Dies ist meine persönliche Erinnerung an den Musiker,
keine  Biografie  mit  Anspruch  auf  Vollständigkeit ...

 

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Ein Beitrag von Hartmut Helms



Wir schreiben das Jahr 1983 und ich stehe im kalten Februar mit einem Bekannten auf dem Bahnsteig von Doberlug-Kirchhain. Damals war dieser Bahnhof eine rege genutzte Umsteigekreuzung zwischen Berlin und Dresden sowie zwischen Horka und Falkenberg. In diesen Zug sind wir auch eingestiegen, um von Falkenberg aus nach Leipzig weiterzufahren. Unser Ziel war Suhl, um in der Bezirkshauptstadt an der VI. Werkstattwoche FDJ-Jugendtanzmusik teilzunehmen. Hinter dem sperrigen Begriff verbarg sich ein eher lockerer Treff von Musikanten, Nachwuchsmusikern und Musikliebhabern. Man sah sich neue Programme an, schaute sich Ideen ab, holte sich Anregungen und ich entdeckte einiges, was ich mein Leben lang nicht wieder vergessen würde. Doch auf dem Bahnsteig warteten wir erst einmal auf eine langweilige lange Bahnfahrt. Mir graute schon damals davor, in einen überfüllten Zug einsteigen zu müssen.

Das weiß ich deshalb noch so genau, weil mir dieses Umsteigen zu einer echten Zufallsbekanntschaft mit einem Musiker verhalf, der ebenfalls mit diesem Zug von Cottbus nach Suhl fuhr. BERND DEWET BORNSCHEIN war mir bis zu diesem Moment quasi völlig unbekannt. Ich konnte seine Lieder nicht zuordnen und sein Gesicht hatte ich auch noch nirgends gesehen. Von diesem Moment an, als wir im Gang neben einem langhaarigen Bartgesicht zu stehen kamen, ist mir der überschäumend lustige Typ mit seinem stets fröhlichen Grinsen im Gesicht nie wieder aus der Erinnerung gegangen. Diese Fahrt im überfüllten Zug über Leipzig nach Suhl war lang, aber sie war eine der kurzweiligsten Zugfahrten, die ich je in meinem Leben erleben durfte. Aus dem Mund von Rauschebart DEWET sprudelten die ganze Zeit unablässig Witze, derbe Sprüche und deftige Späße. Wir mussten viel und oft lachen und wenn einmal nicht, gossen wir uns wahrscheinlich ein Bierchen Marke Watzdorf hinter die Binde, um danach sofort wieder in den Lachmodus zu verfallen. DEWET war ein unverwechselbares Original, ein Typ und Unikum wie "Knippe" von POSSENSPIEL.

In Suhl erlebte ich tagsüber ganz unterschiedliche Programme, hörte mir bis dahin unbekannte Bands wie BROM OSS oder SMOKINGS an. Abends ging man zu sogenannten Beispielkonzerten, über die man danach diskutieren konnte, wenn man wollte. Ich sah damals das neue Programm "Computerkarriere" der PUHDYS in der Stadthalle und als Vorband die zwei Jahre zuvor gegründete Kapelle ROCKHAUS, die den Leuten ziemlich einheizte. Danach ging man in den Musikantenclub, um den Tag bei Getränken, Gesprächen und musikalischer Unterhaltung, von Klamauk bis Nervennahrung, ausklingen zu lassen. Dort, meist erst nach 22:00 Uhr, erlebte man das eigentliche Musikantenleben live und hautnah mit.--- li --- Man ließ, falls man noch welche hatte, die Zügel los und gab seinem Affen Zucker. Schließlich waren die Musikanten hier unter sich und oft kam es vor, dass ein Spontanauftritt die Nacht bis zum frühen Morgen dehnte. Diese nächtlichen Stunden im Musikantenclub waren im Nachhinein die eigentlichen Höhepunkte der Tage in Suhl, voller Atmosphäre und quirligen Musikantenlebens.

Einer, der als Musikant und Typ diese Lebensweise sehr authentisch repräsentiert und gelebt hat, das war unsere Zugbekanntschaft BERND DEWET BORNSCHEIN. Der hatte schon mit HORST KRÜGER, der Gruppe KRAKATOA, EXTREM und mit WINNI 2 die Konzert- und Tanzsäle unsicher gemacht und dabei seinen ganz unverwechselbaren Stil als einziger "Rock'n'Roll-King aus dem Thüringer Wald" entwickelt. Seit diesem Abend gelang es mir endlich, diese Lieder dem richtigen Gesicht zuzuordnen. Seine urigen Texte mit ausgefallenen Ideen zu mitreißender Musik, und das alles mit ein wenig Dialekt und sehr viel menschlicher Ausstrahlung vermischt, ergab eine Mixtur, die eben nur BERND DEWET glaubhaft und mit unübertroffenem Charisma präsentieren konnte. Das erlebten wir auch abends im Musikantenclub, wo ich neben dem "Rock'n'Roll-King aus dem Thüringer Wald" zum ersten Mal dieses "Bratwurstlied" sowie den skurrilen "Harry Hammer" zu hören bekam. Da ich selbst einer der größten Bratwurstfans des Universums bin und seither diesen Urtyp von einem "Musikanten" verehre, ist der "Bratwurstsong" vom Cottbuser Original meine heimliche Küchenhymne geworden. Manchmal singe ich diese Melodie, wenn ich in der Küche am Werkeln bin, im Wechsel mit der anderen Thüringen-Hymne von BERND DEWET, dem "Zwiebelmarkt in Weimar", den er an jenem Abend auch besang. In solchen Momenten denke ich sehr gern an jene Abende im nächtlichen Musikantenklub von Suhl. Dann sehe ich ihn vor mir, mit Rauschebart und Hut, wie er mit tänzelnden Bewegungen, einer Comic-Figur ähnlich, seine fröhlichen Lieder schmetterte und die Leute zu Begeisterungsstürmen hinriss.

"Vor langer Zeit da spielte er den Blues in Weimar", so lautet - leicht abgewandelt - die erste Zeile des sicher erfolgreichsten seiner Lieder. Dahinter verstecken sich stark autobiografische Erinnerungen, wie ich inzwischen weiß. Der als Thüringer bekannte und später in Cottbus lebende "Rock'n'Roll-King" kam nämlich hier im Harz, genauer in Benneckenstein, zur Welt. Vom Wald im Südharz zog es seine Eltern in den Wald nach Thüringen, wo er in Weimar aufwuchs. Bei einer Mugge auf dem Land, so will es die Geschichtsschreibung, wurde er von Horst Krüger entdeckt und zum Singen "gezwungen". Unter der erfahrenen Anleitung von Luise Mirsch wurde eine völlig neue Art Thüringer Volksmusik unter das Volk der DDR gejubelt: Die Hymne auf den "Zwiebelmarkt in Weimar" und die Ode an besagte "Thüringer Rostbratwurst" wurden von ihm getextet und die Musik steuerte Altmeister Horst Krüger bei, der auch eigene Nummern wie "Ach nee, nanu, wer bist denn du" (1976) verzapft hatte. Später bei der lustigen Kapelle WINNI 2 durfte DEWET zudem seine komödiantische Ader auf der Bühne live austoben, bis ihn der bösartige Krebs zwang, als Sänger zu verstummen.

Nach diesen Tagen in Suhl ist mir DEWET, der Comic-Narr, nie wieder über den Weg gelaufen. Seine Spur verlor sich (für mich) und so etwas wie eine eigene Platte bei Amiga war ihm leider auch nicht vergönnt. Erst nach dem politischen Wende-Roulette und den Möglichkeiten des Internets fand ich seine Spur wieder, und dadurch seine Musik-Kneipe "Comicaze" in Cottbus. In mir reifte der Plan, den Musiker aufzusuchen und wenn möglich, ein Konzert zu erleben, aber wenigstens mit ihm zu reden. Doch am 27. Juli 2006 verstarb er, der nur einen Monat nach mir geboren wurde, zu früh an Krebs, der ihn neun Jahre zuvor schon am Kehlkopf erwischt hatte. Wieder war es dieser Scheißkrebs, der einem unverwechselbaren Musikanten, Original und liebenswerten Chaoten das Mikrofon und seinen Fans gute einzigartige Musik verweigerte. In den acht Jahren, in denen er Chef des "Comicaze" sein durfte, hat er vielen Menschen glückliche Momente beschert, leckeres Bier ausgeschenkt und jungen Nachwuchsmusikern eine Bühne gegeben. Der Legende nach soll er stets beim letzten Song dieser Bands selbst zur Gitarre gegriffen haben. BERND DEWET BORNSCHEIN, der Rock'n'Roller vor dem Herrn, wurde leider nur 56 Jahre alt und ist inzwischen, sehr zu Unrecht, irgendwie in Vergessenheit geraten. Das würde ich gern mit meinen Zeilen ein wenig ändern, wieder die Neugier wecken oder gar jemanden finden, der noch etwas mehr über den "Rock'n'Roll-King" oder "Harry Hammer" erzählen und mir seinen "Bratwurstsong" spendieren könnte.












   
   
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