Klamotte, Ulk und Rock'n'Roll

POSSENSPIEL, live anno 1982

Ein Beitrag mit Fotos von Hartmut Helms

 

Es gab eine Zeit, da waren Insterburg & Co. für mich die einzigen, die Musik, Gaudi und Klamotte so miteinander kombinierten, daß daraus trotzdem gehobene Unterhaltung oberhalb der Gürtellienie geworden ist, und die Vorgänge im Kopf über die des Bauches dominierten. Insterburg & Co. sind inzwischen leider Geschichte und die sensible Linie ist, Dank einiger, die sich Comedian nennen dürfen, gefallen und damit auch das Niveau. Vielleicht ist auch das ein guter Grund, sich an gehobenen Klamauk für Zwerchfell und Kopf zu erinnern.


Als ich Anfang der 1980er Jahre POSSENSPIEL für mich entdeckte, waren KNIPPE & Co. so etwas wie ein Geheimtipp in der DDR. Man erzählte sich damals die tollsten Geschichten von ein paar Typen, die aussähen wie die Brüder von Rumpelstilzchen, von skurrilen Songtexten und Blödeleien auf der Bühne und von Konzerten, bei denen man aus dem Lachen nicht mehr rauskommen würde. Ihr Auftritt während der "VI. Werkstattwoche der Jugendtanzmusik" (1983) - das war die höchstoffizielle Formulierung - im abendlichen Musikantenklub nach einem Puhdys-Konzert wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Die bauten in aller Seelenruhe ihre Instrumente auf. Dann ging einer dieser komisch aussehenden Typen mit einem Struwelkopp und Rauschebart, Hans Knippenberg, zum Mikro, sagte "Jut'n Abn'd" und so etwas wie: "Wir spielen jetzt von der Gruppe BAUM das Lied 'Alt wie ein Puhdy' und meine Gitarre kann ick och so schmeißen, wie der Herr KNIRR". Von diesem Moment an, bis weit nach Mitternacht, blieb im Suhler Musikantenklub kein Auge mehr trocken. Die Kehlen sowieso nicht.


Hans "Knippe" Knippenberg als Gitarrist und Sänger, der Schlagzeuger Detlef Topolinski sowie Malte Freyer am Bass, hatten schon bei ERDMANN & CO. muggender Weise die Gegend unsicher gemacht. An der Gitarre blödelte Bernd Meyer und zeigte sich gern in kurzen Hosen und dünnen Beinen. 1981 stieß Hans-Jürgen Meyer, ein Kolloß mit Rauschebart als Frontmann zu ihnen und die "Blödeltruppe" war perfekt.


Mit Blödelei allerdings hatte das Projekt nichts zu tun. POSSENSPIEL zelebrierten beißende Satire vom Feinsten, und der Ulk hatte immer auch einen handfesten Hintergrund im prallen Leben. Man mußte sich die Texte schon sehr genau zu Gemüte führen, um die Doppeldeutigkeiten, Anspielungen und Frotzeleien zu erkennen, über die man sich dann als "gelernter" DDR-Bürger vor Lachen ausschütten konnte.


Bei mir standen POSSENSPIEL am 6. Oktober 1982, es war der Vorabend des alljährlichen Republikgeburtstages (!), auf der Bühne und fackelten dort ihre mit Spitzen, Seitenhieben und Untertönen gespickte Show ab. "Berlin's Schmunzelrockspektakel Nr. 1" nahm an diesem Abend, wie sonst auch, kein Blatt vor den Mund, und die fünf Herren ließen es gehörig krachen. Schon die Geschichte von "Hänsel und Gretel (die woll'n zur Disco geh'n)" war dem prallen Leben abgelauscht und provozierte Lachsalven und mit "Auf dem Korridor (der Künstleragentur)" verarbeitete "Knippe" ganz sicher auch eigene Erfahrungen im Umgang mit der KGD (Konzert- und Gastspieldirektion) oder den Ministerien.


Eine Geschichte ganz anderer Art knüpft sich an den Song "Wann komm' wa'n bloß im Kreuzworträtsel vor". Einst sangen in den USA Dr. Hook & The Medicine Show von ihrem Wunsch, endlich mal auf dem Cover des berühmten Musikmagazines "Rolling Stone" erscheinen zu dürfen - "Cover Of The Rolling Stone" hieß der Song aus dem Jahre 1972. Ebenso satirisch, aber durchaus auch mit ernst gemeinten Hintergedanken und dem Wunsch nach mehr Öffentlichkeit, hatten POSSENSPIEL ihren Song gemeint. Kein Wunder also, daß die Band zu jener Zeit öfter mal im Kreuzworträtsel gefragt wurde, genau so, wie es Dr. Hook zum Titelbild beim "Rolling Stone" geschafft hat.


Zum Programm gehörten natürlich die großen Hits, wie jener Song über den ganz normalen Ostseeurlaub im kleinen Land, den man natürlich auf Hiddensee, Rügen oder Usedom verbrachte. "Sommer, Sonne, Sonnenbrand" nimmt genau dieses Gefühl und das Strandgewimmel satirisch auf's Korn und walzt es genüßlich aus bis hin zu der Schlussfrage: "Was woll'n wir denn am Schwarzen Meer?". Ich jedenfalls konnte mir keinen Auslandsurlaub leisten, gleich gar nicht am schwarzen Meer. Gleiches machten sie mit "Wer wirfst so spät nach Mitternacht noch Käse in den Fahrstuhlschacht", wobei die Herren Knippenberg und Meyer mal locker das Wort "Käse" durch "Oma" ersetzten und damit heftige Lachsalven ernteten. In diesem Lied werden die vielen kleinen Unzulänglichkeiten und Sündenfälle der Mitbürger gehörig auf die Schippe genommen, und so mancher mußte sich gefallen lassen, einen riesigen Spiegel vor die Nase gehalten zu bekommen. Manchmal frage ich mich noch heute, wo der Spiegel abgeblieben ist.


Mein persönlicher Höhepunkt war immer, wenn Knippenberg mit seiner Band laut davon träumte "die Stones kaputt zu spielen" und über die Entwicklung der schönsten Rockmusik "Made in DDR" philosophierte. Nichts war ihm wirklich "heilig". Sehens- und hörenswert auch der Teil, da Knippenberg die "neuesten Nachrichten" der Aktuellen Kamera auf's Korn nimmt und als Herr "Feldmaus" durch den selbst gebastelten Bildschirm von POSSENSPIEL-TV schielt. Auf diese Weise folgte ein Lacher dem nächsten und nur manchmal, während sie ihre Lieder spielten, hatte man die Ruhe, dem Zwerchfell eine Pause zu gönnen.
POSSENSPIEL war ein Live-Ereignis der ganz besonderen Art, ein Farbtupfer im Musikalltag und agierte in einer Nische, aus der sich, außer MTS, keiner traute lauthals Musik und Satire zu machen, ohne wirklich ein Blatt vor den Mund nehmen zu wollen. Das machte POSSENSPIEL so einmalig und mit diesem inhaltlichen Konzept und der Power und den Ideen, die in den Herren steckten, hätten sie auch locker die politische Kehre in diesem kleiner Land, als 360°-Drehung entlarvt und verarbeitet. Es hat leider nicht sollen sein.


Genau vor 20 Jahren, am 15. August 1989, kam der Sänger, Erzkomödiant und Rauschebartverehrer Heinz-Jürgen Meyer bei einem tragischen Verkehrsunfall um's Leben. Ein POSSENSPIEL ohne ihn konnte sich Hans "der" Knippenberg nicht vorstellen. Ich auch nicht!

 

In Erinnerung an Heinz-Jürgen Meyer, gewidmet allen POSSENSPIELERN...
 

 

Erinnerungen:

 

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