Zum Tod von ...
 
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Ein Nachruf von Christian Reder in Zusammenarbeit mit
Hugo Laartz & Jonas Lohse. Fotos: Eugen Hahn privat



In der Jazz-Szene hängen die Fahnen auf Halbmast. Die Musiker und Fans aus diesem Bereich haben mit Eugen Hahn gestern (22.12.2020) nicht nur einen ihrer Kollegen verloren, sondern auch jemanden, der mit Fachkenntnis, Leidenschaft und großem unternehmerischen Geschick den Frankfurter Jazzkeller über viele Jahre durch stürmische See manövriert und unter teils schwierigsten Bedingungen am Leben gehalten hat.

Eugen Hahn wurde am 25. November 1941 in Bochum geboren und seine Familie siedelte 1944, noch während des zweiten Weltkriegs, nach Eberswalde über. Sein Freund Hugo Laartz erinnert sich heute noch sehr gut daran, wie er Eugen im Juni 1968 kennengelernt hat. Damals war Eugen schon eine Weile als Musiker unterwegs, spielte seit 1961 den Bass bei Klaus Lenz und war nach personellen Veränderungen bei Lenz zu diesem Zeitpunkt ebenso ohne Beschäftigung wie Hugo, dessen Musik Stromers von den Behörden im Mai 1968 die Kerzen ausgeblasen wurden. Beide kamen aus unterschiedlichen Musik-Welten … Hugo aus dem Bereich Rock und Beat, Eugen vom Jazz. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und Eugen machte Hugo den Vorschlag, eine neue Band zu gründen und damit Soul-Musik zu machen. Etwas, das es in der Form in der DDR damals gar nicht gab. Anfänglich, so erzählt Hugo heute, war er von der Idee noch nicht so richtig angezündet, zumal ihm auch die Erfahrungen mit Bläsern fehlte, aber irgendwie fand er sie doch ziemlich reizvoll. Und ehe man sich versah, war die Planung für eine gemeinsame Band schon in vollem Gange.002 20201223 1581674877 Eugen brachte seine Kumpel Andy Altenfelder (Trompete) und Charly Rath (Schlagzeug) mit, und weitere Musiker suchte man sich im Jazz-Club in der Fredersdorfer Straße am Ostbahnhof. Das MODERN SEPTETT war geboren, aus dem später die MODERN SOUL BAND wurde. Hugo legt heute noch großen Wert auf die Tatsache, dass es Eugen Hahns Idee war, diese Band auf die Beine zu stellen und mit diesem Konzept an den Start zu bringen. Sein Kumpel sei ein ganz besonderer Mensch gewesen, der voller Ideenreichtum nicht nur in Sachen Musik steckte, und der für seine Leidenschaft, die Musik, richtig brannte. Ohne ihn - so Hugo - hätte es die MODERN SOUL BAND nie gegeben,

Hugo denkt gern an die Zeit mit Eugen zurück, denn er habe weder davor noch danach je wieder einen Menschen mit solchen Charakter-Eigenschaften getroffen. Eugen sei nie laut geworden und auch nie wirklich auf irgendjemanden sauer gewesen. Gab es irgendwo Streit, trat Eugen vielmehr als Schlichter auf und wirkte mit seiner ruhigen und entspannten Art sehr wohltuend auf sein Umfeld. Die Wurzeln für diese Wesenszüge lagen in seiner Vergangenheit, denn Eugen arbeitete in Eberswalde im Bereich der Pflege für psychisch kranke Menschen. Erfahrungen auf dem Gebiet der Psychologie und im Umgang mit schwierigen Charakteren sammelte er dort. Und weil Musiker oft auch nicht leicht zu handeln sind, konnte er diese Erfahrungen oft einsetzen und galt deshalb auch als Ruhepol in einem kunterbunten Haufen mit vielen verschiedenen Charakteren und Meinungen, wie es die MODERN SOUL BAND letztlich ja auch war. "Dieses Ruhegefühl und sein Feingeist waren der blanke Wahnsinn", so Laartz. Diese Art muss wohl auch eine junge Sängerin sehr beeindruckt haben, die ab Mitte der 70er in seiner Band mitwirkte. Sie lernten sich kennen und lieben und letztlich heirateten sie auch. Diese Sängerin war Regine Dobberschütz. Als es 1976 zur Trennung zwischen Eugen und der MODERN SOUL BAND kam, war das dann auch kein menschliches Problem, das dafür den Ausschlag gab, sondern ein berufliches. Zu Konzerten der MSB in die Sowjetunion konnte Eugen aufgrund der Vergangenheit seines Großvaters nicht mitreisen und auch die große Fusion mit der Klaus Lenz Band zur MODERN SOUL BIG BAND, mit der man auf größere Tourneen ging, machte Eugen nicht mit. Nachdem sich die MODERN SOUL BAND dann anschließend musikalisch auch noch in den kommerzielleren Bereich orientieren wollte, stieg Eugen schließlich ganz aus. Er war viel zu viel Jazzer, als dass er sich im vom Zeitgeist getränkten Rockmusik-Bereich hätte wohlfühlen können. In den Jahren nach seinem Rückzug von der MSB war der Musiker letztlich dann nicht mehr als solcher, sondern mehr als Organisator hinter den Kulissen tätig. In dieser Funktion war er bis zu seiner Ausreise tätig.

Eugens Frau Regine hatte bereits 1981 einen Ausreiseantrag gestellt, und er selbst ließ seinen im Jahre 1983 folgen. Im Jahre 1984 verließ das Paar die DDR und ließ sich in der Bundesrepublik nieder. Nach einer kurzen Zeit der Orientierung verfolgte Eugen die Umsetzung eines schon lange als Traum geträumten Plans, nämlich den von einem Jazz-Club nach New Yorker Vorbild. In seinem Club sollten die Größen der internationalen Jazz-Szene, die gerade in Deutschland unterwegs waren, auch auftreten und so für das Publikum zum Anfassen nah auf der Bühne live zu erleben sein. Die Musikanten sollten während ihrer Tour quasi einen Abstecher nach FFM, runter von der großen Bühne und rauf auf die kleine in seinem Club machen. Die Gelegenheit, dies in die Tat umzusetzen, bot sich dem Ehepaar im Jahre 1986, als der Posaunist Albert Mangelsdorff einen Nachfolger für den Jazzkeller in Frankfurt am Main suchte. Und diese Gelegenheit ließ er sich nicht nehmen. Gemeinsam mit Regine - später auch alleine - leitete er den Laden ab 1986 … fast 35 Jahre lang!

An diese Zeit erinnert sich auch der Bassist Jonas Lohse, der schon als Teenager Jazz-Fan war und später auch in Eugens Jazzkeller als Musiker auftrat. Jonas lernte Eugen mit 15 Jahren als Wirt und Veranstalter des Jazzkellers kennen. Und dies als einen rührigen und voller Tatendrang steckenden Macher, von dessen Art er gleich beeindruckt war. Jonas wohnte damals 50 Kilometer weit weg von Frankfurt und Internet gab es noch keins. Also rief er bei Eugen an um sich die Termine für die nächsten Muggen im Jazzkeller geben zu lassen. "Ich bekam sogleich Eugen an den Apparat. Er las mir sofort das komplette Monatsprogramm nicht nur vor, sondern erläuterte es mir genauso fachkundig wie enthusiastisch, und das alles mit der für ihn typischen Berliner Schnauze, die er auch als Wahlfrankfurter nie ablegte", erinnert sich Jonas heute noch sehr gut an den Erstkontakt. Weniger als Musiker, dafür aber viel mehr als Menschen lernte Jonas den Wirt des Jazzkeller kennen und stellte ebenfalls sehr schnell fest, wie besonders dieser Eugen doch war: "Auch wenn er in seiner Frankfurter Zeit nicht mehr regelmäßig selbst zum Bass griff - mit seiner musikalischen Kompetenz und seinem Urteilsvermögen hielt er nie hinterm Berg. Und fast so groß wie sein Wissen war auch seine Plattensammlung. Wenn er jemanden mochte, dann verschenkte er selbst zusammengestellte CDs mit Musik, die ihm besonders am Herzen lag." Und auch als Geschäftsmann zeigte sich Eugen Hahn als geschickter Organisator. Durch die Umwandlung des Jazzkellers nach eben schon erwähntem New Yorker Vorbild sicherte Eugen dem Club langfristig das Überleben. Natürlich fanden das viele der älteren Stammgäste weniger gut, und warfen ihm anfangs die Kommerzialisierung vom Wohnzimmer der Frankfurter Jazz-Szene vor, aber letztlich sorgte er dafür, dass eben diese heimische Frankfurter Jazzszene bis heute ihren festen Platz hat. Auch Jonas weiß zu berichten, dass gerade sowas wie Eugens Erfindung, die Mittwochs-Jam-Session, legendär ist und sich durch ihr für Jazzkonzerte ungewöhnlich junges und gemischtes Publikum auszeichnet. Sogar eine Art Disko hatte Eugen für die Freitage "erfunden", was für den Jazz-Bereich ziemlich ungewöhnlich, aber für das Publikum am Ende doch sehr interessant war. Letztlich wurde Eugen für sein Geschick, seinen Jazzkeller auch in schwierigen Zeiten und unter schweren Bedingungen am Leben zu halten, ausgezeichnet und er erwarb sich einen guten Ruf auch über die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus.

Von der Schließung der Clubs wegen der COVID-Plage war natürlich auch der Jazzkeller in Frankfurt betroffen. Seit ein paar Wochen ist er schon geschlossen und mitten in dieser Phase stellte man bei Eugen Hahn eine Altersleukämie fest, wegen der er sich im November auch für vier Wochen in stationäre Behandlung begeben musste. Viele wussten davon gar nichts und erfuhren erst jetzt von der Erkrankung. Nach dem Krankenhausaufenthalt wurde Eugen weiter ambulant behandelt, aber offenbar war die Leukämie schon zu weit fortgeschritten. "Gestern Morgen ging es Eugen so schlecht, dass man ihn zum Notarzt bringen wollte. Den Weg dahin hat er leider nicht mehr geschafft und sich stattdessen einfach verabschiedet", schildert sein Freund Hugo die traurigen Ereignisse des gestrigen Tages. Der Wirt des Jazzkellers und Miterfinder der MODERN SOUL BAND hat leise "Tschüss" gesagt und uns verlassen. Er wurde 79 Jahre alt und noch bevor er seinen runden Geburtstag und den 35. Jahrestag der Übernahme seines Jazzkellers feiern konnte, hat er sich auf seine letzte Reise begeben. Dort, wo er viele Jahre Menschen mit seinen Ideen, seiner Musik und seiner Gastfreundschaft glücklich machte, bleibt nun eine große und nicht zu füllende Lücke. Ich verneige mich tief vor der Lebensleistung dieses Eugen Hahn und nehme seine immer noch eng mit ihm verbundne Ex-Frau Regine, seine Frau Kerry, seinen Kumpel Hugo und einen seiner größten Fans, Jonas, auf diesem Weg fest in die Arme, drücke sie und sage leise "Mein aufrichtiges Beileid für Euren Verlust". Menschen wie Eugen Hahn gibt es nicht mehr viele, und sie wachsen auch kaum noch nach. Er wird vielen fehlen …




   
   
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