Ende, damit die Leute draufgehen und es entdecken. Über das Album wurde die Alzheimer-Gesellschaft auf uns aufmerksam und wir spielten bei ihr. Die Resonanz dort war so unglaublich, dass wir uns sagten, wir müssen darüber unbedingt ein Video machen. Wir produzierten das Video und seitdem ist es unglaublich überwältigend, wie viele Pflegeverbände und Institutionen sich dieses Videos schon angenommen haben. Wir stellten es ihnen zur Verfügung, sie können sich das auf ihre Webseiten runterladen. Das nenne ich ganz neue und andere Vertriebswege im Endeffekt. Das, was früher Fernsehen geleistet hat, machen wir mittlerweile selbst mit Youtube. Das heißt nicht, dass es einfacher geworden ist, aber es findet in Eigenregie statt.

 

Gehen wir etwas zurück, nämlich in die Zeit Deiner musikalischen Anfänge und ins Jahr 1970 nach Köln: Stimmt der Wikipedia-Eintrag, dass Du als 13-jähriger in einem Orgelgeschäft dem Verkäufer mit Interpretationen von DEEP PURPLE auf die Nerven gingst?
Ja. Aber wirklich nur mit "Child In Time", weil ich die anderen Sachen gar nicht spielen konnte. (lacht) Ich hatte damals drei Jahre Klavierunterricht und dann hatten wir uns zu Hause auch eine Orgel zugelegt. Das war so eine italienische VISCOUNT-Heimorgel, aber ich wollte unbedingt auf einer HAMMOND-Orgel spielen. Unsere Heimorgel war damit natürlich nicht zu vergleichen und so musste ich in das einzige Musikgeschäft, das HAMMONDs hatte und dann bin ich den Leuten dort wirklich auf den Sack gegangen... (lacht)

 

Du konntest aber leider offenbar nie eine erwerben...
Nein, eine HAMMOND war und blieb auch immer ein Traum. Später entschloss ich mich, mir keine HAMMOND zuzulegen, denn man muss sie ja auch schleppen und dann kriegt man ganz schnell "Rücken". Das weiß ich, denn ich war in meiner Jugend auch Backliner und habe auch so einige HAMMONDs geschleppt. Eine Schweinearbeit...

 

Du erwähntest gerade "Child In Time". Waren DEEP PURPLE Deine musikalischen Vorbilder?
Nein, eigentlich gar nicht. Meine Vorbilder kamen mehr aus der Zeit, in der Rock und Pop konzertanter wurde. Also Gruppen, wie die frühen GENESIS, YES, GENTLE GIANT, KING CRIMSON und CARAVAN. Die waren viel mehr mein Ding.

 

Waren das auch die Bands, die Dich letztlich musikalisch prägten oder gab es noch andere Einflüsse?
Na aber hallo! Also ich denke mal, so ein Album wie "Foxtrot" von GENESIS, das hat auf der B-Seite ein sehr langes Stück namens "Supper's Ready". Das war für mich, glaube ich, so etwas, wie eine Initialzündung. Als ich das gehört habe, wusste ich: Ey - ich will Musik machen! Das war dann wirklich als Berufswunsch auf einmal da und dann begann ich, leidenschaftlich mit meiner Band zu proben. Das war wirklich so die Grundlage. Komischerweise gibt es nur einen Kollegen in Deutschland, der dazu bereit ist, das auf der Bühne mit mir zu covern. Das ist Heinz Rudolf Kunze. Übrigens der einzige, der es auch kann. (lacht)

 

Okay, auch Heinz Rudolf Kunze werden wir nachher noch streifen. Erzähle unseren Lesern doch bitte etwas über die Band "D'accord", mit Du der 1973 musikalisch startetest. Was ging da ab und was wurde gespielt?
Ja, das war eine Band, die sehr sehr lange Stücke hatte, die bis zu zwanzig Minuten gingen mit unglaublichen vielen verschachtelten, verwurzelten und verschwurbelten Teilen. Es wurde etwas ähnliches wie Englisch gesungen und es hat einen Haufen Spaß gemacht, war allerdings auch verdammt kompliziert. Und manchmal sogar zu kompliziert für uns... (lacht)

 

Waren das eigene Stücke oder auch nachgespielte?
Da gab es nur eigene Stücke. Zum Nachspielen kam ich erst Ende der 70er. Aus reiner Geldnot gründeten wir eine Coverband und spielten ausschließlich Sachen aus den 60ern. Das waren meine ersten Erfahrungen mit dem Nachspielen, vorher gingen wir gleich in die Vollen und glaubten, wir könnten die Welt verändern und die Musikgeschichte neu schreiben. Na ja gut, aus "D'accord" wurde dann irgendwann die "Neue Heimat". Ich war eigentlich die ganze Zeit zusammen mit dem damaligen Schlagzeuger Dieter Hoff, mit dem ich gemeinsam auch meine ersten musikalischen Gehversuche unternahm und aus der Gruppe "Neue Heimat" wurde 1984 "Purple Schulz" und 1985 erschien das erste Album "Verliebte Jungs".


War die "Neue Heimat" Deine erste Profi-Station?

Das war wirklich sehr merkwürdig und völlig verrückt. Es war so, dass die "Neue Heimat" ursprünglich ein reines Studioprojekt war und eigentlich nur dazu diente, eine Single in den Charts zu platzieren, nämlich eben dieses "Ich bau Dir ein Schloss", welches Wolf Maahn damals sang. Und das war sehr erfolgreich. Zur gleichen Zeit waren Josef, Dieter und ich im Studio und wir arbeiteten an einem eigenen Album, wobei aber noch nicht klar war, unter welchem Namen das rauskommen sollte. Wir wurden dann vom Verlag gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, das Album als "Neue Heimat" zu veröffentlichen und eben diesen Titel "Ich bau Dir ein Schloss" dann auf dieses Album mit drauf zu packen. Wir waren so blauäugig und haben gedacht: "Wow super, dann haben wir schon mal eine Single in den Charts und schießen dann das Album hinterher." Das war ein netter Gedanke, aber das hat sich dann nicht als so dolle Idee herausgestellt. Fakt war, dass das erste "Neue Heimat"-Album wie Blei in den Regalen stand. Dann kam das zweite Album, bei ihm war es nicht anders. Erst, als man sich nach einem dreiviertel Jahr entschloss, von diesem zweiten Album den Titel "Sehnsucht" auszukoppeln, hat es funktioniert.

 

Noch mal kurz zurück ins Jahr 1981. In der Zeit der Neuen Deutschen Welle, wurde die Band "Neue Heimat" gegründet. Mitbegründer waren damals z. B. Wolf Maahn und Klaus "Major" Heuser und es entstand die Single "Ich bau Dir ein Schloss". Dabei handelte es sich um eine Coverversion des gleichnamigen Schlagers von Heintje. Diese Besetzung führte das Projekt nicht weiter, stattdessen tauchten auf einmal die Namen Purple Schulz, Josef Piek, Dieter Hoff, Freddy Böhmer und Hagü Schmitz auf. Wie kam es zu diesem - sagen wir mal - doch recht merkwürdigen Werdegang der "Neue Heimat"?
Na ja, was heißt "Profi-Station"... Ich habe zu der Zeit immer noch nebenher in allen möglichen Jobs gearbeitet, unter anderem auch im Verlag und Comicladen von Benedikt Taschen.

 

Du konntest mit der "Neue Heimat" Deinen Lebensunterhalt also nicht bestreiten?
Nein, dafür waren es zu wenige Konzerte und wir hatten dann - wie schon gesagt - noch diese Coverband und damit kam man so halbwegs über die Runden.

 

Kannst Du Dich noch erinnern, warum Wolf Maahn und "Major" damals ausgestiegen sind?
Diese Sache war von vornherein auf diesen einen Song reduziert und sie hatten schlicht und ergreifend keinen Bock darauf. Ich hatte auch keinen Bock, "Ich bau Dir ein Schloss" zu singen und hab' das dann auch gar nicht erst gemacht.

 

Weißt Du noch genau, wann die Band den Zusatz "Neue Heimat" aus ihrem Namen strich?
Ja, Freddy und Hagü verließen die "Neue Heimat": Da waren wir aber schon mit der Aufnahme des dritten Albums befasst. Nachdem die beiden die Band verlassen hatten, sagten wir, dann machen wir auch die "Neue Heimat" nicht weiter und geben dem Ding einen anderen Namen, damit wir auch diese Altlast hinter uns lassen konnten.

 

Etwas später wurde aus der Band dann Dein eigenes Projekt...
Das ging mit dem Album "Hautnah" einher. Dieses Album kam ja zunächst noch unter dem Namen "Neue Heimat" heraus und dann bekam es den Zusatz "Purple Schulz & Die Neue Heimat", weil dann auch schon klar war, dass das kommende Album "Purple Schulz" heißen wird.

 

1983 erschien dann der Titel "Sehnsucht". Die Single schoss geradezu in die Charts, 1985 bekamt Ihr dafür die "Goldene Europa" verliehen. Wie hast Du diese Auszeichnung - als damals gerade mal knapp 30-jähriger - empfunden, welche Gedanken gingen Dir durch den Kopf?
Da habe ich gedacht: "Klasse"! Es ist natürlich schöner, für einen Titel, wie "Sehnsucht" eine Auszeichnung zu bekommen, als vielleicht für "Ich bau Dir ein Schloss". Dadurch konnte ich mich auch ganz gut von der ganzen NDW ("Neue Deutsche Welle", Anm. d. Red.) abgrenzen, zu der ich mich ja auch nie so wirklich zugehörig fühlte. Dass dann das Album "Verliebte Jungs" auch noch ein Riesenerfolg wurde, fand ich noch besser, weil es zeigte, dass es da schon eine große Bandbreite an Musik gibt, die man machen und die auch erfolgreich sein kann. Ich dachte, das ist eigentlich wunderbar, da man auch nicht so festgelegt werden kann. Trotz allem hatten wir den Fehler gemacht, dass wir drei Singles aus dem Album auskoppelten, nämlich "Verliebte Jungs", "Kleine Seen" und "Nur mit dir", die mich dann irgendwie auf diese Liebeslieder-Schiene festlegten. Dummerweise war es dann auch die Politik der Plattenfirma, immer wieder Songs mit diesen Themen als Singles auszukoppeln, obwohl das allein eigentlich gar nicht so meine Welt war. Das "Verliebte Jungs"-Album hat eine B-Seite (damals war es ja noch eine Schallplatte), sie ist eigentlich die dunkle Seite von "Verliebte Jungs" und eine ganz wichtige Seite, die sich allerdings dagegen leider nicht durchsetzen konnte. Das war dann etwas, das mich medial verfolgte, weil ich in den Medien auf diese Rolle festgelegt wurde, obwohl sie nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Ich habe mich immer als Album-Künstler verstanden und diesen Weg deshalb auch mit dem neuen Album konsequent durchgezogen. Da war es mir wirklich scheißegal, ob etwas single- oder gar radiotauglich ist. Ich wollte einfach nur eine Platte machen mit den Themen, die mich interessieren.

 

Wurde der Vertrag mit Deinem bisherigen Label planmäßig beendet oder gekündigt?
Ja ja, das war ja auch genau der Grund, warum ich kein großes Label mehr haben wollte. Ich möchte nicht, dass irgendjemand an allem, was ich mache, 20 Prozent verdient, denn mittlerweile wird ja sogar von Auftritten und Konzerten Geld abgegriffen und das ist nicht mein Ding. Die Konzertleistung ist meine eigene Leistung, da wird außer dem Booker und den Technikern, die mitfahren, niemand sonst vergütet und es kann nicht irgendeine Firma die Hand aufhalten, das geht gar nicht.

 

Dabei war ganz offensichtlich von Vorteil, kein großes Label im Nacken zu haben...
Ich war 16 Jahre bei EMI und habe nach dem letzten Studioalbum diesen Vertrag auslaufen lassen und saß hier wirklich wie auf heißen Kohlen und hoffte, dass seitens der Firma keinerlei Option ausgesprochen wird, denn sonst hätte man sich zusammensetzen müssen, weil es Erklärungsbedarf gegeben hätte. Ich wollte mit dieser Firma nichts mehr zu tun haben. Nicht, dass da nur Pappnasen gesessen hätten, das zu sagen, wäre unfair. Ich wollte mit dieser großen Firma nicht mehr arbeiten, weil es nur dazu führt, dass man mit Leuten irgendwelche Promotionpläne schmiedet und wenn diese dann irgendwann in der Praxis greifen sollen, sitzen diese Leute gar nicht mehr auf ihren Stühlen, sondern schon längst bei einer anderen Firma. Das macht für mich alles keinen Sinn.

 

Auch gesellschaftlich bist Du seit jeher engagiert. Im Jahr 1986 nahmst Du neben Künstlern wie Rio Reiser, Herbert Grönemeyer, BAP und den Toten Hosen beim bis dahin größten Festival, nämlich dem Konzert gegen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf teil. Was bedeutet Dir ganz persönlich dieses Engagement, bei welchem niemand wirklich auf die Idee käme, Du würdest es aus Gründen positiver Publicity machen?
Wo man sich einmischen kann und wo man die Möglichkeit hat, etwas zu verändern, sollte man das tun. Wenn wir aber jeden Tag das gleiche tun, können wir nicht davon ausgehen, dass sich irgendetwas ändert. So einfach ist das. Ich war immer ein Atomkraftgegner, sogar noch zu Zeiten, als wir englisch gesungen haben und versuchten, unsere Eigenkompositionen zu spielen. Auch da hatten wir schon Stücke zu diesem Thema, wie z. B. über Harrisburg, die Atomkatastrophe in den Vereinigten Staaten im Jahr 1979, wenn ich mich recht entsinne. Und überhaupt bin ich über solche Themen erst zu deutschen Texten gekommen. Meine ersten Texte hatte ich geschrieben gegen Fahrpreiserhöhungen und die habe ich gesungen bei Demonstrationen. (lacht) Also das war eigentlich die Grundlage.

 

Warst Du enttäuscht darüber?
Die haben mich einfach nicht gefragt. Ich weiß auch nicht, was da gewesen ist, warum ich nicht gefragt wurde, bei mir ist das nie angekommen. Aber merkwürdigerweise bekam ich Jahre später sogar mal eine Lizenzabrechnung, also keine Überweisung auf mein Konto, aber eine Abrechnung. Und das fand ich sehr sehr spaßig und auch sehr nett von der ARIOLA, denn ich hatte da ja keinen Ton drauf gesungen... (lacht)

 

Du warst Mitte der 80er ein wichtiger Bestandteil der deutschen Rock- und Popszene und - wie schon erwähnt - ein sehr engagierter Künstler, der sich auch immer für andere eingesetzt hat. Warum gehörtest Du nicht zum Line Up der "Band für Afrika"? Ich habe Dich damals dort sehr vermisst. Hat man Dich nicht gefragt, ob Du da mitmachen willst?
Ich wäre da schon gern dabei gewesen, das hätte ich gern gemacht. Es gab auch keinen Grund dagegen, aber ich habe keine Ahnung, warum das nicht zustande kam.

 

Du hast im Nachhinein aber auch niemanden danach gefragt?
Nein nein. Es war seltsam und alle, die dabei waren, die haben das auch nicht verstanden, aber man weiß nicht, was damals genau passiert war und ich weiß es auch nicht.

 

Im Jahr 1989 und 1990 warst Du im Rahmen der "Rockpoeten-Tour" in der DDR unterwegs. Was verbindest Du mit den Konzerten in der DDR?
Das war einfach großartig. Das gehört für mich zu den unvergesslichsten Konzerterlebnissen meines Lebens. Da im Palast der Republik zu spielen und zu sehen, wie die Leute aufstehen und ich hab' die Leute dann ja auch auf die Bühne geholt. Es gab zwar einige Stasi-Mitarbeiter, die waren da gar nicht so begeistert, versuchten erst, die Leute zurückzudrängen, haben aber dann gesehen, das könnte jetzt blöd werden und ließen es dann. Ich kann das gar nicht wiedergeben, es war einfach so euphorisierend, es macht mich noch immer sprachlos. Und wir waren dann ja auch ein paar Tage unterwegs in der DDR und haben auch diese Stimmung mitbekommen, das war so spannend und aufregend, das war Wahnsinn.


Weil Du es gerade ansprachst, die Parallelen zu BAP sind unausweichlich, die Kollegen waren 1984 in der DDR und traten dann nicht auf. Hast Du die Entscheidung der Band damals verstanden und für Dich persönlich für okay befunden oder hattest Du damit Bauchschmerzen?

Nein, es gab gar keine Diskussionen. Natürlich wurden wir gebeten, vorher eine Setlist abzugeben, was wir vorhaben da zu spielen. Aber es hat niemand etwas dazu gesagt, oder vielleicht sogar gemeint, "Nein, diesen Titel könnt Ihr aber nicht spielen.", so wie BAP damals hineingeredet wurde. Also bei uns war es merkwürdigerweise gar nicht so und ich nehme an, aus dem Grund, weil man sich dachte, dieses Lied würde ja wunderbar die Entfremdung, wie sie im westlichen Kapitalismus stattfindet, beschreiben. Vielleicht war es das... (lacht)

 

Nun war es ja so, dass gerade der Song "Sehnsucht" mit seiner ausdrucksstärksten Zeile "Ich will raus..." im Osten ganz anders wahrgenommen wurde, als im Westen. Hattet Ihr damals Probleme mit den DDR-Behörden, diesen Song live zu präsentieren oder gab es vorher Diskussionen?
Ach das muss jeder selbst entscheiden, aber ich glaube, wir waren damals alle ein bisschen überheblicher, als wir jung waren. Und ich denke auch, dass Wolfgang Niedecken diese Entscheidung heute anders getroffen hätte. Ich glaube, man hat sich da auch ein bisschen wichtig genommen.

 

Also könntest Du heute auch nicht 100%ig sagen, wie Du Dich in dieser Situation entschieden hättest?
Ich kann das nicht sagen. Für uns war es schon mal ganz toll, dass wir überhaupt reinkamen in die DDR und natürlich will man das auch machen. Man will ja auch da rein. Ich weiß nicht, ob ich gesagt hätte: "Nein, wenn wir 'Sehnsucht' nicht spielen dürfen, dann fahren wir da auch nicht hin." Ich weiß es nicht und es ist eigentlich auch unerheblich jetzt im Nachhinein.

 

Nach der Vereinigung beider deutscher Staaten fielen ja fast alle deutschen Bands in ein tiefes Loch. Man sagt zwar oft, dass es nur die Bands aus der DDR betraf hat, aber das ist ja nur die halbe Wahrheit, denn es traf auch Bands aus der ehemaligen BRD. Wie hast Du die Zeit während der politischen Wende und der Vereinigung in Deutschland erlebt?
Ich meine, es hat auf dieser Tour Kontakte zu CITY gegeben und ich glaube auch, dass wir die Leute von SILLY kennen lernten. Ich weiß auf jeden Fall, dass kurz nach der Wende Tamara Danz (SILLY) bei mir zu Besuch war und da ging es um das Thema "Was macht eigentlich eine Ostband jetzt nach der Wende?" Eine Ostband, die aus einer ganz anderen schreiberischen Tradition herauskommt, wenn die auf einmal schreiben kann, worüber sie will, dann wird es schwierig. Erst mal war die Wende ja auch der absolute Kulturschock und man muss erst einmal lernen, neu zu schreiben, Und die wussten gar nicht, worüber sie schreiben sollten. Das war ja der Irrsinn. Tamara saß hier und sagte: "Ich habe keinen Schimmer, worüber ich schreiben soll." Und dann saßen wir hier und ich hätte da liebend gern irgendwie geholfen oder so, aber auch ich war von der Situation völlig überrascht, denn die Wende kam ja auf einmal ganz ganz schnell.

 

Kannst Du Dich erinnern, gab es während dieser Tour-Stationen auch Kontakte zu Künstlern aus der DDR und wenn ja, an welche erinnerst Du Dich besonders gern zurück?
Ich habe das Gefühl, dass ich erst 1994 begann, die Wende zu verarbeiten und ich vorher gar nicht ranging an dieses Thema. Es gibt einen Titel auf dem 1994er Album "Spaß beiseite?", der heißt "Keine Zeit zu weinen". Das ist ein Stück, was auch mit der Wende zu tun hat. Aber ich bin da vorher komischerweise gar nicht rangegangen. Heute würde es mir wahrscheinlich wesentlich leichter fallen, aber jetzt noch einen Song zur Wende zu machen, wo langsam alles zusammenwächst (lacht), fänd' ich auch blöd.

 

Woran - glaubst Du - hat es gelegen, dass sich der Musikgeschmack der Menschen innerhalb so kurzer Zeit so dermaßen veränderte, dass viele Bands und Solisten aus den 80ern plötzlich keine Rolle mehr spielten, die kurz vorher noch in den Charts und den Medien vertreten waren?
Zum einen kam der ganze Privatfunk auf, es kamen immer mehr private Radiostationen und dann ging es los mit der Formatierung, mit Research und was weiß ich, was da alles kam. Die Medienlandschaft veränderte sich total. Wie sich so eine Medienlandschaft verändert, bekam ich jetzt beim neuen Album mit, nachdem ich seit 15 Jahren wieder auf eine Senderreise ging, die übrigens ausgesprochen umfangreich war für einen deutschen Künstler. Ich war trotzdem sehr erstaunt, was sich da alles änderte und wie hart diese Formate sind, die man auch gar nicht mehr nachvollziehen kann. Mir erschließt es sich noch immer nicht, warum welche die besten Hits von heute sind, da komme ich immer noch nicht ganz mit.


1997 erschien zum 50. Jubiläum des Plattenlabels AMIGA das Album "Liedervereinigung". Auf ihm bist Du gemeinsam mit Anne Haigis mit dem Titel "Verlorene Kinder" vertreten. Wie kam es zu dieser Aufnahme und warum fiel die Entscheidung ausgerechnet für diesen Song von SILLY?

Ich denke immer, ich habe sowieso ein kleines Problem mit dieser ganzen Landschaft. Ich bin so ein Mittelding aus Liedermacher und Pop-Musiker und sitze da genau zwischen den Stühlen. Die einen spielen mich nicht, weil ich zu sehr DAS bin und die anderen spielen mich nicht, weil ich zu sehr DAS bin. Jetzt ist die Situation so bizarr, dass du "Purple Schulz" auf der Schlagerwelle hörst. Und dann kann es dir wirklich passieren, dass "Purple Schulz" zwischen den AMIGOS und Andrea Berg läuft mit einem Stück über eine Psychose oder über's Sterben oder über Kreativität - also auf jeden Fall mit irgendeinem Stück, was überhaupt nicht dazwischen gehört und auch eigentlich gar nicht dahin passt. Aber sie sind die einzigen, die mich noch spielen, genau so, wie es die einzigen sind, die Herman van Veen oder Reinhard Mey spielen. Reinhard Mey hörst du auch nicht in den ersten und zweiten Programmen, aber das sagt ja nichts aus über die Qualität. Es ist ja nicht so, dass alles, was auf Schlagerwellen läuft, zwangsläufig auch Schrott sein muss. Man muss aber einfach festhalten, es sind die einzigen Wellen, die uns, die Liedermacher und die Leute, die ein bisschen mehr, als nur Radio-Pop, machen wollen, noch spielen.

 

Die 90er waren auch die Zeit, in der die deutsche Musik in den Medien fast ausgestorben war. Wenn man nicht gerade Maffay oder Grönemeyer hieß, hatte man medial gesehen ganz schlechte Karten. Wie hast Du diese Zeit mit den veränderten Vorzeichen empfunden?
Diesen Song habe ich damals, da war die DDR noch dicht, bei WDR2 gehört und dieser Song hat mich wirklich erreicht und ich fand ihn ganz ganz ganz toll und beeindruckend. Als es darum ging, "Such' Dir ein Lied aus", da war für mich ganz klar, dass es dieses Lied sein soll, das ich auf diesem Album spielen möchte. Und für mich war auch klar, dass nur Anne das so hat singen können und finde, Anne hat das großartig gemacht. Wir haben das damals in meinem kleinen Kellerstudio im Nachbardorf aufgenommen. Ja, da ist kein Bass drauf und keine Gitarre, ich weiß… (lacht)


Für Deine Zusammenarbeit mit Anne Haigis - so auch auf Deinem aktuellen Album - bist Du bekannt. Was schätzt Du an ihr und ihrer künstlerischen Arbeit besonders?

Ja, das ist schade, aber vielleicht mache ich das irgendwann auch noch mal. Es lag mit Sicherheit auch daran, dass Josef von den Sachen, die ich allein machte, nicht immer unbedingt begeistert war und auch nicht alles gut fand. Und mit Sicherheit hatte auch ich keinen Bock darauf, eine Auseinandersetzung darüber zu führen, was auf ein neues Album drauf soll. Das ist jetzt insofern für mich alles sehr viel leichter zu handhaben.

 

Dennoch eine tolle Nummer, die unter die Haut geht. Mir ist das Original natürlich bekannt und diese Version hat mich damals schon sehr überrascht. Warum hat der Song eigentlich nie auf einem regulären Album stattgefunden? Er führt ein gewisses Schattendasein auf diesem einen Sampler...
Sie ist einfach eine phantastische Kollegin, eine ganz ganz tolle Freundin, ein so verlässlicher Kumpel und wenn sie singt, das haut mich um. Aber das trifft auf alle Sängerinnen zu, die bei meinem neuen Album dabei waren. Das sind wirklich meine ganz großen Seelenschwestern und Kolleginnen, die ich sehr schätze und zu denen ich auch privat ein sehr inniges Verhältnis habe, es sind gute Freundinnen, die hierher zum Essen kommen, die auch hier übernachten, sie sind ein Teil der Familie.

 

Im Jahr 1999 waren Josef Piek und Du mit der Show NOKIA NIGHT OF THE PROMS auf Tour durch Deutschland. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit, musstet Ihr Euch dafür bewerben oder kam man auf Euch zu?
Man wird angefragt für so was.

 

Und stand für Euch sofort fest: "Jawohl, das machen wir!"
Ja klar, denn das hatten wir noch nicht gemacht. Die Erfahrung, mit einem Riesenorchester unterwegs zu sein, ist natürlich auch eine ganz tolle Geschichte und wenn man so ein Angebot bekommt, muss man es einfach annehmen, sonst wird da nie was draus...


Kommen wir zu einem kleinen Break, nach über dreißig Jahren erfolgreicher musikalischer Zusammenarbeit mit Josef Piek beendete Ihr diese im November 2011. Was waren die Gründe dafür, gab es künstlerische Differenzen oder gar andere?

Ich glaube, das lief sogar schon seit 2009. Warum wir das gemacht haben? Wir hatten so eine Konzertreihe hier in Köln, bei der wir immer andere Gäste hatten. Da waren z. B. PE Werner, Ulla Meinecke zu Gast, auch Stoppok war schon dabei und ganz viele verschiedene Gäste. Heinz Rudolf hat das ganze unheimlichen Spaß gemacht. Er kannte das in der Form gar nicht, dass er irgendwohin kommt und zwei Jungs exzellent vorbereitet sind, seine Nummern zu spielen und er fand das ganze Klangbild so beeindruckend, was wir da zu zweit machten, dass er sagte "Ey, das will ich öfter machen". Und dann wurde daraus das längste Programm seines Lebens. (lacht) Er hat kein anderes Programm so lange durchgespielt wie dieses, das wir da gemeinsam machten. Natürlich veränderte sich das Programm im Laufe der drei Jahre auch immer mal wieder, aber wir hatten wirklich unfassbar viele Konzerte damit und das alles ohne CD, ohne DVD, ohne Fernsehen oder Radio. Also nur, weil die Leute dachten: "Ey, was ist das denn? Das muss ich sehen!" Es hat einen wahnsinnigen Spaß gemacht und wir hatten auch miteinander sehr viel Spaß.

 

Purple Schulz ist immer für eine Überraschung gut und so kam es, dass eine neue Idee geboren wurde. Ab 2010 warst Du fast ca. drei Jahre mit dem Programm "Gemeinsame Sache" mit Heinz Rudolf Kunze unterwegs. In dieser Konstellation gab es an die 150 Konzerte. Wie kam es dazu und worin siehst Du aus heutiger Sicht die Gründe für dieses erfolgreiche Programm?
Ach es ist eben so, wenn man 33 Jahre zusammen Musik macht und zusammen arbeitet, dann ist das so was wie eine Ehe, völlig klar. Und Josef und ich, wir waren länger zusammen, als ich mit meiner Frau verheiratet bin. Aber wie das so ist - auch in einer Ehe - man kann an einen Punkt kommen, an dem man sieht, gemeinsam kommen wir jetzt nicht mehr weiter. Und dann gibt es die Möglichkeit, das Ding irgendwie weiter durch's Land zu schicken aus wirtschaftlichen Gründen, aber das kann es ja nun nicht sein. Wenn man künstlerisch arbeitet, ist das höchst unbefriedigend. Es ist so, dass dann irgendwie einer zuerst gehen will und in dem Falle war ich das. Ich hatte schon Anfang 2011 gesagt "Wir müssten diese Beziehung überdenken und unsere Arbeitsweise etwas verändern", wir kamen aber innerhalb eines Jahres nicht weiter. Dann war für mich der Punkt erreicht, wo ich mir sagte, nun muss man sich entscheiden. Es war mit Sicherheit nicht einfach und für mich auch alles andere als günstig, aber mir war nachher wirklich alles egal, mir war es wirklich wichtiger, meine Ruhe und meine künstlerische Freiheit zu haben, als irgendwie einigen Euros hinterher zu trauern.


In England oder den USA kennt man viele "unserer" Schubladen gar nicht. Woran - glaubst Du - liegt es, dass wir speziell im Bereich Pop noch weitere Unterscheidungen machen, z. B. Schlager, die es wo anders gar nicht gibt?

Ich bin ein liedermachender Pop-Sänger. (lacht) Oder sagen wir mal, ich bin ein "Ding" zwischen Liedermacher und Pop-Musiker. Als Beispiel: Ich liebe Konstantin Weckers Texte, ich verehre ihn. Aber musikalisch bietet er mir nicht genug. Ich möchte gerne, dass es noch dramaturgischer wird, Musik muss eine gewisse Dramaturgie haben und dazu muss man auch auf diverse Genres zurückgreifen und das ist eigentlich genau das, was ich machen möchte. Das ist ja auch das Motto meines neuen Albums, welches ich vorn in das Cover hineinschrieb: "Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen - Erwachsenen, damit sie aufwachen." Diese 14 Geschichten, die wir auf dem Album haben, das sind kleine Geschichten, wie kleine Filme. Man könnte einen Schwarzweiß-Film, einen Action-Film, eine Komödie, ein Drama oder eine Tragikkomödie zu ihnen drehen. Ebenso wären ein animierter Film, ein Stop-Motion- oder ein Zeichentrickfilm möglich. Man muss gucken, welches Genre ist jetzt das Beste, um die Geschichte zu transportieren. Da habe ich, als der Purple Schulz der ich bin, die Freiheit, alles machen zu können. Ich kann mal einen Trickfilm, mal so ein Video oder auch eine Operette machen, wenn ich glaube, das könnte gut für das Thema sein. Dann mache ich das auch und ich kann es umsetzen, weil mich hier niemand in ein musikalisches Korsett reinzwängt und sagt: "Du bist aber der Künstler, der so und so sein muss."

 

Wie sieht es mit den in Deutschland so beliebten musikalischen "Schubladen" aus? Als was siehst Du Dich? Popsänger, Interpret, Rockpoet, Entertainer...?
Das liegt an diesen bekackten Formaten. Diese Formatgeschichten werden auch nicht lange gut gehen, irgendwann laufen die sich sowieso tot. Das Radioformat ist das Ende der Pop-Musik, denn es ist seit langem nicht mehr so langweilig gewesen.

 

Das ist wohl wahr und das sei allen Musikredakteuren auch wirklich hinter die Ohren geschrieben, so es denn überhaupt noch Musikredakteure gibt...
Also wenn ich Musik entdecken will, dann gehe ich wirklich auf Youtube und sehe mir ganz junge, innovative Leute an, die ganz tolle Sachen hinlegen, aber ich höre neue Sachen im Radio nicht mehr.

 

Es gibt inzwischen einige Bands, die - um medienkompatibel zu sein - ihr Image fast schon auf ein volkstümliches Niveau herunterschrauben. Musiker, die früher cool und anders waren, zeigen sich heute "familienfreundlich", um ins kuschelige Samstagabendprogramm der Öffentlich-Rechtlichen zu passen. Siehst Du diese Entwicklung genauso negativ wie wir, oder nimmst Du die heutige Musikszene anders wahr?
Dazu kann ich jetzt nichts sagen, ich kenne niemanden, der sich da so anbiedert, aber es gibt natürlich auch Existenzängste bei Kollegen, die auch sehen müssen, wie halte ich meine Familie am "Kacken".

 

Auf Deiner offiziellen Website schriebst Du am 27.11.2012: "Trotz vieler Interviews in Radio und Fernsehen, vor allem in der ARD Themenwoche, ist es aber nicht leicht, ohne eine aufwendige und teure Promotion viele Menschen zu erreichen." Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk, sind Dir diese heutzutage notwendigen Promotion-Aktivitäten lästig?
Wo ich selbst Promotion machen kann, also in den Social-Networks oder auf meiner Homepage, da mache ich das und ich freue mich natürlich auch, wenn eine Radiopromoterin eine Senderreise für mich zusammenstellen kann, dann mache ich das alles sehr gerne. Aber gerade die Promotion im Social-Network-Bereich, also bei Facebook usw. ist unglaublich zeitintensiv und das ist schon anstrengend. Es macht zwar Spaß, hält einen aber auch von vielen anderen wichtigen Dingen ab.


In wenigen Tagen gehst Du auf Tour mit Deinem neuen Album, begleitet vom Gitarristen "Schrader". Was glaubst Du, erwartet das Publikum von Euch und worauf freut Ihr Euch besonders?

Ich habe eine Handvoll ganz lieber und treuer Fans, die mich aufmerksam machen, wenn ein Termin falsch gepostet wurde, wenn irgendwo Karten noch nicht zu erhalten sind oder wenn etwas gedruckt werden muss, die dann Druckereipreise recherchieren usw. Sie nehmen auch Sendungen mit Interviews auf und stellen diese zusammen. Da habe ich schon eine Handvoll Leute, auf die ich mich super verlassen kann und die mir sehr gut zur Hand gehen. Aber die sind auch wirklich echte Fans und das ist das tolle an der Sache.

 

Ich weiß, Du hast auch einen sehr rührigen Fan-Club in Berlin... Hast Du noch mehr Unterstützung in dieser Richtung?
Ich weiß nicht, was das Publikum erwartet, aber ich kann sagen, was wir machen werden: Wir werden fast das komplette neue Album spielen und natürlich auch einige Hits von damals. Und wir werden auch noch das eine oder andere Stück aus ganz alten Zeiten rauskramen, das schon lange nicht mehr gespielt wurde, weil ich glaube, dass es schade ist, dass manche schon zu recht frühen Zeiten von der Bühne verschwanden. Deshalb hole ich das eine oder andere Stück wieder raus und natürlich wird es auch die eine oder andere Überraschung geben. Dazu kann ich jetzt allerdings noch gar nichts weiter sagen, denn wir sind ja noch mitten in den Proben.

 

Für die Tour drücke ich Euch die Daumen und bedanke mich bei Dir für das ausführliche und sehr interessante Gespräch. Möchtest Du den Lesern von Deutsche Mugge zum Abschluss noch etwas sagen?
Nach so einem langen Interview ist eigentlich alles gesagt. Nur eins noch: Es ist toll, dass es die Deutsche Mugge gibt, denn man hat nicht immer so gut vorbereitete Interviewpartner und vor allem hat man so gut wie nie so viel Zeit, sich zu den Themen zu äußern. Ich wünsche Euch viele Leser und hoffe, dass möglichst viele Journalisten hier bei Euch abschreiben. Dann muss ich mich nämlich nicht über schlecht recherchierte Artikel ärgern. (lacht)
Dafür danke ich der Deutschen Mugge.

 

Interview: Mike Brettschneider
Datum: Februar 2013
Bearbeitung: cr
Fotos: Pressefoto des Künstlers
 


Videoclips:
 
 
 

 

 
 

   
   
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