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Ein Beitrag  von Christian Reder mit  tatkräfiger Unterstützung  von Henning Protzmann,
Christian Steyer, Ulrich Pexa und Konrad Burkert. Fotos: Pressematerial/Archive Musiker.



Seit Jahren wird die Entstehungsgeschichte der Gruppe KARAT falsch wiedergegeben. Fast immer ist vom Jahr 1975 die Rede, wenn es um das Gründungsjahr der Band geht. Dies geht nun schon seit vielen Jahren so, denn bereits den 10. Bandgeburtstag feierte man im Jahre 1985, obwohl es schon ein Jahr früher hätte gefeiert werden müssen. Es ist denkbar, dass diese neue Zeitrechnung auf Herbert Dreilich zurück geht, der 1975 erst zur Band dazu stieß und letztlich auch DER Sänger der Band war. Vielleicht wurde seine "Zählweise" irgendwann übernommen. Egal, wie das zustande gekommen ist, die Geschichte stimmt so nicht. Wir haben sie mit fast der kompletten Original-Besetzung jetzt für Euch nochmal nachgezeichnet und erzählen Euch nun vom Sommer 1974 und der Zeit danach, als KARAT gegründet wurde ...

In jenem Spätsommer 1974 kam es in der "Kleinen Melodie", einem bekannten Treffpunkt von Musikern in Ostberlin, zu einem Zusammentreffen zweier Herren, die die Musikgeschichte maßgeblich beeinflussen sollten. Der Bassist und Mitbegründer der Gruppe PANTA RHEI, Henning Protzmann und der Gitarrist der Uve Schikora Combo, Ulrich Pexa, lernten sich in eben diesem Lokal durch Zufall kennen. Beide Musiker erinnern sich an diese Zeit noch ganz genau: Während Pexa im Frühsommer noch mit eben genannter Gruppe Frank Schöbel bei seinem Auftritt zur Eröffnung der Fußball WM ´74 in Frankfurt/M. unterstützte und anschließend seinen Job dort kündigte, war Protzmann noch fest bei PANTA RHEI beschäftigt, trat mit seiner Kapelle allerdings künstlerisch auf der Stelle. Innerhalb der Gruppe gab es zudem dicke Luft, weil man sich über die weitere Ausrichtung von PANTA RHEI nicht wirklich einig wurde. Henning wollte in Zukunft eine populärere Musik als die machen, die er bisher bei seiner Band gespielt hatte und mit der man eigentlich nur in Studentenkreisen hoch angesehen war. Seine Idee von Musik war inzwischen eine andere und er wollte damit ein größeres Publikum ansprechen. Pexa und Protzmann tauschten sich aus, berichteten sich gegenseitig von ihren Problemen und verabredeten sich für ein privates Treffen, das kurz darauf bei Henning zu Hause stattfand. Dabei stellte Ulrich Pexa eigene Kompositionen, die Rohfassungen von "Leute, welch ein Tag", "Draußen im Kornfeld" oder "Such ein Zimmer", vor. Sie waren damals teilweise noch ohne Text und bestanden nur aus Gitarrenmelodie. Trotzdem gefiel Henning schon, was er da hörte und unterstrich diese Begeisterung mit dem Zusatz, dass Pexas Ideen genau das seien, was er sich für eine neue Band und neue Songs vorgestellt hatte. Eher scherzhaft konterte Uli Pexa, dass man dann ja wohl eine neue Band gründen müsse. Aus Spaß wurde Ernst, denn plötzlich befand sich tatsächlich eine neue Band in der Entstehungsphase.

002 20190924 1349261614Die beiden Musiker begaben sich sofort in die Planung und auf die Suche nach geeigneten Mitstreitern. In Jens Gerlach fand man schnell einen Textdichter, der Kompositionen mit Inhalten füllen sollte und nach einigem Suchen entdeckte man Hans-Jürgen "Neumi" Neumann, der damals bei einer Band namens NEUE GENERATION als Sänger beschäftigt war. Henning, Uli und der Texter Jens Gerlach sahen ihn während eines Konzerts mit seiner Band, bei dem es ihm gelang, eine längst gekippte Stimmung im Saal wieder in die richtige Bahn zu lenken und das Publikum mit seiner Art abzuholen. Man war von seiner Stimme und seinen Entertainer-Qualitäten sofort begeistert und wollte diesen Mann unbedingt als Sänger der eigenen Band haben. Weiter ging die Suche nach Musikanten. Uli Pexa hatte für die Position an den Tasteninstrumenten sofort an seinen alten Kollegen Christian Steyer gedacht, mit dem er bei Schikora schon zusammen spielte. Steyer war ausgebildeter Konzertpianist, der an der Dresdener Hochschule Klavier studiert hatte. Als Pexa ihn fragte, fand er Gefallen an der Idee, gemeinsam mit dem Textdichter Jens Gerlach arbeiten zu können, dessen Texte er faszinierend fand. Von Gerlach stammte auch eine seiner Lieblingsplatten, nämlich die 1968 erschienene LP "Jazz (Jazz-Gedichte von Jens Gerlach)", und seine Zusage, bei der neuen Band mitzumachen, war deshalb eine reine Gefühlsentscheidung, wie sich Christian Steyer heute noch an diesen Moment erinnert. Henning Protzmann suchte derweil mit Konrad "Conny" Burkert seinerseits einen alten Kollegen auf, mit dem er zusammen an der Dresdener Hochschule studierte und der damals bei der Gruppe LIFT trommelte. Er erzählte ihm von der Idee und fragte ihn, ob er als Schlagzeuger in die Band einsteigen wolle. Es ging recht schnell und mit Neumi als Sänger, Pexa an der Gitarre, Protzmann am Bass, Steyer am Klavier und Burkert am Schlagzeug stand die Besetzung der Band nach kurzer Zeit fest. In dieser Besetzung wollte man antreten, und die "Puhdys überholen".

Konrad Burkert kümmerte sich als nächstes darum, dass das Quintett im Spätherbst '74 in der Liethenmühle im Elbsandsteingebirge (siehe Foto unten rechts) unterkommen und dort in aller Ruhe proben konnte. Er hatte die richtigen Kontakte, die der Band dies ermöglichen konnten. Dort in der ehemaligen Wassermühle wurde dann nicht nur das erste Programm für die Band zusammengestellt und geprobt, sondern auch der Name für das gemeinsame Baby gefunden. Jeder der fünf Musiker hatte ein paar Vorschläge, wie die neu gegründete Formation denn heißen könnte. Am Ende setzte sich der Vorschlag von Ulrich Pexa durch, der Anfang ´74 während einer Tour mit Frank Schöbel in Norwegen beim Bummeln das Cover einer Band namens 18 KARAT GOLD im Schaufenster eines Plattenladens entdeckte. Sofort schoss ihm damals in den Kopf, dass das Wort KARAT ein idealer Name für eine Band sei, da sie dadurch auch einen internationalen Klang bekommen würde. U.a. mit diesem Argument schlug er KARAT vor und trotzdem "Neumi" diesen mit den Worten, "Dann können wir uns ja auch gleich Meter nennen", zuerst ablehnte, wurde dieses Wort am Ende von den Kollegen demokratisch als Name für die Gruppe gewählt.

Für die Bühne bereitete man eine ansprechende Mischung aus eigenen Liedern, sowie Kompositionen internationaler Größen wie Deep Purple und Stevie Wonder vor. Alles lief nach Plan, das Kind hatte einen Namen und das Programm war in Arbeit, da endete die Zusammenarbeit zwischen KARAT und Jens Gerlach. Gerlach hatte mit "Leute, welch ein Tag", "Erna" und "Mein Dorf" insgesamt drei Texte zu Kompositionen von Uli Pexa und Henning Protzmann beigesteuert, dann trennten sich die Wege wieder. Dies war wiederum der Grund, warum Christian Steyer nach nur drei Wochen gemeinsamen Probens bei KARAT wieder ausstieg. Steyer erzählt über diesen Moment, dass er eigentlich wegen der Aussicht, durch Gerlachs Beiträge etwas "rebellisches" und "tiefsinniges" machen zu können, gekommen war. Als dieser nicht mehr dabei war, gab es diese Chance für Steyer nicht mehr und er verlor das Interesse an einem weiteren Mitwirken in der Formation. Steyer ging stattdessen zurück in die Begleitband von Frank Schöbel.

Bei der noch jungen Band KARAT, die bis dahin noch gar nicht live aufgetreten war, stand nun die Frage im Raum, wer als neuer Pianist in Frage kommt. Wieder zog man durch die Konzertsäle, um passende Musiker zu finden, fragte u.a. auch bei Ulrich Gumpert nach, kam letztlich aber auf einen alten Bekannten zurück, den sowohl Ulrich Pexa von diversen Partys persönlich als auch Henning Protzmann von seinen vorherigen Stationen ALEXANDERS und PANTA RHEI kannte: Ed Swillms. Ed war einer der Kollegen, mit dem sich Henning zum Schluss bei PANTA RHEI nicht mehr verstand. Pexa kam mit Ed aber sehr gut aus und überredete Protzmann, es mit ihm doch noch einmal zu versuchen. Also begab er sich zu Ed Swillms nach Hause, um ihn von einem Einstieg in die neue Band KARAT zu überzeugen. Viel Überredungskunst war da nicht nötig, denn Ed konnte sich das sehr gut vorstellen. Er knüpfte seine Entscheidung für die Band aber an eine Bedingung: Ed wollte nicht ohne seinen Kumpel Herbert Dreilich kommen. Ihn wollte er gern mitbringen, da er von dessen Fähigkeiten als Sänger überzeugt und zudem sein guter Freund war, den er bei einem Wechsel von PANTA RHEI zu KARAT nicht einfach so zurücklassen wollte. Trotzdem man mit "Neumi" bereits einen Sänger hatte und die Kollegen von der Idee mit dem zweiten Sänger nicht so begeistert waren, erfüllte man Eds Wunsch. Er und Herbert stießen zu den vier bereits festen Mitgliedern dazu und KARAT war ab Januar '75 ein Sextett. Als neuer Textdichter kam übrigens Burkhard Lasch, dessen erste Arbeit für KARAT u.a. der Text zum Song "Such ein Zimmer" war.

Noch im gleichen Monat nahm die Band beim Rundfunk ein paar Songs auf. Dass dies für eine gerade neu gegründete Band so möglich war, war Henning Protzmann zu verdanken, der durch seine Zeit bei PANTA RHEI die richtigen Drähte zum Rundfunk der DDR hatten. Der erste Auftritt vor Publikum wurde dagegen von Konrad Burkert organisiert. Er fand einen Veranstalter in seiner Heimatstadt Heidenau und unterschrieb den Vertrag für das erste Konzert der Band, das am 21. Februar 1975 im Kulturhaus "Otto Buchwitz" in Heidenau stattfand. Lange Zeit galt Pirna als Ort und der 22. Februar 1975 als Datum der ersten Mugge und wurde so auch in verschiedenen Beiträgen (und Biographien) verbreitet, aber Conny erinnert sich da anders. Und er muss es wissen, denn er hatte das Konzert - wie eben erwähnt - selbst eingefädelt. Conny erinnert sich in dem Zusammenhang außerdem noch daran, dass ein paar von den Jugendlichen, die an dem Abend zum Konzert kamen, ihn erkannten und sagten, "Da kommt der Conny Burkert, der hat jetzt eine eigene Band". Bescheiden wie er ist, relativiert er die Aussagen der Fans aber gleich, denn die sechs Musiker von KARAT haben in dieser Zeit alles gemeinschaftlich gemacht und die Band war ihr gemeinsames Projekt. Anfangs wurden auch die Organisation und die Planungen zusammen gemacht, obwohl es immer hieß, Henning Protzmann sei von Anfang an der Manager gewesen. Dies wurde er aber erst im Laufe der Zeit. In der Anfangszeit - so Conny - brachte sich jeder mit ein wenn es darum ging, die Band voran zu bringen. Weiter erinnert sich Conny daran, dass das Konzert in Heidenau ein voller Erfolg war. Vor der Show waren die Musiker wohl alle ziemlich nervös, was sich aber mit Beginn des Konzerts legte. Die Konzertbesucher - zumeist Jugendliche - seien aus dem Häuschen gewesen und hätten im Saal förmlich getobt. Die Band war hingegen nicht zu 100% von dem überzeugt, was sie dort abgeliefert hatte,005 20190924 1672158882 aber eben weil das Publikum am Ende so begeistert war, konnte man trotz aller Zweifel von einem gelungenen Auftritt sprechen. Das Kulturhaus "Otto Buchwitz" in Heidenau steht heute übrigens immer noch (siehe Foto rechts). Allerdings befinden sich darin nun ein chinesisches Restaurant und ein Spielcasino. Konzerte finden dort schon lange keine mehr statt.

Dies alles geschah in diesen Tagen vor genau 45 Jahren. Im Herbst und Winter ´74 legten fünf junge Männer den Grundstein für eine Bandgeschichte, die heute von zahlreichen Erfolgen gezeichnet ist. Die Besetzung veränderte sich 1976 nochmals, als Konrad Burkert einen Einberufungsbefehl von der Nationalen Volksarmee bekam. Die Unsicherheit, ob und wenn ja, wann er "zur Fahne" musste, machte es nötig, dass sich die Band für eine geplante Auslandstournee einen neuen Schlagzeuger suchen musste und diesen in Michael Schwandt fand. Er kam von der Horst Krüger Band und ersetzte Conny, der dann später bei der Schubert Formation einstieg. Von der Horst Krüger Band kam im gleichen Jahr auch Bernd Römer als Ersatz für Gitarrist Ulrich Pexa, der einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik gestellt hatte und deshalb von sich aus bei KARAT ausstieg. Er wollte den Kollegen die Chancen auf eine erfolgreiche Arbeit nicht verbauen, denn als Steller eines solchen Antrages hatte bekanntermaßen auch immer das Umfeld des Antragstellers zu leiden. In diesen knapp zwei Jahren entstanden zahlreiche Songs, die sich auf dem ersten Album von 1978 wiederfinden, darunter "König der Welt", "Das Monster", "Abendstimmung" und die hier schon genannten Kompositionen von Ulrich Pexa mit Texten von Jens Gerlach und Burkhard Lasch. Mit den neuen Musikern und nachdem auch "Neumi" im Jahre 1977 aufgrund eines Einberufungsbefehls zur Armee die Band verlassen musste, schlug KARAT dann ein neues Kapitel der eigenen Geschichte auf. Aber wenn es um eben diese Gründungszeit geht, sollte man sich nicht auf jede Quelle blind verlassen und auf die, bei denen die Geschichte erst 1975 beginnt, schon gar nicht. In diesen Tagen ist es wohl kein Fehler, wenn man heute ausschließlich Leuten zur Gründung von KARAT gratuliert, die heute nicht mehr in der Band spielen oder sonst irgendwie mit ihr zu tun haben. Christian Steyer, Henning Protzmann, Ulrich Pexa und Konrad Burkert haben uns beim Nachzeichnen der Gründung von KARAT und der ersten Wochen danach mit Auskünften und Angaben zu Daten und Abläufen unterstützt. Vielen Dank dafür! Leider stand uns "Neumi" dafür nicht zur Verfügung, da dieser sich inzwischen komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Dies respektieren wir natürlich, danken aber trotzdem für seinen Beitrag beim Erschaffen einer Legende.






Die ersten Songs (1975)









   
   
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