Claudia Koreck: "Auf die Freiheit" (Album)

koreck2020 20200720 1427672364VÖ: 07.08.2020; Label: Honu Lani Records/Rough Trade; Katalognummer: 4260322420368; Musiker: Claudia Koreck (Gesang, Gitarre), Andy Bauer (Bass), Kilian Reischl (Bass), Gunnar Graewert (Schlagzeug, Percussion, Keyboards, Ukulele), Oskar Kraus (Schlagzeug), Martin Kursawe (E-Gitarre); Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak mit Booklet inkl. Abdruck der Songtexte. Dieses Album ist auch als Schallplatte erhältlich;

Titel:
Aufgwacht von den Douden • Vegas • Himmi • Vida Bonita • Es geht vorbei • Katz und Maus • Bahamas • Nia zfriedn • Indianer • Fremde Melodie • Koa Paradies


Rezension:
In Bezug auf die Musik verbinden viele von uns den Dialekt aus Bayern mit dem "Musikantenstadl" oder dem "Frühlingsfest der Volksmusik". An Rock, Blues, Soul oder andere Musikrichtungen, die nicht am Geisteszustand von Publikum und vortragenden Darstellern zweifeln lassen, denkt man da eher nicht sofort. Claudia Koreck, die bajuwarische Liedschreiberin und Vokal-Artistin aus Traunstein, die mit unglaublich guten Produktionen inzwischen seit mehr als 10 Jahren Wiederaufbauarbeit dort leistet, wo Nicki, Hansi, Flori und all die anderen Vorschunkler aus dem Volksmusikzirkus üble Terroranschläge auf das Zentrum des guten Geschmacks verübt haben, hat ein neues Album fertig. Wieder mit dem heimatlichen Zungenschlag ihrer Scholle und wieder verbunden mit guter, handgemachter Musik, die keine Grenzen zu kennen scheint. "Auf die Freiheit" heißt das Werk, und was bitteschön ist denn auch wichtiger, als die Freiheit?

Freiheit bedeutet für einen Musiker z.B., dass er unabhängig von dem Hineingequatsche kluger Plattenfirmen-Mitarbeiter selbst entscheiden kann, wie die Lieder klingen sollen, die im eigenen Kopf gewachsen sind. Es ist die Freiheit, aus einem roten Faden einen mit unterschiedlichen Farben werden zu lassen und sich damit selbst keine Leitplanken zu setzen. Und es ist die Freiheit, hier und da auch mal komplett auszubrechen und seinen Gefühlen in Wort und Ton freien Lauf zu lassen, ohne dass jemand interveniert und sagt … "Hey, aber das wird kein Radiosender spielen!" Und damit habe ich das neue Album von Claudia schon fast komplett skizziert.

Als hätte man ein Deja Vu und säße vor dem "Blues Brothers"-Film, wirken die ersten Töne des Openers "Aufgewacht von de Doudn" ("Aufgewacht von den Toten"). Entspannt lässig und angenehm bluesig bzw. soulig kommt die Nummer herein geschlendert und verbreitet prompt gute Laune. Während wir von der Künstlerin von dem Moment erzählt bekommen, in dem der Schmerz der Trennung vom Lebensgefährten verschwunden ist, und all das zuletzt so Belastende einfach von einem abfällt, lauscht man der zu Musik gewordenen Lust auf das, was das Leben ab sofort für einen bereit hält. Quasi die in Tönen eingefangene Feier "Auf die Freiheit", die sich vom Beginn der Nummer bis zum Schluss immer weiter aufbaut und dort mit einem knackigen Gitarrensolo garniert wurde.
Mit einem straighten Beat und einem treibenden Bass startet "Vegas", wohin das Lied-Ich nach einem unglücklich verlaufenen Erstkontakt auf einer Party gern unverzüglich verbracht werden möchte. "Vegas" ist eine Popnummer mit einem gehörigen Einschlag vom Zeitgeist, die sich nicht nur prima ins Radioprogramm einfügen, sondern dort qualitativ weit heraus ragen würde. Sollte es das Lied dahin schaffen, hat es gute Chancen, immer mal wieder gewünscht zu werden. Damit das passieren kann, müssten die Leute es erst einmal kennenlernen können. Und da ist jetzt der hellhörig gewordene Musikredakteur gefragt ...
Den großen Kontrast stellt die Künstlerin gleich dahinter, denn "Himmi" ist eine im Simon & Garfunkel-Stil angerichtete Komposition, die eher ruhig arrangiert von den Tönen der Akustikgitarre und dem Gesang der Künstlerin lebt. Die Percussions bilden den Sound des Zuges, in dem die Hauptdarstellerin des Songs träumend und in sich hinein lauschend sitzt, und sind nur ein Auslöser für die als angenehm empfundene Gänsehaut, die ein ums andere Mal in den knapp drei Minuten ganz automatisch aufsteigt.
An vierter Stelle folgt der für meinen Geschmack absolute Top-Favorit für den Sommerhit des Jahres, "Vida Bonita", den Claudia bereits als Videosingle und Vorbote zu diesem Album veröffentlicht hat. Es geht um den Einschlag, den man verspürt, wenn die Liebe so richtig zuschlägt. Hier gespürt in einem Moment am Morgen im Bett nach dem Aufwachen. Der Partner ist schon weg, aber es riecht noch nach ihm. Das "Leben schmeckt nach Ananas", es scheinen im Hormonhaushalt also tropische Temperaturen zu herrschen … das Leben ist schön ("Vida bonita"). Verpackt ist dieses Hochgefühl in einer großartig arrangierten Pop-Verkleidung mit blubberndem Bass, der einen von Anfang an begleitet und sich bis in die Magengrube vorarbeitet (mach es nur mal richtig laut, dann wirst Du es merken). Auf all dem instrumental erzeugten Sommergefühl tanzt die Stimme der Claudia Koreck - leicht, elegant, begeisternd!
Nicht weniger positiv vom Inhalt, von der Geschwindigkeit her aber einen Gang herunter geschaltet, drängelt sich anschließend "Es geht vorbei" in den Vordergrund. Ein ruhig arrangiertes Lied aus der Pop-Schublade mit aufbauendem Inhalt. Es ist das Lied einer Mutter an ihr Kind, dem sie durch die Irrungen und Wirrungen des Lebens helfen und auch sagen möchte, dass es dabei niemals allein sein wird. Die ewig währende Liebe sei ihm sicher, wird hier glaubhaft vermittelt. Ein Lied, das wahrlich nur eine liebende Mutter so schreiben und in Szene setzen kann.
So völlig aus dem Bild heraus sticht das Lied "Katz & Maus", in dem es um das Einlullen labiler Frauen durch redegewandt Kerle geht, die sie dann ganz leicht wie die Katze eine Maus einfangen. Elektronisch bedient man sich hier verschiedener Retro-Sounds, die teilweise auch aus dem Computerspiel-Bereich der 80er stammen. Dieses Stück erinnert stark an "Kelly Watch The Stars" der Gruppe AIR. Der Stil und die Machart sind deutlich heraus hörbar, ohne dass die eigene Handschrift von Claudia und ihrem Produzenten verwischt wurde. Etwas für die Elektronik-Fans unter den Hörern.
Das folgende "Bahamas" handelt vom Partner, der unbedingt eine Auszeit brauchte, und für eine räumliche Trennung von der Freundin die nicht gerade um die Ecke liegenden Bahamas ausgewählt hat. Passend zum hier besungenen Exil ist dann auch die Musik gewählt, die einmal mehr Sommerfeeling aufkommen lässt, das durch den Inhalt jedoch gleich wieder neutralisiert wird. Über einen Typen, der alles hat und trotzdem nicht zufrieden ist, der trotz optimaler Voraussetzungen noch immer auf Steigerungen wartet, geht es in "Nia zfriedn", einer dezent arrangierten Pop-Ballade, in der die Akustikgitarre neben der Stimme von Claudia die Hauptrolle spielt.
Mag sein, dass da - wie im Lied "Indianer" besungen - "nichts mehr unter der Haut ist", aber dafür ist dann ja Platz für eben diesen Song, der absolut unter die Haut geht. Rau und dynamisch - wie Trommeln von Indianern - klingt der Beat, der diesen Song taktmäßig antreibt. Hinzu gesellen sich einmal mehr der schon oft auf diesem Album positiv in Erscheinung getretene Bass, eine wie von The Edge (U2) gestreichelte Gitarre, ein feiner Piano-Sound und ein schmutziges Gitarrensolo gegen Ende, das in Verbindung mit Claudias so tief gehender Gesangsleistung unter der Haut, wo vorher ja noch so viel Platz war, schließlich einen regelrechten Stau entstehen lässt. Was für ein Brett, was für ein geniales Lied … beim Rezensieren hab ich es allein drei Mal am Stück gehört!
Wer bis hierher aufmerksam gelesen hat, hat mitbekommen, dass es vom Programm her ein wilder Ritt durch unebenes Gelände war - und das meine ich in diesem Fall absolut positiv! Der von mir schon genannte rote Faden ist auf diesem Album ein gebogener Draht, der zwar die Richtung vorgibt, jedoch intensive Ausflüge nach links und rechts, oben und unten zulässt. Mit den letzten beiden Songs auf der Platte setzt die Koreck dann auch noch eins oben drauf, als wolle sie diese, meine Wahrnehmung, mit Nachdruck unterstreichen!
"Fremde Melodie" könnte der Soundtrack für einen in Südspanien spielenden Film sein. Das Szenario erscheint umgehend vor dem inneren Auge: Es ist Abend, es ist warm und am Tisch einer kleinen Kneipe sitzen zwei Menschen. Einer davon ist ein Fremder und seine Geschichte ist von Interesse für den/die Andere(n). Man möchte wissen, mit wem man es da zu tun hat und welche Geschichte er zu erzählen hat. Die Frage nach der Herkunft hat da nichts mit Rassismus zu tun - es ist das pure Interesse am Menschen neben sich. Wer ist dieser Reisende? Wo kommt er her? Warum ist er soweit gereist? Schließlich wird er aufgefordert zu Tanzen, und zwar - wie das Motto dieser CD eben ist auch lautet - "auf die Freiheit". Eine spanische Gitarre, ein Kontrabass, ein dazu passender Beat und die Wandlungsfähigkeit in der Stimme Claudia Korecks, die sich her in die absoluten Höhen verirrt, sorgen für den passenden musikalischen Rahmen. Ist das schon Weltmusik, oder ist das noch Pop? Auf jeden Fall ist es genial!
Entlassen möchte uns die Künstlerin mit dem Stück "Koa Paradies", das nochmals etwas ganz anderes anbietet, was bisher hier hörbar war. Zu einer entspannt gespielten E-Gitarre singt Claudia die Einleitung einer letzten Ballade, die ziemlich melancholisch wirkt. Aber auch das ist das Leben, das man hier in 12 Songs hat hochleben lassen.

Ich schrieb es schon einmal in einer anderen Rezension, dass Claudia Koreck ein Garant für großartige Musik ist und sie einen mit ihren Platten nie enttäuscht. Sie hat vor Jahren dafür gesorgt, dass ich mich auch wieder für Musik aus Bayern interessiere, denn durch sie als Botschafterin weiß ich, dass es gutes Song-Material südlich des Weißwurst-Äquators und abseits sämtlicher Sommer, Frühling-, Winter- und Altenheimfeste der Volksmusik gibt. Und das unterstreiche ich an dieser Stelle nochmal ganz dick. Auf dieser CD befindet sich kein Song, den man als Lückenfüller oder Notlösung bezeichnen kann. Hier sind 12 Hits drauf, einer schöner als der andere, einer komplett anders als der andere. Es ist Abwechslung, es ist Mut beim Lieder schreiben und es ist die Lust am Leben, die hier im prall gefüllten Portfolio mit der Überschrift "Auf die Freiheit" stecken. Ich wünsche der Künstlerin die Aufmerksamkeit, die dieses tolle Album, das so wunderbar mit Geschichten gefüllt, mit handgemachter Musik ausgeschmückt und mit exzellenter Arbeit am Sound ausgestattet wurde, die maximale Aufmerksamkeit in einem Land, in dem die eigenen Künstler ja nichts wert zu sein scheinen, wie wir alle ja in den letzten sechs Monaten mehr als deutlich gezeigt bekommen. Doch diese Platte ist ein Heilmittel, ein Gute-Laune-Spender und ein Geschenk des Himmels, das sich unbedingt weit verbreiten muss! Internationales Format mit bayrischem Zungenschlag. Ihr glaubt, ich übertreibe? Hört selbst rein und staunt!
(Christian Reder)





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