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Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Jürgen Kerth privat, Thorsten Murr



Es ist der 19. Juli 1948 ... Knapp drei Jahre nach Kriegsende herrschten in Deutschland ungewisse Zeiten. Darum wurden Fakten geschaffen. Die blockierten West-Sektoren der Stadt Berlin, die von der Außenwelt und damit von der Versorgung mit zum Leben wichtigen Dingen abgeschnitten waren, wurden per Luftbrücke versorgt, und auf der Rittersturz-Konferenz in Koblenz wird der Zusammenschluss der drei westlichen Besatzungszonen zur Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Die DDR gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das was die jüngere Generation heute als Ostdeutschland oder (immer noch weit verbreitet) als "neue Bundesländer" kennt, war zur damaligen Zeit noch die sowjetisch besetzte Zone. Erst ein Jahr später sollte die DDR gegründet werden. In diesem Gebiet lag und liegt Erfurt, und an diesem wolkigen Montag im Juli, an dem es hin und wieder auch mal regnete, erblickte JÜRGEN KERTH das Licht der Welt. Jener JÜRGEN KERTH, der als Beat-, Rock- und Bluesmusiker seit den 60ern zuerst in der heute nicht mehr existierenden DDR, und anschließend gesamtdeutsch seine Spuren in der Musikszene hinterlassen hat und sie immer noch hinterlässt. Jetzt ist er 70, aber noch lange nicht müde ...

Kerth sagt über sich, dass er mit 14 Jahren die Liebe zur Musik entdeckt habe. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel im Norden Erfurts, scheint die Wahl der Musikrichtung, mit der er sich letztlich einen Namen machte, symptomatisch. Hier lernt man den Blick für das wahre Leben, für die Probleme der Menschen und erwirbt das nötige Fingerspitzengefühl, um damit auch umgehen zu können. Ganz am Anfang seiner musikalischen Karriere stand eine Freundschaft, nämlich die zu Hans-Jürgen "Gotte" Gottschalk.004 20180720 1769606093 Beide waren Geräteturner und "Gotte" nannte damals sogar schon eine Gitarre sein Eigen. In der Umkleidekabine beim Sport soll es passiert sein, dass beide Jungs u.a. Songs der Everly Brothers und Chuck Berry sangen. Letztlich gründeten sie 1964 ihre erste eigene Band, die SPOTLIGHTS. In Erfurt und Umland traten sie auf, waren mit ihren nachgespielten Liedern auf der Höhe der Zeit und machten als die "Erfurter Beatles" schnell auf sich aufmerksam. Und leider nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den hohen Herren im Amt. Die SPOTLIGHTS konnten unmöglich mit diesem Namen weiter auftreten. Viel zu Englisch ... ging gar nicht. Das erste Verbot und die Umbenennung in RAMPENLICHTER waren die Folge. Aber auch hier hatten die Behörden was auszusetzen, und 1965 wurden die RAMPENLICHTER auf "Lebenszeit" verboten. So war das damals in der DDR der 60er Jahre. Heute unvorstellbar. Im Anschluss machte der junge Musiker eine Ausbildung an der Musikschule Erfurt. Mit dem Abschluss in der Tasche, gründete Kerth im Jahre 1971 das JÜRGEN KERTH QUINTETT aus dem später dann die GRUPPE JÜRGEN KERTH wurde. Jene Band, mit der er 1972 (noch als JÜRGEN KERTH QUINTETT) einen ersten Song auf Schallplatte veröffentlichen konnte. "Mädchen, mir kommt's verdächtig vor" heißt das Lied, und es ist auf der achten AMIGA-Single aus der DT64-Reihe zu finden. Weitere Singles folgten, bis 1978 das nach ihm benannte Album - ebenfalls bei AMIGA - erschien. Es folgten Radio- und TV-Termine und KERTH war in aller Munde (und Ohren).

Seinen Erfolg, der von oberster Stelle immer versucht wurde, schön klein zu halten, hatte er sich stets selbst erarbeitet. Arschkriechen oder Stiefellecken des Erfolges wegen stand für KERTH völlig außer Frage. Das war und ist nicht sein Naturell. Und was auf dem normalen Weg mal nicht ging, wurde auf anderen Wegen versucht doch noch zu erreichen. Die Produktion der ersten Langspielplatte z.B. Das Publikum liebte den Thüringer, der mit seiner Gitarre der Marke "Eigenumbau", seiner Musik und insbesondere seinen Texten bei den Leuten vor der Bühne richtig punktete. Gleich zwei Mal bekam er den Publikumspreis als "Bester Gitarrist der DDR". Apropos Gitarre und "Eigenumbau": Eigentlich ist sein Instrument eine Gitarre der Marke Migma, im Jahre '66 für 500 Ostmark gekauft. Er nennt sie selbst "die Eine" und einzigartig ist sie allemal. KERTH hat die Klampfe nach seinen Vorstellungen umgebaut, darum ist es nunmehr ein Einzelstück. Eine echte KERTH, wenn man so will. Und die beiden gehören zusammen. Ohne den jeweils anderen können weder der Musiker noch das Instrument das erklingen lassen, was sie so ausmacht. KERTH spielt seit eh und je seinen Beat, seinen Rock und seinen Blues auf der "Einen", und die Lieder klingen nach ihm UND ihr. Mit einer Fender oder einer Gibson würden die Lieder anders sein, eine andere Seele haben ... wahrscheinlich gar nicht so funktionieren.

Und seine Musik wurde für JÜRGEN KERTH auch sowas wie ein Krisenbewältiger, ein Hilfsmittel um wieder aufzustehen. In seinen 70 Jahren hat KERTH leider auch Schicksalsschläge hinnehmen müssen. So beging im Jahre 1979 z.B. sein Freund Roland Michi, mit dem er schon zusammen zur Schule ging und der auch viele Jahre Bassist in seinen Bands war, Selbstmord. Die Musik ließ ihn weitermachen, auch wenn er den Posten des Bassisten bis zum Einstieg seines Sohnes Stefan in seine Band nicht mehr neu vergab. Anfang der 90er stieg KERTHs jüngster Sohn Christoph als Schlagzeuger in seine Band ein. Doch kurz darauf folgte der nächste Schicksalsschlag: Christoph starb im Januar 1993 und Jürgen dachte erstmals an ein Ende seiner Musikkarriere. In einem Interview sagte er dazu einmal, "Plötzlich schien alles sinnlos." Doch er machte weiter, gibt bis heute Konzerte und die Leute strömen nach wie vor zu seinen Muggen. Sogar im Westen. Hier spielte JÜRGEN KERTH im Januar 2016 erstmals in der Gegend, wo sein Großvater geboren wurde. Von Dortmund aus zog es den Großvater mit seiner Familie aber nach Erfurt. Und obwohl der Erfurter JÜRGEN KERTH seit über 50 Jahren Musik macht, war das Castroper Konzert sein erster Auftritt im "Westen" überhaupt. Und er zog auch hier die Massen an. Er hält damit bis heute den Zuschauerrekord der von uns veranstalteten Konzerte.

Nun ist der 19. Juli 2018, Jürgens 70. Geburtstag, auch schon wieder vorbei. Ein Donnerstag im Sommer, im schon lange wiedervereinten Deutschland, das in sich aber leider wieder geteilt ist. Trotz aller Sorgen, die die neue Zeit so mit sich bringt, und mit strahlend schönem Wetter, wie man es sich für so einen Tag nur wünschen kann - keine Wolke und kein Regen - feierte JÜRGEN KERTH seinen 70. Geburtstag mit seiner Familie. Richtig so, denn immerhin ist der Rocker inzwischen ja sogar schon Großvater, und der Nachwuchs will das Familienoberhaupt natürlich auch hoch leben lassen. Der TV-Sender mdr tat dies erfreulicherweise auch, und widmete dem Erfurter Geburtstagskind sogar zwei Sendungen: Ein Portrait und einen Konzertmitschnitt aus dem Jahre 1982. Dass das nicht selbstverständlich ist, weil der Künstler aus dem eigenen Land ja nicht wirklich zählt, wissen andere Jubilare vergangener Tage zu berichten. Auch diverse Radiostationen spielten gestern einige seiner Lieder. An dieser Stelle gratulieren auch wir von Deutsche Mugge dem großen Mann mit seiner Gitarre und wir senden die besten Wünsche, verbunden mit dem eigenen Wunsch, er möge uns noch lange erhalten bleiben. Vielleicht mit einem weiteren "West-Konzert"?! Seine Karriere war in den bisher erreichten 70 Jahren schon bunt und abwechslungsreich. Mögen sie das in den nächsten Jahren auch bleiben und er möglichst lange fit. Alles Gute, Jürgen!



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Jürgen Kerth: www.kerth-music.de



Videoclip:

Das im Text erwähnte Konzert von 1982, das
auch der mdr am 19.7.2018 ausgestrahlt hat










   
   
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