Judith Holofernes: "Ich bin das Chaos" (CD Album)

holoferneschaos 20170529 1033103141VÖ: 17.03.2017; Label: Därängdängdäng Records; Katalognummer: 5054197513220; Produktion: Pola Roy, Teitur; Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak mit im Booklet abgedruckten Songtexten;

Titel:
Der letzte Optimist • Oder an die Freude • Charlotte Atlas • Analogpunk • Die Leiden der jungen Lisa • Der Krieg ist vorbei • Ich bin das Chaos • Das Ende • Oh Henry • Unverschämtes Glück • So weit gekommen


Rezension:
Es ist das zweite Album von JUDITH HOLOFERNES nach dem Ausruf der "vorübergehenden Pause" ihrer Band WIR SIND HELDEN. Nach "Ein leichtes Schwert" (2014) ist mit "Ich bin das Chaos" bereit im März ein neues Werk erschienen. Wie schon der Vorgänger sorgt auch das neue Album - trotz manch dunklem Moment - in erster Linie für Frohsinn und macht mächtig viel Spaß, wirkt im direkten Vergleich allerdings aufgeräumter und geordneter. Dies mag u.a. vielleicht auch daran liegen, dass sich die Sängerin und Songschreiberin mit dem von den Faröer-Inseln stammenden Musiker Teitur - der übrigens im gleichen Jahr (2003) sein Plattendebüt feierte wie damals WIR SIND HELDEN - Unterstützung mit ins Studio genommen hat. Zur Zusammenarbeit zwischen Judith und Teitur kam es durch das Lied "Catherine The Waitress" des Faröer Musikers, das die Deutsche bei ihren Konzerten coverte und als "Jonathan der Kellner" vortrug. Teiturs Manager wurde bei YouTube, wo diese Version als Clip zu finden ist, darauf aufmerksam und ehe man sich versah, arbeiteten die zwei Künstler zusammen. Sie besuchte ihn auf den Färöern, und beide arbeiteten dort eine Woche lang an Liedern für ihr Album. Mag sein, dass es seine ordnende Hand war, die "Ich bin das Chaos" musikalisch hat nachvollziehbarer werden lassen, sein Einfluss ist jedenfalls unüberhörbar. So fließen hier mal dezente Streicher-Parts in die Lieder ein, an anderer Stelle auch mal eine schöne Melodie auf dem Klavier. Eine der Hauptzutaten für Holofernes-Lieder ist aber geblieben, und ist seit den Anfängen der HELDEN eine wichtige Konstante, nämlich die große Gabe der JUDITH HOLOFERNES Lieder nicht nur gesanglich, sondern vor allen Dingen auch inhaltlich höchst ansprechend mit Leben zu füllen.

Tauchen wir mal ein in das neue Album: "Der letzte Optimist" ist ein ziemlich depressives Lied, das sich musikalisch mehr so dahin schleppt und auch von der Vortragsform her nicht gerade von Hoffnung gesponsert wird. Die Zeilen, "Deine Freunde sind schon gegangen / wussten nichts mehr mit sich anzufangen / So eine Nacht wird ja auch lang / wenn man eh nicht helfen kann / Du liegst immer noch auf dem Weg vor ihrem Haus / Und ja, es sieht nicht so gut für dich aus", beschreiben die desolate Situation eines Menschen, der immer an das Gute glaubte und nun am Boden liegt. Dieses bleischwere Stück stellt die Künstlerin gleich an den Anfang ihres Albums. Mutig, seine Hörer mit solch finsterer Stimmung zu empfangen, aber Mut wird bekanntlich ja belohnt. Der Titel weiß nämlich absolut zu gefallen, weil er einfach perfekt gemacht ist und das Anliegen der Künstlerin hervorragend transportiert. Dagegen hat das Lied "Die Leiden der jungen Lisa" eine ganz andere Botschaft. Mit den Worten, "Lisa, hör auf zu leiden / Du musst Dich jetzt entscheiden / Ob Du glücklich sein willst", fordert die Holofernes zu eher gedämpfter Musik mit Klavier, Streichern und Perkussion eine Lisa dazu auf, die AkadeMIMIMI zu verlassen und den Hintern hoch zu kriegen. Weniger Jammern und mehr Handeln ist die Devise, die so manchem Zeitgenossen in diesem doch eher von ständiger Empörung über irgendwelche Nichtigkeiten beherrschten Alltag gut tun würde. Aber es gibt auch wieder die Lieder mit dem Holoferneschen Wortwitz, den man schon zu HELDEN-Zeiten zu schätzen wusste. Der rock'n'rollig ausgefallene "Analogpunk" ist z.B. eine herrliche Gegenüberstellung des analogen mit dem digitalen Lifestyle ("Ich Hotspot, du Foxtrott / Ich Memo, du Demo / Ich Fire Wall, du Thor Heyerdahl / Ich Excel, du Texel"). Da kommt sowohl vom Text als auch von der Musik her ordentlich Stimmung auf. Gleiches Kaliber weist das punkrockig ausgefallene "Das Ende" auf. Mit den Worten, "Die Geschichte der Welt ist ein ödes Buch / aber jeder muss es lesen / berechenbar und schlecht erzählt / und voll verquerer Thesen / Aber immerhin weiß man immer wer gewinnt / Aber immerhin weiß man immer wer verliert", bringt es die Holofernes da doch exakt auf den Punkt. Ebenfalls eine ganze Menge Spaß steckt in "Oder an die Freude", in das mal eben locker flockig eine Ukulele und eine Trompete mit eingebaut wurden um der Nummer so einen sommerlich-leichten Anstrich zu verleihen. Die bekannte Melodie der "Ode an die Freude" thront mit verändertem Text und komplett anders arrangiert als die klassische Vorlage am Beginn und im Refrain der Nummer. Sehr schöne Idee, sehr schön umgesetzt. "Charlotte Atlas" ist eines der Stücke, die auch auf einem HELDEN-Album zu finden sein könnten. In typischer und tanzbarer Punk-Pop-Machart damaliger Hits wie "Guten Tag" rockt und poppt sich die Künstlerin hier ganz elegant durch knapp drei Minuten. Nicht weniger ins Bein und Ohr geht der dem Album seinen Namen gebende Song "Ich bin das Choas". Hier wurde vom Instrumentarium her das volle Besteck aufgefahren ... Bläser, Chöre, Moog, Xylofon, Streicher ... Ohne überfrachtet zu wirken scheppert und knallt hier eine echte Hymne aus den Boxen und der Refrain ist ein echter Ohrwurm. Völlig zu Recht ist es als Single ausgekoppelt worden.

Auf der Reise von melancholischer Traurigkeit bis zur unendlichen Fröhlichkeit gibt es zahlreiche Haltestellen, die die Holofernes auf "Ich bin das Chaos" offenbar alle angesteuert hat. Musikalisch wechseln sich laute und leise Töne ab und verleihen der Scheibe eine wunderbare Abwechslung, die man auch in den Inhalten finden kann. Auch auf dem neuen Album scheint die Sturm- und Drangphase der Berlinerin noch nicht beendet zu sein. Ihre Lieder klingen nach wie vor frisch und getragen von einer grenzenlosen Lust aufs Komponieren und Texten. Musik zu machen und Lieder zu erschaffen ist ganz offensichtlich eine Herzenssache der Holofernes. Und es ist schon erstaunlich, wie sie tiefgehende Geschichten und leichte Spritzigkeit gleichermaßen so in Worte verpacken kann, dass sich am Ende alles auf einem hohen Level befindet. Schön, dass es in der deutschen Musikszene noch solche Konstanten wie JUDITH HOLOFERNES gibt und ebenso schön, dass noch Platten mit solch tollen Songs erscheinen.
(Christian Reder)






Videoclips:

"Ich bin das Chaos"


"Der letzte Optimist"





 
 

   
   
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