Ringsgwandl: "Andacht & Radau" (Album)

rings2019 20190116 1497578850VÖ: 11.01.2019; Label: SONY/Blanko Musik; Katalognummer: 19075913822; Musiker: Georg Ringsgwandl (Gesang, Akustikgitarre), Daniel Stelter (Gitarren, Keyboard, Chor), Mario Schönhofer (E-Bass, Synthie, Chor), Mario Garruccio (Schlagzeug, Percussion, Chor); Bemerkung: CD im aufklappbaren Digipak inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte;

Titel:
Tage, Metal • Digitales Proletariat • I wui net Skifahrn, aber i muaß • Birgit von da Soafa • Deppert • Thaller-Hymne • Wos is mit de Leit los? • Reiß de Hüttn weg! • Nur ein paar alte Sachen • Unzufrieden • Mein Hund wird falsch ernährt • Tage, Vintage


Rezension:
Er wirbelt wie in jungen Jahren übers lila Cover, der Dr. Ringsgwandl - akustisch bis auf zwei Songs retrospektiv. Wer ihn schon einmal live erlebt hat, wie er in oft gewagten, schrillen Kostümierungen und mit artistischen Verrenkungen über die Bühne springt und damit seinen oft vertrackten Liedern Nachdruck verleiht, weiß, wovon ich rede. Tatsächlich ist es so, dass auf seiner vor einigen Tagen erschienenen CD überwiegend Ausgrabungen zu hören sind, die es verdienten, endlich das Laserlicht zu erblicken. Wie es dazu kam? Es sind Stücke, die meist zwischen zwei Alben entstanden, dann vorwiegend in Live-Konzerten gespielt wurden, bis sie wieder abgelegt wurden und langsam in Vergessenheit gerieten. Es gibt aber treue Fans, die nicht vergessen konnten. So setzten sich Ringsgwandl und seine Musiker im Oktober letzten Jahres zusammen und interpretierten 10 alte Songs völlig neu und beileibe nicht weniger wild als damals im Konzert. In diese Phase fiel auch sein 70. Geburtstag, also ein idealer Zeitpunkt für einen akustischen Rückblick.

Alles wurde von der Musiker-Crew mit edlem Könnerklang und abwechslungsreichen, ausgefeilten Arrangements eingespielt. Bis auf "Nur ein paar alte Sachen" (im Original "A few old memories" von Hazel J. Dickens) stammen alle Texte und Kompositionen vom Meister selbst. Dieses Lied war ihm ein Herzensanliegen und wurde sehr nah am Original übersetzt. Hazel J. Dickens war übrigens eine der ersten Frauen in der amerikanischen Liedermacherszene, die sich sich mutig für die Arbeiter- und Frauenrechte einsetzte.

Die beiden ersten Songs "Tage, Metal" und "Digitales Proletariat" sind Neuschöpfungen. Wie "... Metal" suggeriert, ist es ein rockiger Einstieg mit Variationen über den Sinn oder Unsinn mancher Tage. In "Digitales" findet sich eine daueraktuelle Zeile: "Irgendein Geheimdienst hat mein' Account gehäckt, Chinesen, Amis oder KGB. Wo sind meine Daten, Verrat, Verrat!". Die kürzliche Hackerattacke auf 1.000 meist prominente Internet-Nutzer war da natürlich noch nicht bekannt. Oder: "Ein Nerd in Kalifornien plant dir deinen Tag, bitter für das digitale Proletariat".

Köstlich die 1992er-Komposition "I wui ned Skifahrn, aber i muaß", die mit einem wilden Urschrei beginnt. In der Geschichte singt er schelmenhaft, wie es einem Stubenhocker ergeht, wenn ihn die Freundin auf Trab bringen möchte.
Besonders köstlich ist die "Thaller-Hymne". Eine Ballade, auf zarter Keyboardwolke serviert, die er einschmeichelnd, fast mit hypnotischer Stimme besingt. Darin erzählt er, dass sein Schlagzeuger bei einer Einkehr im Rasthof Frankenthal an der A9 um ein Haar abhanden gekommen wäre. Die Ursache? Eine Frau, die ihm offenbar zu tief in die Augen schaute. Denn, fast wäre es um ihn geschehen gewesen, weil sie ihm "ans Gemächt" fasste. Zum Glück habe ein Polizist die Situation erkannt: "Weg da mit die Händ', der Mann spielt Schlagzeug in einer weltberühmten Band". Zum Wiehern schön!

Die eigenen Ernährungsprobleme mit dem eines Hundes zu vergleichen, das schafft wohl so nur Ringsgwandl im Lied "Mein Hund wird falsch ernährt". Kein Wunder, wenn man erst sehr spät liest, wie artgerechte Ernährung aussehen muss und in der Zwischenzeit beide immer dicker wurden.

Bei einem Prominentenball im Residenztheater München um 2004/2005 beeindruckte ihn Ursli Pfister sehr. Er spielte dort eine weibliche Hauptrolle (!) so komisch, dass er auf dem Album für den Titel "Unzufrieden" (aus dem Tourprogramm "Der Gaudibursch vom Hindukusch" 1996/97) engagiert wurde und ihn singt.

Man wird in Atem gehalten, wenn man sich "Reiß die Hüttn weg!" anhört, wo die Abrissbirne schicke Luxushäuser in der Stadt ermöglichen soll. Zu Beginn erzählt er das in märchenhaft anmutendem Tonfall. Doch, wenn man sich schon zurücklehnen möchte, schreckt man unsanft auf - Hard Rock dominiert, der heiklen Thematik entsprechend. Diese Komposition hat er 2005 geschrieben. Sie wird sicher - leider - noch lange aktuell bleiben.

Es sind wirklich herrliche, oft sarkastische Songs mit manchmal valentineskem Wortwitz, aber auch mit Nachdenkpotential, die er sich auf den Leib schreibt, der ehemalige Oberarzt und Kardiologe am Klinikum Garmisch-Partenkirchen. Im musikalischen Universum fand er das ideale Therapiefeld. Alle Texte sind im ausführlichen Inlet enthalten, mit "historischen" Fotos aus seiner wildesten Zeit angereichert.

Eines seiner vielen Bonmots liest sich so: "Irrsinn und eine mehrfach gespaltene Persönlichkeit sind von Vorteil, wenn man auf die Bühne will". Er versteht es trefflich, dies auch auf dieser Scheibe rüberzubringen. Mit "Andacht und Radau" natürlich.
(Gerd Müller)