Woger: "Aus der Seele" (Album)

woger2019 20190915 1039247304VÖ: 30.08.2019; Label: Starfish Music; Katalognummer: CD67311-6; Musiker: Woger (Gesang, Gitarre), Martin Krüger (Keyboards, Percussion, Mundharmonika, Melodika); Bemerkung: Ausschließlich auf CD erschienen. CD im aufklappbaren Pappcover inkl. Booklet mit Abdruck der Songtexte;

Titel:
Singender Poet • Ein neues Lied • Ruhrgebietskind • Schicht im Schacht • Bunte Farben braucht Euer Herz • Was mir auf der Seele liegt • Endstation Staufen • Total gerechte Welt • Mehr als nur enttäuscht • Die Welt teilt sich auf • Hin zum Licht • In meinem kleinen Zimmer • Rückblick


Rezension:
Du hast eine Gitarre? Dir stößt was sauer auf und das muss irgendwie raus? Dann werde doch Liedermacher. Zu dieser Mission fühlen sich seit ein paar Jahren viele Menschen berufen und "liedermachen" was das Zeug hält. Doch es ist gar nicht so leicht, dabei die Höhen eines Wenzel, Wader, Wecker, Grebe oder die des Niederländers van Veen zu erreichen. Zwischen den einzelnen Luftschichten gibt es große Unterschiede und in der unteren Atmosphäre ist das Gedränge derer, die zwar wollen aber nicht wirklich können, groß. Als Hörer ist man dadurch oft in der Not, die Guten von den Schlechten erstmal zu trennen. Immer wieder trifft man leider auf Interpreten, die mit eigenen Erzeugnissen ein von vielen großen Musikern und klugen Köpfen nahrhaft und inhaltsreich angerichtetes Menü verwässern. Einen Versuch, das Liedermacher-Feld zu beackern, unternimmt nun auch der im Ruhrgebiet geborene und inzwischen in Südbaden beheimatete Wolfgang Gerbig, der sich auf der Bühne kurz Woger nennt.

"Meine Lieder kommen aus der Seele" sagt er im Pressetext zu seiner CD "Aus der Seele". Auf 150 Auftritte seit seinem Start als Liedermacher im Jahre 2015 kann er bereits zurückblicken und nun kommt also sein Album. Darauf zu finden sind 13 Lieder, deren Kompositionen und Inhalte allesamt aus seiner Feder stammen und die er im kommenden Jahr auch auf einer großen Tournee live präsentieren will. Die Werbung für CD und Tour lässt Woger bereits großflächig die Runde machen ...
Los geht's mit "Singender Poet". Zu Gitarre und Melodika singt Woger hier über das Dasein eines Sängers. Er beschreibt, wie ihm die Ideen in den Kopf kommen und wie er daraus Lieder macht. Quasi ein vertontes "Making Of", mit dem Woger hier entspannt in sein Album startet. Die Liedzeile, "Ich höre Töne, die ich summ' | immer wieder und von vorn | Worte sind nicht ganz konform", wird einem im Verlauf dieser CD immer wieder in den Sinn kommen.
Die Fortsetzung dieser Geschichte findet sich schon an zweiter Position der CD und heißt "Ein neues Lied". Hier wird der Sänger konkreter, wie er bei einem Glas Wein irgendwo am Abend sitzt und tief in sich hinein hört. Die Dunkelheit draußen und Lichter in der Ferne inspirieren ihn, ein Lied zu schreiben. Der Himmel ist bewölkt und er sieht die Sterne nicht, weshalb er sich fragt, wo diese denn gerade wohl seien. Und plumps ... Schon hat er das Thema für sein Lied. So einfach kann das sein, und so einfach kann das auch klingen. Was wohl passieren würde, säße er einfach so rum und würde entdecken, dass sein Schnürsenkel am Schuh offen ist?!
Seine Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet verarbeitet Woger dann im Titel "Ruhrgebietskind". Er beschreibt ein Lebensgefühl, das es zwischen Mülheim und Herten eigentlich schon lange nicht mehr gibt. Der vom Kohlenstaub bedeckte Kumpel, der nach seiner Schicht aus dem Schacht kommt und zum Feierabendbier in die Kneipe an der Ecke geht ist eine Spezies, die längst ausgestorben ist und von der im Dezember 2018 das letzte Exemplar aus dem Ruhrpott verschwunden ist. Aber es geht in dem Song hauptsächlich um Woger, seine Erinnerungen und seine Freunde, die er hier besingt und deren Geschichten er erzählt. Das macht er ausgesprochen gut und fängt damit eine Zeit ein, die hier so langsam aber sicher in Vergessenheit gerät. Ein wirklich gelungenes Lied.
Was mit dem einen Lied so gut gelungen ist, soll im nächsten seine Fortsetzung finden, stirbt aber schon auf dem Wege dahin einen qualvollen Tod. In "Schicht im Schacht" werden das Zechensterben und die Schließung der letzten Zeche thematisiert. Ein ernstes Thema und eine noch immer offene Wunde hier im Ruhrpott, die viele Menschen, die hier leben, schmerzt. Sie ist weder vernarbt, noch hat sich darauf bereits Schorf gebildet. Sie ist noch frisch und Nervenenden liegen blank, weshalb man mit dem Thema auch äußerst vorsichtig umgehen sollte. Es mit einer fröhlich gepfiffenen Melodie und einer lustigen Klavierklimperei abzuarbeiten, verbietet sich eigentlich von selbst. Woger scheint das aber ganz anders zu sehen, macht genau dies, und lässt auch beim Text keine Gelegenheit aus, platte Stereotype aneinanderzureihen. Aus einem solchen Thema eine Kabarett-Nummer zu machen, die im Refrain ("Bei der letzten Schicht im Schacht | hat kein Kumpel mehr gelacht | Weil der Bergmann schweigt und denkt | Jetzt ist Schicht im Schacht oho") latent auch noch zum Schunkeln animiert, ist schon sportlich ... Ist das jetzt Comedy oder einfach nur ein Unfall?
Ähnliche Gedanken kamen mir beim Hören des Songs "Was mir auf der Seele liegt". In einer locker-luftigen Country-Nummer im Stile der Gruppe TRUCK STOP "kotzt" (O-Ton) sich der Sänger hier darüber aus, was ihn so alles stört. Dabei wird kaum ein Missstand in der aktuellen Weltlage ausgelassen. Über unschuldig in der Türkei inhaftierte Menschen wird da gesungen, darüber dass Nordkorea den Amis mit Krieg droht und auch über den Abgasskandal wird sich hier beschwert. Das Ganze aber so ungelenk und soweit am Ziel vorbei, dass man hinterher einen Chiropraktiker benötigt, der einen wieder einrenkt. Einmal völlig davon abgesehen, dass hier Reime nicht passen, Strophen- und Versmaße gar nicht berücksichtigt bzw. beachtet wurden und man am Tag der Aufnahme gesangstechnisch wohl nicht ganz ausgeschlafen war, hat man ein weiteres Mal zu einem ernsten Thema eine Schunkelmusik mit eingebauter Option, eine Polonaise zu starten, zusammengeschraubt. Mein erster und auch zweiter Gedanke? Au weia!
Es folgt ein Lied über den Ort Staufen im Breisgau, in dem Woger in düsteren Moll-Tönen eine Stadtbeschreibung inkl. der Beobachtung eines schweren Verkehrsunfalls bei der Einfahrt mit dem Zug abliefert, und das nach seinem "Hörgenuss" wenig Lust auf einen Besuch dort macht. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass auch hier wieder mehr Defizite in der Textdichtung ausfindig zu machen sind als Momente, die einem positiv in Erinnerung bleiben könnten. Hier reimt sich dann doch mal was, aber wo sich kein passendes Wort finden lassen will, wird mit der Brechstange eins mit Gewalt reingedrückt, damit es passt ("... wo einst die Rittersleut' ihre Saufgelage pflegten | und die Mägde an den Tresen ihre Brüste offen legten").
In "Mehr als nur enttäuscht" erreichen wir dann einen weiteren Höhepunkt fehlenden Fingerspitzengefühls und Takts. Woger singt ein Lied in der Ich-Form und schlüpft dabei in die Rolle eines Ostdeutschen. Von dieser Warte aus lässt sich ja ganz wunderbar über all die Plattheiten singen, mit denen auch die Medien ein Bild über den Ostdeutschen malen. Übrigens ein Bild, das bei genauer Hinsicht von vorn bis hinten nicht stimmt, und das bei einer guten Recherche auch gar nicht weiter in die Welt getragen werden müsste. Das Lied läuft kaum ein paar Sekunden, da hole ich mir an der Textzeile, "Was das Warenhaus im Westen hier an Sehnsüchten anbot | Meine Träume haben mir das erlaubt, was die Stasi mir verbot", das erste wohl für längere Zeit schmerzende Hämatom. Weitere gibt's anschließend noch ... Vieles passt in der Nummer sowohl inhaltlich als auch bei der Textdichtung nicht (die gleichen Defizite wie weiter oben schon beschrieben), und der Versuch, sich mit sowas bei den Menschen einer ganzen Region derart plump anzubiedern, sorgt bei mir für eine lange Phase des Fremdschämens. Und selbstverständlich wird uns auch die Antwort auf die Frage mitgeliefert, warum der Osten "so braun" ist. Die Seele sei mit "Wut und Hass und Ängsten tief verseucht", wird uns da erzählt. Na bitte ... Woger gibt die Antwort, nach der schon viele Menschen so lange suchen!

Es gibt noch weitere Lieder auf der CD, die ich an dieser Stelle nicht näher beschreiben möchte, um diesen Text hier nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Ich habe lange überlegt, ob ich dazu überhaupt was schreiben soll, denn man will dem kleineren und unbekannten Künstler ja nicht mit einer schlechten Rezension ein Bein stellen. Aber ich finde, man sollte über ein Album wie dieses hier, besonders wenn damit so offensiv Werbung gemacht wird, ein paar Worte verlieren dürfen. "Aus der Seele" ist eines dieser Beispiele dafür, dass jeder, der Lust hat, unbedingt Musik machen, aber nicht wirklich jeder auch eine CD damit aufnehmen sollte. Ebenso gibt es die Antwort auf die Frage, warum nicht jeder ein Liedermacher ist, auch wenn das Ergebnis der Arbeit auf dem ersten Blick wie ein Lied aussieht. Und über die Definition des Begriffs "Poet" will ich jetzt gar nicht erst anfangen zu philosophieren. Woger hat bei seinem Album viele elementare Dinge einfach übersehen oder schlicht ignoriert. Das fängt schon damit an, dass ein Text zum Lied passen muss, und dass der Text einen Fluss haben sollte. Hier fließt aber stellenweise gar nichts, sondern staut sich nur. Manch ein Text klingt überhaupt nicht, weil er - koste es was es wolle - einfach nur eine Botschaft raushauen will, die sich aber wohl nicht in Worte kleiden lassen wollte. Da war am Ende die Botschaft wichtiger, als dessen Transport zum Hörer. Nicht selten geht das dann auch nach hinten los. Dazu kommt, dass man hier über Dinge singt, von denen man offenbar nur mal gehört oder irgendwo darüber gelesen hat. Das Thema Osten so zu behandeln wie im Stück "Mehr als nur enttäuscht", grenzt für meinen Geschmack schon an Frechheit und ich hoffe, dass auch das Publikum dies bei Wogers Konzerten im Osten der Republik laut zum Ausdruck bringen wird. Gleicher Wunsch für die Konzerte im Ruhrgebiet, wenn das Publikum eine Schenkelklopfer-Musik zu einem zeitlich noch nicht so weit zurückliegenden und einschneidenden Ereignis vorgetragen bekommt. Es gibt auf "Aus der Seele" ein oder zwei echt gute Momente, wie z.B. beim Stück "Ruhrgebietskind". Der Großteil der Lieder hat weder das Zeug dazu, in einer Liga mit eingangs genannten Szenegrößen zu spielen, noch lässt auf ihnen irgendwas aufbauen. Das ist zum größten Teil schlicht und ergreifend Murks!
(Christian Reder)





Songs aus dem Album: