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Ein Beitrag von Christian Reder. Fotos: Pressematerial



Die Nachrichten über den Tod von Musikern hat uns gerade in den vergangenen zweieinhalb Jahren viel zu oft erreicht. Bei manchen dieser Nachrichten dachte man, "Ok, ein schönes Alter hat er erreicht" oder "Bei dem Lebenswandel war das abzusehen". Sowas sollte man nicht denken, aber diese Gedanken schießen bei manch einer Nachricht sicher nicht nur mir allein durch den Kopf. Bei der Nachricht vom Tod Roger Ciceros war das anders. Das traf wie ein Hammerschlag, nicht nur wegen des noch so jungen Alters - wir lagen vom Alter her nur wenige Monate auseinander - oder der Ursache, sondern gerade deshalb, weil ich mich ihm als Künstler und seiner Kunst sehr nah fühlte. Es wäre vermessen zu behaupten, ich hätte den Menschen Roger Cicero gut gekannt. Wenn man mal von kurzen Begegnungen und einem längeren Gespräch mit ihm für ein Interview im Jahre 2014 absieht, habe ich den Menschen Roger Cicero überhaupt nicht gekannt. Darum werde ich hier jetzt nicht anfangen zu schreiben, was für ein wunderbarer Mensch er war. Das war er sicherlich ... insbesondere für seinen Sohn ... aber das kann ich nicht beurteilen. Aber ich kann sagen, dass mir der Musiker Roger Cicero und seine Lieder sehr vertraut waren und noch immer sind. Vertrauter wie manch ein anderer Mensch, dem ich öfter im Leben über den Weg gelaufen bin wie ihm. Heute ist es jedenfalls auf den Tag genau zwei Jahre her, dass ein junger Mann und großartiger Sänger die Welt viel zu früh verlassen hat.

Sein Spezialgebiet war der Jazz. Sein Auftreten, seine Stimme und insbesondere die Tatsache, dass er seine Inhalte in der Muttersprache transportierte, waren es, die den dicken und schweren Vorhang für ein Publikum lüftete, das sich sonst wahrscheinlich niemals in den dunklen Raum der Jazz-Musik begeben hätte. Nennen wir ihn Botschafter, Türöffner oder sonst wie ... Er war Roger Cicero, der Brücken zwischen musikalischen Welten baute und sie mit Wegweisern versah, die ein größeres Publikum neugierig machten. Er lockte die Leute mit seinen Liedern an und brachte sie dazu, sich intensiver mit der Richtung zu beschäftigen, die viele für tot oder zumindest antiquiert halten. Bevorzugt im Swing-Bereich mit großem Orchester und dem Sound, den man sonst nur aus den 30er und 40er Jahren von Benny Goodman oder Glen Miller, oder aus den 60ern von Entertainern wie Dean Martin, Sammy Davis Jr. oder Frank Sinatra aus Übersee kannte. Ja, sogar vom deutschen Frank Sinatra war da die Rede, und auch wenn er Lieder von Ol' Blue Eyes interpretierte und damit ein ganzes Programm füllte, ging diese Bezeichnung für ihn komplett am Ziel vorbei. Warum? Er war Roger Cicero und wenn man Vergleiche anstellen wollte, dann doch bitteschön in die Gegenrichtung. An ihm konnte man andere Künstler messen, denn er setzte Maßstäbe und machte sich eine fast schon in Vergessenheit geratene Musik zu eigen. Ließ sie aufleben und machte sie massenkompatibel. Klingt übertrieben und wie durch die Fanbrille gesehen? Dann frag mal bei seinen Kollegen und den Fachjournalisten nach, die werden es Dir bestätigen.

Doch was brachte mich persönlich diesem Roger Cicero bzw. seiner Musik so nah? Es sind in erster Linie zwei Lieder, die bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Das eine ist "Ich hätt' so gern noch tschüss gesagt" aus seinem 2007er Album "Beziehungsweise", in dem er über einen Song Abschied von seinem Vater Eugen Cicero, dem berühmten Jazz-Pianisten, nahm. Dass er aufgrund dessen plötzlichen Todes im Jahre 1997 nicht mehr alles loswerden konnte, was ihm wichtig war und er dem Vater gern noch gesagt hätte, verarbeitete Roger in diesem Lied. Vater und Sohn verband eine ganze Menge, so verdankte Roger Cicero seine ersten musikalischen Schritte seinem Vater Eugen Cicero. "Ab meinem 14. Lebensjahr war ich häufig bei ihm auf der Bühne und habe ihn in den Schulferien nicht nur begleitet, sondern auch tatkräftig unterstützt", erzählte Roger in unserem Gespräch im Spätsommer 2014. "Ich durfte auch mal ein paar Stücke am Abend singen, was für mich wichtige und wegweisende Momente waren.", fuhr er fort und ich erinnere mich noch sehr gut, dass er mir das mit warmen und herzlichen Worten erzählte. Ein weiteres einschneidendes Erlebnis war die Trennung von der Mutter seines Sohnes. Man kann nur ahnen wie schlimm es sein muss, wenn die Familie zerbricht und da ein kleines Kind im Spiel ist. Mit dem Lied "Frag nicht wohin" beschrieb Cicero die Situation des Vaters, der sein Kind zu Bett bringt, ihm die Angst vor den Geistern unterm Bett nimmt und ihm im Rausgehen noch bittet, nicht nachzufragen, wohin er nun so spät noch gehen wird. Wie soll man dem Knirps auch erklären, dass die Eltern nicht mehr zusammen leben und er direkt im Anschluss in eine andere Wohnung geht, weil das nun sein neues Zuhause ist? Allein die Textzeilen "Deine Augen fragen still, warum ich hier nicht bleiben will. Oh Gott nein, du bist ganz bestimmt nicht schuld daran" lassen einem immer und immer wieder eine Gänsehaut und einen dicken Kloß im Hals wachsen. Es ist der letzte Song auf Ciceros letztem Studioalbum "Was immer auch kommt", und Musiker aus seiner Band erzählten in einem Interview nach seinem Tod, dass er die Nummer im Studio fast nicht hätte einsingen können, weil er ob des Inhalts und dem tiefen Schmerz seine Gefühle nicht unter Kontrolle bekam. Dies sind aber nur zwei seiner Lieder und ausgerechnet welche, die inhaltlich sehr schwer sind. Aber sie sind nicht Spiegelbild für das, was Cicero machte. Der Musiker hatte nämlich auch eine heitere Seite, die auf seinen Alben und Konzerten immer im Vordergrund stand. Er verstand es wie kaum ein anderer, Leute in Feierstimmung zu versetzen, ohne die Grenze zum Blödsinn zu übertreten. Erinnern wir uns an "Nicht artgerecht" oder "Murphys Gesetz", in denen das Leben eher heiter dargestellt wird. Damit erreichte er ein breites Publikum und wie eingangs schon erwähnt, lockte er damit auch Leute an, die den Jazz und den Swing ohne ihn sicherlich nicht "angefasst" hätten. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn mit seinen Songs konnte man im Partykeller feiern, im Jazz-Schuppen um die Ecke an der Bar eine entspannte Zeit verbringen und ebenso bei einem Glas Rotwein zuhause auf der Couch sitzen. Die Quote der Volltreffer beim Geschmack der Leute war jedenfalls groß.

Neben seiner Musik und seinen Entertainer-Qualitäten denke ich aber auch an die Begegnungen mit ihm, insbesondere das hier auch schon erwähnte und daraus zitierte Interview. Es war ein lockeres und gelöstes Gespräch mit einem offenen und sehr herzlichen Künstler, der mir als seinem Gesprächspartner nie das Gefühl gab, ihn zu nerven weil er diese oder jene Frage möglicherweise schon in anderen Interviews mehrfach beantwortet hat. Jede Frage bedachte er mit einer ausführlichen Antwort und es machte Spaß ... ich bin mir sicher, nicht nur mir. Am Ende verabredeten wir uns zu einem weiteren Treffen auf einem seiner Konzerte. Daraus wurde leider nichts. Kurz nach unserem Interview legte ihn zuerst ein Virus nieder, den er anschließend verschleppte und der sich schließlich auf den Herzmuskel legte. Es folgte eine Auszeit mit strenger Bettruhe. Anfang 2016 startete er wieder durch, hatte TV-Auftritte und bewarb dort seine Tournee. Die Gelegenheit, sich bei einem Konzert dieser Tour wie verabredet zu treffen, ergab sich nicht mehr, denn am 24. März 2016 starb Roger Cicero im Alter von nur 45 Jahren an einem Hirnschlag - genauso wie sein Vater. Auf seinem letzten Album befindet sich der Song "Wenn es morgen schon zu Ende wär'" mit den Zeilen, "Denn wenn es morgen schon zu Ende wär', ein Schritt zu viel im Stadtverkehr, dann leb' ich vielleicht heute, nur 'n kleines bisschen mehr", und das klingt jetzt, wo Roger seit zwei Jahren nicht mehr unter uns weilt, wie ein gut gemeinter Rat an uns alle, jeden Tag bewusst und intensiv zu leben. Und natürlich ihn, DEN Roger Cicero, und seine Musik nicht zu vergessen. Sie und die Erinnerung an ihn bleiben. "Und als einer von Millionen", steh ich heute hier und schau nach oben und auch ich frage mich, wo Du gerade bist und wie es da oben wohl ist ...



Bitte beachtet auch:
• Off. Homepage von Roger Cicero: www.rogercicero.de
• Interview mit Roger Cicero (09/2014): HIER klicken




Videoclips:







 
 
 
 

   
   
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