For a German Radio DJ from USA:

Mal Sondock

Ein Nachruf von Christian Reder

 

Oft fällt der Begriff "Wertungssendung", wenn es bei uns um Musik und Platzierungen geht. In der DDR waren diese Sendungen bekannt, beliebt und gängige Praxis. Auch im Westen gab es Wertungssendungen. Eine davon war "Mal Sondocks Hitparade" im WDR zwischen 1981 und 1982. Doch diese Sendung und ihr Moderator waren weit mehr als das...

Wer speziell in den 70ern und 80ern groß geworden ist, kann die Aufregung der Plattenfirmen um Tauschbörsen, MP3-Downloads oder Mitschnitten gar nicht verstehen. Ich oute mich gerne als jemand, der in seiner Jugend auch Musik mitgeschnitten und Kassetten mit anderen Leuten getauscht hat. Sogenannte "Mixed Tapes" waren an der Tagesordnung und steckten in wohl fast jedem Recorder in den Jugendzimmern des Landes. Blickt man aber ein bisschen tiefer in den Stoff hinein, kann man die Aufregung dann doch verstehen. Während meine Generation (und die vor und kurz nach mir) Mitschnitte oder auf Kassetten aufgenommene Songs als "Informationsquelle" dafür genutzt haben, für sich zu entscheiden, welchen Song man sich auf Single kaufen geht und von welcher Band man sich unbedingt das komplette Album zulegen sollte, hat die heutige Generation andere Beweggründe, wenn sie sich Songs aus dem Netz zieht oder CDs kopiert. Für sie ist Musik zum Wegwerfartikel geworden. Sie wird konsumiert, muss dabei nicht den satten Sound mit allen Höhen und Tiefen haben und wird - nachdem man sich an der Musik satt gehört hat - hinterher einfach gelöscht, sprich: weggeworfen! Und wenn diese jungen Leute dann mitbekommen, dass es noch verpeilte Zeitgenossen gibt, die sich große schwarze Platten kaufen und Spaß daran haben, der knisternden Musik zuzuhören, wird man schnell zum Opfer spöttischer Bemerkungen und Lästereien.

Dass Leute wie ich eine ganz andere Einstellung zur Musik haben, haben wir Menschen zu verdanken, die die Liebe zur Musik und/oder zum Plattensammeln wie einen Staffelstab an die nächste Generation weitergegeben haben. Das konnte der Vater oder der ältere Bruder gewesen sein, der Musiklehrer in der Schule, ältere Kumpels oder auch der eine oder andere Radio DJ. Gibt es den Begriff "Radio DJ" heute eigentlich noch? Der Radio DJ hat live in der Radiosendung Platten oder CDs aufgelegt und moderiert. Solche Leute hat's jedenfalls gegeben, und sie haben ihren Job und die Musik geliebt - zumindest der größte Teil. Das hörte man von der ersten Minute ihrer Shows an. Keine selbstverliebten Minusfiguren mit dummen Sprüchen und sträflichem Halbwissen, sondern Kenner... Profis! Einer dieser Profis war Mal Sondock. Er war für die Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen (und auch darüber hinaus) ein Held und ist es bis heute.


Trotzdem wir Jugendlichen kassettenweise Musik aus dem Radio mitgeschnitten haben, ist die Plattenindustrie nicht pleite gegangen. Wir bekamen von Menschen wie Mal mit auf den Weg, dass Musik etwas Schönes und Wunderbares ist, das es zu erhalten und zu pflegen gilt. Er schärfte unser Ohr für die Feinheiten und machte uns Appetit auf mehr. Er gab uns vielmehr mit, als nur die neuesten Songs! Wir sind nach seiner Sendung jeden Donnerstag im örtlichen Plattenladen aufgetaucht und haben uns nach den neuesten Singles und Maxi Singles erkundigt, die man einen Tag zuvor in Mals Sendung gehört hat. Und wir haben sie gekauft, auch wenn man den Song schon auf Tape hatte. Mit anderen Jugendlichen hat man sich über das Gehörte ausgetauscht, so auch Kontakte geknüpft. Weil wir eben anders drauf waren als die Kids heute. Darum haben wir jetzt auch noch etwas, woran wir uns erinnern - materiell in Schallplatten- oder CD-Forum und ideell in der Erinnerung.Der 1934 in Texas (USA) geborene Mal Sondock startete seine Karriere als DJ mit 17 Jahren in seiner Heimat USA. Nach Deutschland kam er als Soldat und ging auch hier seiner Leidenschaft nach. Er veranstaltete Tanzabende und legte dort Platten auf. In den 60ern kam auch noch eine Gesangskarriere dazu, denn er veröffentlichte diverse Platten (auf deutsch!). Aber zum Helden vieler Jugendlicher, wie ich ihn gerade nannte, wurde er erst als Radio DJ. Knapp 25 Jahre lang war er für viele Menschen der Mann aus dem Radio. Es fing 1961 mit der "Montagnachmittagsmelodie" an, ging später mit seiner "Diskothek im WDR" weiter und endete mit der legendären "Mal Sondocks Hitparade". Was mich betrifft, so gehört die "Mal Sondocks Hitparade" zu den wichtigsten Erlebnissen und Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend in Sachen Musik. Zwischen 1981 und 1984 saßen viele Jugendliche in meinem Alter jeden Mittwoch um 20:00 Uhr vor dem Radio und warteten auf den bekannten Jingle der "Mal Sondocks Hitparade". Das war schon ein ganz besonderer Typ, dieser Mal. Er sprach seine Hörer nicht mit "Sie", sondern direkt mit "Du" oder "Ihr" an. Mensch, war das eine lockere Art... Er war einer der wenigen Radiomenschen, die offenbar keinen Stock im Arsch hatten. Locker plauderte er drauflos und informierte uns über das Wesentliche, was man über die Musik, die Musiker und die Platten wissen musste. Kein blödes Bla Bla, welcher Star gestern wieder besoffen gesichtet wurde, wer sich demnächst wieder scheiden lässt oder welche Farbe der Slip von Kim Wilde hatte, sondern Fakten und Wissenswertes. Sein amerikanischer Akzent ist mir bis heute nicht aus dem Ohr gegangen und an seinen Spruch, "...und wenn Ihr eine Audogramm haben wollt von Eure alde Jock-Disky M.A.L., dann schreibt mir...", erinnere ich mich auch noch, als hätte er ihn erst gestern zum letzten mal gesagt. Mal bekam keinen deutschen Satz unfallfrei heraus, aber das war uns scheissegal. Er scherte sich auch einen feuchten Dreck um andere Dinge, die heute Standard bei Radiosendungen sind. Er war ein sympathischer Kerl mit flotten Ansagen und lockerer Moderation. Ich vermisse sowas heute sehr! Obendrein waren seine Sendungen DIE Quelle für viele Mitschnitte auf Kassette. Der Finger lag mittwochs immer auf der Aufnahmetaste. Die Neuvorstellungen der Woche spielte Mal immer aus, auch die hinteren Ränge durften in voller Länge genossen werden, ohne dass er - wie heute üblich - in die Songs reinlaberte. Nur zum Schluss seiner Show hing er zeitlich immer etwas, so dass die vorderen Ränge seiner Hitparade selten bis gar nicht ausgespielt werden konnten. Aber die brauchte man ja auch gar nicht, denn die hatte man schon auf Band in einer der früheren Sendungen aufgenommen oder als Platte bereits gekauft. Die Sendung war immer live und er plauderte halt gerne, so dass es am Ende immer eng wurde. Das störte den Hörer aber nicht. Man konnte Platten gewinnen und oft war auch ein O-Ton der Musiker zu hören. Er kannte unsere Helden eben alle, und sie kannten ihn.


Nach Mals (unfreiwilligem) Ausscheiden aus der Radiowelt verlor das Radio einen Pionier und großartigen Menschen. Mal Sondock war über Jahre nicht nur ein fester Bestandteil meiner Wochenplanung, sondern eine Pflichtveranstaltung, die man um keinen Preis der Welt verpassen wollte. Vor zwei Jahren nahm ich Kontakt zu Mal auf. Für Frühjahr 2009 wollte ich ihn als Gast in meine Radiosendung "Music-Pleasuredome Extended" einladen. Eigentlich wäre ich dann Gast in meiner eigenen Sendung gewesen, denn ich hätte ihm ganz freiwillig das Mikro überlassen. Sein Kommen in die Frühjahrssendung klappte nicht, die Gesundheit machte ihm einen Strich durch die Rechung. Er war gesundheitlich angeschlagen, denn sein Rücken wollte nicht mehr mitspielen. Er hatte vor unserem ersten Kontakt lange schwer gelegen und Reha-Maßnahmen über sich ergehen lassen müssen. Wir verabredeten uns deshalb für den Herbst und die zweite Sendung des Jahres. Wir plauderten vorab schon über evtl. musikalische Gäste (Nik Kershaw war schon eingeladen und kam später auch) und über dies und das. Die letzten Worte, die wir wechselten, waren gute Wünsche bis zum Herbst. Dann wollten wir uns wiederhören. Anfang Juni 2009 fiel ich aus allen Wolken. In der Zeitung las ich, dass Mal am 9. Juni in einem Kölner Krankenhaus gestorben war. Einen langen Moment bebte meine kleine Musikwelt gewaltig. Ich kannte Mal nicht persönlich, das sollte ja erst noch kommen, und trotzdem war ich traurig und erschüttert. Dass mir DER Gast meiner Sendung verloren ging, war mir scheissegal. Vielmehr schmerzte es, dass der Held meiner Jugend gegangen war. Dass dieser amerikanische Slang meines "Jock-Disky" nie wieder eine Radiosendung oder ein persönliches Gespräch bereichern würde, war ein Schlag, der mich einen Moment lang unendlich traurig stimmte. Dieser Moment hält bis heute an...Mal war anders als diese Hohlkörper, die heute an den Mikros hängen und sich strikt an die vorgegebene Musik aus dem MP3-Pool des Senders halten. Angsthasen, die sich nicht mehr trauen, etwas zu probieren oder etwas Außergewöhnliches zu spielen, was nicht unbedingt "Mainstream" ist. Einheitsradioprogramme auf verschiedenen Sendern. Die Macher haben von den Generationen vor ihnen NICHTS gelernt und auch NICHTS mitgenommen. Schade!

Danke Mal dafür, dass Du mich an Deiner Musikwelt hast teilhaben lassen, dass Du mir vieles gezeigt und vieles mit auf den Weg gegeben hast. Ein Mensch ist nie vergessen, solange man an ihn denkt oder über ihn spricht. Das tue ich hiermit und setze Dir damit ein kleines Denkmal ins Internet.

 


   
   
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