Manuel Schmid & Marek Arnold: "Zeiten" (Album)

lp04 20181231 1956299060VÖ: 11.01.2019; Label: A&O Records/nova; Katalognummer: 4251287600575; Musiker: Manuel Schmid (Gesang, Tasteninstrumente, Percussion), Marek Arnold (Tasteninstrumente, Saxophone), René Niederwieser (Gitarre), Ralf Dietsch (Gitarre), Knut Kielmann (Gitarre), Denis Straßburg (Bass), Peter Rasym (Bass), Marion Dreßler (Violine), Isolde Dreßler (Violine), Markus Dreßler (Violine, Bratsche), Carmen Dreßler (Cello), Ekkehard Dreßler (Percussion), Clemens Litschko (Schlagzeug); Bemerkung: CD im Jewel-Case. Ausschließlich auf CD erschienen. Einseitiger Einleger statt Booklet/kein Abdruck von Songtexten;

Titel:
Doch dann dreht sich die Welt • Kleines Glück • Tagtraum • Irgendwann • Raum der Illusion • Diese Zeit • Zeig mir Dein Gesicht • Stiller Schrei


Rezension:
"Zeiten", so heißt das nun vorliegende Album von Manuel Schmid und Marek Arnold. Und im Zusammenhang mit Manuel Schmid und "Zeit" stellt sich dem Beobachter auch die Frage, ob er neben der Musik überhaupt noch etwas anderes macht. Es kann gar nicht anders sein, als dass dieser im eigenen Studio ganz offenbar auf dem kleinen Bänkchen vor seinem Keyboard oder im bequemen Ledersessel vor seinem Mischpult auch nächtigt, denn bei dem engen Terminkalender und der Vielzahl der Aktivitäten dürfte ein Bett wohl kaum zum Besitz des 34-jährigen Altenburgers gehören. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Stern-Combo Meißen wieder neue Platten veröffentlicht, Schmid selbst innerhalb von gefühlt zwei Wochen ein Studio- und ein Live-Album unter das Volk bringt, an diversen anderen Projekten (u.a. mit Hans die Geige oder CYRIL) mitwirkt, bei allen bedeutenden Events der letzten Monate live auf der Bühne zu erleben war und nun auch noch das eingangs erwähnte Werk auf die Beine stellen kann? Keine Ahnung, wo er das alles herholt und ob sein Tag - anders wie unserer - mehr als 24 Stunden hat. Fakt ist aber, dass wir nun schon wieder über ihn und eines seiner Erzeugnisse berichten können. Dieses Mal über eins, das er gemeinsam mit eben erwähntem Marek Arnold aufgenommen und veröffentlicht hat. Jenem Marek Arnold, der bis Sommer 2012 selbst Teil der Stern-Combo Meißen war und auf dem Album "Lebensuhr" (2010) deutliche Fingerabdrücke hinterließ. Schon zu seiner Zeit bei der Combo fiel auf, dass auch er wohl ausschließlich für die Musik lebt. Argos, Cyril, Damanek, Karibow, Southern Empire, Toxic Smile, Seven Steps to the Green Door (SSTTGD), Subsignal, United Progressive, Fraternity ... soll ich fortfahren? Fest oder als Gast musiziert der in Remse beheimatete Multiinstrumentalist in verschiedenen Kapellen und veredelt dort den Sound durch Bedienen der Tastatur oder eines von verschiedenen Saxofonen.

Auf "Zeiten" biegen beide Musiker mit ihrem Kahn in andere Gewässer ab und verlassen die raue See des ihnen doch so vertrauten Metal und Prog-Rock, um sich bei einem anderen Wellengang auszuprobieren. Die beiden zetteln mit der Wahl ihrer Musik bzw. ihrem eigenen Sound definitiv keine Schlägerei an, sondern locken ihre Zuhörer zum gemütlichen Chillen. Und die, die sich locken lassen, machen ganz wunderbare Erfahrungen mit feinen orchestralen Ornamenten, dem herrlichen Klang von Mareks Saxophonen und vielen überraschenden Beigaben wie Streichern ("Stiller Schrei") und E-Gitarren ("Irgendwann"). Ebenso viel Spaß wie die Musik machen auch die Texte. Die Botschaften der beiden Herren werden nämlich nicht deutlich formuliert. Man tut es nicht, um sich vor einer klaren Aussage zu drücken, sondern versucht sich im bewussten Offen- und Überlassen, um die Hörer herauszufordern und deren Aufmerksamkeit zu schärfen. Und damit sich der Hörer auch nicht drücken kann und wirklich zuhören muss, fehlt ein Booklet mit Textabdruck. "Lass Dich nicht ablenken - hör mir zu", schreit Dich das schlichte Artwork der CD an, das ohne den Abdruck der beiden halben Köpfe unserer Hauptakteure ein schlichtes Cover in schwarz/weiß und nur mit gedruckten Buchstaben wäre. Da lenkt gar nix ab! Der Genießer kommt aber voll auf seine Kosten und er wird dieses Anderssein der Musik auch zu schätzen wissen. Das inzwischen von all den hippen Singer-Songwritern unseres Landes überstrapazierte "Leben, Tanzen, Lieben, Feiern" sucht man hier lange und vergeblich. Warum nicht mal die Poesie oder die Doppeldeutigkeit bemühen und sie mit den zu Klängen gewordenen Ideen aus den Köpfen verbinden? Auf rasende Geschwindigkeit und Hektik verbreitende Klang-Kaskaden wird verzichtet, ebenso auf das Überfrachten der Arrangements mit noch einer Feinheit, und noch einer ... und noch einer ... Dieses Kunststück, genau die richtige Mischung zu finden, setzt das Duo mit seinen Gastmusikern im Studio ausgesprochen gut um. So gut, dass man vom Ergebnis begeistert und nicht chloroformiert wird. Es geht sehr entspannt zu, und trotzdem trifft man genau den Punkt, wo aus einem schlichten Lied ein Ohrwurm wird. Eine Melodie, die haften bleibt und die es sich im Gedächtnis der Leute gemütlich macht.

Ein paar der Kompositionen (z.B. "Doch dann dreht sich die Welt", "Raum der Illusion", "Diese Zeit") entstanden bereits für Marek Arnolds Bands TOXIC SMILE und CYRIL, wurden aber komplett neu arrangiert und mit deutschen Texten versehen. Die anderen Lieder sind komplett neu und für dieses Album entstanden. Beim ersten Hören der Platte sticht der Titel "Zeig mir Dein Gesicht" ins Ohr. Das Arrangement und der Klang erinnern stark an die von Marek Arnold geschriebenen Titel für das "Lebensuhr"-Album der Stern-Combo Meißen (2010), werden aber nicht als Selbstplagiat sondern als wohltuende Weiterentwicklung seiner doch wiedererkennbaren Handschrift empfunden. Ebenfalls auffällig ist der "Tagraum", der ausschließlich über seinen Text, Schmids Gesang und das Hauptinstrument Klavier funktioniert. Bemerkenswert, wie viel so wenig "anrichten" kann. Und wo wir schon bei Auffälligkeiten sind: "Stiller Schrei" mit seinen Klassik-Elementen lässt die Stimmung der vergangenen Minuten nochmals in eine andere Richtung abdrehen. Insgesamt haben wir acht Songs, deren innere Schönheit und äußeren Glanz jeder für sich selbst entdecken sollte und dabei feststellen kann, dass das Ende der Popmusik noch längst nicht gekommen ist ... Als Bonus - und nicht auf dem Cover vermerkt - gibt es am Ende der CD als sogenannte "Hidden Tracks" noch vier Edits einzelner Songs für einen möglichen Einsatz beim Rundfunk. Da dürfen die Lieder ja nicht länger als drei Minuten irgendwas sein. Damit hält man sich "an die Regeln" und einer Aufnahme ins Tagesprogramm der Radiostationen steht doch jetzt nichts mehr im Wege, oder?

Zeit braucht es, um das Album "Zeiten" in all seinen Facetten zu erkunden. Mag vieles auf den ersten Blick Popmusik sein, durchbrechen Schmid und Arnold die Leitplanken in den Kurven, denn ihre Ideen von Musik lassen sich nicht auf eine asphaltierte Strecke ohne die Möglichkeit des Ausbrechens schicken. Ihre Musik ist nicht hermetisch sondern rezeptiv. Auch in Sachen Texte geht man abseits der ausgetretenen Pfade umher, bedient sich bilderreicher Sprache, schon angesprochener Poesie und zu Zeilen gefalteter Gedankenketten, die ihren Zuhörern allesamt viel Zwischenraum für eigene Interpretationen lassen, denen aber durchaus auch eine deutliche Botschaft inne wohnen kann. Manch ein Lied rauscht wie ein Film an Dir vorbei, andere nehmen Dich sacht an die Hand und führen Dich. "Zeiten" ist ein Höhepunkt deutscher Pop-Musik und die Verspieltheit der Schöpfer sollte sich weit verbreiten und eine ansteckende Wirkung auf andere Musiker entfalten. Mehr davon bitte!
(Christian Reder)