Martin Meinschäfer: "Wer hat, der hat!" (Album)

meienxchaefer2020 20201009 1109866332VÖ: 09.10.2020; Label: Sobrero Records; Katalognummer: 042020; Musiker: Martin Meinschäfer (Gesang, Gitarre, Keyboards, Programming, Percussion), Henrik Freischlader (Gitarre), Moritz Meinschäfer (Schlagzeug), Toett (Keyboards, Orgel, Programming), Moritz Müller (Schlagzeug), Joo Kraus (Trompete), Martel Dörsam (Saxophon), Marco Zügler (Saxophon), Linda Rocco, Karima Djabelkhir, Jimmy Klimsop (alle Chor), Lothar Krell (Keyboards, Programming), Raimund Slag (Gitarre), Günter Asbeck (Bass); Bemerkung: CD im Jewel-Case (Plastikhülle) inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte. Das Album ist physisch als CD erhältlich und kann per Mail () bezogen werden;

Titel:
Börsenmelodie • Vor die Wand gefahren • Wo kämen wir hin • So viel • Willst Du Meinen? • Bunt • Wahnsinnig • Das Babylon System • Umsonst ist der Tod • Blinde Passagiere • Schmerzensgeld • Weitergehen • Komm doch mal • Wie es geht • Zwischen 8 und halb 10 • Nur mich


Rezension:
Martin Meinschäfer heißt der Mann, der gerade mit "Wer hat, der hat" ein neues Album veröffentlichte. Wer ihn als Musiker nicht kennt, hat seinen Namen aber vielleicht schon in Verbindung mit Henrik Freischlader, Layla Zoe oder Chris Kramer bzw. deren Platten gehört. Alle waren in irgendeiner Form schon in unserem Magazin zu Gast, und für alle (und noch für einige andere Musiker mehr) war Meinschäfer als Produzent tätig. Er selbst war in den 80ern bis in die 2000er als Frontmann der Gruppen Hob Goblin sowie Rosen & Gomorrha tätig, hat die letzten Jahre aber seine Zeit hinter den Reglern, also am Mischpult für andere Kollegen, verbracht. Nun also das "Comeback" als Sänger, dieses Mal als Solist. Und hier sollten die Öhrchen gespitzt sein, denn was der Mann da mit "Wer hat, der hat" ausgebrütet hat, fährt Dir wie ein Blitz in die Glieder. Ich erkläre mal kurz warum ...

Mit einem ziemlich düster klingenden Blues-Schleicher, den kein Geringerer als der eben schon erwähnte Henrik Freischlader mit feinsten Gitarrenläufen und -soli scharf gemacht hat, startet das 16 Lieder umfassende Werk. Der Opener trägt den Namen "Börsenmelodie", doch dieser ist trügerisch. Der Musiker hat laut eigener Aussage nämlich nix, was man dort investieren könnte. Vielmehr wird hier völlig zurecht geklagt, dass man als Musikant in der "Bundesrepublik" heute eher der Depp als der beneidete Star ist. Das Wasser ist den Künstlern aus allen Richtungen inzwischen abgegraben worden und trotzdem steht es einigen von ihnen schon bis zum Hals. Man verdient nämlich so gut wie kein Geld mehr in seinem "Beruf". Da sind all die hier besungenen guten Pläne, wie man seine Einnahmen am besten investiert, eher nur noch Theorie, als dass sie denn jemals Praxis werden können. So bedrückend die Nummer auch klingen mag, so stark ist sie in Form und Farbe. Meinschäfer schiebt den Vorhang weg und lässt den romantisch verklärten Blick auf den Traumberuf Musiker in seinem Lied auf die Realität treffen. Bitter, aber nötig!
Kein Wunder also, dass der Künstler ein paar Songs weiter, genauer gesagt in dem Stück "Willst Du meinen?", gerne seinen Job gegen den eines anderen Mitmenschen tauschen möchte. Waren die geringen Einnahmen im Opener noch der Grund für graue Haare, ist es in diesem Lied der mit einem "unüberhörbaren" Augenzwinkern beschriebene Stress, den der Beruf als Musiker auslösen kann. So macht er im Text das verlockende Angebot, all seine Lieder und sogar seine Gitarre mit dem Job gleich mit abgeben zu wollen, wenn er ihn denn nur jemandem andrehen könnte. Der in einem feinen Folk-Pop-Song gebettete Inhalt ist natürlich nicht ernst gemeint, denn eigentlich macht der Beruf des Musikers doch Spaß, auch wenn im Publikum die Hyänen hocken und auf das Scheitern des Vortragenden warten. Wie sonst kann man solche starke Songs abliefern?
Mit Trompete und Saxophon wartet "Bunt" auf, ein waschechter Deutschrocker mit leichten Ska-Spritzern, der vom "farbenfrohen" Leben des Sängers berichtet, das alles andere als nur Schwarz oder Weiß ist. Insgesamt ist hier ein Gute-Laune-Song entstanden, der das Zeug zum Radiohit hätte, wäre er eine Single und zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ebenso wie das zwei Lieder weiter geparkte "Das Babylon System", das ebenso ein positive Energie versprühendes Stück Liedschmiedekunst ist. Genauer gesagt handelt es sich um einen Reggae, in dem von übersprudelnd guter Laune ganz ohne ein vorher gerauchtes Tütchen berichtet wird. Quasi als wenn einem am frühen Morgen der Frühling in die Knochen fährt und alles plötzlich ganz leicht ist. Sowas soll es ja geben und manch einem da draußen passieren solche Tage, an denen sich das "ganze Dunkelgrau eine gute Laune anschminkt" und wo das Babylon System nur noch ein schwarzes Brikett ist. Das Leben könnte so schön sein ...
Eine Till-Brönner-Trompete, gespielt von Joo Kraus, einem alten Bekannten aus Martin Meinschäfers oben erwähnter Ex-Band Rosen & Gomorrah, empfängt Dich in "Wahnsinnig". In einer anfangs angejazzten Nummer, die nach Hinten raus eine Steigerung hin zur Samba mit viel Temperament erfährt, geht es um dieses wahnsinnig schöne Gefühl, das man mit einem besonderen Menschen empfindet, der die Welt überall etwas anders als man selbst sieht und Farben dort finden kann, wo man eigentlich nur Grau erkennt. Eine schöne Komposition, die in ihrer Umsetzung so ganz anders wie alle anderen Lieder dieser CD klingt.
Genauso anders, wie Martin Meinschäfers Umgang mit dem Thema Umwelt im direkten Vergleich zu seinen Kolleginnen und Kollegen. In "Blinder Passagier" bekommen wir nämlich alle unverblümt unser Fett weg, denn "Mutter Erde schreit" (sie hat die Faxen dick). Und während sie schreit und weint, denkt jemand im Refrain darüber nach, wo er auf dem schnellsten Wege seine "Health & Fitness Smart Watch" her bekommt. Ausgesprochen gut auf den Punkt gebracht, dass wir uns alle mit viel zu viel unwichtigem Blödsinn statt mit dem Erhalt unserer Species und unseres Lebensraums beschäftigen. Er mahnt hier nicht, hebt nicht den belehrenden Zeigefinger, sondern bringt gleich die unschönen Fakten auf den Tisch, z.B. dass wir Wind gesät haben und nun den Sturm ernten, der uns als laues Lüftchen einfach weggeweht. Wir sind die neuen Dinosaurier, die schließlich auch von heute auf morgen von der Welt verschwunden sind. Hübsch verpackt wird die Endzeitstimmung in einem stampfenden Rocksong mit Saxophon-Einsatz.
Auch ein Rocksong ist das Lied "Weitergehen", in dem mit eine der schönsten Liebeserklärungen steckt, nämlich die, dass die Welt um einen herum ruhig zerfallen kann, Hauptsache SIE bleibt an seiner Seite ("Komm rüber mein Mädchen und küss mich nochmal, dann wird's auch weitergehen"). Damit wäre zu dem Thema alles gesagt, weitere Exemplare von Liebesliedern braucht es nun keine mehr!
Weniger fest als die in "Weitergehen" besungene Liebe ist bekanntlich eine Affäre, und um die geht es im Song "Zwischen 8 und halb 10". In diesem kleinen Zeitfenster spielt sich diese Beziehung zwischen Mann und Frau ab, bei der auf das Vorhandensein eines Ehepartners gepflegt ein Ei gepellt und munter anderweitig geliebt wird. Ein radiofreundlicher Popsong ist das musikalische Zuhause dieser Geschichte, in der Mann und Frau die Heimlichkeiten in diesem eng bemessenen zeitlichen Rahmen genießen. Die katholische Kirche wird diese Nummer ganz sicher nicht in ihr Gesangbuch aufnehmen, aber das dürfte den Künstler ebenso wenig jucken wie den Zuhörer, der hier den Voyeur spielen und an einem solchen Abenteuer theoretisch teilhaben darf.
Wie eingangs erwähnt, warten insgesamt 16 und somit noch weitere als die hier gerade vorgestellten Lieder auf den Hörer, die ich aber an dieser Stelle nicht alle auseinander nehmen und ihre Inhalte verraten möchte. Dies möge der nun neugierig gewordene Leser bitte selbst tun, und ich wünsche ihm an dieser Stelle schon viel Spaß dabei.

"Wer hat, der hat" ist ein tolles Beispiel dafür, dass man sehr wohl noch ansprechende deutsche Musik im Bereich Pop und Rock machen kann, die mit echten Instrumenten und nicht mit irgendwelchen Programmen am Computer hergestellt wurde. Ebenso zeigt die Platte, dass es nicht der erschreckend belanglose Mumpitz sein muss, der ins künstlich erzeugte Arrangement gehustet wird. Man kann sein Publikum auch super mit Inhalten unterhalten, so dass es schnell merkt, dass sich Zuhören auch lohnen kann. Bei solchen Texten dürfte manch ein Kappen-Kasper aus den Casting-Jurys und seine Artgenossen aus der Marionetten-Fabrik unserer heimischen Musikindustrie nur staunen, was da mit Worten und gut gewählten Themen so alles möglich ist und wie geil das alles zusammenpassen kann. Meinschäfers feine Kunst, so intelligente Texte mit teils kritischen, teils zynischen, aber immer auf den Punkt kommenden Ansagen zu schreiben, findest Du leider nicht mehr allzu oft. Martin Meinschäfer ist nicht nur mit seinen Texten, sondern auch als Musiker und Sänger eine wohltuende Abwechslung in der heutigen Zeit. Das Album steckt in Bezug auf seine Musik voller Abwechslung und bietet Dir als Hörer einen spannenden Ausflug, der über 70 Minuten dauert. Hier kommt wirklich jeder auf seine Kosten. Du hörst Rock, Blues, Pop, Latino, Folk, Jazz und so manch andere Spielart aus der weiten Welt der Musik. Wer hat, der hat oder anders: Wer kann, der kann! Von mir gibt es jedenfalls die absolute Kaufempfehlung. Ein im vollen Umfang gelungenes Album mit Spaß-Garantie für alle Lebenslagen.
(Christian Reder)





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