ruffoverload 20150511 1763149208 Titel:
Interpret:
Label:
VÖ:

Titel:
"Overload"
Alice Ruff
Hey!Band
23. Mai 2015

1. Overload
2. Limits
3. Die Närrin
4. Der Kauz
5. Drauf und dran
6. Monogamie
7. Knallfrosch
8. Wackelkontakt
9. Liebe ist ein Kind
10. Mein Seemann
11. Ich sehe was
12. Du bist der





Alice Ruff ist eine der jungen Künstler, die nicht mehr den Weg über eine Plattenfirma zum Publikum sucht. Heute heißt das Zauberwort "Crowdfunding". Mit "Crowdfunding", also dem Vorabfinanzieren einer Album-Produktion durch Fans, Sympathisanten und Gönner, hat sich die junge Musikerin ihren Traum vom eigenen Album verwirklicht. Wobei das über www.startnext.com eingenommene Geld nur einen Teil der Kosten abgedeckt hat, das die komplette Produktion des Albums am Ende tatsächlich gekostet hat. "Overload", so heißt das gute Stück, das von "Hey!Band - Plattenfirma to go" vertrieben wird und Ende Mai in die Läden kommen. Viel ist über die 30-jährige Künstlerin, die seit drei Jahren Pop-, Rock- und Jazzgesang an der Laufer Musikschule unterrichtet, im Netz nicht zu erfahren. Dafür verrät uns das Cover zur CD ein paar Kleinigkeiten. U.a., dass die Songs auf der CD allesamt aus der Feder von Alice Ruff stammen. Auch das Studio, in dem die Scheibe entstanden ist, wird hier genannt. Dann noch ein paar "Danksagungen" und das war's. Ein Booklet mit Songtexten? Fehlanzeige! Infos zur Künstlerin? Fehlanzeige. Sei's drum ... Viel wichtiger ist, was auf dem Silberling zu hören ist.

Mit "Overload", das dem durchweg deutschsprachigen Album auch seinen Namen gab, startet das Programm, und man hört ... das Knistern einer Vinyl-Scheibe. Eine richtig tolle Idee ... war das mal vor 15 Jahren, als die Schallplatte fast komplett weg vom Markt war. Da war es ein nettes Gimmick, Plattenknistern unter die neuzeitliche Produktion zu mischen, und am Ende auf CD zu pressen. Das war cool. Wer heute was auf sich hält, lässt gleich eine Vinyl-Scheibe seines neusten Werks pressen, wenn er diesen Effekt haben will. Ansonsten kratzt man sich nur noch fragend am Kopf, was das soll. Wie dem auch sei ... Als erstes hängt uns die Künstlerin eine recht düster wirkende Vorstellung eines Lebens in den Raum, die man sich eigentlich nur kerngesund reinziehen sollte. Es geht in dem ziemlich trüben Lied um den alltäglichen Druck, den man im Leben so hat. Druck, der irgendwann zur "Überlastung" (Overload) und zum Burnout führen kann. Angepinselt in den tristesten Farben, die man sich in der Musik vorstellen kann, stellt "Overload" eine seltsame Wahl als Eröffnungssong für ein Album dar.
Das Stück "Limits" folgt dem Schallplattenknistern seines Vorgängers und fällt durch ein extrem unangenehmes Grundrauschen auf, das man seit dem Entsorgen des Kassetten-Recorders mit defekter Dolby-Taste vor 20 Jahren nicht mehr gehört hat. Ein Klavier spielt eine Spieluhrmelodie und macht unmissverständlich klar, dass mit bunteren Bildern hier wohl auch nicht zu rechnen ist. Und so ist es auch. Schaltet man zur Musik das Kopfkino ein, sieht man bei den ersten Tönen ein Karussell mit Holzpferden an einem trüben Herbsttag vor dem inneren Auge. Dieses Karussell wird allerdings ziemlich zügig wieder abgebaut, wenn es zum Refrain geht. Hier zieht die Musik ziemlich an. Das Klavier bleibt deutlich im Vordergrund, die Stimmung weiter gedrückt. An dieser Stelle fällt es mir bereits schwer, konzentriert zu bleiben und dem Rest der Platte zuzuhören. Irgendwie geht mir gerade die Lust dazu flöten ...
Auch beim dritten Titel der CD, "Die Närrin", begegnet uns der "Spezialeffekt" mit dem Plattenknistern. Musikalisch wird es dagegen interessanter. Beim Arrangement greift man auf den Einsatz eines Cellos zurück. Schon erstaunlich, wie nur ein Instrument dem Refrain eine wunderbare musikalische Tiefe im Sound und im Klangbild verleihen kann. Gern mehr davon.
"Der Kauz" als viertes Stück der CD gefällt mir richtig gut und ich bin überrascht, ihm hier bei all der Tristesse und dem schwer hängenden Novembergrau noch zu begegnen. Eine einladende Melodie und eine ebenso interessante Geschichte, die die Künstlerin hier in ein Lied verwandelt hat. Es beginnt mit einer ansprechenden Gitarrenfigur und zum ersten Mal entfaltet sich die Stimme der Alice Ruff ganz wunderbar. Sie klingt natürlich und irgendwie frei. Sie singt über einen einsamen, alten "Kauz", der gerne zu zweit wäre, der aber Angst hat und deshalb hart bleibt ("Wann siehst Du endlich ein, dass Du nie fliegen wirst, wenn Du so weitermachst"). Sie singt darüber, dass sie ihm auch eine Statue bauen kann. Eine Frau, so wie er sie gern hätte. Verbunden mit dem Hinweis, dass er ihr dann aber nie wirklich unter die Haut gehen könne, da sie eben nur seine Statue wäre. Mit Worten gemalte Bilder, die man sich gerne "ansieht", und ein Lied voller Schönheit!
Das folgende "Drauf und dran" ist eine treibende Popnummer mit einer wütenden Stimme. Wütend, weil der hier angesungene Lebenspartner nicht mehr auf der gleichen Welle funkt und offenbar in einer eigenen Welt unterwegs ist. Das Arrangement klingt gut überlegt und das Lied insgesamt sehr ansprechend. Gerade die schnelleren Beats wirken an dieser Stelle des Albums wie eine willkommene Oase, die man nach bisher ziemlich düsteren und eher melancholischen Klängen gerade noch rechtzeitig erreicht hat.
Der Song "Monogamie" geht ebenfalls gut ab. Wie beim zuvor gehörten Stück ist der Beat treibend. Balkan-Einflüsse in der Musik und eine mit Akzent singende Alice Ruff sind prägende und hervorstechende Elemente des Songs über die "Monogamie". Dieses Stück hat was von einer Kleinkunstbühne mit dem Programm der großen weiten Welt.
Und einmal eingegroovt, scheint die Ruff nun wie ausgewechselt. Vorbei ist die tiefdunkle Grundstimmung, die einen bei den ersten Liedern der CD noch kräftig verschreckt hat. Man ist innerlich inzwischen froh, die CD nicht nach dem zweiten Song abgeschaltet zu haben. "Knallfrosch" knüpft dort an, wo die beiden zuvor gehörten Songs aufgehört haben. Hier sprüht plötzlich etwas durch den Raum, das man wohl Lebensfreude nennen kann. Das Lied verbreitet gute Laune und man ertappt sich dabei, wie der Fuß den Beat mit stampft. Diese positive Energie macht auch der Text deutlich: "Nennst Du mich abgedreht, zeig' ich Dir was noch geht. Verscheuch die Lethargie, kreisch mit mir Baby".
Dieser kleine Block mit durchaus guten Songs, die einen direkt (oder indirekt) erreichen und auch abholen, endet allerdings beim folgenden Song "Wackelkontakt" ziemlich abrupt. Eine ziemlich unaufgeräumt wirkende Nummer, in der es darum geht, dass "da was im Anmarsch ist", das ganz offenbar den Kontakt zum Partner abbrechen lässt. So tragisch sowas auch ist, so finster ist der Song dann am Ende auch geworden. "Liebe ist ein Kind" schließt hier nahtlos an. Hier darf durchaus mal nachgefragt werden, in welcher Stimmung man sein muss, um so einen Song zu schreiben und ihn so aufzunehmen.
Die Antwort dürfte wohl die gleiche sein, wenn man diese Frage auch in Bezug auf "Mein Seemann" stellt. Der Titel wirkt beim ersten Hören wie der Versuch, große Kunst zu erschaffen. Auch beim zweiten Hören erkenne ich nur einen Versuch. Cello, Kontrabass und Klavier depressionieren vor sich hin und das Gemisch soll unterm Strich wohl ein Chanson sein. Wohl dem, der das erkennen und das auch ertragen kann. Ich kann es nicht!
Mit "Ich sehe was", einer angejazzten Nummer, die langsam und entspannt vor sich hin plätschert, und "Du bist der", einem von der Akustikgitarre getragenen Lied, bei dem mich Alice Ruff mit ihrer Stimme und der postiven Botschaft ("Wenn Du da bist, wird es in mir ruhiger. Wenn Du da bist, fühle ich Heimat...") wieder einmal abholt und erreicht, kommt es dann doch noch zu einem versöhnlichen Abschluss der CD.

"Overload" ist insgesamt ein Album mit ganz viel Luft nach oben. Den größten Nerv-Faktor hat die (sorry) dumme Idee mit dem Plattenknistern und dem völlig unnötigen Grundrauschen in manchen (fast allen) Liedern. Dem Produzenten möchte ich mit auf den Weg geben, dass wenn er so einen Mumpitz unbedingt braucht, doch lieber sofort eine Schallplatte oder ein Tonband veröffentlichen soll. Da kommen diese Geräusche automatisch und gehören da auch hin. Hier wirkt das teilweise wie ein Demo. Der zweite Punkt, der das Album schwächt, ist diese permanent tief-depressive Grundstimmung, die einige der Lieder verbreiten. Wer sich gerade von einem psychosomatischen Erschöpfungszustand erholt, sollte um diese CD einen großen Bogen machen. Die Gesangsleistung Alice Ruffs ist außerdem eine Wundertüte. An einer Stelle haut sie den Hörer förmlich vom Hocker ("Der Kauz"), um an der nächsten Stelle zu klingen, wie Helene Fischer nach dem Konsum von Valium ("Liebe ist ein Kind"). "Overload" hinterlässt mich ziemlich zwiegespalten. Auf der einen Seite höre ich hier absolut große Nummern, die unter eine Fülle von Liedern mit nicht zueinander passen wollenden Tönen gemischt wurden. Songs wie "Overload", "Limits" oder "Liebe ist ein Kind" wollen ganz offenbar Kunst sein, sind meiner Meinung nach aber "Koks" geworden. Lieder wie "Der Kauz", "Drauf und dran" oder "Du bist der" wirken in der Gesamtsumme des Albums dann wie Fremdkörper, weil sie eine andere Qualität haben, unheimlich gut arrangiert sind und man die Ideen dahinter klar erkennen kann. Sie wirken zu den anderen Stücken wie Kontrapunkte. Ein Mittelding zwischen "toll" und "au weia" gibt es hier nicht! Vielleicht hätte Alice Ruff mit der Produktion ihrer CD noch etwas gewartet und die Sache noch reifen lassen. Vielleicht wären bis dahin dann auch die dunklen Wolken weggezogen und manche Titel nicht so unausgegoren, wie sie es jetzt sind.
(Christian Reder)



Videoclip:

"Overload" (Off. Video)




   
   
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