Vom Angestellten zum freischaffenden Unternehmer

 

 

Hallo allerseits!

In wenigen Tagen schwebt über meinem Haupt das Damoklesschwert eines „runden“ Geburtstags. Es ist Zeit wieder einmal etwas intensiver zurück zu blicken. Mein vorangegangener Zeitzeuge Hans-Christian hat sich ja ausführlich mit den Genossen der Staatssicherheit auseinandergesetzt. Dieses Kapitel in meinem Leben möchte ich „sicherheitshalber“ auslassen, obwohl es auch laut Akten auch bei mir wohl diverses Merkwürdige zu berichten gab.

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Nach meinen Geschichten als Toningenieur bei der Studiotechnik Rundfunk möchte ich nun von meinem Sprung vom Angestellten der Studiotechnik zum freischaffenden Unternehmer berichten. Ja es gab so etwas auch in der DDR, wenn auch als seltener Ausnahmefall. Immerhin war ich 23 Jahre der Ü-Technik in der Nalepastrasse treu geblieben. Diese Zeit möchte ich rückblickend auch in meinem Berufsleben nicht missen. Also, was war geschehen? Die staatlichen Leiter der Studiotechnik wurden fast alle ersetzt durch offensichtlich streng ausgewählte und linientreue Genossen. Bis dahin war es eigentlich immer „mein“ Betrieb, „mein“ Ü-Wagen. Dieses Gefühl ging am Ende leider immer mehr verloren. Mit technischer und fachlicher Weiterentwicklung hatte dies alles nichts mehr zu tun. Zitat: „Jeder funktionierende Müllwagen hat für die sozialistische Gesellschaft größere Bedeutung als dein Ü1". Na dann also nicht.
Ich suchte nun nach Gleichgesinnten, denen Sound und Musik noch wichtig erschienen. Die gab es auch. Martin Schreier (Stern Combo Meissen-Chef) und Harry Jeske (Macher der Puhdys) hatten offene Ohren für meine Idee, ein privates Tonstudio aufzubauen. Martin war gerade von Meissen nach Berlin übergesiedelt. Neben seinem Häuschen in Wilhelmshagen stand ein Schuppen, eine ehemalige Tischlerei, etwas baufällig aber bestens geeignet für unser Vorhaben.
Nun mussten die schlummernden Resorcen aufgespürt und aktiviert werden. Peter Grunwald, der Elektronik-Papst, baute einen Mixer für die damalige Zeit in galaktischer Dimension: 42 Eingänge auf 16 Primaster, alles über geile Filter. Ich weiß noch, dass die Funktionsmuster auf Hand abgekanteten Aluprofilen auf Tischen standen. Aber: Es kam Musike raus! Harry Jeske lud seine Tourentracks voll mit Studiomonitoren, 16-Spur-Maschine, Mikrofone. Ich frage mich heute noch, wie er dies alles über den gut bewachten und gesicherten antifaschistischen Schutzwall geschleust hat. Wir schweißten Gestelle und Regale, vorwiegend aus Möbelprofilen aus dem Bevölkerungsbedarf in der Orloppstrasse entnommen. Alle löteten, hämmerten, sägten und hobelten. Martin holte Handwerker aus Meissen, die aus dem alten Schuppen eine ansehliche Behausung für die Künstler und deren musikalischen Ergüsse bauten. Alles dieses endete in einem richtig funktionierenden Tonstudio.
Aber nun kamen auch die sozialistisch bedingten Probleme. Wer von den großen Musikverwerter wie Rundfunk, Schallplatte und Fernsehen wollte ausgerechnet etwas von uns aus der Nickelswalder Strasse? Ich erinnere mich noch an eine unserer ersten großen Produktionen. Stern Combo Meissen hatte gerade das Monsterwerk „Das weiße Gold“ verfasst. Der Rundfunk wollte das Stück haben, war aber nicht bereit dies in unserem Studio zu produzieren. Ich organisierte daher, dass mein ehemaliger Stereo-Ü-Wagen "Ü1" zu uns beordert wurde. Wir rangierten das Teil auf den Hof vor unserem Studio und versorgten die Besatzung mit kalten und warmen Getränken. Die hatten dann eine Woche einen prima Job. Die Produktion fand ja nun doch im neuen Tonstudio statt. Immerhin hatten wir eine Mithörleitung zum Ü-Wagen geschaltet, dass es den Kumpels nicht zu langweilig wurde. Eine Produktionsstunde des Ü-Wagens kostete damals immerhin rund 200,00 Mark/DDR. Aber Geld spielte ja keine Rolle, wenn es darum ging dem aufkeimenden Neokapitalismus entgegen zu treten. Der organisatorische Endstand konnte das aber nicht bleiben.
Aus alten Rundfunk- und Fernsehzeiten kannte ich einen guten Musikproduzenten, Manfred Nitschke. Sein Credo war gute Musik für das DDR-Fernsehen. Erstaunlicherweise verfügte das Fernsehen über kein eigenes Tonstudio. Lediglich ein altes Kino in Grünau wurde mit davor gestelltem Ü-Wagen für einige Produktionen genutzt. Manfred Nitschke erkannte den Vorteil in einer planbaren Zusammenarbeit mit uns. In der Folgezeit produzierten wir fast alles was beim Fernsehen an Musik gebraucht wurde. Eine gesetzliche Grundlage hatten wir jedoch immer noch nicht erreicht. Es gab eben noch kein privates Tonstudio in der DDR.
Fortsetzung folgt...

(Klaus Schmidt)

 


   
   
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