Rockhaus: "Tempozoo" (Album)

lp12 20191018 1715354563VÖ: 25.10.2019; Label: Killingkilian Records/Buschfunk; Katalognummer: nnb; Musiker: Mike Kilian (Gesang, Gitarre), Reinhard Petereit (Gitarre), Robert Protzmann (Bass), Michael Haberstroh (Schlagzeug); Produzent: Rainer Oleak; Bemerkung: Auf CD und Schallplatte erschienen;

Titel:
Bleib heut' bei mir • Regen • September • Energie • Windmühlen • Tief unten • Tempozoo • Die wahren Verlierer • Vertrauen und verzeihen • Willkommen im zweiten Leben • Was wäre wenn • Das Große und Ganze • Nullen und Einsen


Rezension:
Man muss weder ein Mathematik-Genie noch ein Musikexperte sein, um zu erkennen, dass Musiker einer Rockband, die nunmehr den 40. Jahrestag der Gründung ihrer Kapelle feiern können, vom Alter her längst näher an den AMIGOS als an der Goitzsche Front sind. Die mit ihnen alt gewordenen Fans haben die BRAVO auch schon Jahre lang nicht mehr in den Händen gehalten und greifen inzwischen vermehrt zur Apothekenrundschau oder zur Super ILLU. Nicht selten wirkt sich das Alter der Musiker auch auf ihre Musik aus und was einst brettharter Rock und erdiger Sound war, wird von Jahr zu Jahr weicher und belangloser, damit die eigenen und mitgealterten Fans bei der Medikamentenausgabe vor Schreck nicht die Tabletten fallen lassen. Ausnahmen bestätigen die Regel, denn bei ROCKHAUS spielt das Alter irgendwie keine Rolle. Weder auf die Musiker noch auf ihre Musik hat die Zeit bisher irgendeinen Einfluss genommen. Man ist von der inneren Einstellung her dann auch eher mit den Rolling Stones verwandt, und auch die Fans der Band lassen beim Abrocken doch lieber noch das Haupthaar fliegen als sich in eine Polonaise einzureihen. ROCKHAUS liebte und lebte die Rockmusik bisher immer. Ob das auf dem neuen Album auch so ist?

Es gibt Momente, die machen Dir unmissverständlich klar, wie lang Sekunden sein können und wie viel Effekt etwas eigentlich so Kleines, wie das neue Album einer Rockband, haben kann. Der Moment zwischen dem Erhalt des neuen ROCKHAUS-Albums "Tempozoo" und den ersten ans Ohr gelangenden Tönen des Openers "Bleib heut' bei mir" war so ein endlos lang erscheinender Moment. Die Spannung und Neugier auf das Nachfolgewerk von "Therapie" war schon lange ziemlich groß und auf dem Höhepunkt angelangt. Diese letzten Meter, bevor man Antworten auf so viele Fragen bekommt, sind länger als man denkt. Immerhin ist in den letzten Jahren bei dieser Band viel passiert und auch aufgrund dieser Ereignisse ist aus der lange Zeit als Quintett auftretenden Gruppe inzwischen wieder ein Quartett geworden. Wie wird gerade diese Veränderung klingen? Zu allem Überfluss musste sich mit Robert Protzmann als Vertretung für Maxs Repke auch noch ein neuer Bassist in die Bandphilosophie rein fuchsen ... Viele Veränderungen auf einmal, die Unsicherheiten beim Anhang auslösen können. ROCKHAUS wäre nicht die erste Band aus unserer Szene, die durch den Verlust eines Kollegen die Erwartungen an sie nicht mehr erfüllen kann. Dann läuft die Musik endlich und Du hörst Mike Kilian mit einem aus tiefster Seele kommenden "Wohoho"-Gesang loslegen. Die Anspannung und die Aufgeregtheit fallen von Dir ab und Du bist plötzlich mittendrin in dem neuen ROCKHAUS-Kapitel ihrer inzwischen 40 Jahre andauernden Geschichte. Es bedarf keines Moments, um damit warm zu werden - Du bist sofort "zu Hause".

Als erstes fällt der satte Sound der Scheibe auf. Die Musik hat Tiefe und ordentlich Druck. Das verwundert aber nicht sonderlich, denn man war wieder bei Rainer Oleak in dessen Tonscheune, um die neuen Lieder dort sachgerecht einfangen zu lassen. Damit hat man in den vergangenen Jahren und mit den Vorgänger-Alben schon gute Erfahrungen gemacht und auch auf "Tempozoo" kann man deutlich hören, dass "Ole" die Band versteht und genau weiß, wie man sie gut in Szene setzen kann. Und noch etwas fällt auf ... Robert Protzmann bringt einen eigenen Stil beim Bassspiel mit, den man in den Liedern sehr gut heraushören kann. Dass Bassist eben nicht immer gleich Bassist ist, kann man immer wieder mal feststellen. Hier fällt der Unterschied zu Repke aber doch auf, denn Robert verleiht dem Sound hier eine neue Farbe. Vielleicht fällt gerade das auch nur deshalb so auf, weil in den Liedern etwas anderes doch merklich fehlt. Der Keyboard-Sound von beathoven ist nicht mehr da. Die Band hat mit Carsten ein wichtiges Mitglied verloren, und will ihn offenbar nicht so einfach durch einen anderen Keyboarder ersetzen. Also passt sich der Sound den geänderten Umständen an - und nicht umgekehrt.

Bei den Inhalten spricht man auf "Tempozoo" ein erwachsenes Publikum an. Menschen, die mal einen Klaps zum Weitergehen brauchen ("Regen"), Menschen, die in einer Beziehung zum völlig uninteressanten Teil geworden sind ("Windmühlen"), Menschen, die an einem Tiefpunkt im Leben angekommen sind ("Tief unten") aber auch Menschen, die mit dem rasanten Leben da draußen auch mal überfordert sind ("Tempozoo"). Die Band greift Themen auf, die den Mittzwanziger genauso betreffen, wie den 66-jährigen Rentner, und sie bedient so ein breites Publikum mit Statements und Sichtweisen, verpackt in feinstem Rock'n'Roll. Da blubbert der Bass von Einwechselspieler Protzmann wie bei den Bands der Post-Punk-Zeit in den frühen 80ern, da trommelt Heinz Angel in feinster Party-Stimmung wie bei "Walking On Sunshine" von Katrina & The Waves, an anderer Stelle blicken die guten alten 60er im Arrangement durch und über allem thront die unverwechselbare Stimme des Mike Kilian. Speziell sie darf man wohl als Geschenk Gottes für diese Band bezeichnen. Völlig egal, welchen Weg ein Song gerade einschlägt, die vier Rockhäuser haben die Landschaft ringsherum ansprechend und spannend ausgeschmückt. "Da ist diese Energie, bis ans Ende dieser Welt", die der Band inne wohnt und die in jedem Ton dieses Albums steckt. Überwiegend laut sind sie, die vier Jungs und überwiegend nach vorn gehend ist ihre Musik. Die eine oder andere etwas ruhigere Nummer ("Tief unten", "Die wahren Verlierer", "Vertrauen und verzeihen") lockert das Programm auf und sorgt für Momente des "sacken-lassens", aber hauptsächlich gibt es in Sachen Musik hier ordentlich eins auf die Zwölf.

Das Album ist von vorn bis hinten voller Power und Kraft, sowie zeitloser Rockmusik, mit der sich die Band in neuer Besetzung zurückmeldet. Hatte man nach dem 31. Januar 2017 die Befürchtung, die Band würde das Geschehene nicht verkraften und daran evtl. zerbrechen, kann sich jetzt darüber gefreut werden, dass das nicht passiert ist. Als würden sie von ihrem verstorbenen Freund beathoven angetrieben, erfüllen sie den für die letzte gemeinsame Tour geäußerten Wunsch des Tasten-Mannes nach Lautstärke auch über dessen Tod hinaus. Die Lieder auf "Tempozoo" sind kein letztes Aufbäumen, sondern ein deutliches Zeichen für einen festen Stand auf weichem Grund. Außerdem strahlen sie Selbstsicherheit und Selbstvertrauen aus und auch Spaß! Spielspaß! Den transportiert das Berliner Ensemble ebenso wie die körperlich und geistig offenbar immer noch vorherrschende Jugendlichkeit ihrer Protagonisten. ROCKHAUS darf sich ohne Hemmungen haben zu müssen dann auch tatsächlich eine "Rockband" nennen. Sie lässt es scheppern und krachen, verbreitet Lust auf diese Musik und steckt seine Hörer förmlich an, ihren "Tempozoo" gleich mehrfach zu besuchen und am rasanten Leben teilzunehmen - ja, raus in den "Regen" zu kommen! Wenn ich nach 40 Jahren Berufsleben auch noch so viel Pfeffer im Hintern, Rock'n'Roll in den Adern und Heißhunger auf Musik habe, danke ich dem Herrn auf Knien!
(Christian Reder)





Videoclip/EPK:




   
   
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