Hommage a COLLEGIUM MUSICUM, Bratislava

 Autor Hartmut Helms

 


Schon in meiner Jugend habe ich große Teile meiner Ersparnisse in Schallplatten oder auf andere Art in Musik investiert. Ich war seit Mitte der 60er mit dem Bazillus der Beatmusik infiziert, der in den 70ern zu einem ansteckenden Virus mutiert war. Wer mit mir in Berührung kam, mußte sich entweder auf lange Gespräche über Musik und Schallplatten einlassen oder auf Konzertbesuche vorbereiten.

So war es auch im Oktober 1973. Es war schon ziemlich frisch, aber ich wollte unbedingt nach Herzberg (an der Elster), denn dort war das COLLEGIUM MUSICUM aus Bratislava angekündigt und dieses Konzert wollte ich nicht verpassen. Auf das Trio aus dem Nachbarland war ich durch den Jugendsender DT64 aufmerksam geworden, der in jener Zeit ziemlich oft die erste Single der Slowaken "Hommage a J.S. Bach" spielte. Das Instrumentalstück war der absolute Hammer und assoziierte Vergleiche zu Emerson, Lake & Palmer. Im Kulturzentrum der CSSR, damals noch direkt am S-Bahnhof Friedrichstraße in Berlin, kaufte ich mir die erste LP der Band (noch mit Gitarristen Rastislav Vacho), später die zweite, dann die dritte usw.

Im Mai 1973 fanden im Dresdner Kulturpalast zwei große Konzerte im Vorfeld der Weltfestspiele in Berlin statt. Eines davon habe ich mit Freunden besucht und dort neben Locomotiv GT (Ungarn), Czeslaw Niemen (Polen) und SOK (DDR) eben auch zum ersten Mal das Collegium Musicum live erleben können. Gemeinsam mit Niemen waren sie für mein Empfinden musikalische Boten aus einer anderen Welt im doppelten Sinne des Wortes. Ich sattelte also mein himmelblaues Moped Marke "Schwalbe", zog mich wetterfest an, schob mir gut verpackt das Cover der Doppel-LP "Konvergencie" unter die Jacke und fuhr die 50 Kilometer mit klammen Knochen von Elsterwerda nach Herzberg.

Das Kulturhaus war mäßig gefüllt und ich saß wohl ziemlich verlassen allein in einer der vorderen Reihen. Mir war's recht, denn so konnte ich die Slowakischen Rock-Stars bestens beim Spiel beobachten. Links auf der Bühne hinter der Hammondorgel Marian Varga und rechts an der Baßgitarre Fedor Freso. In der Mitte hinter dem Schlagzeug Dusan Hajek. Natürlich ist mir so etwas wie eine Set-List nicht in Erinnerung, aber ich weiß noch sehr genau, daß sie Teile des Doppelalbum "Konvergencie" sowie Teile aus der ersten LP live spielten. Vor allem das "Concerto In D", eine Adaption nach Joseph Haydn, war eine kleine Meisterleistung und durchaus im Stile der beginnenden 70er, ELP oder Focus ließen grüßen. In gleicher Weise, nur wuchtiger und aggressiver die "Hommage a J.S. Bach", im Nachbarland damals nur als Single veröffentlicht. Über 7 Minuten läßt Marian Varga hinter der Hammond die Stakkato-Läufe aus den Boxen krachen und brillierte schon damals damit, diesem Instrument einzigartiges zu entlocken. Der Vergleich zu ELP hinkt dennoch, denn alles, was Marian Varga mit seinen flinken Fingern auf den Tasten zelebrierte, geschah damals fast ausschließlich auf einer Hammond-Orgel.

Beim Einspielen der Doppel-LP "Konvergencie" nutzte Marian Varga allerdings das seltene Subharchord, ein elektronisches Tasteninstrument, das Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre in der DDR entwickelt worden war und dort u.a. bei der Produktion von Filmmusiken Verwendung fand. Marian Varga war einer der wenigen, der dem Subharchord (im Studio Bratislava) Klänge für Rock- und Jazzmusik entlockte und auf seiner Doppel-LP auch verewigte. Von diesem Instrument soll es heute nur noch eine Handvoll Exemplare geben.

Das zentrale Stück der Doppel-LP "Konvergencie" ist eine Rock-Suite nach Motiven aus "Scheherezade" von Rimsi-Korsakow. Marian Varga ist nicht nur ein brillianter Instrumentalist, sondern bei diesem Stück stellte er auch sein unglaubliches Improvisationstalent unter Beweis. Man muß sich eine leicht gebeugte, in sich versunkene Mischung aus "Struwelpeter und Rumpelstilzchen" an den Tasten vorstellen, eine Erscheinung, die jeden Anschlag genüßlich zu zelebrieren scheint. Manchmal kam es mir vor, als zupfe, locke und zaubere er die Töne und Läufe förmlich aus den Tasten seines Instruments.

Dies ist ein Bild, das ich bis heute nicht vergessen kann. Nie wieder habe ich auf einer Bühne einen Keyboarder in auch nur annähernd vergleichbarer Weise agieren sehen, einer der mit seinem Instrument verschmilzt, es wie besessen beschwört, beinahe hinein zu kriechen scheint, so als würden die Tönen des Instruments nur ihm ganz allein gehören. Marian Varga agierte wie ein Schamahn, Töne liebevoll und manchmal auch bizarr beschwörend und dabei einen wohltuenden Zauber erzeugend. In solchen Momenten hatte (und habe) ich das Gefühl, ganz für mich allein irgendwo in der Zeit zu gleiten, auf Klangteppichen im Sound-Ozean, einfach nur genießen.
 

Ebenso faszinierend "Monumento", ein längeres Stück, das in einem furiosen Schlagzeugsolo endet. Es war durchaus üblich, daß ein Solo des Drummers locker 5 Minuten dauern konnte und auch längere Instrumentalstücke waren in jener Zeit nichts außergewöhnliches. Die Musiker trafen in aller Regel live auf ein Publikum, das noch bereit war, sich auf längere musikalische Entdeckungsreisen einzulassen und lange instrumentale Passagen zu genießen und neue Reize zu entdecken. Für mich einer der gravierenden Unterschiede zur Art und Weise der Rezeption von Rockmusik heute, die eher dem optischen Genuß des Augenblicks huldigt.


Ein Konzert des COLLEGIUM MUSICUM war etwas ganz besonderes und wer schon mal MARIAN VARGA an der Hammond erlebt hat, wird mir sicher zustimmen. Internationale Vergleiche hinken, in diesem Fall erst recht, denn diese Band hat sich weder auf ihren Platten noch in Konzerten bemüht, einem Trend zu folgen. Sie hätten bestenfalls, ebenso wie der Pole Czeslaw Niemen, einen auslösen können, ihre Individualität ließ das aber offenbar nicht zu, was man nicht wirklich bedauern muß. Das COLLEGIUM MUSICUM agierte schon damals in anderen und ganz besonderen Dimensionen.


Nach dem Konzert ließ ich mir das mitgenommene LP-Cover signieren, leider noch mit Filzstift. Das einzige Plakat zu diesem Konzert hab' ich auch mitgenommen und so vor dem Papierkorb und dem Vergessen gerettet. Ein Jahr darauf bin ich aus dem gleichen Grund noch einmal nach Hoyerswerda gefahren. Heute, über 30 Jahre später, würde ich sehr viel dafür geben, ein Konzerterlebnis mit dem COLLEGIUM MUSICUM aus Bratislava wiederholen zu können. Vielleicht liest diese Zeilen ja zufällig der Richtige...

 

 

 


   
   
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