Bobo + Herzfeld: "Blick in den Strom" (Album)

boboherzfeld2018 20180907 1634679043VÖ: 28.09.2018; Label: Traumton Records; Katalognummer: 4662; Musiker: Christiane "Bobo" Hebold (Gesang), Sebastian Herzfeld (Klavier, Harmonium, Bass, Metallinstrumente, Trompete), Yogar Zabélow (Akkordeon); Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak mit dickem Booklet und darin enthaltenem Abdruck der Songtexte;

Titel:
Der Freund • Freudvoll, leidvoll • Wolken, wälderwarts • Auf den Wogen • Blick in den Strom • Erinnerung • Mondnacht • In der Fremde • Iphigenie • Mein Herz, ich will dich fragen • Hoch auf dem gelben Wagen • Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen


Rezension:
Vertonte Gedichte? Da werden manche sagen: Gab es doch alles schon, auch mit moderner Lyrik. „Schönherz & Fleer“ nahmen sich beispielsweise besonders Rainer Maria Rilke an. Oder das „Hermann Hesse Projekt“, das die eigene Vorliebe im Namen trägt. Ein Beispiel aus der Klassik ist sehr bekannt: Der „Erlkönig“ („Wer reitet so spät durch Nacht und Wind ...“) in der dramatischen Ballade von Johann Wolfgang von Goethe. Der unvergessene Lied- und Opernsänger Dietrich Fischer-Dieskau sang den Erlkönig besonders hingebungsvoll. Ja, es ist in dieser Hinsicht wirklich nichts Neues. Was kann man dem bald erscheinenden Album von Bobo & Herzfeld also „Neues“ abgewinnen?

Aber zunächst sei ein Rückblick auf das Schaffen dieses Duos gestattet. Bemerkenswert, dass ihnen bereits für ihr Debüt „Lieder von Liebe und Tod“ im Jahr 2008 der Weltmusikpreis RUTH zugesprochen wurde. Mit „Liederseelen“ (2013) setzten sie ihren sicher nicht mit Geldscheinen gepflasterten Weg mit vertonter deutscher Dichtkunst fort.

Apropos Bobo: Sie heißt in Wirklichkeit Christiane „Bobolina“ Hebold und darf ruhig als Ikone der Indie-Rock-Szene bezeichnet werden. In den 90er Jahren machte sie nämlich mit ihrer Band BOBO IN WHITE WOODEN HOUSES auf sich aufmerksam. Bemerkenswert, dass sich nach einigen Alben eine Zusammenarbeit mit dem London Session Orchestra, den Produzenten Blank & Jones oder auch Rammstein mit dem Song „Engel“ ergab. Ja sie hat in der Tat eine engelsgleiche Stimme, die über der Musik zu schweben scheint.

Sebastian Herzfeld ist Film- und Theaterkomponist. Als Multiinstrumentalist lotet er das musikalische Spektrum mit „Präpariertem Klavier“ (!), Harmonium, Bass und verschiedenen Schlaginstrumenten aus und kreiert magische Momente, wenn sein manchmal mit psychedelischen Passagen angereicherter Klangteppich die helle Stimme von Bobo trägt. Kein Wunder, denn als Student der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ spielte er danach mit vielen namhaften Musikern der Jazz- und Weltmusikszene zusammen. Diese Erfahrungen schlagen sich auch in der vorliegenden Produktion nieder.

Ich möchte nur einige Lieder herausgreifen. „Der Freund“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Joseph von Eichendorff zieht sofort in seinen Bann. Mit fast flüsternder Singstimme nimmt uns Bobo mit in dieses romantische Gedicht. Die wunderschöne Komposition mit Klavierbegleitung und stimmungsvollem Hintergrund ist eine ideale Verbindung mit dem Text. Der zweite Titel „Freudvoll, leidvoll“ (Klärchens Lied) gilt als eines der schönsten lyrischen Gedichte von Goethe. Es wurde u.a. von Beethoven und Schubert klassisch vertont. Dieses Gedicht möchte ich als einziges hier einfügen:

Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt –
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.


So geht es auch: Flott gesungen und modern arrangiert. „Auf den Wogen“ ist eine sphärische Komposition mit Klavier und anderen leicht verfremdeten Instrumenten. Es gibt noch zwei weitere Instrumentals, die eine sinnvolle Verbindung mit der gesungenen Dichtkunst darstellen. Bei „Iphigenie“ hört man im Hintergrund Bobo, wie sie mit wortlosem Gesang improvisiert.

Natürlich muss man den Titelsong der CD „Blick in den Strom“ erwähnen (nach einem Gedicht von Nikolaus Lenau). Ein Kunstlied par excellence. Bobo bringt uns mit fast suggestiv wirkender Stimme dieses Gedicht dar, mit Klavier- und Streicherbegleitung. Eine Komposition mit Gänsehautfeeling. Ein Kunstlied, wie man es aus der Klassik kennt. Traumhaft schön! „Hoch auf dem gelben Wagen“. Das hat der 2016 verstorbene Bundespräsident Walter Scheel in einer volkstümlichen Version bekannt gemacht. Bobo hält sich zwar grob an die bekannte Melodie, singt sie aber meist in Molltönen. Packend und – eben nicht vergleichbar mit der Frohnatur Scheel, der auf dem gelben Wagen sitzt und das Lied trällert.

Resümee:
Es sind beeindruckende Kunstlieder in modernem Soundgewand. Es rentiert sich, die genannten Gedichte in einer ruhigen Stunde am besten parallel zum gesungenen Lied mitzulesen. Musik zur Entschleunigung - mit magischen Momenten, wie ich schon schrieb. Leider haben viele Menschen vergessen, was es bedeutet, im „Land der Dichter und Denker“ zu leben (gibt es das überhaupt noch in der Gegenwart oder im Sprachgebrauch?). Und was alles in dieser Sprache an sanfter oder dramatischer Poesie ausgedrückt werden kann ... Für „Mainstreamverweigerer“ ein absolutes MUSS!
(Gerd Müller)





Trailer:








   
   
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