haase6 20150401 1963575058 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Album Nr. 6"
Christian Haase
hTMV
10. April 2015

1. Krach ist mir heilig
2. Kann wieder so sein
3. Höflich sein
4. Jacke am Kap Horn
5. Rom
6. Werde Dich vermissen
7. Irgendwo in Deutschland
8. Immer und immer (wieder)
9. Neurosenbeet
10. Märchenland
11. Bis die Zahlen fehlen
12. Überleben
13. Geister im Bett





Als ich vor Jahren das erste Mal Musik von Haase hörte, war ich überrascht. Als ich ihn das erste Mal im kleinen Rahmen live hörte, faszinierte er mich und von seiner Art, die Themen aufzugreifen und sie mit Gitarre und der ihm eigenen Leichtigkeit unter die Leute zu bringen, sie zum Denken anzuregen, bin ich begeistert. Wenn ich es einrichten kann, gehe ich gern zu einem seiner Konzerte, am liebsten dorthin, wo aus der Nähe Enge und die Musik körperlich fühlbar wird. Manchmal lege ich mir eine CD von ihm ein und denke, was wird dieser blonde Typ wohl als nächste treffende Liedzeile aushecken. Nun ist sein neues und 6. Album da und wieder schafft es CHRISTIAN HAASE, diese Welt kompakt in einige, für ihn sehr typische, Lieder zu packen und diese laden uns ein, unvoreingenommen angehört und aufgenommen zu werden.

Manchmal will man einfach nur emotional abgeholt, nicht mit gängig platten Hauruck-Einfällen in der "Einlaufrille" aufgescheucht werden. Manchmal liebe ich es, überrascht zu werden und überraschend ist es natürlich dann, wenn ich meine, das Kommende schon zu kennen und dann schmeicheln sich diese Gitarrenklänge in mein Ohr, die einem David Gilmour zur Ehre gereichen würden. Sphärisches Gitarrenspiel breitet sich aus und CHRISTIAN HAASE packt im Rezitativ seine Gedanken darüber. Nackt und ungeschönt lässt er uns zu zuckersüßen Klängen wissen: "Ich brauche Krach, ich brauche Lärm", statt öde und langweilig dahinzuvegetieren. Jetzt hat er mich doch wieder neugierig gemacht, mit diesem Song aus seinen frühen Jahren zu Beginn des brandneuen Albums, mit seinem "Krach ist mir heilig" und ich will wissen, wie er das meint. Und dann macht er wirklich ganz schön Krach gegen dieses Dahinvegetieren und gegen Gleichmaß für alle, das diese Lebenswelt hinterhältig einzunebeln droht.

CHRISTIAN HAASE offeriert dem Hörer eine Menge Facetten des Lebens im Schnelldurchlauf, ohne dabei nur einen einzigen Moment hastig zu wirken. Eher lässig bis lächelnd konzentriert beschreibt für uns augenzwinkernd den täglich wiederkehrenden Gruß des Murmelstiers und damit die Möglichkeit, aus diesen Umdrehungen des eigenen Hamsterrades vielleicht doch auszubrechen ("Kann wieder so sein"). Er bemüht zum Einstieg Pink Floyd - Stimmungen ebenso gekonnt, wie er wenig später den Philly-Sound der Disco-Ära wieder kurz aufflackern lässt ("Höflich sein"). Die Wortfetzen, die er dabei findet ergeben, trotz der Kürze der Zeit, die beinahe banalen, aber prägenden Momentaufnahmen der täglichen Hatz: "einer bleibt am Bahnsteig stehn, der heult" ("Immer und immer wieder"). Kenner und Genießer erleben Momente, die uns wie blitzende Pulsare aus den längst vergangenen Rock-Universen vorkommen. Da wird keck einer auf Country gemacht ("Irgendwo in Deutschland") und ganz nebenbei der Geist vom Altmeister Bob Dylan plus The Band heraufbeschworen und ich staune, woher dieser Kerl diese Tiefe einer Zeit hervorholt, die er doch nie selbst direkt gefühlt hat. Mit diesem "Irgendwo in Deutschland" hat er gar einen radiotauglichen Hit geschrieben, auf den die Traveling Wilburys stolz gewesen wären, so entspannt beschreibt er eine kleine Stadt Anfang des Monats Mai und "meistens fährt man dran vorbei". Eine Liebeserklärung an Nester wie jene, in der man eine entspannte Kindheit und turbulente Jugend verbringen durfte.

Liebeslieder, das könnte auch der Albumtitel sein, denn in Nummern wie "Rom" oder "Jacke am Kap Horn" trifft er, nach meiner Überzeugung, ziemlich genau das Lebensgefühl der heutigen Jugend und manch sehr persönlichen Moment, wie ich aus eigenem Umfeld weiß. HAASE scheut sich auch nicht, die Tiefe der Gefühle dieser Nummer in einen sehr emotionalen Chorus mit ganz viel "Hey Hi Yeah" zu packen. So manchen steinalten Gedanken, der sich manchmal meiner bemächtigt, gleitet er modern ein - "ich würd's genau so machen, wär' ich immer noch vierzehn" - und was dabei herauskommt, ist fast schon eine zeitgemäße und sehr emotionale "Jugendliebe" geworden, von zarten Orgelakkorden und Slide-Gitarrenspiel in die Gehörgänge geträufelt. Einfach nur wunderschön gefühlvoll und frisch.

Doch was mich an diesem Album am meisten fasziniert, ist das Gefühl, dass die Songs gefunden hat und sie mit Inhalten füllt, dass hier einer für uns singend erzählt und sich wirklich ALLE und JEDER dafür interessieren könnten. Es gibt keine, wie auch immer geartete Zielgruppe und so kann sich jeder aus der stilistischen Vielfalt der Melodien und deren Inhalte jene herauspicken, die zu ihm finden. Da entdecke ich plötzlich emotionale Tiefe, wie sie der Elton John-Liebhaber in mir von manchem seiner frühen Album-Hymnen kennt ("Curtains") und tief unter die Haut gehen ("Rom"), weil sie sich zu schäumenden Hymnen aufbäumen können ("Immer und immer wieder"). Großes Kino verpackt in Zeitungspapier. Zwischendurch mal eine Dylan-Mundi im "Neurosenbeet" oder Zeilen wie "Ich liebe dich und hab' dich sogar gerne" in fröhliche Rhythmus von Funk und wippenden Hüften zu kleiden, statt der Versuchung zu erliegen, aus "Werde dich vermissen" eine zuckersüße Schmalz-Ballade zu machen. Da könnte man glatt neidisch werden!

Mit jedem seiner neuen Lieder auf diesem, seinem 6. Album, blättert CHRISTIAN HAASE, wie in einem Schmöker zur nächsten Kurzgeschichte, zu anderen Personen oder Plätzen, Seite für Seite weiter. Auf diese Weise erzählt er kleine Geschichten oder porträtiert deren Hauptdarsteller ("Überleben") und jedes Mal finde ich eine Zeile wie "hab' nur mal 'ne Fliege weggewischt", die einen Augenblick in Slow Motion festhält. Als Sahnehäubchen gibt es hier einen fetzigen Chorus, dort ein mal Instrumental-Solo und zusätzlich mehrmals die Einladungen zum Einstimmen in einprägsame Melodieschleifen.

CHRISTIAN HAASE hat, bewusst oder nicht, überall in der Zeit vor ihm Zutaten gefunden und sie dem eigenen Menü einfühlsam beigefügt. Wer hört, findet Parallelen zu Elton John, zu Altmeister Dylan und seinen Kumpanen oder meint Gilmour zu hören. Statt nach fünf Platten ein "Best Of" unter die Leute zu bringen, gönnt er uns elf neue Lieder, deren Klammern, vorn und nah am Ende, zwei ältere Lieder von 1997 ("Krach ist mir heilig") und 1999 ("Märchenland") sind. Beide Stücke haben die Eigenschaft, den Hörer zunächst für das Gesamtwerk zu öffnen, ihn neugierig zu machen, und ihn, fast am Ende gefühlvoll aus den Geschichten und auf eigene Wege zu entlassen. Das ist nicht neu, aber stimmig eingesetzt.
Der Mann ist voller Ideen, hat's einfach drauf und grinst auch noch dabei. HAASE besingt die Facetten des Lebens gleich hier um die Ecke und Momente, die man im Alltag nur mit offenen Sinnen findet, wenn man selbst mittendrin ist. Dann, und nur dann, kann man darüber klug, aber eben auch wie ein Schelm singen - zärtlich, liebevoll, ehrlich und wenn's sein muss, auch richtig böse und dennoch mit viel Optimismus. Genau diese Mischung und die daraus resultierende Vielfalt hat es mir beim Hören angetan.

Andererseits könnte der Vorwurf lauten, zu angepasst und viel zu sehr auf das Radio geschielt. Schon lese ich diesen Vorwurf, doch Lieder wollen und sollen unter das Volk und gegen die Vernebelung von Hirnen. Aber auch das muss man erst mal mit elf neuen und zwei älteren guten Songs für ein ganzes Album schaffen, ohne auch nur einen einzigen Aussetzer zu produzieren. HAASE will als HAASE gehört werden und das kann man ihm nicht vorwerfen, sondern muss man ihm hoch anrechnen. Wenn einer seinen Weg zielstrebig geht, weil er von dessen Richtigkeit überzeugt ist, dann kann eben so ein Stück lebendige Pop-Musik mit ehrlichen Texten entstehen. Zum Glück keine ollen Kamellen im angeblich neuen Gewand. Auch das unterscheidet CHRISTIAN HAASE von einigen wenigen anderen seiner Zunft und es gefällt mir ausgesprochen gut. Die Haase-Fans werden ohnehin zugreifen, das weiß ich, und all die anderen müssen aufpassen, dass sie nichts verpassen.

P.S.: Und wisst Ihr was: keine der Nummern klingt nach irgendjemandes Nachfolger, sondern schlicht und ergreifend ist alles HAASE pur. Herzlichen Glückwunsch, Christian, und auch zum Geburtstag.
(Hartmut Helms)



Videoclip:
 
"Neurosenbeet" (Demoversion)




   
   
© Deutsche Mugge (2007 - 2023)

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.